Apol. Kap. 11 (24b,c)

Für alle Fragen rund um Griechisch in der Schule und im Alltag

Moderatoren: Zythophilus, marcus03, Tiberis, ille ego qui, consus, e-latein: Team

Apol. Kap. 11 (24b,c)

Beitragvon Roxane » Mi 29. Apr 2015, 11:16

Hier nun nach nochmaliger Durchsicht das nächste Kapitel zusammen mit einer Einleitung, die irgendwo im Internet herumschwirrte. Mal sehen, was du diesmal wieder findest, Prudentius. Auf Neutr. im Dt. habe ich geachtet und die Partizipien sind doppelt überprüft...

Kap. 11 – 15

Nach diesen Ausführungen über die alten Beschuldigungen wendet sich Sokrates der aktuellen Anklage zu. Er nimmt den Ankläger Meletos, der ihn als Verderber der Jugend hingestellt hat, ins Verhör. Meletos beantwortet seine Fragen nur knapp oder gar nicht. Aus seiner Reaktionsweise wird aber deutlich, dass er über das, was für die Jugend nützlich oder schädlich ist, keine durchdachten Vorstellungen hat. Er meint, die moralische Erziehung der Jugend obliege der gesamten Gesellschaft und diese Aufgabe werde von ihr auch richtig ausgeführt, nur Sokrates störe dabei. Dann kommt der wichtigste Anklagepunkt zur Sprache: die Behauptung, Sokrates halte nicht am Kult der in Athen traditionell verehrten Götter fest. Ihm wird vorgeworfen, er wolle die herkömmliche Religion durch einen neuartigen Kult von „Daimonischem“ ersetzen. Dies zielt auf das Daimonion, eine innere Stimme des Sokrates, von der er sich tatsächlich beraten lässt. Hier verwickelt sich Meletos aber, wie Sokrates zeigen kann, in einen Widerspruch. Einerseits bezichtigt er den Angeklagten, konsequent gottlos zu sein, also keinerlei übermenschliche Wesen zu verehren und Sonne und Mond für Steine statt für Gottheiten zu halten, andererseits stellt er ihn als Anhänger einer daimonischen, also übermenschlichen und somit göttlichen Macht dar.[24b–28a ]


11. Die Anklage des Meletos

περὶ μὲν οὖν ὧν οἱ πρῶτοί μου κατήγοροι κατηγόρουν αὕτη ἔστω ἱκανὴ ἀπολογία πρὸς ὑμᾶς· πρὸς δὲ Μέλητον τὸν ἀγαθὸν* καὶ φιλόπολιν, ὥς φησι**, καὶ τοὺς ὑστέρους μετὰ ταῦτα πειράσομαι ἀπολογήσασθαι. αὖθις γὰρ δή, ὥσπερ ἑτέρων τούτων ὄντων κατηγόρων, λάβωμεν αὖ τὴν τούτων ἀντωμοσίαν. ἔχει δέ πως ὧδε· Σωκράτη φησὶν ἀδικεῖν τούς τε νέους διαφθείροντα καὶ θεοὺς οὓς ἡ πόλις

*Pape: ".. bei den Attikern und durch die Philosophen wird es ausschließlich auf Sittlichkeit und Tugend angewendet, so daß der durch Sokrates bes. üblich gewordene Ausdruck καλὸς κἀγαϑός den durchaus Guten, den Ehrenmann ..

**Pape: "Häufig wird bes. bei Prosaikern φησί u. φασί parenthetisch eingeschoben, wie unser sagt man, heißt es,.."

Was nun das betrifft, weshalb meine ersten Ankläger mich beschuldigt haben, soll das als Verteidigung (-srede) vor euch genügen. Vor Meletos, dem Ehrenmann und Vaterlandsfreund, wie es heißt, und den späteren (Anklägern) will ich als Nächstes (wörtl: danach) versuchen, mich zu verteidigen. Darum (γὰρ, Pape) lasst uns doch (δή) noch einmal (αὖθις), als ob diese andersartige Ankläger wären, aufs Neue (αὖ) ihre Anklageschrift vornehmen. Sie enthält ungefähr Folgendes: Sokrates, besagt sie, handele gesetzwidrig, indem er die jungen Männer verderbe und nicht diejenigen Götter anerkenne, welche die Stadt

