Apol. Kap. 14 (26b - 27a)

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Apol. Kap. 14 (26b - 27a)

Beitragvon Roxane » Mi 27. Mai 2015, 15:42

Hallo Prudentius!
Über eine gelegentliche Durchsicht würde ich mich auch diesmal wieder freuen.


14. These der Gottlosigkeit des Sokrates

ἀλλὰ γάρ, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, τοῦτο (μὲν) ἤδη δῆλον
Aber ja, Männer von Athen, das ist schon offensichtlich,

[26b] οὑγὼ ἔλεγον, ὅτι Μελήτῳ τούτων οὔτε μέγα οὔτε μικρὸν πώποτε ἐμέλησεν.
ὅμως δὲ δὴ λέγε ἡμῖν, πῶς με φῂς διαφθείρειν, ὦ Μέλητε, τοὺς νεωτέρους; ἢ δῆλον δὴ ὅτι* κατὰ τὴν γραφὴν ἣν ἐγράψω θεοὺς διδάσκοντα** μὴ νομίζειν οὓς ἡ πόλις νομίζει, ἕτερα δὲ δαιμόνια καινά; οὐ ταῦτα λέγεις ὅτι διδάσκων διαφθείρω;
πάνυ μὲν οὖν σφόδρα ταῦτα λέγω.
πρὸς αὐτῶν τοίνυν, ὦ Μέλητε, τούτων τῶν θεῶν ὧν νῦν ὁ λόγος ἐστίν, εἰπὲ ἔτι σαφέστερον καὶ ἐμοὶ καὶ τοῖς ἀνδράσιν

* δῆλον..ὅτι (Adv.): offenbar, natürlich, gewiss; nämlich
**§ 85.1: “Nach den Verben der sinnl. oder geist. Wahrnehmung und des Zeigens und Beweisens steht sowohl Partizip wie auch ein Gliedsatz mit ὅτι/ὡς. Kühner: “..nach den Verben des Wissens, Erkennens, Zeigens u. dgl. folgt entweder ὅτι oder ὡς oder das Partizip (§ 482, 1)”


was ich gesagt habe, dass dem Meletos diese Dinge nie in irgendeiner Weise am Herzen gelegen haben.
Gleichwohl sag uns doch, wieso meinst du, dass ich die jungen Männer verderbe? Oder ist nun nach der Anklageschrift, die du eingereicht hast, gewiss, dass ich (sie) lehre, nicht an die Götter zu glauben, an die die Stadt glaubt, sondern an andere neue göttliche Erscheinungen? Du meinst (doch wohl) nicht, dass ich sie verderbe, wenn ich sie das lehre?
Aber ja, gewiss behaupte ich das. Nun, bei eben diesen Göttern, Meletos, von denen jetzt die Rede ist, äußere dich noch klarer sowohl in meinem (Dat. comm.) Interesse als auch in dem dieser Männer hier.

[26c] τουτοισί. ἐγὼ γὰρ οὐ δύναμαι μαθεῖν πότερον λέγεις διδάσκειν με νομίζειν εἶναί τινας θεούς--καὶ αὐτὸς ἄρα νομίζω εἶναι θεοὺς καὶ οὐκ εἰμὶ τὸ παράπαν ἄθεος οὐδὲ ταύτῃ ἀδικῶ --οὐ μέντοι οὕσπερ γε ἡ πόλις ἀλλὰ ἑτέρους, καὶ τοῦτ᾽ ἔστιν ὅ μοι ἐγκαλεῖς, ὅτι ἑτέρους, ἢ παντάπασί με φῂς οὔτε (einerseits nicht) αὐτὸν νομίζειν θεοὺς τούς τε ἄλλους ταῦτα διδάσκειν.
ταῦτα λέγω, ὡς τὸ παράπαν οὐ νομίζεις θεούς.

Denn ich kann nicht wissen, ob du meinst, dass ich (sie) glauben lehre, dass es gewisse Götter gäbe – und demnach selbst glaubte, dass es Götter gäbe und weder gänzlich gottlos sei noch in dieser Hinsicht gesetzwidrig handelte – allerdings nicht gerade an die, an die die Stadt glaubt, sondern an andere, und (ich kann nicht wissen), ob es das ist, was du mir vorwirfst, dass (ich) an andere (Götter glaube), oder (ob du) ohne Weiteres behauptest, dass ich einerseits selbst nicht an die Götter glaubte, aber andererseits andere dies lehrte.
Das meine ich, dass du überhaupt nicht an Götter glaubst.

