Röm 3,21

Für alle Fragen rund um Griechisch in der Schule und im Alltag

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Re: Röm 3,21

Beitragvon Prudentius » So 10. Apr 2016, 09:41

Roxane hat geschrieben:- über die Spaltung der Jerusalemer Gemeinde: <Unter der Führung eines leiblichen Bruders von Jesu, Jakobus, entstand ein 'judenchristlicher Kreis'. Er hielt streng am jüdischen Gesetz fest, verlangte die Beschneidung und sah in Jesus lediglich einen durch die Auferstehung göttlich legitimierten Propheten.
Einen weiteren Kreis sammelte der Jünger Petrus um sich. Seine Mitglieder sahen in Jesus den Messias, auf dessen baldige Wiederkunft sie hofften. Die Verkündung der Auferstehung war für sie wichtiger als die Lehre Jesu.
In der dritten Gruppe sammelten sich die 'Hellenisten' oder 'Griechen'. Aus dem Messias Jesus wurde in Analogie zu den bestehenden Mysterienkulten der leidende und auferstehende Erlösergott.


Hallo Roxane,

das Christentum ist nie eine fertige Religion gewesen wie Buddhismus oder Islam es von Anfang an waren; am Anfang war es ja eine verstreute Gruppe, niemand wusste, ob und wie es weitergehen sollte, die wichtigsten Fragen waren ungeklärt, wie sollte man im oder zum Judentum stehen, "Kirche" musste ja erst erfunden werden ...

In der Frage der Christologie musste die Kirche eine schmale Gratwanderung gehen, zwischen Monotheismus und Gottessohn, wie beides auf einen Nenner bringen? Die Kirche hatte einen schweren Stand gegenüber harter Kritik von den reinen Monotheisten, Juden und Muslimen; wie konnte Jesus Gott sein und Gott gleichzeitig nur einer sein? Die Theologen griffen auf platonische (oder neuplatonische) Vorstellungen zurück, wonach das Eine, das Göttliche, in seiner Überfülle über sich hinausströme in sein Anderes, in das Viele, und dabei doch eines bleibe; "Dialektik" nennt man diese metaphysische Idee, ich kann das alles aber nur skizzieren.
Also die "Dreifaltigkeit", Trinität, aus tres- und unus, sei nach oben eine Einheit, der eine Gott, und sie entfalte sich nach unten in drei Personen; "Hypostasen" hießen diese Entfaltungen in der neuplatonischen Terminologie, und es leuchtet ein, dass die Kirche ihre Gegner damit nicht überzeugte, aber doch nach innen eine Antwort geben konnte.

Die kirchliche Position war immer schwer zu halten, schon von Anfang an, das war eine Schwäche, aber zugleich eine Herausforderung, man musste sich was einfallen lassen, um nicht unterzugehen, aber jetzt habe ich genug gepredigt :-D ,

lgr. P.
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Re: Röm 3,21

Beitragvon Roxane » Mo 11. Apr 2016, 12:17

Hallo Prudentius!

Goethe soll einmal gesagt habe: Ich glaubte an Gott und die Natur und den Sieg des Edlen über das Schlechte, aber das war den frommen Seelen nicht genug, ich sollte auch glauben, dass Drei Eins sei und Eins Drei...
Das war sicher nicht nur für Goethe schwer zu verstehen. Vielleicht kann man es so veranschaulichen: Kommen wir mit einer Ecke eines Dreiecks, sagen wir A, in Berührung, so sind wir zugleich mit den anderen dahinter liegenden Ecken (B und C) verbunden (na, wie habe ich das erklärt?).
Es gab Zeiten, da hat man denjenigen, der nicht an die Dreifaltigkeit glaubte, aus der Kirchengemeinschaft ausgeschlossen!

