Thuk. 5.111.3

Für alle Fragen rund um Griechisch in der Schule und im Alltag

Moderatoren: Zythophilus, marcus03, Tiberis, ille ego qui, consus, e-latein: Team

Thuk. 5.111.3

Beitragvon Roxane » Mo 11. Aug 2014, 12:21

[111.3] οὐ γὰρ δὴ ἐπί γε τὴν ἐν τοῖς αἰσχροῖς καὶ προύπτοις κινδύνοις πλεῖστα διαφθείρουσαν ἀνθρώπους αἰσχύνην τρέψεσθε.

Denn ihr werdet euch doch nicht einer Scham zuwenden (/nach einer Ehre richten/ durch eine Ehre treiben lassen), die in den schmählichen und vorhersehbaren Gefahren Menschen am meisten zugrunde richtet.

πολλοῖς γὰρ προορωμένοις ἔτι ἐς οἷα φέρονται τὸ αἰσχρὸν καλούμενον ὀνόματος ἐπαγωγοῦ δυνάμει ἐπεσπάσατο ἡσσηθεῖσι τοῦ ῥήματος ἔργωι ξυμφοραῖς ἀνηκέστοις ἑκόντας περιπεσεῖν καὶ αἰσχύνην αἰσχίω μετὰ ἀνοίας ἢ τύχηι προσλαβεῖν.

Denn viele, die noch dazu (ἔτι, Pape) voraussehen, wohin sie getrieben werden, reißt (gnom. Aor.) die sogenannte Ehre durch die Macht eines verführerischen Wortes dazu hin, besiegt von diesem Ausdruck sich in Wahrheit (ἔργωι) mutwillig in heilloses Unglück zu stürzen und infolge von Unvernunft schmählichere Schande auf sich zu ziehen als durch ein Unglück.
Roxane
Censor
 
Beiträge: 690
Registriert: Fr 4. Jan 2013, 14:27

Re: Thuk. 5.111.3

Beitragvon Prudentius » Mi 13. Aug 2014, 17:14

1. Satz

Freier: "Ihr werdet doch nicht einen Weg einschlagen, der die Menschen in Schande und Verderben führt".

αἰσχύνη kann positiv (Ehrgefühl) oder negativ (Schande) gemeint sein.

2. Satz

Das ist eine harte Nuss :-o , was soll man mit dem Dativ am Anfang machren? ἐπεσπάσατο hat ja einen Akk. der Person, j-n verleiten; vllt. so: "Für viele...ist es eine Verführung, ... zu stürzen ... und sich zuzuziehen".

Beachte den Kasusunterschied: ἡσσηθεῖσι ... ἑκόντας, Dativ und Akkusativ, die beiden wollen also nicht zusammen bezogen werden; nimm also das ἡσσηθεῖσι nach vorn "Für viele..., die unterliegen..." und das ἑκόντας als Prädikativum zu περιπεσεῖν.

"die sogenannte Ehre": die mit der Macht eines wohlklingenden Namens bezeichnete Schmach.

lgr. P.
Prudentius
Senator
 
Beiträge: 3577
Registriert: Di 24. Mai 2011, 17:01

Re: Thuk. 5.111.3

Beitragvon Roxane » Do 14. Aug 2014, 10:22

Oh ja, nun sehe ich es, in Satz zwei steckt ein Grammatikfehler. Mit "für viele" anzufangen hat auf jeden Fall den Vorteil, den Satz besser nachvollziehen zu können. Aber wie muss ich das prädikative Adjektiv ἑκόντας korrekt wiedergeben? Für ἐπαγωγοῦ nehme ich mal "verleitend, irre leitend", damit nicht zu viel Verführerisches in dem Satz vorkommt.

"Für viele, die noch dazu voraussehen, wohin sie getrieben werden, ist die sogenannte Ehre durch die Macht eines irre leitenden Wortes - wenn sie diesem Ausdruck unterliegen - eine Verführung, sich in Wahrheit in heilloses Unglück zu stürzen ἑκόντας (?) und infolge von Unvernunft schmählichere Schande auf sich zu ziehen als durch ein Unglück."

