Thuk. 5.113.1

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Thuk. 5.113.1

Beitragvon Roxane » Fr 5. Sep 2014, 22:48

[5.113.1] Οἱ μὲν δὴ Μήλιοι τοσαῦτα ἀπεκρίναντο· οἱ δὲ Ἀθηναῖοι διαλυόμενοι ἤδη ἐκ τῶν λόγων ἔφασαν 'ἀλλ' οὖν μόνοι γε ἀπὸ τούτων τῶν βουλευμάτων, ὡς ἡμῖν δοκεῖτε, τὰ μὲν μέλλοντα τῶν ὁρωμένων σαφέστερα κρίνετε, τὰ δὲ ἀφανῆ τῶι βούλεσθαι ὡς γιγνόμενα ἤδη θεᾶσθε, καὶ Λακεδαιμονίοις καὶ τύχηι καὶ ἐλπίσι πλεῖστον δὴ παραβεβλημένοι καὶ πιστεύσαντες πλεῖστον καὶ σφαλήσεσθε.'

"Die Melier (als die eine Partei) schlossen also mit solchen (Worten)..."

Pape: Thuc. εἰς ἓν ὄνομα ἀποκεκρίσϑαι 1, 3; – auseinandergehen, von streitenden Parteien, 4, 72.

Dann konnte ich mich nicht so recht entscheiden:
"Die Athener (als die andere Partei), die sich schon auflösten,.. " oder
"Die Athener (als die andere Partei), die ...schließlich auseinandergehen ließen,.."

Langenscheidt: διαλύω abbrechen.. Med. und Pass.: sich auflösen, sich trennen, weggehen
Pape: διαλύω: eine Versammlung auseinander gehen lassen, τὸν ξύλλογον, τὸ ναυτικόν, Thuc. 2, 12

Dann lieber so:

"Die Athener (als die andere Partei), die sich schon aus den Verhandlungen entfernten, sagten: Nun gut ('ἀλλ'), folglich (οὖν) haltet ihr als Einzige gerade durch diese Beschlüsse, so erweckt ihr bei uns den Eindruck, die Zukunft für sicherer als das, was sichtbar (geworden) ist und das Unsichtbare nehmt ihr eurem Wunsch entsprechend (wörtl.: durch das Wünschen) wie einen Sachverhalt (Langenscheidt) wahr und weil ihr nun so sehr (πλεῖστον) auf die Lakedaimonier und das (Kriegs-) glück und die Hoffnungen gesetzt habt und (darauf) vertraut, so sehr werdet ihr auch stürzen."
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Re: Thuk. 5.113.1

Beitragvon Prudentius » Mo 8. Sep 2014, 08:55

"(als die eine Partei) (als die andere Partei)": weg damit!

"mit solchen (Worten)": soviel gaben sie zur Antwort. Aber als freiere Ü. geht es.

"διαλυόμενοι", Med., ist nicht schwierig: sich auflösen, von der Verhandlungsrunde gesagt; von der einzelnen Gruppe: weggehen.
Das Pc. ist prädikativ, also nicht mit Relativsatz übersetzen! Nicht "die, die gingen", sondern "während/indem sie gingen", oder auch adverbial: "beim Hinausgehen": sie hatten schon den Diplomatenkoffer zugeklappt und den Hut aufgesetzt, aber keine Hände geschüttelt.

"ihr als Einzige": ihr allein.

"die Zukunft": das Zukünftige.

"wie einen Sachverhalt ": wie eine Tatsache.

"weil ihr nun so sehr (πλεῖστον)": nicht kausal! πλεῖστον Superlativ! "Indem ihr das größte Risiko eingeht

"πλεῖστον καὶ σφαλήσεσθε": s.o.; "werdet ihr auch auf die schlimmste Weise stürzen", die beiden gleichklingenden Superlative πλεῖστον sind unterschiedlich in der Bedeutung, Inkon... :-D ,

lgr. P. :)
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Re: Thuk. 5.113.1

Beitragvon Roxane » Mo 8. Sep 2014, 11:19

" sie hatten schon den Diplomatenkoffer zugeklappt und den Hut aufgesetzt, aber keine Hände geschüttelt."

Genau so hatte ich mir das auch vorgestellt, Prudentius. Was das ἀπεκρίναντο angeht, so hatte ich überlegt, ob nicht zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass es sich um den letzten Beitrag der Melier in dieser Verhandlung handelt. Aber lassen wir es bei der Primärbedeutung. Also:

"Die Athener aber sagten, während sie schon die Verhandlungsrunde (τῶν λόγων) verließen..."

Die mediale Bedeutung von παραβάλλω lautet neben "(dagegen-) setzen auch "aufs Spiel setzen" oder wie du sagst "ein Risiko eingehen". Das trifft es natürlich. Schwierig ist dann nur, das Λακεδαιμονίοις καὶ τύχηι καὶ ἐλπίσι unterzubringen.

Bei den beiden πλεῖστον liegt wieder Inkonzinnität vor, wenn diese unterschiedliche Bedeutung haben (mir geht es übrigens auch schon so, dass ich mich immer über Inkonzinnität freue!) Nun kann πλεῖστον aber auch "in dem Maß" bedeuten, daher kam ich auf das etwas freiere "so sehr ... so sehr".

