gr. Gedankengut im röm. Recht

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gr. Gedankengut im röm. Recht

Beitragvon Roxane » Mo 12. Mai 2014, 12:59

Hallo Prudentius und alle anderen Hellenen!

Eigentlich gehört dieser Beitrag noch in 5.94-97, aber nun ist er länger geworden als ich dachte. Es geht um Zitate gr. Autoren im röm. Recht.

Digesten 1,1,1 pr. (Ulpianus 1 inst.)
"..ut eleganter Celsus definit, ius est ars boni et aequi."
(..wie es Clesus elegant definiert, das Recht ist die Wissenschaft vom Guten und Billigen.)

Bei den Griechen gab es eine Hochphase der Philosophie, bei den Römern eine der Rechtswissenschaft. Dass ein großer Teil des röm. Rechts, vor allem der Digesten (u.a.) in das dt. Rechtssystem übergegangen ist, dürfte allgemein bekannt sein. Wieviel aber ist von den Gedanken der Griechen ins röm. Recht eingegangen? Immerhin hatte eine ganze Reihe röm. Juristen gr. Wurzeln bzw. war gr. gebildet. So auch Celsus. Nachdem ich gerade einen interessanten Aufsatz des emer. Prof. für Römisches Recht, Detlef Liebs, gelesen habe, fage ich mich: Hat Celsus sich an Aristoteles erinnert? (siehe Thread Thuk. 5.94-97).

Für alle, die etwas damit anfangen können, hier ein paar Auszüge aus dem Liebs-Aufsatz:

"Marcian nun begann sein umfangreiches Lehrbuch des römischen Rechts wie Gajus und Ulpian mit einem Titel über Rechtsquellen (De iure). Daraus erhalten sind ein kurzer Ausspruch über Amtsrecht, eine Bemerkung zu mitunter uneigentlichem Gebrauch des Wortes ius und zwei längere griechische Zitate zum Gesetzesbegriff. Das erste ist der ersten Rede (angeblich) von Demosthenes orator gegen Aristogeiton entnommen (1) .. und umschreibt das Wesen des Gesetzes (νόμος).
Schon Papinian hatte diese Stelle ausgewertet, allerdings in leicht gekürzter lateinischer Fassung und ohne zu sagen, dass es sich um fremdes Gedankengut handelt (2). Weggelassen hatte Papinian insbesondere eine Nebenbemerkung am Anfang: dass jedes Gesetz eine Eingebung und ein Geschenk der Götter sei; sowie den Schluss: dass es sich für alle in der Stadt gehöre, nach dem Gesetz zu leben.
Marcian dagegen stand nicht an, die Aussage ohne Aufhebens vollständig in der griechischen Originalsprache und mit Angabe ihres Urhebers zu zitieren. Und damit nicht genug. Er fügte eine etwas weitläufigere Bestimmung des Gesetzes von Chrisipp (3) hinzu, der die Akzente etwas anders gesetzt hatte, und führte ihn mit den Worten ein: der Philosoph größter stoischer Weisheit (philosophus summae stoicae sapientiae)."

(1) Digesten 1.3.2 (Marcianus 1 inst.)
"Nam et Demosthenes orator sic definit: touto estin nomos, hw pantas anvrwpous prosykei
peivesvai dia polla, kai malista hoti pas estin nomos ehurema men kai dwron veou, dogma de
anvrwpwn fronimwn, epanorvwma de twn hekousiwn kai akousiwn hamartymatwn, polews de
sunvyky koiny, kav' hyn hapasi prosykei zyn tois en ty polei."

(2) Digesten 1.3.1 (Papinianus 1 def.)
"Lex est commune praeceptum, virorum prudentium consultum, delictorum quae sponte vel ignorantia contrahuntur coercitio, communis rei publico sponsio."

(3) Digesten 1.3.2 (Marcianus 1 inst.)
"Sed et philosophus summae stoicae sapientiae Chrysippus sic incipit libro, quem fecit peri nomou: ho nomos pantwn esti basileus veiwn te kai anvrwpinwn pragmatwn: dei de auton prostatyn te einai twn kalwn kai twn aisxrwn kai arxonta kai hygemona, kai kata touto kanona te einai dikaiwn kai adikwn kai twn fusei
politikwn zwwn prostaktikon men hwn poiyteon, apagoreutikon de hwn ou poiyteon ."