Ich versuche mal zu ergänzen: Plotin nahm als absoluten Ursprung von allem das Ur-Eine, das Höchste schlechthin, nennen wir es ruhig das Göttliche, an. Dieses Eine setzte er allem anderen voraus, als eine Quelle von allem. Aus diesem Einen ging seiner Meinung nach durch Emanation zunächst die Vernunft hervor, danach alles Sein.
Plotin kam aus Alexandria nach Rom. Die Heilslehre, die er mitbrachte, wurde angeblich zu einer ernsthaften Konkurrentin der christlichen Lehre. Na ja, ich denke mal, der Mithras war ein ernst zu nehmenderer Konkurrent.


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Re: Röm 3,21

Beitragvon marcus03 » Mo 11. Apr 2016, 14:55

Roxane hat geschrieben:Aus diesem Einen ging seiner Meinung nach durch Emanation zunächst die Vernunft hervor,


Was soll das bedeuten? Was ist mit Vernunft gemeint? Vernünftige Ordnung nach dem chaotischen Urknall (Naturgesetze?)?

Roxane hat geschrieben: das Ur-Eine,

Wie wäre das zu denken? Woher kam es? Vom Ururur...einen?
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Re: Röm 3,21

Beitragvon Prudentius » Di 12. Apr 2016, 15:48

marcus03 hat geschrieben:
Roxane hat geschrieben: das Ur-Eine,

Wie wäre das zu denken? Woher kam es? Vom Ururur...einen?


Du musst es anders denken! Das Ur-Eine ist ein metaphysischer Begriff, und das daraus abgeleitete Viele unserer Lebenswelt ist ein physischer Begriff; ich versuche mal, dieses jahrtausendealte Problemfeld kurz in heutiger Sicht erkennbar zu machen:
Man muss zwei Bereiche auseinanderhalten:
A - den Gegenstandsbereich, den wir durch Erkenntis durchleuchten und erfassen wollen;
B - den Bereich der Werkzeuge, mit denen wir die Gegenstände von A erkennen wollen;

Also B ist das Auge, und A ist der Baum, den wir mithilfe des Auges sehen.

Das Auge sieht sich nicht selbst, es ist nicht ein Objekt wie der Baum;

B enthält irgendwie auch Gegenstände, aber sie sind nicht erfassbar, sie sind wie der blinde Fleck auf der Netzhaut.

Es gibt also eine Typenunterscheidung: Typ A cognoscenda, Typ B cognoscentia, möchte ich mal sagen.

Das Viele unserer Lebenswelt ist also Typ A und das Ureine ist Typ B, und "Metaphysik" soll den Typenunteschied zu Physik verdeutlichen.

Und es gibt eine Typentrennungsregel: A und B dürfen nicht in eine Reihe gestellt werden; dann wären wir am Ziel: jetzt kann man sagen: Mit deiner Frage: " Woher kam es? Vom Ururur...einen?" verstößt du gegen die Typentrennungsregel.

Diese Typentheorie stammt von Russell, ungefähr 1900, es war damals eine große Diskussion, manchmal etwas dramatisch bezeichnet als "Grundlagenkrise von Logik und Mathematik", Mengenlehre; wer Interesse hat, kann nachstöbern unter "Russellsche Antinomie", es ist aber eine alte platonische Problematik, Kritik des Aristoteles an der plat. Ideenlehre.
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Re: Röm 3,21

Beitragvon Roxane » Mi 13. Apr 2016, 10:50

Einen schönen guten Morgen zusammen!

Lauter interessante Sachen habe ich aufgestöbert, auf die ich ohne euch gar nicht gekommen wäre, z.B. diesen Beitrag zur Philosophie des Plotin:

http://orthodox-theology.com/media/PDF/ ... plotin.pdf

Zum Ur-Einen siehe S. 6f: "Das Eine selbst, dessen Urwesen Plotin mit der unbegreiflichen Gottheit Gottes identifiziert, übersteigt in seiner Unvordenklichkeit die Vernunft und ist begrifflich nicht zu fassen. Es ist nicht nur eine supranaturale, sondern ebenso eine transrationale, überbegriffliche Größe....

...Aus ihm wiederum geht die Weltvernunft (Geist "nous") hervor, in der die Ideen ihre Stätte haben.... Mit dem Geist ist nicht unser individuelles und subjektives Denkvermögen gemeint, sondern der göttliche oder absolute Geist als Inbegriff der Fülle des Seins..."


