Thuk 5.103.2

Für alle Fragen rund um Griechisch in der Schule und im Alltag

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Thuk 5.103.2

Beitragvon Glis » Do 19. Nov 2015, 00:08

Hallo allerseits,
verspätete Antwort, Roxane: Mein Fahrrad ist nicht kaputt, aber meine Bronchien sind angeschlagen!
Und im Übrigen kann ich mich vom Thukydides noch nicht lösen und einfach wieder zur "Apologie" zurückspringen ...
Bin mir bei diesem Abschnitt unsicher und habe deine Lösung unter deinen früheren Postings, Roxane, nicht gefunden. Kann, wer immer Muße hat, sich meinen Übertragungsversuch mal anschauen?

http://www.perseus.tufts.edu/hopper/tex ... ection%3D2

ὃ ὑμεῖς ἀσθενεῖς τε καὶ ἐπὶ ῥοπῆς μιᾶς ὄντες μὴ βούλεσθε παθεῖν μηδὲ ὁμοιωθῆναι τοῖς πολλοῖς, οἷς παρὸν ἀνθρωπείως ἔτι σῴζεσθαι, ἐπειδὰν πιεζομένους αὐτοὺς ἐπιλίπωσιν αἱ φανεραὶ ἐλπίδες, ἐπὶ τὰς ἀφανεῖς καθίστανται μαντικήν τε καὶ χρησμοὺς καὶ ὅσα τοιαῦτα μετ᾽ ἐλπίδων λυμαίνεται.

Aber das möget ihr, da ihr schwach seid und vor einer entscheidenden Wendung steht, nicht erleiden und auch nicht der Masse gleichgesetzt werden, für die es noch möglich ist, nach menschlichen Maßstäben gerettet zu werden, wann immer die offensichtlichen Hoffnungen ausgehen und sie (die Masse?) bedrängen, und den unbegründeten (Hoffnungen) werden die Wahrsagekunst und die Weissagungen zugeordnet, und alles so Beschaffene wird durch Hoffnungen verdorben.

Unklar unter anderem: Wer ist mit αὐτοὺς gemeint? Warum die mediale Form πιεζομένους?

Gute Nacht!
Gl.
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Re: Thuk 5.103.2

Beitragvon Prudentius » Do 19. Nov 2015, 17:15

Hallo Glis,
eine gute Idee, am Thukydides dranzubleiben!

"Wer ist mit αὐτοὺς gemeint?" Die "vielen", die sich unbegründeten Hoffnungen hingeben; αὐτοὺς ἐπιλίπωσιν, du musst das Verb transitiv übersetzen, dann kannst du das Objekt unterbringen: "nachdem die Hoffnungen sie im Stich gelassen haben...".
"Warum die mediale Form πιεζομένους?": die Form ist passiv: "gequält, geplagt, angeschlagen"; das Pc. prädikativ zu αὐτοὺς, etwas freier, als Adverbiale: "nachdem sie (Akk.) in ihrer verzweifelten Lage die aussichtsreichen Hoffnungen (Nominativ) im Stich gelassen haben,...".

Die kritische Stelle ist bei οἷς παρὸν, da hast du nicht die richtige Abzweigung gefunden; mit οἷς fängt ein Relativsatz an, dessen Prädikat καθίστανται ist, im Kern: "die sich auf die fadenscheinigen Hoffnungen verlegen..."; jetzt wirst du sagen, οἷς ist doch Dativ! Ja, aber das ist durch das folgende παρὸν bedingt, es ist "Kasusattraktion des Relativpronomens", ein dicker Brocken :-o , du musst aber konstruieren, als wäre es Nominativ.
Das παρὸν ist auch so ein dicker Brocken, "Accusativus absolutus", spüre ihn in der Grammatik auf! Ein besonderes Juwel der gr. Grammatik, diese Konstruktion ermöglicht es, von unpersönlichen Ausdrücken wie "parestin es ist möglich" eine absolutus-Konstruktion zu bilden, wie bei den persönlichen Verben der "Genitivus absolutus"; also hier: "obwohl es ihnen möglich ist/wäre".

Du müsstest also an der kritischen Stelle so schreiben: "..., die, obwohl es ihnen möglich wäre, menschenwürdig weiterzuleben, sich ungewissen Hoffnungen hingeben, ", so ungefähr.
Der ἐπειδὰν-Satz ist dem καθίστανται untergeordnet.
Du musst dann am Ende des Absatzes den Faden wieder bei dem Relativsatz festmachen, so dass der Satz als gedankliche Einheit erscheinen kann. Am besten schreibst du es nochmal auf!

Zu dem Gedanklichen: die athenischen Machtpolitiker bedienen sich einer fiesen Rhetorik: sie sagen, sie sind gegen faulen Zauber wie Wahrsagerei, aber in Wirklichkeit geht es um die Berufung der unterlegenen Seite auf die Götter als Garanten einer Rechtsordnung.


lgr. P. :)
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Re: Thuk 5.103.2

Beitragvon Glis » Do 19. Nov 2015, 23:23

Vielen Dank, Prudentius, für das Leichtermachen dieser dicken, schweren Brocken.
Nun schwebt mir auch eine sinnvolle Lösung für den letzten Teilsatz vor. Mir scheint, ἀφανεῖς ist Attribut zu μαντικήν und χρησμοὺς, und das μετ᾽ ἐλπίδων λυμαίνεται ist untergeordneter Relativsatz ohne Relativpronomen (Letzteres gab's im ganzen Melierdialog öfter, Thukydides schien solche Konstruktionen zu schätzen). Liege ich richtig?

