Mittelhochdeutsches Vokabelquiz

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Mittelhochdeutsches Vokabelquiz

Beitragvon Neni » Sa 19. Apr 2008, 15:23

Hallo :-),

ich benötige einmal mehr eure Hilfe beim Übersetzen aus dem Mittelhochdeutschen. Es dreht sich um die Einstiegslektüre Parzival von W. v. Eschenbach und ich komme mit meinem auf Sprachgefühlfragmenten aufgebauten Vokabelratesystem und anschließender Befragung des Lexers an einigen Stellen schlichtweg nicht weiter. Es handelt sich um die Passagen 55,17-30 und 56,25-57,28.


Es geht hier um einen Brief des Mannes an die Frau, die nicht seinen Glauben teilt. Er wünscht sich deshalb ihre Taufe:

"waer dîn ordn in mîner ê,
sô waer mir immer nâch dir wê.
werde unser zweier kindelîn
anme antlütze einem man gelîch,
deiswâr der wirt ellens rich."


"ordn". Ist damit eine Art "Glaubensordnung" gemeint?
Ich weiß mich nicht recht auszudrücken, "ê" hätte ich als Bund der Ehe gedeutet. Lachmann übersetzt folgendermaßen: "Wenn du meinen Glauben hättest". Wie ist das wörtlich zu verstehen?

Wenn unser beider Kindelein
in seinem Aussehen ein Mann wird,
er wäre besonders edel.

"anme" habe ich im Wörterbuch nicht gefunden,
ebenso kann ich "deiswâr" nicht bestimmen.
----------------------------------------------------------------

Mittlerweile ist sie bereit, sich taufen zu lassen (außerdem ist sie schwanger).


"des engerte se keinen wandel niht.
der jâmer gap ir herzen wîc.
ir freude vant den dürren zwîc,
als noch diu turteltûbe tuot.
diu het ie den selben muot:
swenne ir an trûtscheft gebrast,
ir triwe kôs den dürren ast."



Lachmanns Übersetzung: "Sie wollte es auch nicht anders"
"engerte": Wie heißt der Infinitiv?

Der Kummer brachte ihr Herz ins Wanken,
ihre Freude fand den dürren Zweig,
wie es auch die Turteltaube macht.
Diese hat zu jeder Zeit das gleiche Betragen:
Wenn ihr ihre Liebschaft (fehlt),
(sucht/findet) sie aus Treue den dürren Ast.

"gebrast" - wie heißt der Infinitiv und was bedeutet das?
"kôs" - kann ich ebenfalls nicht identifizieren. Kenne ich nur als Kuss?

Wie ist die Tauben-Metapher zu verstehen?
-------------------------------------------------------


Das Kindlein ist nun geboren:

"diu küngîn kust in sunder twâl
vil dicke an siniu blanken mâl."


Die Königin küsst innig
die weißen Male/Stellen.

"sunder twâl" "sich besonders aufhaltend"?? Klingt doch etwas bescheuert *g* wie ist "twâl" zu deuten?


Vielleicht kann mir jemand weiterhelfen.

Dankeschön,
Neni[/i]
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Beitragvon Lord Piergeiron » Di 29. Apr 2008, 00:48

Hi Neni,

evtl. ne Anmerkung aus meinem Nibelungenlied:

orden (stm.) = Religion,

Zum Infinitiv:

Vielleicht: (ge)geren ? (begehren / wollen) ?

http://books.google.de/books?id=wBwrTZu ... pZ18&hl=de

nr. 2:

gebrast => gebresten => mangeln ?

http://books.google.de/books?id=RGICAAA ... ast%22&lr=

kos weiß ich nicht, bzw. find ich nicht,

sunder = besonders (adv.) (aus: Nibelungen)

twal weiß ich auch nicht :-)

aber dieser Link:

http://books.google.de/books?id=e5FAA44 ... j_Nw&hl=de

(„Verzögerung“ oder dgl.): Sie nimmt sich für jede Stelle anscheinend viel Zeit.

Tauben-Metaphern sagen mir momentan nicht viel, kann mich nicht in diese GEFÜHLSWELTEN hineindenken - *g*

Vale erst mal, + greetings from: Lord !
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Beitragvon Lord Piergeiron » Di 29. Apr 2008, 22:14

Hee Nen,

hab doch noch n Nachtrag zum "kos":

Guck doch mal im Wörterbuch bei den Formen von kiesen / kiusen nach (etwa sowas wie: "auswählen" "aussuchen" könnte da evtl. stehen.

