Apol. Kap. 17 (30a,b)

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Apol. Kap. 17 (30a,b)

Beitragvon Roxane » Mi 1. Apr 2015, 10:38

Hallo Prudentius, in der Hoffnung, dass du meinen thread anklickst und mir helfen kannst, spreche ich dich persönlich an! Bevor der Osterhase kommt, wüsste ich noch gerne, wie du die Adverbien ἰδίᾳ "für sich allein" und δημοσίᾳ "öffentlich, offiziell" (Langenscheidt) wiedergeben würdest. Ich habe es mal mit "für den Einzelnen wie für die Öffentlichkeit" versucht.

οὐδὲν γὰρ ἄλλο πράττων ἐγὼ περιέρχομαι ἢ πείθων ὑμῶν καὶ νεωτέρους καὶ πρεσβυτέρους μήτε σωμάτων [30b] ἐπιμελεῖσθαι μήτε χρημάτων πρότερον μηδὲ οὕτω σφόδρα ὡς τῆς ψυχῆς ὅπως ὡς ἀρίστη ἔσται, λέγων ὅτι ‘οὐκ ἐκ χρημάτων ἀρετὴ γίγνεται, ἀλλ᾽ ἐξ ἀρετῆς χρήματα καὶ τὰ ἄλλα ἀγαθὰ τοῖς ἀνθρώποις ἅπαντα καὶ ἰδίᾳ καὶ δημοσίᾳ’.

Nichts anderes nämlich tue ich, wenn ich umhergehe, als Jüngere und Ältere von euch zu überzeugen, sich nicht vorrangig und nicht in dem Maß (wörtl. "so sehr") um Leib und Besitz zu kümmern wie um die Seele, damit sie möglichst gut sein wird, wobei ich sage: „Nicht durch Besitz entsteht Tugend, sondern durch Tugend (entsteht) Besitz und alles andere, was für den Einzelnen wie für die Öffentlichkeit gut ist (wörtl.: alles andere für die Menschen Gute, für den Einzelnen wie für die Öffentlichkeit)".

Und noch eine Sache: Im nächsten Kapitel finde ich einen Gen. Abs. als Folgerungssatz. Ist das eine Spezialität von Platon?

"....πρὸς (+Akk. Gemäß) ταῦτα”, φαίην ἄν, “ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, ἢ πείθεσθε Ἀνύτῳ ἢ μή, καὶ ἢ ἀφίετέ με ἢ μή, ὡς ἐμοῦ οὐκ ἂν ποιήσαντος ἄλλα, οὐδ᾽ εἰ μέλλω πολλάκις τεθνάναι”.

".....Demgemäß, Männer von Athen,“ würde ich sagen, „lasst euch durch Anytos überzeugen oder nicht und sprecht mich frei oder nicht: Ich für meinen Teil würde nichts anderes tun, auch nicht, wenn ich mehr als einmal sterben müsste."

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Zuletzt geändert von Roxane am Di 16. Jun 2015, 08:39, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Apol. Kap. 30a,b

Beitragvon Prudentius » Fr 3. Apr 2015, 09:50

Hallo Roxane,

statt "für die Öffentlichkeit" würde ich lieber sagen: "für die Gemeinschaft / Gesellschaft".

"Nichts anderes nämlich tue ich, wenn ich umhergehe": hier hast du die beiden Verben umkonstruiert, das kann man, das trifft den Sinn gut; man kann auch raffen: "Nur dazu gehe ich umher, um ... zu überzeugen ...".

"wie um die Seele, damit sie möglichst gut sein wird": wir ziehen die Seele lieber in den NS hinein (das kommt regelmäßig vor): "damit die Seele möglichst gut sei/werde" (kein Futur im D.).

"Tugend" schwer zu übersetzen, wegen des Kulturwandels; irgendwie in der Richtung von Vollkommenheit, Wertorientiertheit, gelungenem Leben...

"Gen. Abs. als Folgerungssatz": ich würde das als "subj. Begründungssatz" verstehen: frei: "Es ist egal, was Ihr über mich urteilt, denn ich ändere mich nicht..."; ὡς mit Pc.


Noch zu einem anderen Thema: wir sind auch einmal von Istanbul geflogen, damals gab es noch eine "zyprisch-türkische Luftlinie", und da haben sie uns unerwarteterweise nach Izmir umdirigiert, um das Flugzeug voll zu machen; wir haben uns zuerst geärgert, aber dann sind wir die Küstenlinie entlanggeflogen und haben alles so schön in der Abendsonne liegen sehen, auch die vielen Inseln, dann waren wir wieder versöhnt.

Schöne Feiertage,

lgr. P. :)
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Re: Apol. Kap. 30a,b

Beitragvon Roxane » So 5. Apr 2015, 10:13

Hallo Prudentius!

Erst einmal vielen Dank für die Durchsicht. Um Platon werde ich mich später wieder kümmern, für heute möchte ich dir aber wenigstens noch Frohe Ostern wünschen!

