Thuk. 5.111.1 Konj./Ind.

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Beitragvon Roxane » Mo 11. Aug 2014, 09:04

Der Hauptsatz Τούτων .... ἄν τι γένοιτο καὶ ὑμῖν (Davon könnte auch euch etwas zustoßen) steht im Optativ. Dann folgt ein Partizip und ein Adjektiv: πεπειραμένοις und ἀνεπιστήμοσιν. Diese habe ich nun konjunktivisch wiedergegeben "..die ihr (dann) eure Erfahrung gemacht haben dürftet/ denen es nicht verborgen geblieben sein dürfte..".
Könnte ich auch indikativisch übersetzen, wenn ich der Meinung wäre, dass der <Redende die Irrealität ... absichtlich ausser Betracht lässt>? Also:
"Davon könnte auch euch etwas zustoßen, so dass ihr (dann) eure Erfahrung gemacht habt und genau wisst,...."

Bei Kühner lese ich:
<In der griechischen Sprache ist der Gebrauch der Nebensätze bei weitem nicht so häufig wie in der deutschen, weil die griechische Sprache, als eine synthetische, statt der Nebensätze sich häufig der Partizipialien bedient, die deutsche dagegen, als eine analytische, wegen des Mangels an Partizipialien sich der Nebensätze bedienen muss. Durch den Gebrauch der Partizipialien hat die griechische Sprache in Hinsicht der Kürze, der Leichtigkeit und Gewandtheit des Ausdrucks einen grösseren Vorzug, in Hinsicht der Bestimmtheit des Ausdrucks aber steht sie der deutschen, die sich ebenso sehr als Denkersprache, wie die griechische als Dichtersprache gebildet hat, nach. Denn während die Partizipialien das Verhältnis nur unbestimmt andeuten, stellen die Nebensätze dasselbe auf das Deutlichste dar, da nicht allein durch die einleitende Konjunktion die besondere Art der Beziehung, in welcher der Nebensatz zu dem Hauptsatze steht, auf eine bestimmte Weise bezeichnet, sondern auch durch die Flexion des Prädikats das Zeit- und Modusverhältnis, in dem dasselbe zu der Anschauung des Redenden steht, ausgedrückt wird.>

Gruß
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Re: Thuk. 5.111.1 Konj./Ind.

Beitragvon Prudentius » Di 12. Aug 2014, 09:45

Hallo Roxane,

Könnte ich auch indikativisch übersetzen, wenn ich der Meinung wäre, dass der <Redende die Irrealität ... absichtlich ausser Betracht lässt>? Also: "Davon könnte auch euch etwas zustoßen, so dass ihr (dann) eure Erfahrung gemacht habt und genau wisst,...."


Ja, du sollst es auch, nur der HS. ist im Potentialis, wobei Pot. etwas übertrieben ist, es ist ja nur die "abgeschwächte Behauptung", die im Attischen sehr verbreitet ist, höfliche, zurückhaltende Ausdrucksweise, wir sagen lieber Indikativ mit "wohl" oder "vllt".
Übrigens, Irrealis ist es nicht, bei diesem sind zwei falsche Sätze gekoppelt: "Wenn 5 gerade wäre, wäre 6 ungerade" (Bsp. simpel, aber einsichtig).

so dass ihr (dann) eure Erfahrung gemacht habt und genau wisst,...."


Konsekutiv ist es nicht, sondern kausal: "Da ihr ... gemacht habt...".

Ich bin mir nicht so richtig im klaren, wie das "ἄν τι γένοιτο" gemeint ist, ob es nicht doch besser ist zu verstehen: "Nachdem ihr ja eure Erfahrungen gemacht habt, dürfte euch vllt. aufgefallen sein, dass die Athener...". Denn das, was passiert/geschieht, ist ja nie ein rein objektives Geschehen, sondern ein bemerktes, wahrgenommens; nur wahrgenommene Ereignisse sind überhaupt Ereignisse.

Das Zitat von Kühner ist sehr instruktiv.

lgr. P.
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Re: Thuk. 5.111.1 Konj./Ind.

