Thuk. 5.84

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Thuk. 5.84

Beitragvon Roxane » Mi 9. Apr 2014, 14:57

Seid gegrüßt, liebe Griechischfreunde!
Früher oder später -so hatte ich es mir vorgenommen- wollte ich versuchen, einmal den Melierdialog zu übersetzen. Nun ist es <früher> geworden und mit einem gelegentlichen Blick auf die Landmann-Übersetzung kam nun folgender Text heraus. Natürlich würde ich mich über die geneigte Revision eines Experten freuen....
Roxane

Melierdialog (5,84)

(84.1) Im folgenden Sommer (Gen. temp.) selgelte Alkibiades mit zwanzig Schiffen nach Argos und
ergriff noch diejenigen Argeier, die verdächtig waren, mit den Lakedaimoniern zu sympathisieren
(wörtl.: an die Angelegenheiten der L. dachten), 300 Männer, und die Athener setzten sie auf den
benachbarten Inseln fest, die sie beherrschten; auch gegen die Insel Melos zogen die Athener in den
Krieg, mit 30 eigenen Schiffen, sechs chiischen (Insel Chios) und zwei lesbischen, ferner mit 1200
eigenen Hopliten, 300 (eigenen) Bogenschützen (zu Fuß) und 20 berittenen Bogenschützen sowie
mit ungefähr 1500 Hopliten der Bundesgenossen und Inselbewohner.
(84.2) Die Melier sind zwar Kolonisten der Lakedaimonier, aber sie wollten den Athenern nicht
Folge leisten wie die anderen Inselbewohner, vielmehr bewahrten sie zuerst Ruhe und gehörten keinen
von beiden an, dann, als die Athener durch die Verwüstung ihres Landes versuchten, sie
zu zwingen (Impf. konativ), wählten sie einen offenen Krieg.
(84.3) Die Feldherrn Kleomedes, der Sohn des Lykomedes, und Teisias, der Sohn des Teisimachos,
schlugen nun mit dieser Streitmacht auf deren Land ein Lager auf; ehe sie Unrecht taten in Bezug
auf irgendetwas, was ihr Land betraf, schickten sie Gesandte, die zuerst (mit ihnen) reden sollten. Die Melier führten diese zwar nicht vor die Menschenmenge, sondern ordneten an, dass sie vor den Behörden
und den Adligen sagten, weshalb sie gekommen seien.
Roxane
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Re: Thuk. 5.84

Beitragvon Prudentius » Do 10. Apr 2014, 08:30

Hallo Roxane,

habe keinen Fehler gefunden, es ist alles richtig verstanden, an einigen Stellen würde ich mich lieber stilistisch etwas anders ausdrücken.

"84.1) Im folgenden Sommer (Gen. temp.)": man kann auch sagen: (Gen. abs. im Sinne einer Zeitangabe).

"ergriff noch diejenigen Argeier, die verdächtig waren": nahm gefangen (?)
"noch" lieber auf "verdächtig" beziehen!

"aber sie wollten den Athenern nicht Folge leisten": die A. sind hervorgehoben, nicht "aber": "den A. aber wollten sie sich nicht unterordnen".

"vielmehr bewahrten sie zuerst Ruhe und gehörten keinen von beiden an" : sie hielten sich neutral heraus.

"versuchten, sie zu zwingen (Impf. konativ)" : Druck ausübten.

"Die Feldherrn ... schlugen nun mit dieser Streitmacht auf deren Land ein Lager auf".

Rein sprachlich ist es gut, das Pc. zum HS aufzuwerten, aber gedanklich verschiebt man das Gewicht, der Verhandlungswunsch der A. kommt nicht richtig heraus.

"vor die Menschenmenge": Volksmenge.

"sagten, weshalb sie gekommen seien.": den Grund ihres Kommens darlegten.

Im folgenden wird es gleich spannend und dramatisch, und dann wirst du erst richtig herausgefordert :-D

viel Spaß und lgr. P. :)
Prudentius
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Re: Thuk. 5.84

Beitragvon Roxane » Do 10. Apr 2014, 10:47

Guten Morgen, Prudentius,

hab Dank für deine schnelle Durchsicht. Ja, ich weiß schon, dass es mutig von mir ist, mich ausgerechnet an Thukydides heranzuwagen. Schließlich hattest du mich hinreichend vorgewarnt. Nun, ich muss ja nicht bis zum bitteren Ende durchhalten, aber einen Versuch ist es mir schon wert, zumal es zum Abgleichen einige Übersetzungen im Internet gibt (ich denke, Pennäler schielen auch gelegentlich dorthin). Deine Verbesserungsvorschläge klingen wie immer gut, und ich habe sie sogleich übernommen. Hilfreich war auch der Hinweis, dass es nicht immer sinnvoll sein muss, ein Pc in einen Hauptsatz umzuwandeln; der Satz beginnt jetzt bei mir mit "nachdem...".
Du hast dir wieder so viel Mühe gemacht, Prudentius, dabei würde es mir schon reichen, wenn ich auf <große Böcke> aufmerksam gemacht werde, die ich eventuell schieße.