Ich würde mich übrigens jederzeit freiwillig nach Izmir umdirigieren lassen, um die Küste entlangzufliegen! Wenn ich an die Inseln denke, die ihr in der Abendsonne von oben sehen konntet, möchte ich am liebsten sofort hier weg! Ein Trost: In Lesbos etwa ist es überwiegend bewölkt bei gerade mal 12 Grad.

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Re: Apol. Kap. 30a,b

Beitragvon Roxane » Mi 8. Apr 2015, 13:10

Hallo Prudentius!

Ich habe mir ein bisschen Zeit gelassen, denn nicht alles, was du angemerkt hast, geht aus der Schulgrammatik hervor. Den Kühnerparagraphen zum Gen. abs. mit ὡς hänge ich an, vielleicht interessiert sich noch jemand dafür.

- Bei dem „οὐδὲν γὰρ ἄλλο πράττων ἐγὼ περιέρχομαι ἢ πείθων..” sollte man sich schon etwas anderes einfallen lassen als die wörtliche Übersetzung (Ich gehe umher, nichts anderes tuend als... überzeugend). Dein “Nur dazu gehe ich umher,..” finde ich gut!

- Ich sehe gerade, dass das ἔσται anstelle des sonst üblichen Konjunktivs im Finalsatz schon in Kap. 29e auftaucht (wie konnte ich so vergesslich sein, lag der Istanbulaufenthalt zwischen 29e und 30a?): “καὶ τῆς ψυχῆς ὅπως ὡς βελτίστη ἔσται οὐκ ἐπιμελῇ (..und darum, dass deine Seele eine möglichst gute ist, kümmerst du dich nicht). Dort hatte ich mir vermerkt (ich weiß nicht mehr, wo ich diesen Hinweis gefunden habe, bei Kühner jedenfalls nicht): “ἐπι-μελ-ῇ< ἐπι-μελέομαι[die Verben des Sorgens werden mit ὅπως+ Indik. Fut. gebildet ⇨ wie einen normalen Finalsatz übersetzen!”

- Dass man die Seele im Dt. in den NS wandern lässt, leuchtet mir ein.

- In der Tat, alles andere passt besser als “Tugend”.

- Zu dem “ἢ πείθεσθε Ἀνύτῳ ἢ μή, καὶ ἢ ἀφίετέ με ἢ μή, ὡς ἐμοῦ οὐκ ἂν ποιήσαντος ἄλλα”: Wir haben es also mit einem subj. Begründungssatz und keinem ὡς–citativum, wie ich zuerst vermutete, zu tun. Es handelt sich um einen Gen. abs. mit ὡς nach einem Verb des “Überzeugtseins, Erwägens, Sagens...” - in unserem Satz nach φαίην ἄν - “wo man statt der Gen. abs. einen Nebensatz mit ὅτι, ὡς, .. erwarten sollte”.

Kühner: β) Zweitens werden Genetivi absoluti mit ὡς bei Verben des Überzeugtseins, Erwägens, Sagens u. ähnlichen, als: εἰδέναι, ἐπίστασθαι, γιγνώσκειν (alle drei in dem Sinne von: fest überzeugt sein, urteilen, vgl. § 484, 5 u. 7), νοεῖν, ἔχειν γνώμην, διακεῖσθαι τὴν γνώμην, λέγειν u. a., gebraucht, wo man statt der Gen. abs. einen Nebensatz mit ὅτι, ὡς, dass, oder ein Objekt mit dem Partizipe im Akkus. oder den Acc. c. Inf. erwarten sollte.

Danke, Prudentius!

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Re: Apol. Kap. 30a,b

Beitragvon Prudentius » Do 9. Apr 2015, 09:57

Es handelt sich um einen Gen. abs. mit ὡς nach einem Verb des “Überzeugtseins, Erwägens, Sagens...” - in unserem Satz nach φαίην ἄν - “wo man statt der Gen. abs. einen Nebensatz mit ὅτι, ὡς, .. erwarten sollte”.



Hallo Roxane,

den Kühner würde ich lieber nicht heranziehen, denn der Gen. abs. hängt nicht an einem dieser Verben: φαίην ἄν regiert ja nichts, es ist ein Einschub, steht also außerhalb der umgebenden Konstruktion; es ist einfach eine Begründung für das "Egal, was ihr beschließt".

"Ich für meinen Teil würde nichts anderes tun, auch nicht, wenn ich mehr als einmal sterben müsste."
Als "Friseur" greife ich noch ein: "würde nichts anderes tun": werde;
"mehr als einmal sterben müsste.": mehrmals sterben muss.