Besten Dank!
Roxane
Roxane
Censor
 
Beiträge: 690
Registriert: Fr 4. Jan 2013, 14:27

Re: Thuk. 5.111.3

Beitragvon Prudentius » Sa 16. Aug 2014, 08:09

in heilloses Unglück zu stürzen ἑκόντας (?)


"freiwillig in heilloses Unglück zu stürzen", das Prädikativum geben wir durch die unflektierte Form des Adjektivs wieder; Bsp. lat. "Milites incolumes redierunt", die Soldaten kehrten wohlbehalten zurück.

Inkonzinnität am Ende: "μετὰ ἀνοίας ἢ τύχηι", gestörter Gleichklang: Präposition mit Gen. ist mit einem Dativ gekoppelt - das überrascht uns nicht mehr :-D .

lgr. P.
Prudentius
Senator
 
Beiträge: 3577
Registriert: Di 24. Mai 2011, 17:01

Re: Thuk. 5.111.3

Beitragvon Roxane » So 17. Aug 2014, 15:45

Da hast du recht, das μετὰ ἀνοίας ἢ τύχηι überrascht keinen mehr, damit wird man aber zum Glück noch ganz gut fertig.
Sehe ich das so richtig, dass das ἑκόντας im Akk. steht, weil περιπεσεῖν hier die reflexive Bedeutung "sich stürzen" hat? Müsste es also im Nom. stehen, wenn es etwa mit "hineinfallen, geraten" wiederzugeben wäre?

Schönen Sonntag noch!
Roxane
Roxane
Censor
 
Beiträge: 690
Registriert: Fr 4. Jan 2013, 14:27

Re: Thuk. 5.111.3

Beitragvon Prudentius » Mo 18. Aug 2014, 09:55

Nein, das ist anders, wir haben hier eine Infinitivkonstruktion περιπεσεῖν καὶ προσλαβεῖν, und Infinitive können als Unterprädikate eine satzartige Konstruktion bilden, d.h. Subjekte und Objekte um sich scharen; dazu gehört die Kasusrektion des Prädikats: sie setzt beim Normalsatz das Subjekt in den Nominativ; beim Infinitiv ist das etwas anders; er hat für das Subjekt die Akkusativrektion, und das heißt ja dann bekanntlich "ACI". Das beim Subjekt stehende Prädikativum steht in der Infinitivkonstruktion also im Akkusativ (wegen der Kongruenz), und das haben wir hier.
Bei unserem Satz hier kommt allerdings noch etwas hinzu: die Infinitive haben gar kein eigenes Subjektswort, es ist also kein ACI, sondern nur ein "()CI" oder "CI", ein Schrumpf-ACI :-D oder wie man das nennen will; die Kongruenz funktioniert aber, als ob der Subjektsakkusativ wirklich dastünde.

Der Akkusativ bei ἑκόντας gibt dem Autor die Möglichkeit, die Beziehung des Adjektivs zu kennzeichnen: es hängt am Prädikat περιπεσεῖν und nicht am Prädikat ἐπεσπάσατο.

Ein einfacheres Bsp. aus dem L. ist vllt. nützlich:
"Militis est fortem esse",
Pflicht des Soldaten ist es, tapfer zu sein; nicht fortis, weil es sich nicht auf das Hauptprädikat bezieht, sondern auf das Nebenprädikat.
Ich hoffe, ich habe mich verständlich gemacht; frage ruhig nach!

"...das ἑκόντας im Akk. steht", das ist ja richtige, übliche Ausdrucksweise, ich finde aber, besser sollte man sagen "es ist in den Akkusativ gestellt", und noch besser "es ist vom Prädikat in den A. gestellt".

lgr. P. :)
Prudentius
Senator
 
Beiträge: 3577
Registriert: Di 24. Mai 2011, 17:01

Re: Thuk. 5.111.3

Beitragvon Roxane » Mo 18. Aug 2014, 12:15

Das hast du mir viel besser erklärt als es der Kühner vermocht hätte, Prudentius. Das lat. Beispiel kann ich mir gut merken und die witzige Bezeichnung "Schrumpf-AcI" erst recht. Herrlich!

Danke vielmals!
Roxane
Roxane
Censor
 
Beiträge: 690
Registriert: Fr 4. Jan 2013, 14:27


Zurück zu Griechischforum



Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 35 Gäste