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Publius Ovidius Naso: Metamorphosen X, 001 - 077


Lat. Text folgt.
Von dort schritt, geh?llt in ein Safrankleid, Hymenaios durch den unermesslichen Himmel, eilte zu den K?sten der Ciconen und wird vergeblich von Orpheus gerufen. Jener war zwar anwesend, aber er brachte weder Feiertagsjubel noch ein frohes Gesicht und auch kein günstiges Zeichen. Denn die Fackel, die er hielt, verbreitete ununterbrochen zischend tränenerregenden Rauch und fing trotz der Bewegung kein Feuer. Das Ende war noch schlimmer als der Anfang: denn w?hrend die Neuvermählte, begleitet von einer Schar Nymphen (Naiaden), auf der Wiese spazierte, starb sie, an einem Schlangenbiss in ihren Knöchel. Nachdem der rhodopeische S?nger sie auf der Oberwelt lange beweint hatte, wagte er es, auch in der Unterwelt zu versuchen, durch die Tänarische Pforte in die Unterwelt hinab zu steigen und durch die vielen körperlosen Wesen und die Schattenbilder der Begrabenen und er wandte sich an Persephone und den Herrscher ?ber das Reich der Schatten und er schlug die Saiten zum Lied und sang:

"O ihr Götter der Unterwelt, in die wir alle zurückfallen, die wir als sterbliche Kreaturen geboren werden, wenn es erlaubt ist und wenn ihr gestattet, ohne Umschweife die Wahrheit sagen lässt, ich bin nicht hierher herabgestiegen um den dunklen Tartarus zu sehen, noch um die drei Köpfe von Schlangen umringelten medusischen Ungeheuers zu fesseln. Der Grund meines Kommens ist meine Gattin, die von einer Schlange, auf die sie trat, vergiftet wurde und sie in der Blüte ihrer Jugend hinwegraffte. Ich wollte es ertragen k?nnen und will nicht leugnen es versucht zu haben: doch Amor hat gesiegt. In der Oberwelt ist dieser Gott gut bekannt, ob er es auch hier ist, das bezweifele ich, aber ich vermute, dass er es auch hier ist und wenn die Geschichte von dem Raub vor langer Zeit nicht erlogen ist, hat Amor auch euch verbunden. Bei dieser furchterfüllten Gegend, bei dieser gewaltigen Ein?de und der Stille des unermesslichen Reiches macht den vorzeitigen Tod Eurydices bitte r?ckgängig.

Wir alle sind euch verfallen und nach der kurzen Zeit, die wir auf der Erde verbringen, eilen wir früher oder später zu diesem einen Wohnsitz. Wir eilen alle hierher, dies ist der letzte Wohnsitz und ihr herrscht am längsten ?ber das Menschengeschlecht. Auch sie wird, wenn sie die ihr geb?hrenden Jahre bis in das hohe Alter durchlebt hat, in eurer Gewalt sein: Statt eines Geschenkes verlange ich das Zusammenleben auf Zeit. Wenn aber das Schicksal die Gnade f?r meine Gattin verweigert, so bin ich fest entschlossen, nicht zur?ckzukehren zu wollen. Dann freut euch über unser beider Tod!"

Die bleichen Seelen beweinten den der so redete und die Saiten zu Worten bewegte: weder haschte Tantalus nach dem zur?ckweichenden Wasser und das Rad des Ixion stand still und die Vögel fraßen keine Leber mehr und die Beliden ließen die Krüge stehen und du, Sisyphus saßest auf deinem Stein. Damals ging die Sage zum ersten Mal um, dass die Wangen der Eumeniden durch Tränen nass wurden, weder die königliche Gattin, noch jener, der die Unterwelt regiert, ertrug es den Bittenden eine abschlägige Antwort zu geben und sie riefen Eurydike. Jene war unter den Schatten der erst kürzlich Verstorbenen und schritt infolge ihrer Wunde langsam herbei.

Der Held vom Rhodopegebirge bekam sie zugleich und die Bedingung, dass er nicht zurückblicke, bis er das Avernatal verlassen hat, sonst wäre das Geschenk ungültig. Schritt f?r Schritt legten sie den totenstillen, ansteigenden Weg zurück. Er war steil, dunkel und von finsterer Nacht umgeben.

Und sie waren nicht mehr weit vom Rand der Oberwelt entfernt: weil dieser fürchtete, dass sie ermüden könnte und weil er sie sehen wollte, blickte er mit verliebten Augen zurück ? und sofort sank jene zurück; er streckte die Arme aus und bemühte sich verzweifelt, sie zu ergreifen und ergriffen zu werden, aber er bekam nur die weichende Luft zu fassen, der Unglückliche! Und schon zum zweiten Mal sterbend klagte sie nicht über ihren Mann- worüber hätte sie denn klagen sollen außer, dass sie geliebt wird? - sie sagte das letzte Lebewohl, das er schon kaum hören konnte und sie sank wieder dorthin zurück. Die Bitten und den vergeblichen Wunsch ein zweites Mal zu überqueren, hatte der Fährmann abgewiesen. Doch jener saß sieben Tage im Trauergewand am Ufer ohne Nahrung; Sorge, Schmerz des Geistes und Tränen waren die Nahrung. Er klagte, dass die Götter der Unterwelt grausam sein und zog sich in das hohe Rhodopegebirge und auf den, von Nordstürmen geschlagenen, Haemus zurück.
 

Online gestellt von Martin, am 15. 08. 2014 zuletzt geändert., zur Verfügung gestellt von Susi Wachek.