Auch auf folgende Stelle (und zahlreiche andere Stellen) weist Liebs hin:

Iustinian, Inst. 3.23 §2
"Item pretium in numerata pecunia consistere debet. nam in ceteris rebus an pretium esse possit,
veluti homo aut fundus aut toga alterius rei pretium esse possit, valde quaerebatur. Sabinus et
Cassius etiam in alia re putant posse pretium consistere: unde illud est quod vulgo dicebatur, per
permutationem rerum emptionem et venditionem contrahi, eamque speciem emptionis
venditionisque vetustissimam esse: argumentoque utebantur Graeco poeta Homero, qui aliqua parte
exercitum Achivorum vinum sibi comparasse ait permutatis quibusdam rebus, his verbis: ἔνθεν ἄρ` οίωίζοντο καρηκομόωντες Αχαιοί, ἄλλοι μὲν χαλκᾧ, ἄλλοι δ`αἴθωνι σιδήρῳ, ἄλλοι δὲ ρίνοῖς, ἄλλοι δ`αὐτῇσι βόεσσι, ἄλλοι δ`ἀνδραπόδεσσι." (Homer, Il. 7,472-75)

Für mich war das mal ein schöner Exkurs, falls jemand von euch noch etwas Interessantes beitragen kann, gerne!
Roxane

Nachtrag: http://deposit.d-nb.de/cgi-bin/dokserv? ... ok_ext=htm

Im zweiten Band von "Graeca non leguntur? - Zu den Ursprüngen des europäischen Rechts im antiken Griechenland" widmet der Autor, ein Zivilrechtler und Rechtshistoriker, 76 Seiten der epieikeia. Uih...

Zum Schluss noch Platon, Nomoi XI 925 e,f
„Daher sei zur Verteidigung des Gesetzgebers wie des Gesetzesempfängers gleichsam eine Art gemeinsame Vorrede vorausgeschickt, die einerseits die vom Befehl des Gesetzes Betroffenen bittet, Verständnis für den Gesetzgeber zu haben, wenn er bei seiner Sorge um das allgemeine Wohl nicht zugleich auch die persönlichen Schwierigkeiten berücksichtigen kann, die sich für den Einzelnen daraus ergeben; und die andererseits aber auch um Nachsicht für die Gesetzesempfänger bittet, wenn diese verständlicherweise bisweilen nicht in der Lage sind, die Anordnungen des Gesetzgebers zu erfüllen, die dieser ohne Kenntnis der Sachlage [sc des Einzelfalles] erlässt.“
Dazu Heinz Barta:
"Der Text lehrt uns auch, dass Platon Präambeln dazu nützen will, die „Rechtsakzeptanz“ zu fördern. Darüber hinaus berührt Platon hier auch das Problem der Epieikeia/Billigkeit *, die diesen nicht immer einfachen (Gerechtigkeits)Ausgleich herstellen soll."
*Die Römer übernahmen sie und nannten sie aequitas
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Re: gr. Gedankengut im röm. Recht

Beitragvon Prudentius » So 18. Mai 2014, 15:57

Hallo Roxane,

ich kann darüber nur sehr pauschal etwas sagen, die erste röm. Gesetzeskodifizierung waren die "12 Tafeln" um 500 v.Chr., noch in sehr altertümlichem L., es heißt, dass die Römer zuvor eine Gesandtschaft nach Gr. geschickt hatten, um sich kundig zu machen. Man kann wohl sagen, dass die Römer ganz allgemein den Spuren der Gr. folgten, die l. Fachtermini sind Übersetzungen der gr., wie wir es auch aus der Grammatik kennen, z.B. Dativus = dotike. Trotzdem ist das röm. Staatsrecht ein völlig eigenständiges Gebilde, das wenig Parallelen bei den Gr. hat.
Man muss sich ja vorstellen, es gab in der klassischen Zeit in Rom noch keine Hochschulen oder Universitäten, Caesar und Cicero gingen zum Studium nach Athen, Cicero musste seine Rede-Künste auf Gr. einüben.

