Pl. Ap. 36a

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Pl. Ap. 36a

Beitragvon ThomasVulpius » Fr 28. Aug 2015, 13:04

Pl. Ap. 36a Τὸ μὲν μὴ ἀγανακτεῖν͵ ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι͵ ἐπὶ τούτῳ τῷ γεγονότι͵ ὅτι μου κατεψηφίσασθε͵ ἄλλα τέ μοι πολλὰ συμβάλλεται καὶ οὐκ ἀνέλπιστόν μοι γέγονεν τὸ γεγονὸς τοῦτο͵ ἀλλὰ πολὺ μᾶλλον θαυμάζω ἑκατέρων τῶν ψήφων τὸν γεγονότα ἀριθμόν. Οὐ γὰρ ᾠόμην ἔγωγε οὕτω παρ᾽ ὀλίγον ἔσεσθαι ἀλλὰ παρὰ πολύ· νῦν δέ͵ ὡς ἔοικεν͵ εἰ τριάκοντα μόναι μετέπεσον τῶν ψήφων͵ ἀπεπεφεύγη ἄν. Μέλητον μὲν οὖν͵ ὡς ἐμοὶ δοκῶ͵ καὶ νῦν ἀποπέφευγα͵ καὶ οὐ μόνον ἀποπέφευγα͵ ἀλλὰ παντὶ δῆλον τοῦτό γε͵ ὅτι͵ εἰ μὴ ἀνέβη Ἄνυτος καὶ Λύκων κατηγορήσοντες ἐμοῦ͵ κἂν ὦφλε (Pl. Ap. 36b) χῑλίᾱς δραχμάς͵ οὐ μεταλαβὼν τὸ πέμπτον μέρος τῶν ψήφων.

Mich aber über dieses Ereignis, dass ihr mich verurteilt habt, nicht zu ärgern, ihr Männer von Athen, (dieses) legt mir sowohl vieles andere nahe als auch widerfuhr mir dieses Geschehnis nicht unerwartet/für mich kam dieser Vorfall nicht unerwartet, sondern viel mehr wundere ich mich über die sich ergeben habende Zahl der beiden Stimmgruppen (i.e. "schuldig" bzw. "unschuldig"). Ich hätte nämlich nicht geglaubt, (cf. Lindemann § 123) dass der Unterschied so gering sein werde, sondern sehr groß. Jetzt aber wäre ich, wie es mir scheint, davongekommen, wenn lediglich/nur dreißig Stimmen anders ausgefallen wären. Dem Meletos bin ich zwar nun, wie ich mir scheine/wie ich glaube, auch jetzt entkommen, und nicht nur bin ich ihm entkommen, sondern jedem ist sicherlich dieses klar, dass, wenn nicht Anytos und Lykos aufgetreten wären, um mich anzuklagen, er sogar tausend Drachmen geschuldet hätte, weil er nicht den fünften Teil/ein Fünftel der Stimmen auf seine Seite brachte.
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Re: Pl. Ap. 36a

Beitragvon Roxane » Mo 2. Nov 2015, 12:07

Hallo miteinander!

Eine Sache ist mir bei diesem Kapitel noch rätselhaft. Kann mir jemand auf die Sprünge helfen?

Handelt es sich bei dem ᾠόμην vielleicht um eine Wendung, wie sie in meiner Grammatik aufgeführt ist: "Der Indikativ Aorist (selten Imperfekt) mit ἄν drückt in wenigen Wendungen den Potentialis der Vergangenheit aus (z.B: Man hätte glauben können)"? Allerdings steht unser Satz ohne ἄν.


Wenn ich nicht entrüstet bin, Männer von Athen, über das, was sich ereignet hat, (nämlich) darüber, dass ihr mich verurteilt habt, (dann) helfen mir dazu viele verschiedene (Umstände) und außerdem ist mir das, was geschehen ist, nicht unverhofft passiert. Jedoch bin ich weit mehr erstaunt über die Anzahl der Stimmsteine, die sich für oder gegen mich (wörtl.: beider Parteien) ergeben hat. Ich glaubte/ hätte geglaubt (?) (§71.5) nämlich nicht, dass das Ergebnis so knapp ausfallen würde, sondern viel eindeutiger. So aber hätten – wie es aussieht – nur dreißig Stimmsteine anders fallen müssen und ich wäre freigesprochen worden. Dem Meletos, meine ich, bin ich jedenfalls auch jetzt entkommen und nicht nur das, sondern jedem ist doch klar: Wenn nicht Anytos und Lykon als Ankläger gegen mich aufgetreten wären, wäre er auch noch zu einer Geldstrafe von tausend Drachmen verurteilt worden, weil er ein Fünftel der Stimmsteine nicht bekommen (/auf seine Seite gebracht) hätte.
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Re: Pl. Ap. 36a

Beitragvon Prudentius » Di 3. Nov 2015, 09:11

Hallo Roxane,

dieses ᾠόμην ist ein ganz normaler Indikativ Imperf., ich dachte, meinte, nahm an, erwartete; Ind., weil real; Imperf., vergangen gegenüber der Erzählebene, Imperf. unvollendet, unabgeschlossen, wiederholte, andauernde Handlung: "ich war der Meinung, ging davon aus"; es ist aber eine widerlegte Annahme; da setzen wir im D. gern Plusq. "ich hatte angenommen", und sogar der irreale Konjunktiv gibt den Sinn richtig wieder: "ich hätte gedacht, ...". Es ist also reiner Realis, grammatisch gesehen; aber im D. Sprachgebrauch kann der Irrealis eintreten, Potentialis ist es gar nicht.

lgr. P. :)
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Re: Pl. Ap. 36a

Beitragvon Roxane » Di 3. Nov 2015, 13:20

Interessant Prudentius, dass für das gr. Imperfekt im Dt. manchmal die Wiedergabe im Pl.qu.perf. einen Sinn macht. Das ist in meiner Grammatik nur am Rande irgendwo in einer Tabelle vermerkt. Muss ich mir unbedingt merken!