[26d] ὦ θαυμάσιε Μέλητε, ἵνα τί* ταῦτα λέγεις; οὐδὲ ἥλιον οὐδὲ σελήνην ἄρα νομίζω θεοὺς εἶναι, ὥσπερ οἱ ἄλλοι ἄνθρωποι;
μὰ Δί᾽, ὦ ἄνδρες δικασταί, ἐπεὶ τὸν μὲν ἥλιον λίθον φησὶν εἶναι, τὴν δὲ σελήνην γῆν.
Ἀναξαγόρου οἴει κατηγορεῖν, ὦ φίλε Μέλητε; καὶ οὕτω καταφρονεῖς τῶνδε καὶ οἴει αὐτοὺς ἀπείρους γραμμάτων εἶναι ὥστε οὐκ εἰδέναι ὅτι τὰ Ἀναξαγόρου βιβλία τοῦ Κλαζομενίου γέμει τούτων τῶν λόγων; καὶ δὴ καὶ οἱ νέοι ταῦτα παρ᾽ ἐμοῦ μανθάνουσιν, ἃ ἔξεστιν ἐνίοτε εἰ πάνυ πολλοῦ δραχμῆς

* 2204. The principal clause is sometimes omitted.
““ἵν᾽ ἐκ τούτων ἄρξωμαι” to begin with this” D. 21.43. ἵνα τί, originally to what end (cp. 946), and ὡς τί are also used colloquially: ἵνα τί ταῦτα λέγεις; why do you say this? P. A. 26d.


O unbegreiflicher Meletos, weshalb meinst du das? Glaube ich denn, dass weder Sonne noch Mond Götter sind, so wie (es) die anderen Menschen (glauben)?
Doch, bei Zeus, ihr Herren Richter, denn er behauptet auch, dass die Sonne ein Stein ist und der Mond eine Erde.
Glaubst du, mein lieber Meletos, den Anaxagoras* anzuklagen? Und verachtest du diese so sehr und meinst, sie seien unerfahren im Schreiben und Lesen, so dass sie nicht wüssten, dass die Schriften des Anaxagoras aus Klazomenai voll von diesen Behauptungen sind? Und lernen ganz besonders die jungen Männer das von mir, was sie manchmal (lernen) können, wenn sie für höchstens eine Drachme

*Anaxagoras von Klazomenei soll behauptet haben, die Sonne sei ein glühender und feuriger Stein.

[26e] ἐκ τῆς ὀρχήστρας πριαμένοις Σωκράτους καταγελᾶν, ἐὰν προσποιῆται ἑαυτοῦ εἶναι, ἄλλως τε καὶ οὕτως ἄτοπα ὄντα; ἀλλ᾽, ὦ πρὸς Διός, οὑτωσί (verstärktes οὖτος) σοι δοκῶ; οὐδένα νομίζω θεὸν εἶναι;
οὐ μέντοι μὰ Δία οὐδ᾽ ὁπωστιοῦν.
ἄπιστός γ᾽ εἶ, ὦ Μέλητε, καὶ ταῦτα μέντοι, ὡς ἐμοὶ δοκεῖς, σαυτῷ. ἐμοὶ γὰρ δοκεῖ οὑτοσί, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, πάνυ εἶναι ὑβριστὴς καὶ ἀκόλαστος, καὶ ἀτεχνῶς τὴν γραφὴν ταύτην ὕβρει τινὶ καὶ ἀκολασίᾳ καὶ νεότητι γράψασθαι.

in der Orchestra (seine Schriften*) kaufen, um den Sokrates verspotten zu können, wenn er sich den Anschein gibt, als ob das, was so ganz und gar seltsam ist, von ihm stamme? Doch bei Zeus, täuscht mich mein Eindruck nicht, dass du genau das meinst? Glaube ich, dass es keinen Gott gibt?
Natürlich nicht, bei Zeus, nicht einmal im Entferntesten.
Unglaubwürdig bist du, Meletos, und freilich noch dazu, so erweckst du mir den Eindruck, dir selbst (gegenüber). Er (= Meletos) scheint mir nämlich in diesem Fall, Männer von Athen, ein großer und frecher Frevler zu sein und diese Klageschrift geradezu aus einem gewissen Übermut, aus Zügellosigkeit und Leichtsinn eingereicht zu haben.

*Plato n`énvoque pas ici le commerce des livres, mais la lecture publique de livres au théâtre.

[27a] ἔοικεν γὰρ ὥσπερ αἴνιγμα συντιθέντι διαπειρωμένῳ “ἆρα γνώσεται Σωκράτης ὁ σοφὸς δὴ ἐμοῦ χαριεντιζομένου καὶ ἐναντί᾽ ἐμαυτῷ λέγοντος, ἢ ἐξαπατήσω αὐτὸν καὶ τοὺς ἄλλους τοὺς ἀκούοντας;” οὗτος γὰρ ἐμοὶ φαίνεται τὰ ἐναντία λέγειν αὐτὸς ἑαυτῷ ἐν τῇ γραφῇ ὥσπερ ἂν εἰ* εἴποι· “ἀδικεῖ Σωκράτης θεοὺς οὐ νομίζων, ἀλλὰ θεοὺς νομίζων”. καίτοι τοῦτό ἐστι παίζοντος.