Zu der Küstenbetrachtung aus dem Jet fällt mir noch ein: schön war ja der Anblick, aber es war alles Fels, gelb-braunes Gestein, kein Grün, nicht sehr einladend.
Ich war noch nie in Griechenland, habe alles nur mit den Augen der Seele betrachtet; aber immerhin war ich in Konstantinopel, Sizilien, Ravenna, Pergamonmuseum :-D ,

lgr. P.
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Re: Apol. Kap. 30a,b

Beitragvon Roxane » Fr 10. Apr 2015, 10:53

Hallo Prudentius,

jetzt hast du mich völlig von Platon abgebracht, Prudentius, und das alles wegen deines Umwegs über Izmir! Ich bin die ganze Küste schon einmal entlanggefahren, aber von oben erkennt man wohl am besten, was in alten Zeiten angerichtet wurde. Riesige Wälder wurden abgeholzt, man wollte Acker- und Weideflächen gewinnen und Schiffe bauen. Das Regenwasser kontte nicht mehr gebunden werden, Flüsse wurden in Schwemmlandebenen verwandelt. Und heute liegen die alten Hafenstädte kilometerweit vom Meer entfernt.

Nun habe ich einmal nachgeforscht, was bei den alten Schriftstellern zu finden ist. Eine ganze Menge!

Z.B. bei Pausanias: "Die Bewohner von Myus dagegen trieb folgender Übelstand aus ihrer Stadt. In das Gebiet von Myus zog sich ein kleiner Meerbusen herein: diesen machte der Mäanderfluß, welcher mit seinem Schlamme den Abfluss sperrte, zum stehenden See; wie nun das Wasser zurückblieb und nicht mehr mit dem Meere zusammenhing, entwickelte sich aus dem Sumpf eine solche Unzahl von Stechmücken, dass die Bewohner die Stadt verlassen mussten. So zogen die Myusier mit ihrem beweglichen Eigentum, worunter ihre Götterbilder, nach Milet, und zu meiner Zeit war in Myus nichts mehr zu sehen, als ein Marmortempel des Dionysus" (7.2,10-11).

Plinius schreibt, Milet liege „zehn Stadien (1,85 km) vom Meer entfernt“ (Naturkunde 5,113). Heute sind es 10 km!

Strabon befürwort die Abholzung, da man "vor lauter Holz keinen Feldbau treiben könne“, weshalb man den Boden von Bäumen „reinigen“ müsse (Geographica 14,6,5). Lukrez rühmt die neu entstandenen Landschaften: „Wiesen und Teiche, Kanäle, üppige Weinberge, Äcker, Ölbäume, köstliche Sorten von Baumobst, fruchtbares Strauchwerk und Reben“ (de rer. nat. 5,1370–1378).

Platon dagegen beschreibt, wie sich Landschaften zu ihrem Nachteil verändern. Er erinnert daran, dass die Berge ursprünglich bewaldet waren und Berge und Ebenen, „welche jetzt als Steinboden bezeichnet werden“, mit fetter Erde von schier unglaublicher Fruchtbarkeit bedeckt waren. Im Gegensatz zu den „dünnen Fruchtböden“ der Gegenwart hätte diese eine hohe Speicherkapazität für den von Zeus mit schöner Regelmäßigkeit gesandten Regen besessen, sammelte das Wasser in der Tiefe und sorgte so „an allen Orten für reichhaltige Quellen und Flüsse“ (Kritias 111bc).
„Jetzt hat das Ereignis einer einzigen, besonders regnerischen Nacht die Akropolis ringsherum abgeschwemmt und von der Erde entblößt, da zugleich Erdbeben geschahen und eine gewaltige Wasserflut“ (Kritias 112a).

Jetzt aber genug für heute, obwohl mich die Originaltexte auch sehr verlocken.
Noch kurz zu dem ὡς: Das Langenscheidtlexikon hätte wohl auch genügt, dort ist angegeben, dass ὡς mit Part. den subj. Grund angibt.

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Re: Apol. Kap. 17 (30a,b)

Beitragvon Roxane » Di 14. Apr 2015, 11:31

Lass mich noch einmal auf das Frisierte zurückkommen, Prudentius, wieso Futur?

Zu dem ὡς ἐμοῦ οὐκ ἂν ποιήσαντος ἄλλα, οὐδ᾽ εἰ μέλλω πολλάκις τεθνάναι finde ich irgendwo:

30b8 ὡς: in the belief that
30c1: ἂν shows that the participle is eqivalent to a potential opt.

Und in einem holländischen (Cornelius, da kannst du mal staunen!) Kommentar steht: ἐμοῦ οὐκ ἂν ποιήσαντος voor οὐκ ἂν ποιήσαιμι

Demnach müsste ὡς ἐμοῦ οὐκ ἂν ποιήσαντος ἄλλα mit "Ich glaube, ich könnte nichts anderes tun,..." wiedergegeben werden können.

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Re: Apol. Kap. 30a,b

Beitragvon ThomasVulpius » So 26. Jul 2015, 18:37

Prudentius hat geschrieben:
"Gen. Abs. als Folgerungssatz": ich würde das als "subj. Begründungssatz" verstehen: frei: "Es ist egal, was Ihr über mich urteilt, denn ich ändere mich nicht..."; ὡς mit Pc.


KG II 93β: "Zweitens werden Genetivi absoluti mit ὡς bei Verben des ... Sagens und ähnlichen ... gebraucht, wo man statt der Gen. abs. einen Nebensatz mit ὅτι ... erwarten sollte."
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