Dann ergäbe schließlich nach Glis sich dies:

Aber ihr möget, da ihr schwach seid und vor einer entscheidenden Wendung steht, dies nicht erleiden und auch nicht den vielen gleichgesetzt werden, die, obwohl es ihnen möglich wäre, menschenwürdig weiterzuleben, nachdem in ihrer aussichtslosen Lage die aussichtsreichen Hoffnungen sie im Stich gelassen haben, sich unbegründeter Wahrsagekunst, Weissagungen und derlei hingeben, das durch Hoffnungen verführt.

Tschühüs!
Gl.
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Re: Thuk 5.103.2

Beitragvon Roxane » Di 24. Nov 2015, 14:30

Hallo Glis!

Den Melierdialog habe ich damals komplett gepostet. Du wirst ihn schon finden.

[103.2] ὃ ὑμεῖς ἀσθενεῖς τε καὶ ἐπὶ ῥοπῆς μιᾶς ὄντες μὴ βούλεσθε παθεῖν μηδὲ ὁμοιωθῆναι τοῖς πολλοῖς,
Das wollt ihr (lieber) nicht erleiden (Prohibitiv), die ihr schwach seid und deren Schicksal auf des Messers Schneide steht (wörtl.: die ihr sogar bei einem einzigen Anstoß Schwache seid), und es nicht den meisten gleichtun,

οἷς παρὸν ἀνθρωπείως ἔτι σώιζεσθαι,
die, obwohl es ihnen möglich gewesen wäre, sich menschenmöglich noch zu retten,

ἐπειδὰν πιεζομένους αὐτοὺς ἐπιλίπωσιν αἱ φανεραὶ ἐλπίδες, ἐπὶ τὰς ἀφανεῖς καθίστανται
(die also) nachdem die deutlichen Hoffnungen sie in ihrer Drangsal (/in Bedrängnis (/wenn sie bedrängt sind) im Stich gelassen haben, um die undurchsichtigen zu ergreifen,

μαντικήν τε καὶ χρησμοὺς καὶ ὅσα τοιαῦτα μετ' ἐλπίδων λυμαίνεται.
Wahrsagerei und Orakel und alles, was zusammen mit den Hoffnungen verdirbt.“
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Re: Thuk 5.103.2

Beitragvon Prudentius » Di 24. Nov 2015, 20:04

Hallo Glis,

"Mir scheint, ἀφανεῖς ist Attribut zu μαντικήν", das passt nicht, und ἀφανεῖς ist deutlich mit φανεραὶ als Gegensatzpaar verbunden, also beides Attribute zu ἐλπίδες.

"und das μετ᾽ ἐλπίδων λυμαίνεται ist untergeordneter Relativsatz ohne Relativpronomen", aber es ist doch ein Relativpronomen da: ὅσα: "und alles derartiges Zeug, das den Menschen zum Verhängnis wird", wieder etwas freier,

lgr. P. :)
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Re: Thuk 5.103.2

Beitragvon Glis » Di 24. Nov 2015, 23:37

Aha, danke euch beiden. Dann ist μαντικήν τε καὶ χρησμοὺς Apposition zu τὰς ἀφανεῖς (ἐλπίδας). Das ist, finde ich, schwierig zu erkennen, zumal der substantivische "Kern" des Objekts (ἐλπίδας) "hinzugedacht" werden muss.
Auf zur nächsten Schwierigkeitsstelle ...
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Re: Thuk 5.103.2

Beitragvon Roxane » Mi 25. Nov 2015, 12:31

da capo:


[103.2] ὃ ὑμεῖς ἀσθενεῖς τε καὶ ἐπὶ ῥοπῆς μιᾶς ὄντες μὴ βούλεσθε* παθεῖν μηδὲ ὁμοιωθῆναι τοῖς πολλοῖς,

*βούλεται δ' αὐτοῖς ἡ μὲν ἀνωτάτη σφαῖρα τὸν ἥλιον, es soll bedeuten

Das sollt ihr, die ihr schwach seid und deren Schicksal auf des Messers Schneide steht (wörtl.: die ihr sogar bei einem einzigen Anstoß Schwache seid), lieber nicht erleben (παθεῖν) und ihr sollt auch nicht den meisten gleich (-gesetzt) werden (ὁμοιωθῆναι),


οἷς παρὸν* ἀνθρωπείως** ἔτι σώιζεσθαι,

*Absol. wird so παρόν, ion. παρεόν gebraucht, da es möglich ist, angeht,
**ἀνϑρωπείως, auf menschliche Weise, φράζειν Ar. Ran. 1058; Thuc. 5, 103.

die, obwohl es ihnen nach menschlichem Ermessen noch möglich ist, sich zu retten,


ἐπειδὰν πιεζομένους αὐτοὺς ἐπιλίπωσιν αἱ φανεραὶ ἐλπίδες, ἐπὶ τὰς ἀφανεῖς καθίστανται

(die also), sobald die aussichtsreichen Hoffnungen sie in ihrer Bedrängnis (/wenn sie bedrängt sind) im Stich gelassen haben, die fadenscheinigen ergreifen,


μαντικήν τε καὶ χρησμοὺς καὶ ὅσα τοιαῦτα μετ'* ἐλπίδων λυμαίνεται.

*an manchen Stellen steht der acc. dem dat. gleich, mitten unter, zwischen in,

Wahrsagerei und Orakel und alles, was (sie) inmitten ihrer Hoffnungen zu Grunde richtet.“



Hier die ganze Übersetzung:

viewtopic.php?f=10&t=40969
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