Die große Gesetzessammlung unter Kaiser Justinian von Konstantinopel, die Digesten oder "Corpus iuris civilis" waren wohl zweisprachig verfasst, sie gingen dann unter dem Titel "Römisches Recht" in die Geschichte ein, ohne Rücksicht auf die frühere Herkunft.

Das Zitat von Chrxsipp, dem Gründer der stoischen Philosophenschule

ho nomos pantwn esti basileus veiwn te kai anvrwpinwn pragmatwn:


ist eine Abwandlung eines Heraklit-Spruches: "polemos panton pater, panton basileus", mit der karftvollen p-Alliteration.

Die Begriffe nomos/lex sind ein großes Thema der Philosophie gewesen und sind es bis heute, Stichwort "Naturrecht".

lgr. P. :)
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Re: gr. Gedankengut im röm. Recht

Beitragvon RM » So 18. Mai 2014, 19:04

Mal eine provokante Frage: Was bitte hätten die Römer auf politischem oder juristischem Gebiet von den Griechen lernen sollen?
Die Römer waren den Griechen, was die Organisation eines Staats- und Rechtswesens angeht, mehr als eine Nasenlänge voraus, auch wenn sich seit langem das Gerücht hält, es sei umgekehrt gewesen.
Dass sich die Römer bei den Griechen umsahen, ist wahrscheinlich, was die zwölf Tafeln betraf, aber was sollte Cicero vom Recht in Griechenland lernen? Griechenland war zu Ciceros Zeiten schon lange römische Provinz!
Auch auf den zwölf Tafeln findet sich nicht viel Griechisches. Insofern ist das römische Recht wahrscheinlich die wichtigste Errungenschaft, die uns von den Römern geblieben ist, immer noch lebendig in vielen Paragraphen unseres Bürgerlichen Gesetzbuches, das übrigens erst am 01.01.1900 das alte römische Digestenrecht ablöste, das bis dahin noch gültig war.

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Re: gr. Gedankengut im röm. Recht

Beitragvon Roxane » Mo 19. Mai 2014, 10:47

Hallo zusammen!

Ob ihr euch wohl vorstellen könnt, dass ich mich als Schulkind immer gefreut habe, wenn ich hörte, dass die Griechen die übermächtigen Perser besiegt hatten? Nun lerne ich Griechisch und fahre sofort darauf ab, wenn irgendjemand meint, dieses oder jenes Kulturgut sei griechischen Ursprungs.

Natürlich ist die Rechtswissenschaft eine herausragende Errungenschaft der Römer! Römisches Recht ist bis heute Teil der Juristenausbildung, ich selbst habe mich schon manchmal spaßeshalber in die ein oder andere Vorlesung gesetzt, dort aber kein einziges Wort über die Griechen gehört. Ich verstehe gut, wenn jemand aus dem Lateinforum protestiert, allerdings: Dass das alte römische Digestenrecht bis zum 1.1.1900 gültig war, kann man so nicht sagen.
Die Digesten waren nach dem Untergang des westr. Reiches erst einmal verschollen. Nach ihrer Wiederentdeckung (11. Jh.) wurde röm. Recht in Bologna gelehrt (Glossatoren, Postglossatoren). In der Form, die es in Italien erhalten hatte, gelangte es auch in andere Länder (Rezeption), in Dt. wurden die Richter 1495 n.Chr. angewiesen, nach dem "ius commune", d.h. nach dem Corp. iur. civ. zu urteilen, sofern etwas nicht nach örtl. Recht geregelt war. Im 16. bis 18. Jh. hat man dann versucht, röm. Recht den veränderten Anforderungen der Zeit anzupassen (zeitgem. Gebrauch der Pandekten). Im 19. Jh. kehrte die sog. "Histor. Rechtsschule" wieder zum reinen röm. Recht zurück, wenn auch nicht ausnahmslos (Pandektistik).

Die Pandektistik hat unser BGB, das am 1.1.1900 in Kraft trat, stark beeinflusst. Vor allem das Schuldrecht, aber auch das Sachen- und Erbrecht, teilweise auch der allg. Teil und das Familienrecht enthalten röm. Inhalte. Manche Paragraphen lesen sich tatsächlich beinahe wie die antiken Texte.