Mir fällt noch eine Stelle aus 34a ein, wo wir es grammatisch gesehen auch mit einem Realis zu tun haben:

....Καὶ ἄλλους πολλοὺς ἐγὼ ἔχω ὑμῖν εἰπεῖν͵ da würde ich sagen, im Deutschen passt hier eher "könnte ich nennen" als "kann ich nennen".

"(Dann der hier, Adeimantos, der Sohn von Ariston, dessen Bruder ist dieser hier, Platon; und Aiantodoros, dessen Bruder ist der hier, Apollodoros.) Und noch viele andere könnte ich euch nennen,.. "

Besten Dank!
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Re: Pl. Ap. 36a

Beitragvon Roxane » Mi 4. Nov 2015, 15:19

Mir geht zum letzten Satz von 36a noch etwas durch den Kopf. Kann dazu jemand etwas sagen? Offensichtlich wollte man damals leichtfertige Anklagen vermeiden: Ein Ankläger, der nicht ein Fünftel der Stimmen auf seine Seite bringen konnte, musste eine Strafe zahlen, und zwar tausend Drachmen. Wäre das für Meletos nicht viel gewesen? Er war doch noch jung und bestimmt kein reicher Mann, so dass er bestimmt nicht gerne zur Kasse gebeten worden wäre. Kann er sich denn seiner Sache so sicher gewesen sein? Es heißt doch immer: Vor Gericht und auf hoher See....

..͵ κἂν ὦφλε χῑλίᾱς δραχμάς͵ οὐ μεταλαβὼν τὸ πέμπτον μέρος τῶν ψήφων.
..,wäre er auch noch zu einer Geldstrafe von tausend Drachmen verurteilt worden, weil er ein Fünftel der Stimmsteine nicht bekommen (/auf seine Seite gebracht) hätte.

:stretch: Ῥωξάνη

Was ich noch an Information gefunden habe: Meletos dürfte im Jahr 399 nicht älter als 25 gewesen sein und recht unbekannt. - Er soll Gedichte geschrieben haben. - Wäre der Prozess verloren gegangen, hätte er die Verantwortung getragen.

Die Sophisten ließe sich mit fünf Minen (=500 Drachmen) für ihre Dienste bezahlen, das entspricht 500 Tageslöhnen eines Facharbeiters. Sokrates, so steht es bei Xenophon, hat sein ganzes Vermögen auf diese Summe geschätzt.
Zuletzt geändert von Roxane am Do 5. Nov 2015, 11:11, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Pl. Ap. 36a

Beitragvon Prudentius » Do 5. Nov 2015, 11:04

Das ist in meiner Grammatik nur am Rande irgendwo in einer Tabelle vermerkt.


Hallo alle zusammen,

das braucht auch nicht vermerkt zu sein, denn es handelt sich ja nicht um etwas aus der gr. Grammatik, sondern aus der d. Stilistik; im Gr. haben wir es mit einem ganz gewöhnlichen Impf. zu tun, ᾠόμην ich meinte, und damit sind wir fertig. Diese ganze Frage der irrealen Formulierung bezieht sich nur auf die d. Ausdrucksmöglichkeiten und -gebräuche, dass wir eben diesen erweiterten Gebrauch des Irrealis haben.

Man kann allgemein sagen: etwas ist nicht irreal oder Plusquamperfekt, sondern man verwendet im D./Gr. diese Werkzeuge, je nach Sinn und Sprachgewohnheiten.

Bei κἂν ὦφλε ist es ein regulärer Irrealis.

lgr. P. :)
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Re: Pl. Ap. 36a

Beitragvon Roxane » Do 5. Nov 2015, 11:36

Da haben wir gerade beinahe gleichzeitig was ins Fenster eingetippt, Prudentius. Na ja, man sucht natürlich zuerst in der Grammatik nach einem passenden Paragraphen, aber ich verstehe, dieses "man verwendet im D./Gr. diese Werkzeuge, je nach Sinn und Sprachgewohnheiten" sollte man immer im Hinterkopf haben.

Wie du siehst, habe ich selbst noch Interessantes zu Meletos entdeckt :) .
Noch zu der Strafe für einen verlorenen Prozess: Sie entsprach dem, wofür ein Facharbeiter damals mehr als drei Jahre, nämlich 1000 Tage arbeiten musste. Wenn ein Facharbeiter heutzutage, sagen wir mal, 3000 Euro brutto pro Monat verdient, dann hat er zwar in drei Jahren 108000 Euro auf sein Konto überwiesen bekommen, aber bis er sich eine solche Summe erspart hat, dauert das noch lange. Daher kann ich mir weder vorstellen, dass die Sophisten 500 Drachmen (heute ca. 54000 Euro) verlangt haben noch dass Sokrates so viel Geld hatte noch dass die Strafe für einen verlorenen Prozess doppelt so hoch war. Oder haben Facharbeiter damals so viel weniger verdient als heute?

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