Nun aber noch ein Νachtrag:

- "im folgenden Sommer" (Gen.temp.) bzw. "als der Sommer folgte" (Gen.abs.): Im lat. Text bei Gottwein finde ich <insequentis aetatis initio>, also "zu Beginn des folgenden Sommers".
Nun, ἐπιγίγνομαι kann "folgen" und "nahen" bedeuten, so dass man wohl auch übersetzen könnte: "als der Sommer nahte".

- nicht ganz sicher war ich mir bei meinem "ehe sie unrecht taten in Bezug auf irgendetwas, was ihr Land betraf". In diesem Fall wäre das τι ein Acc.graec. bzw. ein ganz normaler Akk., den das ἀδικέω fordert und das τῆς γῆς wäre ein Gen.part.
Nachgedacht hatte ich noch über eine andere Lösung, nämlich "ehe sie irgentetwas Unrechtes an ihrem Land taten/ ihrem Land irgendetwas Unrechtes zufügten". Das τῆς γῆς wäre dann ein Gen.obj. Letzteres entspricht dem <ullo maleficio agrum> bei Gottwein. In den Sinn kam mir in diesem Zusammenhang <memoria nostri> = das Gedenken an uns. Trotzdem überzeugt mich diese Lösung nicht, da ἀδικέω im Sinne von "unrecht tun" mit A/D steht.

Schöne Grüße
Roxane
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Re: Thuk. 5.84

Beitragvon Sokrates » Do 10. Apr 2014, 17:36

Chairete,

nur ganz kurz:

konativ gut!!

der Sommer, der nachher folgt, der nachfolgende, damit ist der darauffolgende gemeint, nicht, dass der Sommer nach (dem Frühling oder so) folgt.

Thukydides benutzt oft adikeo mit dem Akkusativ von Land, gen, also gen adikeo= ich tue dem Land Unrecht im Sinne von ich verwüste das Land. Hier ist Akk Obj eben ein Indefinitpronomen, das dann mit klar partitivem Genitiv steht, also: irgendetwas der Erde unrecht behandeln= irgendeinen Fleck Land verüsten, Betonung dass das Ganze und all seine Teile zu der Zeit noch völlig unversehrt ist.

edit: peri hon hekon:
es fehlt einfach das Demonstrativ, also taut legein perl hon hekon:
das sagen, zu welchem Zweck sie hier seien.
Im D ein Konjunktiv, im Gr lebendiger, indem im Aussagesatz einfach das Tempus der direkten Rede beibehalten wird. Hekon ist Perfektpräsens, also da sein, gekommen sein. Phrase peri tinos herein, wegen etwas da sein, zu einem Zweck gekommen sein, mit einem Ziel etc… es soll also der Grund erfragt werden.
Auch denkbar, peri touton (gen pl) legein, ha (akk neutr pl) hekon.
darüber parlieren, in Bezug auf was = warum sie gekommen seien, also ein verschränkter Relativsatz. Aber eher erstere Variante.

LG
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Re: Thuk. 5.84

Beitragvon Roxane » Fr 11. Apr 2014, 09:55

Danke für deine zusätzlichen Erläuterungen, Sokrates. Dieser Melierdialog wird ja nun schon Satz für Satz unter die Lupe genommen. Das fehlende Demonstrativpronomen ist mir übrigens gar nicht aufgefallen. Gut zu wissen, dass das ἀδικέω noch öfter vorkommt. Ich habe gesehen, dass ἐπιγίγνομαι in Bezug auf die Zeit alles Mögliche bedeuten kann: folgen, verstreichen, nahen, eitreten...>, so dass Alkibiades theoretisch wohl auch etwa im Mai (nahen), im Frühsommer (eintreten) oder im Spätsommer (verstreichen) nach Argos gesegelt sein könnte. Aber du kennst natürlich die ganze Vorgeschichte, ich dagegen keinen einzigen Satz vor 5.84. Im Sommer also, der auf das Jahr 417 v. Chr. folgte, segelte er los.

Schöne Grüße
Roxane
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Re: Thuk. 5.84