Zurück zu den Griechen: Dass eine röm. Gesandtschaft nach Griechenland gefahren ist, könnte auch eine Legende sein. Eines gebe ich gerne zu: Was auch immer Aristoteles in seiner Nik. Ethik zur Gerechtigkeit ausgeführt hat, niemand hätte aufgrund dessen ein Urteil fällen können.

Sehr interessant zu diesem Thema dieses (bei uns schon sehr zerfledderte) Buch: Detlef Liebs "Römisches Recht" mit zahlreichen Beispielen aus den Digesten und Hinweisen, wo die entspr. Paragraphen im BGB zu finden sind.
Liebs hat auch Originaltexte für den Schulunterricht zusammengestellt: Detlef Liebs/Manfred Fuhrmann "Fälle aus dem röm. Recht"

Die Griechen enttäuschen mich trotzdem nicht!
Es grüßt euch für heute Roxane
Roxane
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Re: gr. Gedankengut im röm. Recht

Beitragvon RM » Mo 19. Mai 2014, 20:10

Kurz zu den Griechen: Dass die Römer von ihnen nicht immer begeistert waren, ist ja bekannt. Dennoch sind die Söhne des wohlhabenden Stadtadels natürlich nach Griechenland zum Studieren gepilgert, auch wenn von den alten Philosophenschulen wohl nicht mehr allzu viel übrig war. In meinen Augen war das Verhätnis der Römer zu den Griechen sehr ähnlich dem zwischen den USA und Europa: Man bereist good old Europe hin und wieder gerne, hält die Europäer aber in politischen, wirtschaftlichen und manchen sonstigen Dingen für lahm, rückständig bzw. altmodisch, willensschwach, naiv, wenig durchsetzungsfähig usw. und ist ansonsten der Meinung, dass Europa seine beste Zeit hinter sich habe. Auch US-amerikanische Studenten kommen gerne für einen überschaubaren Zeitraum zu Studienzwecken nach Europa. Als Cicero zum ersten Mal nach Griechenland kam, war Aristoteles ungefähr so lange tot wie heute Johann Sebastian Bach. Dass die Römer nach Griechenland gefahren sind, um sich die politischen Systeme anzuschauen, kann ich mir zwar gut vorstellen (sie haben sich oft Dinge von anderen abgeschaut), aber ob das stimmt, ist schwer nachzuweisen.
Was die griechische Kultur angeht, war deren Hauptproblem meiner Meinung nach, dass sie zu sehr Individualisten waren, um großartige Einzelleistungen auf vielen Gebieten in nachhaltige wirtschaftliche und politische Erfolge umzusetzen - zu zersplittert war Griechenland. Ein großes Trauma war für sie sicherlich, sehr früh zum römischen Reich gehören zu müssen - immerhin haben sie sich später dadurch revanchieren können, dass das Lateinische im oströmischen Reich kaum noch praktische Bedeutung erlangte. Aber auch während dieser 1000 Jahre, die das Oströmische Reich nach dem Zerfall des Weströmischen überdauerte, gelang es ihnen letztlich nicht, eine Politik und Kultur zu verwirklichen, die nachhaltige Wirkung entfalten konnte. Sang- und klanglos wurde Konstantinopel am Ende vom Osmanischen Reich geschluckt.
Natürlich haben die Griechen in den Naturwissenschaften, der Mathematik und der Literatur Großartiges geleistet, aber die Erfolge beruhten weitgehend auf genialen Leistungen einiger Weniger, nicht auf kollektiven Leistungen, durch die sich die Römer besonders auszeichneten.

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Re: gr. Gedankengut im röm. Recht

Beitragvon Prudentius » Di 20. Mai 2014, 17:00

Mal eine provokante Frage: Was bitte hätten die Römer auf politischem oder juristischem Gebiet von den Griechen lernen sollen?