(kos => imperf.)

pls. check..

vale - Lord.
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Beitragvon Neni » Do 1. Mai 2008, 13:58

bisou! :wink:

ich glaube inzwischen herausgefunden zu haben, dass es mit der taube so gemeint war:

entweder, was eher unwahrscheinlich wäre, ist es folgendermaßen:
eigentlich ertrinkt die frau nahezu in ihrem (selbstmit)leid, doch GOTT SEI DANK wird ihr bald darauf ein sohn geboren, der ihr (gleich einem dünnen zweig der taube) ein rettendes ufer bietet --> emotionale rettung *g*

oooder, was mir plausibler vorkommt, folgendermaßen:
sie ist einerseits zu tode betrübt, immerhin ist ihr mann weg. andererseits ist sie ein so überragend holdes weib, dass sie aus TREUE doch den letzten funken lebenskraft in sich zusammenkratzt und somit aus lauter starre nicht aus kummer stirbt. *g* (ich wurde auf die mittelalterliche tierkunde aufmerksam: die verwitwete
turteltaube setzt sich trauernd auf einen ast)

jetzt darfst du es dir aussuchen :-)

zu "waer dîn ordn in mîner ê" ê=êwe (recht, gesetz, glauben), also: wäre deine art nach meiner glaubenssitte (was immer noch einfach im nhd nicht gut klingt, aber das war auch nicht die intention, daher ist es mir jetzt egal :-) )

kiusen dürfte sinngemäß stimmen!


gut. dann kann ich mich jetzt zu meiner nächsten wohl ebenso problematischen übersetzung aufmachen (ich DENKE teilweilse schon mittelhochdeutsch. krank *g*)
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Beitragvon Lord Piergeiron » Do 1. Mai 2008, 23:17

vil edel magedin, :D

lasst hören, was die alten maeren sonst noch so verkünden ;-)

Bin gespannt. (Also bei diesem Tauben-Zeug weißt Du bestimmt selbst an besten, was sich für Ideen dahinter verbergen...) .

Ok, cuu - L. -
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Beitragvon Laptop » Fr 2. Mai 2008, 00:23

"diu küngîn kust in sunder twâl
vil dicke an siniu blanken mâl."

Die Königin küsst innig
die weißen Male/Stellen.


Ich verstehe hier:
Die Königin küßt ihn ohne Zögern
mehrmals auf seine weißen Stellen.

Das Kind ist schwarz-weiß gefleckt!
SI·CICERONEM·ÆMVLARIS·VERE·NON·VIVAS (get a life!) OBITER·DICTVM·BREVITAS·DELECTAT (keep it short and simple = kiss)
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Beitragvon Lord Piergeiron » Fr 2. Mai 2008, 01:00

Hi Laptop,

guter Einwand, sunder twal hier als Wendung "ohne Verzug" zu nehmen !

(siehe web-Beleg bei google-books)

Aber schwarz-weiß gefleckt...da glaub ich nicht so recht dran.. .

:-)

Vorstellen könnte ich mir, dass das Kind

- an manchen Stellen schmutzig war, an anderen nicht,

oder, was ich momentan für wahrscheinlicher halte, dass..ein Kleinkind evtl. teilweise in Tücher gewickelt war, aber..an einigen Stellen eben nackt. Und diese Stellen werden -m.E.- geküsst :-)

Vale - Lord !
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Beitragvon Lord Piergeiron » Fr 2. Mai 2008, 01:10

Ah..Kommando zurück:

Laptop hat völlig Recht:

Das Kind IST zweipigmentiert ! Bzw. wird eine solche Beschreibung (und deren Zweck / Beweggrund) hier diskutiert:

http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?i ... 170333.pdf

Greetz, Lord !
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Beitragvon Neni » Fr 2. Mai 2008, 13:53

Die Holde denkt an ihren Ehemaligen, der Weißer war.... :-)
was heißt nun twal?!
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Beitragvon consus » Fr 2. Mai 2008, 17:37

Servus, Neni.
Bin kein Germanist und betrete daher nur höchst ungern die germanistischen Gefilde; habe aber ein uraltes mhd. Wb geerbt (M. Lexer, Lpz 1953) und lese interessiert s.v. twâl: stf. aufenthalt, verzug, säumnis, zögerung. Laptop, der es richtig sieht, würde mir wohl zustimmen, dass sunder twâl dasselbe bedeutet wie das lat. sine mora (ein bisschen Latein muss ja auch hier sein :grins:).
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Beitragvon Neni » Sa 3. Mai 2008, 15:42

aaah, Wissen :D mein uralter Lexer enthält mir diese Information leider vor - da ich nun alles weiß, was ich nicht wusste, bedanke ich mich hiermit ausdrücklich bei allen Helfern ;-) und wünsche ein schönes Wochenende!
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