Beitragvon Sokrates » Fr 11. Apr 2014, 11:36

ja, die Grundbedeutung neben bei entstehen, nachher entstehen, nach-kommen, also folgen etc…ist nicht immer leicht zu treffen. Trotz des Präfix, das die Semantik des Verbs sicher modifiziert, wäre bei "eintreten" rein von der Sprachauffassung des Schreibenden her eher an einen (ingressivrn) Aorist zu denken, gerade im Partizip. Bedenke auch, dass es sich hier um eine oft eher bausatzmäßig verwandte Phrase handelt, die kurz den zeitlichen Abfolgeprozess an der Tonstelle des Satzes erläutert. Hier kann man auch schön sehen, wie der Ursprung der Konstruktion des Genitivus absolutus geartet ist, nämlich allzu oft aus einem Genitivus temporalis ( der hier mal mit Artikel steht) mit sinntragendem Partizip.
Formal ist das also nicht zu unterscheiden, aber es macht schon einen Unterschied in der Übersetzung:
Nimmt man einen Genitiv der Zeit mit erläuterndem Partizip an, kann man der griechischen Floskel recht habe kommen:
Im darauffolgenden Sommer als präpositionale Verbindung.
Räumt man dem Partizip angesichts seiner verbalen Charakteristika mehr Bedeutung ein, also macht man es zur Hauptaussage, entsteht die satzwertige Gen. abs. Konstr. und man kann mit einem Nebensatz wiedergeben, was dann angebracht scheint, wenn etwa diese Zeitpunkt eine besondere Rolle spielt bzw. im Folgenden ergänzt und auf ihn Bezog genommen würde:
Als der Sommer "danach entstand -> folgte, geschah dieses, dann jenes etc.
Es ist ein feiner Unterschied, ob man sagt:
im folgenden Sommer geschah dies, in dem darauf folgenden jenes, im letzten Herbst das
oder
Als der Sommer folgte (und das Frühjahr vorüber war) und der Herbst wiederum nachfolgte…
Also die chronologische Reihung der einzelnen "Sommer" (416, 17, 18 etwa) im Gegensatz zum fortschreitenden Wechsel der Jahreszeiten (erst Frühling, dann Sommer).
Alle diese Nuancen gibt der Genitiv mit Partizip wieder, wie gesagt formal mit dem Kasus der Konstruktion identisch, aber je nach Kontext leicht anders zu übersetzen.
Aber sei beruhigt, das sind Feinheiten, die einen eigentlich nicht interessieren müssen, sofern man keine gedruckte Übersetzung anstrebt ;)
Ich würde mich für ein simples im (nach-)folgenden Sommer entscheiden.
Das als kleiner Nachtrag.

Aber du kennst natürlich die ganze Vorgeschichte,

Woher stammt denn diese Kenntnis :lol:

in diesem Sinne allen schönes WE

LG
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Re: Thuk. 5.84

Beitragvon Roxane » Fr 11. Apr 2014, 12:16

Nein, eine druckreife Version strebe ich nicht an, auch keine Doktorarbeit zu dem Thema, wenigstens derzeit noch nicht (ich weiß jetzt gerade nicht, wie man diese putzigen smilies hier einfügt). Deine Ausführungen sind wie immer trotzdem interessant. Prudentius hat es sogleich prophezeit: Es wird spannend.
Ansonsten: Dass du die ganze Vorgeschichte aus dem ff kennst, darauf würde ich mein Vermögen wetten...

Wunderschönes frühlingshaftes WE!
Roxane
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Re: Thuk. 5.84

Beitragvon Prudentius » Fr 11. Apr 2014, 19:47

Hallo liebe Hellenisten,

"ehe sie unrecht taten in Bezug auf irgendetwas, was ihr Land betraf"


wörtlich richtig, aber man kann sich eleganter ausdrücken: "ehe sie dem Land irgendein Unrecht zufügten", oder Schaden anrichteten; vllt. auch besser Kj. "Unrecht täten...", um auszudrücken, dass es indir. Rede ist, nämlich schon ein Teil ihrer Botschaft an die Melier.

Ich bin ja auch für die Sparte Logik zuständig :prof2: , wobei ich manchmal mit den Grammatikern querliege :-D .

"τι τῆς γῆς": das τι ist als Indefinitum ein Quantor, so etwas wie "es gibt ein...", und da braucht es jetzt eine Angabe, wovon es was gibt; der Name eines Begriffes ist gefordert; hier "Land"; die Grammatiker nennen es "partitiven Genetiv" oder, weil es nicht passt "Genitiv des geteilten Ganzen"; also der Gen. gibt den Begriffsnamen an; nemo nostrum niemand von uns; in einer L-Diskussiion haben wir gerade eine Textvariante "quo viae", wohin des Weges.

Hallo liebe Roxane, die Smilies bekommst du leicht herein, einfach anklicken, dann erscheinen sie da, wo der Cursor steht, sie zeigen aber ihr wahres Gesicht erst, wenn du den Brief abgeschickt hast :-D ,

lgr. P. :)
Prudentius
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Re: Thuk. 5.84

Beitragvon Roxane » Mo 14. Apr 2014, 08:53

Dein "ehe sie in dem Land irgendeinen Schaden anrichteten" ist natürlich entschieden besser, Prudentius.

Eine Sache nun noch zum letzten Satz von 84.1. Diese Stelle habe ich mir bei J. Classen, auf den Medicus einst hingewiesen hat, angesehen: Ich würde mich lieber Classens "der Bundesgenossen, (die) ebenfalls Inselbewohner (waren)" anschließen oder "der Bundesgenossen, nämlich/ ebenfalls (καὶ) Inselbewohnern" vorziehen statt Landmanns "der Bundesgenossen und Inselbewohner" zu folgen.

Soviel zu 5.84 von Roxane :)
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