Wen willst du denn provozieren? :-D Also was man unter dem Begriff eines Jura-Studiums bezeichnen kann, dazu noch Rhetorik. Ich hab den Eindruck, du wirst dem griechischen Einfluss auf die Römer nicht gerecht. Schau dir mal das Forum Romanum an! Alles gr. Tempel, die Basilika ("Königshalle"), Amphi-theatron ("Colosseum"), Pantheon; nur der Titus-Bogen ist römisch.
Die Griechen-Feindschaft des alten Cato erklärt sich daraus, dass die jungen Römer von der gr. Architektur und Kunst beeindruckt waren und die heimischen Produkte als primitiv erachteten. Es gab Minderwertigkeitskomplexe, man sieht es noch beim Psychopathen Cicero, der einmal sagte, unsere Leute haben entweder alles erfunden oder was sie von den Gr. übernahmen, haben sie besser gemacht.

Die Gr. haben durchaus auch politische Leistungen von historischem Gewicht aufzuweisen, die frühe Kolonisation in dem gesamten Mittelmeer- und Schwarzmeerbereich; Alexander der Große als der erste, der eine Weltherrschaft anstrebte und sie teilweise verwirklichte; Pompeius "der Große" ahmte ihn nach, Caesar soll vorgehabt haben, auf den Spuren Alexanders in den Orient zu ziehen.

Du unterschätzt die Lebendigkeit der Philosophenschulen, erst Kaiser Justinian hat ihnen im 6. Jh. ein Ende gesetzt, und der Platonismus erlebte in Rom im 3. Jh. n.Chr. eine Neubelebung durch Plotin ("Neuplatonismus") mit bedeutender Wirkung auf die Kultur Europas.

Es wäre noch sehr lohnend, sich die wechselnde Wertschätzung von Römern und Griechen in den verschiedenen Epochen des Humanismus anzusehen, ich tendiere dazu, ganz emotionslos beide in ihrer Eigenart zu würdigen.

Für mich ist es jetzt aber an der Zeit, die Fahrradrunde zu machen, deshalb

lgr. P. :)
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Re: gr. Gedankengut im röm. Recht

Beitragvon RM » Di 20. Mai 2014, 19:49

Die Baukunst würde ich jetzt nicht als griechisch bezeichnen: Ausgerechnet die Amphitheater und das Pantheon waren römische Erfindungen, denn die Griechen haben sich beharrlich geweigert, sich mit der Konstruktion von Bögen und Kuppeln zu beschäftigen. Sogar das Theater in Ephesos wurde erst unter den Römern gebaut.
Und Alexander der Große ist ein typisches Beispiel für erstaunliche Einzelleistungen ohne nachhaltige Wirkung - der erste Weltherrschaftsanwärter war er aber keineswegs, auch das Reich der Assyrer war schon ganz hübsch groß. Entsprechend kurz hielt sein Reich. Warum? Weil er keine Infrastruktur aufgebaut hat, weil Verwaltung und Rechtswesen hoffnungslos unterentwickelt waren und weil sich die Griechen in den unterjochten Gebieten nicht langfristig niederließen. Genau das konnten die Römer offensichtlich besser.
Was jetzt die Philosophenschulen betrifft: Nun, Justinian war ja ein intelligenter Mann. Er wird wohl gute Gründe dafür gefunden haben, die neugegründete Akademie (die originale wurde von Sulla eingeebnet) wieder zu beseitigen. Wahrscheinlich hat er Unruhen befürchtet, weil Philosophie und Christentum nicht zusammenpassten und die Philosophen das sicher auch laut gesagt haben.

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Re: gr. Gedankengut im röm. Recht

Beitragvon Roxane » Mi 21. Mai 2014, 09:41

Hallo zusammen,

was habe ich da nur ins Rollen gebracht? Jetzt könnte ich mich auf die eine oder andere Seite schlagen, aber ich werde mich wie die Melier neutral heraushalten, ihr Altphilologen (beide?) könnt dazu Wertvolleres beitragen, im Übrigen bin ich von gr. wie röm. Bauten immer wieder gleichermaßen beeindruckt und wenn Ephesus erwähnt wird, gerate ich ins Schwärmen...

