Italienische Dialekte

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Italienische Dialekte

Beitragvon Pyrrha » Sa 31. Mai 2008, 17:27

Wenn es dir nichts ausmacht, JRW, können wir das Gespräch hier fortsetzen.
Zu den italienischen Dialekten vgl. den Guarracino, den ich irgendwann mal ins Forum "Sprachlich Einzigartiges" gestellt habe. Und dass der Refrain von Funiculì Funiculà eben nicht "Jamba jamba jamba" geht, sondern "jammo, jammo, ncoppa jammo jà", wobei "jammo" ~ "eamus" (das neapolitanische Verb ì/jì ist genau das Lateinische ire) und "'ncoppa" ~ "hoch", "oben", verstehen auch viele nicht. 'Nu juorno sapraggio 'o nnapuletano pur io! :-D
Gerade heute habe ich mir sagen lassen, dass die parmigianische Maske der Commedia dell'Arte auf den schönen Namen Zvrot hört. :shock:
Andererseits bin ich mir nicht sicher, ob die Italiener wirklich so viel mehr Dialekte haben, oder ob eher die Kenntnis der Hochsprache weniger verbreitet ist, vielleicht wegen der späteren Alphabetisierung. Fast jeder deutsche Dialekt ist in Reinform sehr schwer verständlich, aber die Deutschen können ja in der Regel Hochdeutsch, so dass deswegen keine ernsthaften Verständigungsprobleme entstehen, und die reinen Dialekte führen inzwischen ein recht zurückgezogenes Dasein, existieren aber dennoch.
Statte bbuono!
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Beitragvon JRW » So 1. Jun 2008, 12:50

Salve Pyrrha,

man spricht untereinander viel Dialekt in Italien. Man ist offenbar sehr stolz zu einer gewissen Heimatgruppe hinzuzugehören. Aber die Hochsprache können die meisten sehr wohl. Besser als viele Deutsche beim Hochdeutsch...

Man schmunzelt ja nicht umsonst, wenn es in der Fernsehreklame vom Musterländle heißt: Wir können alles, außer Hochdeutsch!

Die Italiener neigen allerdings sehr zum Nuscheln, wie weiland Hans Moser. Terence Hill und Bud Spencer sind ja Italiener. Im Orginal sind sehr schwer verständlich, wenigstens für mich.

Hans Moser verstehen wir, du und ich in den alten Filmen auch heute noch, weil wir eben Deutsche sind. Fast jeder Ausländer -auch wenn er gut deutsch spricht- dürfte an Hans Moser oder Beppo Brehm kläglich scheitern.

Du bist als Lernender ohnehin sehr irritiert. Das Passato Remoto (die älteste Form der abgeschlossenen Vergangenheit) soll angeblich fast nur :smile: noch in der Schriftsprache gebräuchlich sein und im Süden Italiens auch mündlich.

Pustekuchen! Das taucht dauernd auf. Das fu für die so wichtige Form essere ist nicht aus der Welt zu kriegen. Man tut gut daran, wenn man auch diese Vergangenheitsform lernt, sonst versteht man immer nur Bahnhof.

Dante hatte ja den Dialekt von Florenz zur Hochsprache erklärt, was bei uns ja Luther mit dem Dialekt in und um Hannover gemacht hat.

Merkwürdigerweise ist das garnicht so bekannt. Eine Kunde von mir -stammt aus Hannover- wunderte sich bei einem ähnlichen Gesprächsthema beim Abendessen, das man in Hannover gar keinen Dialekt spricht.

Ich wünsche dir und allen anderen im Forum einen schönen Sonntag und natürlich darf das Zitat nicht fehlen, damit wir auch was lernen tun:

:) :) :)

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Herzlichst
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Beitragvon Marcus » So 1. Jun 2008, 18:11

Luther hatte seinerzeit mit Hannover bzw. der dort gesprochenen Sprache wenig bis nichts am Hut. :>
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Beitragvon Pyrrha » So 1. Jun 2008, 18:19

Salve JRW,
dass die Dialekte in Italien offener zu Tage treten als bei uns, ist mir klar, man sehe nur einmal, wie viel dialektale Literatur es gibt. Spontan fallen mir da Basile (lu cunto de li cunti bzw. Pentameron) und verschiedene Lieder ein, wobei ich zugeben muss, dass Norditalien bei mir unterrepräsentiert ist. Selbst das berühmte "'O sole mio" ist Dialekt. Überhaupt stimme ich dir zu, dass der Lokalpatriotismus in Italien stärker ausgeprägt ist als bei uns, ich sehe das sogar an mir selber, wie ich es nicht leiden kann, wenn mir jemand schlecht über Neapel spricht.
Das mit dem Nuscheln ist richtig; mir passiert es immer wieder, dass ich Leute nicht gut verstehe.

