Apol. Kap. 15 (27b)

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Apol. Kap. 15 (27b)

Beitragvon Roxane » Mo 13. Jul 2015, 11:59

Hallo Prudentius!

Das Internet funktioniert wieder :-D.
Im folg. Satz erscheint das Wort πράγματα in Zusammenhang mit ἀνθρώπεια, ἱππικὰ, αὐλητικὰ und δαιμόνια. Langenscheidt gibt mehr als 30 Bedeutungen an, man hat die Qual der Wahl.

ἔστιν ὅστις ἀνθρώπων, ὦ Μέλητε, ἀνθρώπεια μὲν νομίζει πράγματ᾽ εἶναι...
Gibt es einen solchen Menschen, Meletos, der zwar glaubt, dass es menschliche Handlungsweisen gibt,..
ἔσθ᾽ ὅστις ἵππους μὲν οὐ νομίζει, ἱππικὰ δὲ πράγματα;
Gibt es einen solchen, der zwar nicht an Pferde glaubt, aber an den Nutzen, die die Pferde haben (/wörtl.:.. die Pferde betreffen)?
ἢ αὐλητὰς μὲν οὐ νομίζει εἶναι, αὐλητικὰ δὲ πράγματα;
Oder (einen solchen) der zwar nicht glaubt, dass es Flötenspieler gibt, aber an Wirkungen, die vom Flötenspiel ausgehen (wörtl.: die das Flötenspiel betreffen)?
[27c] ἔσθ᾽ ὅστις δαιμόνια μὲν νομίζει πράγματ᾽ εἶναι, δαίμονας δὲ οὐ νομίζει;
Gibt es einen, der zwar glaubt, dass es daimonische Mächte gibt, aber leugnet, dass es Daimonen gibt?

Was meinst du?
:stretch: Ῥωξάνη
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Re: Apol. Kap. 15 (27b)

Beitragvon Prudentius » Mi 15. Jul 2015, 08:10

Hallo Roxane,

keine Probleme mit πράγματα: Dinge, Sachen, Angelegenheiten, ..., es ist eine Begriffshülse, bekommt erst durch die Attribute Inhalt: αὐλητικὰ "das Flötenspiel betreffende Angelegenheiten", "was das Flötenspiel betrifft", ..., "ἀνθρώπεια" Dinge, die mit Menschen zu tun haben: alles ganz alltäglich.

Du musst die Argumentationslinie im Auge haben: er will dem Meletos die Verschleierung eines arglistigen Tricks nachweisen: Meletos klagt S. wegen Gottesleugnung an, setzt aber gleichzeitig voraus, dass S. einen Götterspruch ganz ernst nimmt und überprüft, den Spruch über den weisesten Sokrates.
Also S. glaubt an "göttliche Angelegenheiten" (=Orakel), glaubt aber nicht an Götter: das ist absurd.
Für hier relevant ist nur der Punkt δαιμόνια, die drei anderen sind von S. als illustrierende Beispiele angeführt, sozusagen pädagogisch: die Bereiche Menschen, Pferde, Flötenspiel sind einfach zu durchschauen, von ihnen sollen wir dann auf das Göttliche schließen.

Nebenbei bemerkt: ἔστιν ὅστις, grammatisch ganz unauffällig, "es gibt", ein logischer Schlüsselbegriff, "Exitenzquantor", das geht mir so durch den Kopf, weil wir das an anderer Stelle diskutieren,

lgr. P. :)
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Re: Apol. Kap. 15 (27b)

Beitragvon Roxane » Do 16. Jul 2015, 10:26

Hallo Prudentius!

Danke für deine Erläuterungen zu diesem interessanten Satz.