Gerne komme ich aber noch einmal auf das röm. Recht zurück. Der Gedanke einer Rechtskodifikation, da ist man sich wohl einig, stammt aus Griechenland, dort war ja das Beispiel Solons schon berühmt. Davon, dass Gesandte (drei Männer des Decemvirats, die die neuen Gesetze entwerfen sollten) vor Abfassung der Zwölftafeln mit dem Auftrag nach Athen geschickt wurden, von den Gesetzen Solons eine Abschrift anzufertigen „leges Solonis describere“, berichtet Livius (ab urbe cond. 3.31.). Wie dieser Auftrag nun umgesetzt wurde, davon erfahren wir von Livius allerdings nichts. Tatsächlich gibt es aber Übereinstimmungen zwischen der Gesetzgebung Solons und den Zwölftafeln, z.B. zur Aufwandsbeschränkung bei Leichenfeiern. Na toll! Die Wissenschaft, so lese ich, war dem Bericht des Livius gegenüber immer skeptisch und meint, es habe wohl eher einen Kontakt zu ionischen Kolonien gegeben. Man weiß es mal wieder nicht.

D. Liebs hat aus einem ganz bestimmten Anlass angefangen, Übereinstimmungen zw. antiken Gesetzgebungen aufzuspüren: Der schweiz. Nationalfond billigte nämlich vor einigen Jahren ein Projekt. Es sollte analysiert werden, welche Gemeinsamkeiten zw. dem altorient. (5. Buch Mose), dem gr. (Stadtrecht von Gortyn) und dem röm. Recht (Zwölft.) bestehen. Ich habe inzwischen den ganzen Aufsatz gelesen. Nun, diverse Gemeinsamkeiten hat Liebs aufgespürt, überwältigend ist das, was er gefunden hat bzw. finden konnte, aber nicht.

Übrigens: Als ich das erste Mal in Leipzig war, bin ich sofort in die Thomaskirche geeilt, er hätte schon viel länger tot sein können, der Herr Bach.....

Χαῖρε bzw. Salve!
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Re: gr. Gedankengut im röm. Recht

Beitragvon RM » Mi 21. Mai 2014, 19:23

Nun, der Einfall mit dem geschriebenen Recht stammt natürlich nicht von den Griechen, denn da waren die Mesopotamier schneller (s. Codex Ur-Nammu). Aber auch bei den solonischen Gesetzen haben wir wieder dieses typische Problem: Da gab es dieses Werk eines Einzelnen, aber statt es sukzessive im Kollektiv weiterzuentwickeln, haben die Athener geschafft, es nach relativ kurzer Zeit wieder der Willkür eines Alleinherrschers zu überlassen. Es wurde dann zwar wiederbelebt, ging aber durch Alexander den Großen wieder in Rauch auf. Wie dem auch sei, es muss uns klar sein, dass sich die römische Republik weitgehend zeitgleich mit der griechischen Demokratie entwickelte, wobei letztere aufgrund ihres Charakters nur in sehr kleinen Staatsgebilden funktionieren konnte.

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Re: gr. Gedankengut im röm. Recht

Beitragvon Prudentius » Do 22. Mai 2014, 16:17

Welche von den vielen Fäden solll ich denn jetzt aufgreifen? :-D
Für ein Ausspielen der Römer gegen die Griechen bin ich nicht zu gewinnen, da ich ja auf beide eingeschworen bin :-D , ich muss aber zugeben, ich habe von Cicero gelebt und von Platon geträumt :-D .

Lieber RM, wenn ich mir die politische Vorzüglichkeit der Römer ansehe, da kommen mir so meine Zweifel: hundert Jahre mehr oder weniger offener Bürgerkrieg, von den Gracchen bis ca. 30 v.Chr., als Augustus seine Macht konsolidiert hatte, Instabilität, erinnert an Libyen oder Syrien; dann 100 Jahre "Julisch-Claudisches Herrscherhaus", zunächst unter Augustus Erholung, dann ging es wieder abwärts, bis zu Nero und dem Chaos des "Dreikaiserjahres 69", dann kam die flavische Dynastie, gute Ansätze unter Vespasian, am Schluss der blutige Tyrann Domitian.
Es gab Verzweiflung, Horaz ep. 7 "quo quo scelesti ruitis?...", den Ruf zu Flucht und Auswanderung aus Rom; und dann haben ja tatsächlich die Römer unter Konstantin Rom aufgegeben, um sich im gr. Osten eine neue Hauptstadt zu schaffen.