Was das Passato rimoto betrifft, habe ich mir von Neapolitanern sagen lassen, dass es dort nicht gebraucht werde, weiter im Süden, in Kalabrien, da ja, aber in Neapel nicht. Fakt ist, dass es die Erzählvergangenheit in der italienischen Sprache ist und deswegen in Büchern und in historischem Kontext Pflicht ist.
Der Gebrauch ist mir klarer geworden, als ich versucht habe, die Tempusfunktionen der deutschen Vergangenheitstempora zu entwirren (Achtung, das sind meine Vermutungen, ohne Belege!): Demnach hat unser Präteritum zwei Rollen, die bei den Italienern das Imperfetto und das Passato Rimoto übernehmen, während unser Perfekt weitgehend dem Passato Prossimo entspricht. Folglich müsste man Passato Rimoto überall dort verwenden, wo man im Deutschen das Präteritum nehmen würde und man das Imperfekt ausschließen kann. Ähnlich ist es ja auch bei uns, dass wir in der Schriftsprache das Präteritum öfter brauchen als mündlich.

In und um Hannover gibt es natürlich einen Dialekt: die dortige Variante des Plattdeutschen. Das Niederdeutsche sollte man in Deutschland nicht unter den Tisch kehren: Fakt ist, dass Deutschland lange Zeit geradezu zweisprachig war, nicht umsonst haben verschiedene Autoren zwischen Germania superior und inferior unterschieden. Hat nicht Luther die sächsische Kanzleisprache benutzt? Dass bei Hannover heute das reinste Hochdeutsch gesprochen wird, würde ich eher auf den Rückgang des Niederdeutschen zurückführen, zu Luthers Zeiten sah das ganz anders aus.

Gruß, Pyrrha.
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Italienische Vergangenheiten

Beitragvon JRW » So 1. Jun 2008, 19:13

Pyrrha,

sie sagen immer wieder, dass sie das Passato Remoto nicht oder kaum benutzen. Das stimmt aber nicht. Von Nord bis Süd kannst du die Zeitungslandschaft durchforsten oder die Fernsehsendungen, dir begegnet das Passato Remoto noch und nöcher.

Das Passato Prossimo (nächste Vergangenheit) wird hauptsächlich für Geschehnisse benutzt, die innerhalb der letzten 24 Stunden geschehen sind.

Das Imperfetto steht für Geschehnisse die vorher gewesen sind.

Das Passato Remoto für Dinge, die schon lange her sind und abgeschlossen sind.

Für jede Zeitform gibt es aber noch ein Trapassato, eine Zwischenvergangenheit die immer mit sein oder haben gebildet wird. Auch für das deutsche Plusquamberfekt gibt eine Form.

Daneben gibt es noch Vergangenheitsformen die mit dem Gerundio Passato gebilldet werden. Aufs Englische bezogen eine Verlaufsform der Vergangenheit.

An dieser Zeitenbildung kann man sich Lernender die Zähne ausbeißen. Keine einfache Sache, aber sie gehört eben zu einem gepflegtem Italienisch, obwohl man auch verstanden wird, wenn man die falsche Zeit gewählt hat.

Es ist halt nur eleganter es richtig zu machen! :)

Tschüs!

JRW :)
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Beitragvon Pyrrha » So 1. Jun 2008, 20:03

JWR,
Ich weiß, dass es benutzt wird und dass man es können muss. Das ist doch ähnlich, wie man in Deutschland hört, dass wir das Präteritum nicht benutzen würden, was ebenso falsch ist. Ich sagte doch: Erzähltempus. :-D
Im Neapolitanischen ist die Bildung übrigens recht regelmäßig bei Verben auf -à mit -aje, sonst -ette, alles andere habe ich nur in älteren Texten gefunden, im Guarracino etwa steht disse neben ricette=dicette und fece neben facette.
Schönen Abend noch!
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Beitragvon JRW » Mo 2. Jun 2008, 06:02

Schamschi Adad V hat geschrieben:Luther hatte seinerzeit mit Hannover bzw. der dort gesprochenen Sprache wenig bis nichts am Hut. :>


Schamschi Adad V,

wenn man es ganz genau nimmt, hast du natürlich recht.

Es war eigentlich umgekehrt. Luther hatte seine Bibel in einem eigenen Luther-Deutsch verfasst, das allerdings in Hannover Wurzeln schlug und in weiten Teilen mit dem dortigen Dialekt verschmolz.

Da war ich etwas zu oberflächlich und ungenau. Prinzipiell stimmt das aber so.

Grüße
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Beitragvon Pyrrha » Mo 2. Jun 2008, 10:42

Dann sind wir uns ja jetzt einig darüber!
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