Mel Gibsons Film „The Man without a Face“ (1993)Im AbseitsMel Gibson, spätestens durch „Braveheart“ (1995) und seinen Regie-Oskar ein Begriff, in „Die Passion Christi“ (2004) traditionalistisch-katholisch orientiert, gleichwohl eindrucksvoll, später – bei der Arbeit an „Apokalypto“ (2006) – mit alkoholisierten antisemitischen Ausfällen ins Abseits geratend, 2011 mit der Hauptrolle in „Bieber“ ein präzises Depressions-Psychogramm liefernd,
zeigt in seinem Regiedebüt „Der Mann ohne Gesicht“ („The man without face“) als Regisseur und Hauptdarsteller vielerlei Facetten: Der Hauptakteur ist eine von Schuldgefühlen geplagte Lehrerfigur, obsessiv und charismatisch in der Didaxe von Latein, Mathematik und Geschichte, schwermütig in Operngenuss und im Rezitieren des Aeneis-Proömions:
Musa mihi causas memora quo numine laeso/quidve dolens regina deum tot volvere casus/insignem pietate virum tot adire labores/ impulerit. Tantaene animis caelestibus irae? Ein gescheiterter Lehrer bei aller Zurückgezogenheit und Selbstbestrafung
Anerkennung und Zuneigung und Vergebung suchend,
in der Resignation und im Verzicht Würde gewinnend, ein victus victor.
Der Regisseur - ein leidenschaftlicher Liebhaber und Inszenator des Melodrams.
KonturenEin paar Details seien näher dargestellt, sie fokussieren auch Möglichkeiten der Unterrichtsbehandlung (sei es in Latein, sei es in Ethik, sei es in Deutsch, sei es in einem entsprechenden W-Seminar):
Der Plot ist von zwei Hauptfiguren bestimmt und entfaltet ein komplexes Lehrer-Schüler-Verhältnis: Justin McLeod, ehemaliger Lehrer für Mathematik und Latein, lebt verbittert und einsam in einem düsteren hitchcock-artigen Haus an der Küste von Maine. Eine seiner Gesichtshälften ist vernarbt, entstellt; die Narben stammen von einem Autounfall, bei dem seine Frau und ein Schüler ums Leben kamen. Er quittierte von Schuldgefühlen gequält den Schuldienst und arbeitet nun als Künstler und Illustrator fast ohne Kontakt zur Außenwelt.
Parallel dazu die Geschichte des zwölfjährigen Chuck, eines etwas verträumten Jungen, den zweierlei quält: Er hat keinen Vater mehr. Und die Aufnahmeprüfung in ein militärisches Eliteinternat hat er nicht bestanden.
Die beiden Erzählstränge kreuzen sich. Denn zögernd, sehr zögernd nähern sich Chuck und Justin einander an: McLeod gibt dem Jungen Nachhilfeunterricht in Mathematik, Latein, Literatur und Aufsatztechnik, damit er sich schulisch und im wirklichen Leben behaupten kann. Dabei erfährt der harte, energische, verbitterte Ex-Lehrer („Disce aut discede“, knurrt er Chuck an, „lerne oder hau´ ab.“), wie sehr es ihm selbst hilft, dem Jungen zu helfen und in dem mitmenschlichen Kontakt das zu erleben, was er sich bisher versagt hat: „A stage, where every man must play a part. And mine a sad one.“
Ein seltsam anrührendes und bei aller Affektstimulierung gar nicht holzschnittartiges Familienmelodram:
- Der Schüler Chuck - zuerst Versager, dann erfolgreich.
- Zunächst voller Härte, dann seine weiche Seite zulassend - der Lehrer Justin McLeod.
Anregungen- der Anfangstraum/Exposition: Erste Vermutungen zu dem Innenleben der Hauptfigur Chuck und das Ende des Filmes: die Erzählklammer
Chuck Norstadt: It was a good dream, my best one. Everything was perfect. My mother was proud of her son's wings. My half-sister, Meg, lost her braces. My other half-sister, Gloria, had realized my intellectual superiority and was quietly respectful to me. My stepfathers were slaves, captured in battle. And there was a WAC by my side, not too bright, not too loud, hugely attractive. It's a good dream: a "John Wayne meets Hugh Hefner" philosophy of life... if you consider Hef a philosopher... or John Wayne. But whatever the dream, there's always a face that I can't see, that I keep missing, out there beyond the edge of the crowd. »
Chuck at age 17: But there's always a face before me now, somewhere out beyond the edge of the crowd.
- Was verrät das Haus (Inneneinrichtung: Standuhr, Inschrift mit Aeneis-Exposition) über Mc Leod?
- (Erstes Drittel des Filmes: nach 35 Minuten)
- die Vergangenheit Mc Leods und seine Lehrtechniken (nach 40 Minuten des Filmes)
- Das Doppelgesicht Mc Leods oder der Schüler Chuck als "Förderer" des Lehrers ( nach 65 Minuten des Filmes)
- Konfiguration, Familie und die Vaterrolle (zusammenfassende Skizze nach dem Ende des Filmes)
- der Anfangstraum/Exposition: die ersten Vermutungen zu Chucks Anfangstraum und das Ende des Filmes: die Erzählklammer
- filminterne Hinweise auf die Gattung und die Selbstdeutung des Filmes: "komisch" im Sinn von "Ha ha" oder im Sinn von "abweichend",
"Familienmelodram" .....
- Szene Disce aut discede:
Justin McLeod: Now, I'd like you to write an essay. Any topic you'd like.
Chuck Norstadt: Why? It's not on the exam.
Justin McLeod: Why did you come here? Quickly, don't think, just answer. Why?
Chuck Norstadt: For s-some help, you know.
Justin McLeod: No, I don't know. Do you want help or not?
Chuck Norstadt: Yeah, I guess so, if you're really a teacher.
Justin McLeod: "Yeah, I guess so", SIR.
Chuck Norstadt: Yes, I guess so, sir.
Justin McLeod: Good. This is the way it works. Aut disce aut discede - learn or leave. Because it's of no consequence to me, one way or the other. Understood?
- Szene Der Troll als Selbstbild
Justin McLeod: I like privacy.
Chuck Norstadt: Yeah, well, um, what about living alone? Do you like that?
Justin McLeod: It likes me.
Chuck Norstadt: What do you mean?
Justin McLeod: I've become a proper fairy-tale troll here, Norstadt. Tourist board ought to pay me.
- Justins Abschiedsbrief
McLeod: You gave me what I never expected to find again. A gift of your trust and love. And nothing can take that grace away. The best is yet to be, Norstadt. So do it well..