Das weströmische Reich ging ja 1000 Jahre früher unter als das ostr., aber man muss ihm wiederum zugutehalten, dass es die Fähigkeit zur Wiedergeburt hatte, denn im J. 800 trat es mit Karl d. Gr. wieder neu auf die Bildfläche, unter dem Segen des Papstes.

Wahrscheinlich hat er Unruhen befürchtet, weil Philosophie und Christentum nicht zusammenpassten und die Philosophen das sicher auch laut gesagt haben.


Da musst du genauer hinschauen, die Theologen haben ja der Philosophie einen Platz gesichert, nämlich als "philosophia ancilla theologiae"! Augustinus bekehrte sich erst zum Neuplatonismus, und erst als er sich überzeugt hatte, dass er als Christ Neuplatoniker bleiben konnte, wurde er Christ.

Zu den Bauten am Forum: ja, die Römer haben den gr. Vorgaben ihren Stempel aufgedrückt, aber durch die Namengebung bezeugen sie doch, als was sie sie verstanden haben.

Jetzt hab ich aber genug gearbeitet,
und verabschiede mich bis dann,
lgr. P. :)
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Re: gr. Gedankengut im röm. Recht

Beitragvon RM » Do 22. Mai 2014, 20:23

Gerade die bürgerkriegsähnlichen Zuständen, die seit den Gracchen in Teilen des Römischen Reiches gelegentlich geherrscht haben, demonstrieren ja die unglaubliche Stabilität des römischen Staatsgebildes. Wir können zwar das Konsulat Ciceros zu Recht als letzten Höhepunkt der römischen Republik verstehen, müssen jedoch - leider - sehen, dass Cicero seinen Einfluss zur Weiterentwicklung eben dieser Republik wesentlich besser hätte einsetzen können. Leider war er wohl zu sehr von sich überzeugt, um sich Caesar anzuschließen, der große Stücke auf ihn hielt, später aber an seiner Unbelehrbarkeit verzweifelte. Also ist auch Rom gelegentlich an seinen handelnden Charakteren gescheitert. Allerdings war der Militär- und Verwaltungsapparat zu dieser Zeit schon mächtig genug, um dem gesamten Staatsgebilde den nötigen Rückhalt zu geben.
Griechenland, das dürfen wir nicht vergessen, war schon zur Zeit Catos des Älteren von Rom abhängig, wenn auch noch nicht offiziell römische Provinz. Wir sollten auch nicht vergessen, dass die griechischen Stadtstaaten eigentlich dauernd in irgendwelche bewaffneten Konflikte verstrickt waren.
Die Teilung des Römischen Reiches war hingegen wieder ein Geniestreich. Immerhin gelang es dadurch, einen wichtigen Teil der Antike über das Mittelalter zu retten. Die genaue Kenntnis der griechischen Kultur verdanken wir somit über kleinere Umwege ebenfalls den Römern. Da aber Ost- und Weströmisches Reich zusammengehörten, fiel die Herrschaft über das Weströmische Reich nach dem Tod des Kaisers de jure an die oströmischen Kaiser. Leider wussten die damit ebenso wenig anzufangen wie mit ihren eigenen Gebieten, so dass sie sich statt auf die militärische Sicherung der Grenzen und den Wohlstand der Bevölkerung lieber auf die teilweise religiös motivierten Streitereien untereinander und in der gesamten Region konzentrierten, so dass das Oströmische Reich langsam aber sicher dahinschmolz. Dass es so lange bis zum Untergang gedauert hat, liegt einerseits wohl an der schieren Größe, andrerseits daran, dass die potentiellen Feinde am Anfang zu schlecht ausgerüstet waren. Da waren die Feinde des Weströmischen Reichs wesentlich effektiver. Dort wurde die römische Ordnung schon im 7. Jhdt. beseitigt.
Was übrigens die Philosophen betrifft: Ich kann mir gut vorstellen, dass es für sie eine Beleidigung gewesen wäre, wenn ihnen jemand gesagt hätte, dass "philosophia ancilla theologiae" ist.
Und die römischen Architekten haben keine griechischen Vorgaben verwendet, höchsten griechische Ornamente. Wie gesagt: Die Griechen haben weder Kuppeln noch Bögen gemauert.