Hm, ich habe gestern noch einmal hin und her geblättert in der Apologie. Meinst du wirklich, dass mit den δαιμόνια πράγματ᾽, den "göttliche Angelegenheiten", der Orakelspruch gemeint ist?
Die δαιμόνια finden sich ja zunächst in 26b, wo es heißt, Sokrates glaube nicht an die Götter, an die die Stadt glaubt (etwa Athene oder Hephaistos, tatsächlich hat er die ihnen gebührenden Kulthandlungen wohl nicht vollzogen), er führe vielmehr δαιμόνια καινά ein. Was kann nun mit diesen neuen göttlichen Wesen gemeint sein?
In 31d heißt es ...θεῖόν τι καὶ δαιμόνιον γίγνεται und dann in Klammern [φωνή], “...dass mir etwas Göttliches und Dämonisches widerfährt [eine Stimme]”. Eine Stimme!? Ich erinnere mich, dass es mir, als ich diese Stelle übersetzte, fast wie Meletos ging. Ich wusste nicht mehr, was ich von Sokrates halten soll, ἐπικωμῳδῶν schien mir der richtige Ausdruck zu sein ...ὃ δὴ καὶ ἐν τῇ γραφῇ ἐπικωμῳδῶν Μέλητος ἐγράψατο, “... was bekanntlich schon Meletos in seiner Anklageschrift als lächerlich bezeichnet hat (wörtl.: bespöttelnd geschrieben)”.
In 40c spricht Sokrates dann von dem üblichen Zeichen des Gottes, τὸ εἰωθὸς σημεῖον. Das sokr. Daimonion, irgendeine Stimme, irgendein Zeichen also.
Zur Interpretationen des Daimonion lese ich in den Fußnoten im Buch von Ferber Folgendes: divinum quiddam (Cicero); das innere Orakel “..dass in seinem Innern die Entscheidung aber noch als daimon, Orakel darüber aufging, worüber früher das Orakel entscheiden musste” (Hegel); ein “an der Grenze des Pathologischen stehendes Erlebnis, eine Art Stimme, die ihm in den verschiedensten Situationen unvorsehbar und zwingend Halt gebot” (Burkert), Burkert fügt noch hinzu “was ihn in die Vereinzelung trieb”.
Oder war es vielleicht so etwas wie das, was man "Gewissen" nennt, das zu ihm sprach?

Einen schönen sonnigen Tag!
:stretch: Ῥωξάνη

PS: Verfolgst du eigentlich die Tour de France?
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Re: Apol. Kap. 15 (27b)

Beitragvon ThomasVulpius » Fr 17. Jul 2015, 07:18

Ἔστιν ὅστις ἀνθρώπων λίθους μὲν *πλανητοειδεῖς (cf. Zinsmeister § 77) νομίζει εἶναι, τροχαίους δὲ σκώληκας (cf. Zinsmeister § 46) οὐ νομίζει;

Gibt es irgendeinen von den Menschen, der zwar glaubt, es gebe Asteroiden, der aber nicht glaubt, es gebe Raketenwürmer?

Ἀποκρινέσθω, ὦ ἄνδρες, καὶ μὴ ἄλλα καὶ ἄλλα θορυβείτω· ἔσθ᾽ ὅστις μετέωρα μὲν ζῷα οὐ νομίζει, *ἀθνήτους δὲ νεκρούς;

Er soll antworten, ihr Männer und nicht wieder und wieder protestieren! Gibt es einen, der zwar nicht an Lebewesen am Himmel (i.e. Aliens) glaubt, der aber an untote Leichen (i.e. Zombies) glaubt?

Ἢ κόρᾱς μὲν *Ἰαπωνίδας γεγραμμένᾱς *ψῡχοτικὰς οὔσᾱς (cf. Zinsmeister § 71) οὐ νομίζει, τὴν δὲ θριδακίνην συνωμοσίᾱν τὴν τῶν Ἰνδικῶν χοιριδίων;

Oder der zwar nicht glaubt, dass es psychotische Mangamädchen gebe, der aber an die Salatverschwörung der Meerschweinchen glaubt?

Οὐκ ἔστιν, ὦ ἄριστε ἀνδρῶν, ὅστις *Γώζιλλαν, τὸν δράκοντα τὸν μέγαν, (cf. Zinsmeister § 80) εἶναι μὲν οὐ νομίζει, τοὺς δ᾽ ἀνθρώπους μεταμορφωθέντας.

Es gibt keinen, mein Bester, der zwar an Godzilla, den riesigen Drachen, nicht glaubt, der aber an die veränderten Menschen (i.e. Mutanten) glaubt.

Τίς δὴ ἔστιν, ὅστις *ἐκτόπλασμα μὲν νομίζει εἶναι, θορυβητικὰ φαντάσματα δ᾽ οὔ;
Wen also gibt es, der zwar glaubt, es gebe Ektoplasma, der aber nicht glaubt, es gebe Poltergeister?
Zuletzt geändert von ThomasVulpius am Fr 17. Jul 2015, 08:05, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Apol. Kap. 15 (27b)

Beitragvon ThomasVulpius » Fr 17. Jul 2015, 07:33

Prudentius hat geschrieben:Nebenbei bemerkt: ἔστιν ὅστις, grammatisch ganz unauffällig, "es gibt", ein logischer Schlüsselbegriff, "Existenzquantor", das geht mir so durch den Kopf, weil wir das an anderer Stelle diskutieren.


cf. Zinsmeister § 162!

Warum müsst ihr immer neue Grammatiktermini erfinden? Reicht es nicht einfach Altgriechisch zu schreiben und zu sprechen (wie es Prof. Dr. Herwig Görgemanns aus Heidelberg lehrt)?