*vgl. § 97.6, Tabelle unten: ὥσπερ ἂν εἰ: gleichsam, (gerade) als ob

Denn es scheint, als ob (= er gleicht einem, der) er ein Rätsel zusammensetzt und (mich) auf die Probe stellt: “Wird Sokrates der Weise wirklich bemerken, wenn ich scherze und mir selbst widerspreche oder kann ich ihn und die anderen Zuhörer täuschen?” Denn dieser scheint mir, sich in der Anklageschrift selbst zu widersprechen, gerade als ob er sagte: “Sokrates handelt gesetzeswidrig, weil er nicht an Götter glaubt, sondern weil er an Götter glaubt.” Doch das ist Art eines, der scherzt.
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Re: Apol. Kap. 14 (26b - 27a)

Beitragvon Prudentius » Mi 3. Jun 2015, 09:52

Hallo Roxane,

26b wieso meinst du, dass ich die jungen Männer verderbe?


Nicht "wieso?", sondern "wie?", er fragt nach der Art und Weise, nicht nach dem Grund.

"26c dass ich einerseits selbst nicht an die Götter glaubte, aber andererseits andere dies lehrte":
Es ist unklar, was mit "dies" gemeint ist: an die G. glauben, oder nicht ... glauben? Aus der Antwort in der nächsten Zeile wird der Sinn deutlich. Sag lieber: "...dass ich sowohl selbst nicht ... glaube als auch den anderen dies (nicht zu glauben) beibringe", oder so ähnlich.


lgr. P. :)
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Re: Apol. Kap. 14 (26b - 27a)

Beitragvon Roxane » Di 16. Jun 2015, 09:38

Hallo Prudentius!

Nach einem kurzen, aber sehr lohnenswerten Ausflug nach Deutschland-Ost nun endlich wieder zu Platon.
Zu οὔτε... τε finde ich bei Gottwein "einerseits nicht... andererseits, nicht und (neque... et)" und bei Kühner: “Wenn ein negativer Satz mit einem positiven oder ein positiver mit einem negativen verbunden wird, so finden folgende Formen statt: οὔτε . . τέ (höchst selt. καί), neque . . que (et),..“
Langenscheidts “einerseits nicht, andererseits aber” verdreht völlig den Sinn, hier müsste meiner Meinung nach das "aber" in Klammern stehen, vgl. Langenscheidt lt.-dt. neque .. et/-que "einerseits nicht .. andererseits (aber).."


:stretch: Ῥωξάνη

Noch ein Nachtrag zu dem ἐὰν προσποιῆται in 26e.

Kühner sagt: "In futurischem Sinne entspricht im allgemeinen ἐάν c. conj. Praes. dem lat. si c. Fut., und ἐάν c. conj. Aor. dem lat. si c. Fut. exact. Vgl. § 389, Anm. 3. Somit kommt ἐάν c. conj. Praes. der Bedeutung von εἰ c. ind. Fut. sehr nahe. Der Unterschied liegt nur darin, dass der Redende, wenn er εἰ c. ind. Fut. gebraucht, von der Wirklichkeit geflissentlich absieht, den Satz als eine rein logische Schlussfolgerung ausspricht, während er mit ἐάν c. conj. auf die eventuelle Verwirklichung hindeutet....Im Nachsatze steht in diesem Falle in der Regel der Indikativ eines Haupttempus, am häufigsten das Futur, oder der Imperativ.“
Zweitens wird ἐάν verallgemeinernd gebraucht im Sinne von jedesmal wenn, und zwar mit dem Konjunktiv des Präsens, wenn die Handlung des Hauptsatzes mit der des Bedingungssatzes gleichzeitig ist, dagegen mit dem Konjunktiv des Aorists, wenn die Bedingung vor der Haupthandlung verwirklicht wird. Vgl. § 389, Anm. 3. Im Hauptsatze steht dann in der Regel der Indikativ eines Haupttempus, am häufigsten das Präsens."

Demnach könnte man entweder übersetzen
",.... wenn er sich den Anschein geben sollte, ...."
oder
"... immer wenn er sich den Anschein gibt"

Wie siehst du das?

Hier der ganze Satz, der mir noch nicht ganz richtig gewesen zu sein schien:

"Und so lernen auch die jungen Männer das von mir, was sie (lernen) können, wenn sie manchmal für höchstens eine Drachme in der Orchestra (Schriften) kaufen, um (dann) Sokrates verspotten zu können, falls er sich den Anschein geben sollte, als ob es (diese Lehre) von ihm stamme, zumal es so absurd (-es Zeug) ist?"
Roxane
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