Könntest du mir bitte noch sagen, was du von dieser Lösung hältst:

"....und in dem Maß (πλεῖστον), wie ihr nun auf die Lakedaimonier und das (Kriegs-) glück und die Hoffnungen gesetzt habt und (darauf) vertraut, in dem Maß (πλεῖστον) werdet ihr auch stürzen."

Dank und Gruß und schönen Tag!
Roxane

PS: Gerade fand ich die Stelle bei Pape. Geht meiner Meinung nach auch, nur hat man dann zusammen mit dem πιστεύσαντες gleich doppeltes (An-)vertrauen:

5) "bei Einem niederlegen, ihm Etwas anvertrauen, Her. 2, 154, u. im med., τὰ τέκνα παραβάλλεσϑαι, sich gegenseitig seine Kinder anvertrauen, 7, 10, 8 (s. unter 2); vgl. Λακεδαιμονίοις καὶ τύχῃ καὶ ἐλπίσι πλεῖστον δὴ παραβεβλημένοι καὶ πιστεύσαντες,..."
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Re: Thuk. 5.113.1

Beitragvon Prudentius » Mi 10. Sep 2014, 08:22

Schwierig ist dann nur, das Λακεδαιμονίοις καὶ τύχηι καὶ ἐλπίσι unterzubringen.


Die Dative zu πιστεύσαντες!

Nun kann πλεῖστον aber auch "in dem Maß" bedeuten, daher kam ich auf das etwas freiere "so sehr ... so sehr".


Ja, das kann man, man kann auch sagen: "Je mehr ihr riskiert, desto tiefer stürzt ihr ab", aber trotzdem, das passt besser für eine im Fluss befindliche Situation; hier aber haben wir einen Schlusspunkt, da würde ich doch lieber so ungefähr sagen: "Wenn ihr alles aufs Spiel setzt, werdet ihr auch alles verlieren".

Der Text entstand in der Zeit der attischen Tragödie; man erkennt hier die Verblendung, Blindheit der Akteure, ate genannt, seit Homer; den Meliern hilft es nicht, dass ihnen ihre wirkliche Lage vor Augen gestellt wird, sie erkennen sie nicht; und die klarsichtigen A. sind ihrerseits blind für das Verhängnis, das bald über sie kommen wird. Das ganze erinnert auch an die "Schlafwandler" vom ersten Weltkrieg und, o Jammer, an die augenblickliche Vorkriegssituation :( ,

lgr.P.
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Re: Thuk. 5.113.1

Beitragvon Roxane » Mi 10. Sep 2014, 19:50

"Die Dative zu πιστεύσαντες!"
Ach ja, klar, ich weiß schon gar nicht mehr, wieso ich da ein Problem gesehen habe.

"..hier aber haben wir einen Schlusspunkt"
Stimmt! Ich übernehme deinen Vorschlag.

"Schlafwandler"
Ja, die gab es damals, gibt es heute, wird es immer wieder geben..

Danke für deine Erläuterungen, sie haben mich mal wieder überzeugt.

Einen guten Abend!
Roxane
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Re: Thuk. 5.113.1

Beitragvon Roxane » Do 11. Sep 2014, 15:50

Eine letzte Frage noch zu dem "Wenn ihr alles aufs Spiel setzt, werdet ihr auch alles verlieren":

Die Melier haben doch schon das letzte Wort gesprochen, spricht etwas dagegen, das παραβεβλημένοι mit Perfekt zu übersetzen?

"..indem ihr nun das größte (πλεῖστον) Risiko eingegangen seid und auf die Lakedaimonier und das (Kriegs-)glück und die Hoffnungen vertraut, werdet ihr auch auf die schlimmste Weise (πλεῖστον) stürzen."

Gruß
Roxane
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Re: Thuk. 5.113.1

Beitragvon Prudentius » Fr 12. Sep 2014, 10:48

OK, gut.
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Re: Thuk. 5.113.1

Beitragvon Roxane » Do 6. Nov 2014, 13:22

Noch ein kurzer Nachtrag:

"Nun gut, folglich haltet ihr allein - so erweckt ihr, gerade nach dem, was ihr beschlossen habt, den Eindruck - das [(nach den Bestimmungen des Schicksals (eurer Meinung nach unfehlbar)] Erfolgende* für zuverlässiger als das, was ihr vor Augen habt (wörtl.: sichtbar wird) und das im Dunkel Liegende** nehmt ihr, weil ihr es wünscht - wie eine Tatsache wahr,.."

*Pape: „μέλλω“ nach dem Willen des Schicksals, was verhängt ist, mit dem Nebenbegriff des Unausbleiblichen, unfehlbar Erfolgenden, τὰ φρονέοντ' ἀνὰ ϑυμὸν ἅ ῥ' οὐ τελέεσϑαι ἔμελλον, was (nach den Bestimmungen des Schicksals) nicht in Erfüllung gehen sollte, vgl. Il. 5, 686 Od. 2, 156

** "das im Dunkel Liegende", gemeint ist das, worauf sie blind vertrauen: der Beistand der Spartaner, das Glück und die Hoffnung

Bei meiner mündlichen Wiederholung war mir nicht mehr so recht klar, was gemeint ist, deshalb habe ich den Pape noch einmal heran gezogen. Kann man das jetzt wohl so stehen lassen, Prudentius? (Das ist jetzt - versprochen - die definitiv letzte Frage zu den Kapiteln).

Gruß von Roxane
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