[24c] νομίζει οὐ νομίζοντα, ἕτερα δὲ δαιμόνια καινά. τὸ μὲν δὴ ἔγκλημα τοιοῦτόν ἐστιν· τούτου δὲ τοῦ ἐγκλήματος ἓν (εἷς) ἕκαστον ἐξετάσωμεν. φησὶ γὰρ δὴ τοὺς νέους ἀδικεῖν με διαφθείροντα. ἐγὼ δέ γε, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, ἀδικεῖν φημι Μέλητον, ὅτι σπουδῇ* χαριεντίζεται**, ῥᾳδίως*** εἰς ἀγῶνα καθιστὰς ἀνθρώπους, περὶ πραγμάτων προσποιούμενος**** σπουδάζειν καὶ κήδεσθαι ὧν οὐδὲν (οὐδείς) τούτῳ πώποτε ἐμέλησεν· ὡς δὲ τοῦτο οὕτως ἔχει, πειράσομαι καὶ ὑμῖν ἐπιδεῖξαι.

*Pape: mit Absicht, ernstlich, πάνυ σπουδῇ, Dem. Lpt. 105, vgl. Wolf p. 321; oft Thuc. u. Plat.; Phaedr. 260 b; σπουδῇ χαριεντίζεται, geflissentlich, Apol. 24 c; πάσῃ σπουδῇ μανϑάνειν, mit allem Eifer,

**χαριεντίζομαι, dep. med., mit Anmuth, Anstand, Artigkeit, Freiheit handeln, reden; auch scherzhaft, witzig, spöttisch reden; σπουδῇ χαριεντίζεσϑαι, im Ernste scherzen, Plat. Apol. 24 c; καὶ αἰνίττεσϑαι 27 d; Rep. IV, 436 d; Sp., wie Aristid.

***Pape: in tadelndem Sinne, leichtsinnig, leichtfertig;

**** sich den Anschein geben, als ob (LS)


anerkennt, und stattdessen (δὲ) (auf) verschiedene sonderbare göttliche Stimmen (höre). So lautet (/ist) ja bekanntlich der Vorwurf. Und von diesem Vorwurf (Gen.orig.) wollen wir jedes einzelne (Detail) prüfen.
Er (der Vorwurf) besagt ja nun, dass ich gesetzwidrig handele, indem ich die jungen Männer verderbe. Ich jedoch (γε nicht übersetzt), Männer von Athen, behaupte, dass Meletos gesetzwidrig handelt, weil er in einer ernsten Angelegenheit (σπουδῇ) scherzt, zumal er leichtfertig Leute vor Gericht bringt; dabei (wörtl.: wobei...) gibt er sich den Anschein, ernst über die Angelegenheiten zu reden und (darum) besorgt zu sein, worum er (τούτῳ) sich in keiner Weise jemals gekümmert hat. Dass dieses sich so verhält, will ich versuchen, auch euch zu beweisen.
Roxane
Censor
 
Beiträge: 690
Registriert: Fr 4. Jan 2013, 14:27

Re: Apol. Kap. 11 (24b,c)

Beitragvon Prudentius » So 3. Mai 2015, 09:59

"wie es heißt": der sogenannte, sagen wir.

"als ob diese andersartige Ankläger wären": ich bin mir nicht sicher, ob es ein solcher irrealer Vergl. sein soll; vllt. auch nur vergleichend oder kausal, "da".

"worum er (τούτῳ) sich in keiner Weise jemals gekümmert hat": "von denen keine einzige ihm jemals am Herzen lag", den Gen. ὧν hast du nicht ganz richtig getroffen: partitiver Gen. zu οὐδὲν, keiner von welchen.

Was meinst du mit dem οὐδείς in der Klammer?

"von diesem Vorwurf (Gen.orig.)", nein, partitiver, wie gewöhnlich bei solchen Ausdrücken: einer, niemand, viel, nichts, alles, manches, usw.: Quantorenausdrücke sagen die Logiker; das sind alles Formalbegriffe, und das Inhaltliche steht im Genitiv; τούτου δὲ τοῦ ἐγκλήματος stellt also gleichsam das Bild dar, und "jede Einzelheit" den Rahmen.

Es sind nicht so viele Erklärungen in Klammern nötig! Und der blaue Absatz kann vllt. nach hinten abgelegt werden? :)

Schönen Sonntag noch,

lgr. P. :)
Prudentius
Senator
 
Beiträge: 3577
Registriert: Di 24. Mai 2011, 17:01

Re: Apol. Kap. 11 (24b,c)

Beitragvon Roxane » Mo 4. Mai 2015, 11:06

Du hast schon wieder Sonntagsarbeit geleistet, Prudentius. Nachdem ich weiß, dass du gar keine Musterlösung in der Schublade liegen hast, schätze ich deine Unterstützung noch viel mehr!