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Re: gr. Gedankengut im röm. Recht

Beitragvon Prudentius » So 25. Mai 2014, 10:20

Werfen wir doch mal einen Blick auf die Geschichte, um von der bloß abstrakten Diskussion wegzukommen! Schauen wir einen Epocheneinschnitt an, das Jahr 240 v.Chr.!
Da trat auf einmal Rom in das Licht der Weltöffentlichkeit, Weltöffentlichkeit hieß griechische Weltöffentlichkeit, die Römer hatten die Karthager besiegt, die bisherige Vormacht im Mittelmeer, sie aus Sizilien und Sardinien verdrängt (1. Pun. Krieg).
Das Jahr markiert ungefähr das Ende der gr. Literatur der Antike, der letzte bedeutende Dichter, Kallimachos von Alexandrien starb; da ging es anscheinend den Römern auf: sie hatten in ihrer 500jährigen Geschichte keine Literatur! Es musste die römische Literatur aus dem Boden gestampft werden; der Erstling war eine "Odusia" von L. Livius Andronicus; schaut euch den Namen an: da habt ihr L. und Gr. in Personalunion, und ebenso das Werk: eine lat. Version der homerischen Odyssee. So ist es eigentlich immer geblieben, eine Verzahnung oder Nah-Beziehung der unterschiedlichen Kulturen.
Horaz hat die Sache auf den Punkt gebracht:
"Graecia capta ferum victorem cepit et artes agresti Latio intulit" (ep.2:1:156f.).

lgr. P. :)
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Re: gr. Gedankengut im röm. Recht

Beitragvon RM » So 25. Mai 2014, 18:30

Prudentius hat geschrieben:Das Jahr markiert ungefähr das Ende der gr. Literatur der Antike, der letzte bedeutende Dichter, Kallimachos von Alexandrien starb; da ging es anscheinend den Römern auf: sie hatten in ihrer 500jährigen Geschichte keine Literatur! Es musste die römische Literatur aus dem Boden gestampft werden;

Jetzt muss ich noch einmal provokant werden: Wozu brauchten die Römer Literatur? Sie hatten in dieser Zeit Wichtigeres zu tun, als Gedichte zu schreiben! Zum Teil gilt das auch für spätere Zeiten. Die meisten großen Werke der römischen Dichter sind im Kaiserreich unter ganz spezifischen Bedingungen entstanden.
Aber es steht auch die Frage im Raum, wie viel überhaupt erhalten geblieben ist. Die griechische Literatur ließ sich zu einem gewissen Teil über Konstantinopel retten. Von der römischen Literatur dürfte das meiste verloren gegangen sein. Lesen und schreiben konnte ein Teil der Römer schon recht früh, sonst gäbe es keine Inschriften aus der älteren Zeit. Ein Beispiel: Was ist von der karthagischen Literatur geblieben? Wir wissen, dass da einiges vorhanden war. Unter Umständen gab es also im ganz alten Rom etwas mehr an Literatur, als wir vermuten.

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Re: gr. Gedankengut im röm. Recht

Beitragvon Prudentius » Di 27. Mai 2014, 18:59

Ob es provokant ist oder nicht, es ist auf jeden Fall wahr - wenigstens solange die Römer unter sich waren; als sie aber in das Gravitationsfeld der gr. Kultur eingetreten waren, konnten sie sich ihr nicht mehr entziehen; Cato senex Graecas litteras didicit, heißt es.

lgr. P. :)
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Re: gr. Gedankengut im röm. Recht

Beitragvon RM » Di 27. Mai 2014, 19:33

Die Römer haben sich zwar zum Teil mit der griechischen Kultur beschäftigt, jedoch ohne sie wirklich in ihre eigene aufzunehmen. Sie haben das übernommen, was nützlich war, viel mehr aber nicht. Sie haben sich jedoch nie wirklich mit der griechischen Kultur identifiziert.

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