Beitragvon Roxane » Di 12. Aug 2014, 13:17

Danke, Prudentius, die Sache mit dem Indikativ ist geklärt. Wegen deiner Zweifel an dem ἄν τι γένοιτο habe ich nun die ganzen Bedeutungen von γίγνομαι rausgesucht und tatsächlich noch etwas gefunden, woran ich zuvor nicht gedacht hatte. Lass es mich noch mal versuchen.

γίγνομαι (Pape) : e) beim Zählen, Rechnen: "sich als Resultat ergeben, ὁ γεγονὼς ἀριθμός Plat. apol. 36 a; ἐγένοντο μύριοι, es kamen heraus, machten aus,... das Ergebniß einer Rechnung;
Sp. auch übertr., Resultat einer Untersuchung ..."

πειράω (Langenscheidt): "aus Erfahrung kennenlernen"

Τούτων μὲν καὶ πεπειραμένοις ἄν τι γένοιτο καὶ ὑμῖν καὶ οὐκ ἀνεπιστήμοσιν ὅτι .. Ἀθηναῖοι

wörtlich: "Auch für euch dürfte sich von dem (Τούτων), was ihr aus Erfahrung kennengelernt habt, etwas (τι) als Resultat ergeben (γένοιτο) und ihr wisst auch (καὶ .. καὶ) genau, dass die Athener ...."

(allzu wörtlich: "Auch für euch, die ihr zum einen (καὶ) eure Erfahrung gemacht habt, dürfte sich etwas davon als Resultat ergeben und für euch, die ihr zum anderen (καὶ) genau wisst, dass die Athener ...")

Ach ja, das Τούτων sollte doch in der Ü. am Anfang bleiben, also noch mal:

"Von dem, was ihr aus Erfahrung kennengelernt habt (= wisst), dürfte sich auch für euch etwas als Resultat ergeben (freier: dürftet auch ihr irgendwelche Konsequenzen ziehen), ... "

Vllt noch besser:

"Wenn ihr eure Erfahrung gemacht habt, könnte sich auch für euch etwas daraus als Resultat ergeben, dass ihr genau wisst, dass die Athener..."



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Re: Thuk. 5.111.1 Konj./Ind.

Beitragvon Roxane » Do 14. Aug 2014, 13:24

Dass Thukydides keine Einschlaflektüre ist, dürfte kein Geheimnis sein. Erst recht für mich ist es
alles andere als das. Das ἄν τι γένοιτο lässt mich immer noch nicht in Ruhe, deshalb ergänze ich der
Vollständigkeit halber noch eine Bemerkung aus dem Kommentar von Classen.

Classen fügt hinter γένοιτο ein ἡμῖν hinzu, weil er meint, das πεπειραμένοις könne sich nur auf die
Athener beziehen. Nur für diese sei "ein Doppelangriff nichts Neues". Bei Classen sieht der Satz
dann so aus:
Τούτων μὲν καὶ πεπειραμένοις ἄν τι γένοιτο ἡμῖν καὶ ὑμῖν καὶ οὐκ ἀνεπιστήμοσιν ὅτι .. Ἀθηναῖοι
Wörtl., ohne Sinnrichtung: "Davon könnte uns, die wir unsere Erfahrung gemacht haben, etwas
zustoßen und auch euch, die ihr genau wisst, dass die Athener..."

Mag sein, dass auch diese Ü. Sinn macht. Zu welcher Lösung du tendierst, Prudentius, hast du
geschrieben, vielleicht sollten wir es gut sein lassen....
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Re: Thuk. 5.111.1 Konj./Ind.

Beitragvon Prudentius » Fr 15. Aug 2014, 09:54

γίγνομαι (Pape) : e) beim Zählen, Rechnen: "sich als Resultat ergeben, ὁ γεγονὼς ἀριθμός Plat. apol. 36 a; ἐγένοντο μύριοι, es kamen heraus, machten aus,... das Ergebniß einer Rechnung;
Sp. auch übertr., Resultat einer Untersuchung ..."


Das hast du sehr gut herausgesucht, das Objektive ist mit dem Subjektiven eng verzahnt, denn das Ergebnis der Rechnung ist nur zusammen mit dem rechnenden Subjekt denkbar; ich schwärme dann aus zu Parmenides ("Dasselbe ist Denken und Sein", to gar auto estin noein te kai einai"), zu Hegel und Yin-Yang, in die Tiefen der Metaphysik - oder wie manche meinen: Untiefen :-D .
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