Natürlich, τούτῳ ist Dat., kein Adverb (μέλω + Dat. = am Herzen liegen).

Über den ὥσπερ-Satz hatte ich mir schon gestern gründlich das Hirn zermartert, eben nun kam mir dieser Blitzgedanke: Liegt hier vielleicht gar kein Gen. Abs. mit sinnerhellendem Adverb vor? Ist nicht vielmehr τὴν ἀντωμοσίαν zu ergänzen? Dann müsste das dabei herauskommen:

αὖθις γὰρ δή, ὥσπερ ἑτέρων τούτων ὄντων κατηγόρων, λάβωμεν αὖ τὴν τούτων ἀντωμοσίαν.

"Darum lasst uns doch noch einmal, ganz wie (wir uns die Anklage) der anderen (vorgenommen haben), die als Ankläger da sind, aufs Neue ihre Anklage vornehmen."

Was es mit dem οὐδείς in Klammern auf sich hatte, weiß ich selbst nicht mehr. Ich vermerke mir beim Übersetzen immer allerhand. Was deine Anmerkungen betrifft, so werden sie später oft als Fußnoten verewigt (Prud.:"..."). :)

Bin sehr gespannt auf deine Meinung!

:stretch: Ῥωξάνη

PS: Bestimmt ist das falsch, das steht ja bei keinem Übersetzer so und du bist ja auch anderer Meinung. Ich werde morgen noch einmal über den Satz nachdenken, jetzt ist es schon spät...

Guten Morgen, Prudentius!

Den letzten Versuch habe ich verworfen, der nächste, wenn auch vielleicht noch nicht der letzte, folgt sogleich:

"Darum lasst uns doch noch einmal (so), wie (man ihre Anklageschrift vornimmt) wenn diese (Späteren) andersartige Ankläger sind, aufs Neue ihre Anklageschrift vornehmen"

Kühner: ".. denn ὡς bezeichnet auch hier eine Vergleichung (wie, ut), und sehr häufig entspricht demselben das dem Prädikate hinzugefügte demonstrative οὕτως. Οὕτω γίγνωσκε ὡς ἡμῶν νενικηκότων, urteile so, wie (du urteilen musst) wenn wir gesiegt haben, ... b. Men. 95, e οἶσθ, ὡς ἐν τούτοις μὲν ὡς διδακτοῦ οὔσης τῆς ἀρετῆς λέγει; er redet wie (man redet), wenn die Tugend lehrbar ist, er redet in dem Sinne (vertritt die Auffassung), dass die Tugend lehrbar sei

Kühner: Ὥσπερ wird wie ὡς von etwas Angenommenem gebraucht (= quasi). …. [Dass ὥσπερ bei Partizipien auch in dem Sinne von ὥστε, ἅτε, οἷα von etwas Thatsächlichem, Selbstverständlichem gebraucht werde = quippe, quoniam, ist nicht nachzuweisen..."

Ach, ich weiß auch nicht....
Roxane
Censor
 
Beiträge: 690
Registriert: Fr 4. Jan 2013, 14:27

Re: Apol. Kap. 11 (24b,c)

Beitragvon Prudentius » Di 5. Mai 2015, 20:52

Hallo Roxane,

das ist eine Überleitungsformel: "Jetzt haben wir die erste Gruppe von Anklägern behandelt und wenden uns nun der zweiten Gruppe zu, die sich unterscheidet", so ungefähr; da steckt nicht viel drin, es lohnt keinen Aufwand; mir kommt vor, dass man entweder Gen. abs. oder Kongruenz zu τούτων annehmen kann, aber das wirkt sich gar nicht auf die Ü. aus, es ist so oder so prädikaties Pc.
Aber bei deiner letzten Version müsste in dem Vergleichssatz ein Verbum finitum stehen, meine ich; es klnngt auch sehr kompliziert.

Gute Nacht,

lgr. P. :)
Prudentius
Senator
 
Beiträge: 3577
Registriert: Di 24. Mai 2011, 17:01

Re: Apol. Kap. 11 (24b,c)

Beitragvon Roxane » Do 7. Mai 2015, 11:43

Hast ja recht, langsam reicht es mit diesem Satzeinschub. Klingt gut, deine Formulierung!
Roxane
Censor
 
Beiträge: 690
Registriert: Fr 4. Jan 2013, 14:27


Zurück zu Griechischforum



Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 10 Gäste