Drei kleine sprachliche Fragen

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Drei kleine sprachliche Fragen

Beitragvon Ioscius » Mi 2. Sep 2015, 17:51

Hallo!

1. In der BR-Grammatik wird die Phrase οὐδεὶς ὅστις οὐ (Bedeutung: jeder) als attractio inversa bezeichnet, d. h. das Bezugswort (oft ein Demonstratuvpronomen) gleicht sich im Kasus an das Relativpronomen an. Wie kann das sein? M. E. richtet sich der Kasus beider Bestandteile nach der Valenz des Verbs des Hauptsatzes und somit gleicht sich vielmehr das Relativpronomen an das Bezugswort an. Handelt es sich dabei um einen verkürzten Reltivsatz, wie bspw. "Ich sehe niemanden, den ich nicht sehe"? Auch nach der Vorstellung ist der Kasus des Pronomens zumindest unabhängig vom Relativpronomen.

2. Wie lautet das Verb ἀποστῇς im Infinitiv, das Greek Word Study Tool bietet keine gescheite Hilfe, es scheint "aufhören" zu bedeuten..

σὺ οὖν, ὥσπερ ἤρξω νουθετεῖν με, μὴ ἀποστῇς, ἀλλ᾽ ἱκανῶς μοι ἔνδειξαι τί ἔστιν τοῦτο ὃ ἐπιτηδευτέον μοι


http://www.perseus.tufts.edu/hopper/tex ... ion%3D488a

3 In 481e von Gorgias heißt es:

εἴ τίς σου λέγοντος ἑκάστοτε ἃ διὰ τούτους λέγεις θαυμάζοι ὡς ἄτοπά ἐστιν


Handelt es sich hier um eine Mischkonstruktion?: θαυμάζειν mit GcP + indirektem Fragesatz?

Danke!
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Re: Drei kleine sprachliche Fragen

Beitragvon Prudentius » Sa 5. Sep 2015, 08:18

1. Bringe Beispielsätze!

2. aphistemi, Wurzelaorist, Kj. 2.s.

3. σου λέγοντος Zeitangabe, würde ich sagen.

lgr. P. :)
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Re: Drei kleine sprachliche Fragen

Beitragvon Ioscius » Do 10. Sep 2015, 20:50

Danke, Prudentius!

@ 2 & 3: Einverstanden, danke! Die Liste http://sphinx.metameat.net/sphinx.php?p ... _3_4-t-y-v scheint dann fehlerhaft oder unvollständig zu sein, diese kurze Form ist dort jedenfalls nicht enthalten.

@1: Ok: Ἀπολλόδωρος κλαίων ούδένα ὅντινα οὐ κατέκλασε τῶν παρόντων.

Ich bin der Meinung, dass statt der Beschreibung der BR-Grammatik, nämlich dass bei der Phrase οὐδεὶς ὅστις οὐ eine attractio inversa (d. h. das Bezugswort gleicht sich im Kasus an das Relativpronomen an) genau das Gegenteil vorliegt: Jeweils das Prädikat des HS (rot markiert) bestimmt den Kasus des Pronomons oὐδείς (ebenfalls rot markiert), das wiederum den Kasus von des verallgemeinernden Relativpronomens bestimmt (Ich interpretiere den Relativsatz also jeweils als verkürzten Relativsatz, bei dem dasselbe Prädikat des HS und mögliche Objekte nochmals zu ergänzen sind). M. E. handelt es sich also höchstens um eine "gewöhnliche" Attraktion des Relativpronomens.

Ratterratter: Ich glaube, ich weiß nun, mit welcher deutschen Übersetzung man sich eine attractio inversa vorstellen kann: "Wen Apollodoros nicht mit seinen Weinanfällen erschütterte, niemand ist das". Ist das des Rätsels Lösung? Im Prinzip ist alles außer das οὐδείς-Pronomen plus Negation Relativsatz und als HS müsste eigenlich ein "οὐδεὶς ἔστιν" stehen (ich hoffe, meine Akzentuierung ist richtig; Stilübungen zu lange her, als Verbum existentiale bzw. nach οὐκ müsste εἴναι orthotoniert sein); stattdessen ist aber das Pronomen an das verallgemeinernde Relativpronomen angeglichen.