Τὸ ἑλληνίζειν περὶ πλείστου ποιητέον. (cf. Pl. Ap. 21e)
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Re: Apol. Kap. 15 (27b)

Beitragvon Prudentius » Sa 18. Jul 2015, 16:49

Hallo Roxane,

die δαιμόνια πράγματ᾽ sind Orakel, oder er meint die göttliche Stimme, die er zu hören meint; wichtig ist zu erkennen, dass die δαιμόνια und die δαιμόνια πράγματ᾽ unterschieden werden, und dass die göttlichen Angelegenheiten nicht ohne die Götter denkbar sind: in dem Punkt will er ja den Meletos widerlegen, also ihm einen Widerspruch nachweisen.

Das Gewissen als innerer Gerichtshof geht für uns auf Kant zurück, den Vordenker der modernen Aufklärung; und es spielt seitdem in den demokratischen Verfassungen eine Schlüsselrolle: Gewissensfreiheit, Grundrecht. Kant hatte bestimmt das sokratische Daimonion vor Augen.

Wie man das daimonion einschätzen soll, möchte ich einfach offen lassen: was man da in seiner Seele so sprechen hört, das hängt von einem selber ab...

lgr. P. :)

Hallo Thomas,
manchmal sieht es aus, dass du mit uns mitdiskutieren möchtest, dann bist du willkommen, manchmal aber schreibst du Unfug, da hätte ich es lieber, du entfaltest dich in deinem eigenen thread,

lgr. P. :)
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Re: Apol. Kap. 15 (27b)

Beitragvon ThomasVulpius » Sa 18. Jul 2015, 18:10

Okay! Wenn ihr keine Witztexte in euerem (Ernst gemeinten)Thread haben wollt, werde ich mich daran halten.
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Re: Apol. Kap. 15 (27b)

Beitragvon consus » Sa 18. Jul 2015, 18:59

XAIPETE
Vielleicht sollten wir, was den Humor auch in diesem Forum angeht, nicht gar so streng sein; denn, wie wir wohl alle wissen, findet sich ja auch im Neuen Pauly ein "Witztext" (Lemma "apopudobalia").
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Re: Apol. Kap. 15 (27b)

Beitragvon Medicus domesticus » Sa 18. Jul 2015, 19:08

Nicht nur im Neuen Pauly, sondern auch in unserem medizinischen Standardwörterbuch Pschyrembel:

Die Steinlaus (Petrophaga lorioti):
--> http://tinyurl.com/pzllsuz
:lol:
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Re: Apol. Kap. 15 (27b)

Beitragvon consus » Sa 18. Jul 2015, 19:27

Νὴ τὸν Δία, ἐξέθανον γέλῳ.
:lachend:
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Re: Apol. Kap. 15 (27b)

Beitragvon ThomasVulpius » So 19. Jul 2015, 07:09

Prudentius hat geschrieben:
Hallo Thomas,
manchmal sieht es aus, dass du mit uns mitdiskutieren möchtest, dann bist du willkommen, manchmal aber schreibst du Unfug, da hätte ich es lieber, du entfaltest dich in deinem eigenen thread,

lgr. P. :)


Das liegt daran, dass ich selber nicht genau weiß, was ich will. Mir ist manchmal langweilig und dann fällt mir so etwas ein: Sokrates und die Raketenwürmer, Sokrates und die psychotischen Mangamädchen usw. Das finde ich sehr lustig, nur leider die anderen nicht.
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Re: Apol. Kap. 15 (27b)

Beitragvon consus » So 19. Jul 2015, 09:40

ThomasVulpius hat geschrieben:... Mir ist manchmal langweilig und dann fällt mir so etwas ein: Sokrates und die Raketenwürmer, Sokrates und die psychotischen Mangamädchen usw. Das finde ich sehr lustig, nur leider die anderen nicht.
Es gibt auch andere, die das durchaus entzückt! Denn es liegt hier eine gewisse Tradition vor: Mit Freude liest man doch z. B. Hans-Georg Gadamers ‚sokratischen‘ Dialog betr. Sokrates und das Tennisspiel, aber auch Luciano di Crescenzos „Socrate e il paraurti“ („S. und die Stoßstange“).
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Re: Apol. Kap. 15 (27b)

Beitragvon ThomasVulpius » So 19. Jul 2015, 11:44

Ja, gut! Aber "Sokrates und die Raketenwürmer", "Sokrates und die psychotischen Mangamädchen", "Sokrates und die bärtigen Islamisten" ist schon ein bisschen krass!

Damit füge ich nach Ansicht mancher Leute dem "Ansehen alter Sprachen in der Öffentlichkeit" schweren Schaden zu.

Welchem Ansehen? Alte Sprachen haben in der Öffentlichkeit ein Ansehen? Wusste ich gar nicht!

Ich könnte ja mal (ironisch gemeint) einem Passanten am Dortmunder Hbf etwas von Sokrates erzählen. Da wäre die Antwort bestimmt: "Ey hömma Altaaa! Ist dat nich´ der vonne Griechenbude, wo´s immaa Freibear gibt?"
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