Und hier die anschauliche Variante der Russellschen Antinomie, die Antinomie des Barbiers:

In einem Dorf schließt ein Friseur mit dem Gemeinderat den Vertrag, genau diejenigen Männer des Dorfes zu rasieren, die sich nicht selbst rasieren (der Friseur ist selbst Bewohner des Dorfes). Bei Verletzung dieses Vertrages muss er eine Konventionalstrafe bezahlen.

Soll der Friseur einen solchen Vertrag schließen? Soll er sich selbst rasieren oder sollte er sich lieber von einem Nachbarn rasieren lassen? :?

Armer Kerl...


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Re: Röm 3,21

Beitragvon Prudentius » Do 14. Apr 2016, 17:43

Russell hat die Sache mit dieser Veranschaulichung sehr schön populär gemacht, es ist wirklich selten, dass ein logisches Problem so humorvoll unter die Leute gebracht werden kann; es handelt sich ja um einen logischen Dammbruch, oder Supergau; ich mache es nochmal deutlich: wenn der Barbier sich selbt rasiert, rasiert er sich nicht selbst; und wenn er sich nicht selbst rasiert, dann rasiert er sich selbst; also so gemeint: wenn er sich selbst rasiert, gehört er also zu denen, die er als Barbier nicht rasiert; er rasiert sich also nicht. Wenn er sich aber nicht selbst rasiert, gehört er in die Gruppe derer, die er als Barbier zu rasieren hat.

Abgesehen vom Rasieren, das Problem tauchte in der Mengenlehre auf, die ja die Grundlage der gesamten Wissenschaftssprache sein sollte; es ging um die Frage: Ist die Menge aller Mengen in sich selbst enthalten oder nicht? Es ergab sich: wenn sie enthalten ist, ist sie nicht enthalten; und wenn sie nicht enthalten ist, ist sie enthalten.

Der Wissenschaftsoptimismus der damaligen Zeit geriet in eine Krise, und Russell fand diesen Ausweg mit der Typenunterscheidungsregel, und die habe ich oben herangezogen, um dem Einwand zu begegnen, den Marcus vorgebracht hatte: das "Ureine" gehört einem anderen Typ an als Gegenstände, die man rational einordnen kann; anders gesagt, es ist ein Meta-Begriff, oder ein metaphysischer Begriff. Dass damit viele Fragen und Unsicherheiten verbunden sind, ist nicht zu bestreiten, aber so hat man es eben in unserer langen Tradition verstanden.

Zu Russell kam zu der Zeit aus Wien ein Ludwig Wittgenstein und reichte eine philosophische Dissertation ein, "Tractatus logico-philosophicus", der Titel ist also in scholastischem L. gehalten, sie bestand nur aus wenigen Seiten, aus knappen Sätzen, die durchnumeriert waren so ähnlich wie bei uns ein "Baum" auf der Festplatte, und er hatte einen spektakulären Erfolg damit.

lgr. P. :)
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Re: Röm 3,21

Beitragvon Roxane » Fr 15. Apr 2016, 12:59

Hallo Prudentius!

Woher weißt du das nur alles, Prudentius? Ich bin jedenfalls froh, mal irgendwann irgendwie und ohne das Fach Philosophie mein Abitur bestanden zu haben...

Dieser Wittgenstein mag es ja weit gebracht haben, aber er soll von sich gesagt haben, dass er jeden Morgen voller Hoffnung beginne, doch jeden Abend in Verzweiflung ende.

Gut, dass ich kein Philosoph bin! Und rasieren (lassen) muss ich mich auch nicht! :lol:


Diesen Aufsatz über Gerechtigkeit als Thema biblischer Theologie muss ich unbedingt noch lesen, danach sollte ich vielleicht mal wieder was übersetzen, mein Griechisch rostet ja völlig ein:
http://edoc.hu-berlin.de/humboldt-vl/16 ... DF/164.pdf


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