Viele Grüße
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Re: Drei kleine sprachliche Fragen

Beitragvon Prudentius » Fr 11. Sep 2015, 15:55

Hallo Iosci,

Wurzelaorist findest du in den Schulgrammatiken, schau im Register nach! Wurzelaorist heißt er, weil die Personalendung unmittelbar an die Wurzel tritt, nicht mit Zwichenschaltung von -sa- wie beim schwachen oder Bindevokal beim starken Aorist.
esten ist intransitives Medium, ich trat, in deiner Tabelle ist nur das trans. Medim aufgeführt.

https://www.altphil.uni-freiburg.de/dow ... aorist.pdf

@1: Nenne das, wie du willst, ich würde übersetzen: "Er rührte jeden einzelnen...", mir geht dabei was anderes durch den Kopf, ich habe an anderer Stelle geschrieben, dass bei jedem Pronomen eine Art Satzstaffelung vorliegt, das haben wir hier, bin von der Logik her darauf gekommen, wenn man nämlich den Satz in den "logischen Code" umschreibt, was Heiterkeit ausgelöst hat, also auf jeden Fall positiv.

lgr. P. :) .
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Re: Drei kleine sprachliche Fragen

Beitragvon Ioscius » So 20. Sep 2015, 15:53

Dankeschön, dann will ich mal eine weitere Frage stellen:
ὥστε ὀκνῶ μή μοι ὁ Λυσίας ταπεινὸς φανῇ, ἐὰν ἄρα καὶ ἐθελήσῃ πρὸς αὐτὸν ἄλλον ἀντιπαρατεῖναι.

aus: http://www.perseus.tufts.edu/hopper/tex ... g=original

Kann man jetzt zwar als Spitzfindigkeit betrachten, aber sind die Wörterbücher wie bspw. Pape (http://www.zeno.org/Pape-1880/A/%E1%BD% ... E%AD%CF%89 ) nicht unzureichend?: Es heißt hier eben nicht "zögern etwas zu tun" (also eine voluntative/ finale Prädikation, Im Lateinischen Inf.Konstr. oder ut-Satz), sondern m. E. "bezweifeln/ bestreiten, dass" (deskriptive Prädikation, im Lat. AcI ; man vgl .im Allg. "dubitare").

Daher bezweifle ich, dass Lysias mir gering usw.. Oder gäbe es einen plausiblen Grund hier ein elliptisches "zögern anzunehmen/ zu glauben" anzunehmen?..
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Re: Drei kleine sprachliche Fragen

Beitragvon Medicus domesticus » So 20. Sep 2015, 16:11

Ich würde hier "fürchten, dass" nehmen. Gemoll gibt dies auch an.
Siehe auch Menges Rep. § 148 b. β. ...ὀκνεῖν mit μή..
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Re: Drei kleine sprachliche Fragen

Beitragvon Ioscius » So 20. Sep 2015, 16:56

Und da "fürchten" schließlich eine Tatsache und keine voluntative Prädikation erfordert, hat sich die Frage erledigt. Danke, Hausarzt ^^
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Re: Drei kleine sprachliche Fragen

Beitragvon Ioscius » Mo 28. Sep 2015, 11:28

Und da hätte ich wieder zwei sprachliche Fragen:

1) Plat. Gorg. 501a f: ἡ δ᾽ ἑτέρα τῆς ἡδονῆς, πρὸς ἣν ἡ θεραπεία αὐτῇ ἐστιν ἅπασα, κομιδῇ ἀτέχνως ἐπ᾽ αὐτὴν ἔρχεται, οὔτε τι τὴν φύσιν σκεψαμένη τῆς ἡδονῆς οὔτε τὴν αἰτίαν, ἀλόγως τε παντάπασιν ὡς ἔπος εἰπεῖν οὐδὲν διαριθμησαμένη, τριβῇ καὶ ἐμπειρίᾳ μνήμην μόνον σῳζομένη τοῦ εἰωθότος γίγνεσθαι, ᾧ δὴ καὶ πορίζεται τὰς ἡδονάς

(aus: http://www.perseus.tufts.edu/hopper/tex ... ion%3D501a )

Wie lässt sich die Form εἰωθότος erklären? Wohl Genitiv maskulin oder neutrum, aber auf welches Bezugswort? Mir wäe hier nur ein Adverb logisch: Die Erinnerung daran, gewöhnlicherweise [irgendetwas[ zu werden . Oder substantiviert: Die Erinnerung dessen, der sich daran gewöhnt [....]

2) ἐὰν συρφετὸς συλλεγῇ δούλων καὶ παντοδαπῶν ἀνθρώπων μηδενὸς ἀξίων πλὴν ἴσως τῷ σώματι ἰσχυρίσασθαι

(aus: http://www.perseus.tufts.edu/hopper/tex ... 99.01.0177)

Wie sind diese beiden unterschiedlichen Konstruktionsweisen, die sehr kryptisch auf englisch beschrieben sind, zu verstehen: ἀξίων πλήν: without a following gen., instead of which we find τῷ σώματι ἰσχυρίσασθαι by means of their bodily strength. Others construe τῷ with σώματι, making the inf. depend upon some word of ability to be taken from ἀξίων, but this is harsh.

Mein Verständnis: ἀξίων kann nur mit Genitiv stehen; Die Konstruktion des verkürzten Nebensatzes, der durch πλήν eingeleitet ist, müsste eigentlich parallel laufen. Nur hier steht ein Dativus repectus: "außer dass sie würdig sind im Hinblick auf ihre Stärke (ἰσχυρίσασθαι). Welche anderen Konstruktionsmöglichkeiten nennt der Kommentar?
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Re: Drei kleine sprachliche Fragen

Beitragvon Prudentius » Di 29. Sep 2015, 15:48

1) "aber auf welches Bezugswort? " - auf keines, also steht es substantivisch, "das Gewohnte", daran hängt ein Inf., γίγνεσθαι, "das, was zu geschehen pflegt", was gewöhnlich geschieht, kürzer: "das Übliche". Das τοῦ gehört also zu εἰωθότος, nicht zu γίγνεσθαι.
" Die Erinnerung dessen, der sich daran gewöhnt": nicht Gen. subj., sondern obj.: Erinnerung an das, was...

2) "ἀξίων kann nur mit Genitiv stehen": der Gen. steht ja unmittelbar davor: "μηδενὸς", also "nichts wert", wertlos, geringwertig; "πλὴν": zu nichts anderem zu gebrauchen als, wertvoll bloß in Hinsicht auf körperliche Stärke. "Nur hier steht ein Dativus repectus", ich würde nur einfach von Instrumentalis sprechen.

"Welche anderen Konstruktionsmöglichkeiten nennt der Kommentar?" - Das ist uninteressant, Hauptsache wir haben den Originaltext verstanden.

:)
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Re: Drei kleine sprachliche Fragen

Beitragvon Ioscius » So 4. Okt 2015, 12:47

Abermals danke, Prudentius!

Könnte man denn πλήν auch immer Sinne von "außer"/ "wenn nicht" verwenden und müsste man das Wort in dieser Verwendungsweise dann nicht als eine einen verkürzenden Nebensatz einleitende Konjunktion nennen?

Auch bei uns im Deutschen bestimmt "außer" hier nicht den Kasus: "Niemand außer er war dort", "Ich sehe niemanden außer ihn" ;D
Hmm, ersteres deutscher Beispielsatz ist evtl. nicht ganz korrekt, aber immerhin scheint es ja wenigstens im Griechischen ein problem zu geben mit dem Dativ.. Ich weiß, wir haben vor Jahren schon einmal etwas Ähnliches im Lateinforum besprochen..
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