Moderatoren: Zythophilus, marcus03, Tiberis, ille ego qui, consus, e-latein: Team
Apollonios hat geschrieben:RM hat geschrieben:Der formale Aspekt stört mich dabei eigentlich wenig. Da könnten wir auch ein paar Gedichte von Goethe lesen und würden ungefähr dasselbe finden.
Nun, das ist kein Argument. Ein schlechtes Gedicht bleibt auch dann ein schlechtes Gedicht, wenn andere auch schon schlechte Gedichte schrieben. Wenn es ein Aufsatz wäre, könnte man bei klarem Inhalt über kleine Formfehler hinwegsehen. Aber ein Gedicht will immer kunstvoll in Form gebrachte Sprache sein. Formale Schludrigkeit im Gedicht ist eine Zumutung.
Und was den Zeitraum angeht: Findest Du auch, wir haben den Arabern gegenüber eine tiefe Dankesschuld, die uns jetzt zur Hilfe verpflichtet - wegen der Zahlen und der Medizin? Versteh mich recht, ich finde durchaus, daß man hilfsbedürftigen Ländern nach Kräften helfen soll. Aber zum einen nicht über die eigenen Kräfte hinaus, zum andern nicht ohne Sinn und Verstand. Also erst zuschauen, daß das Faß keine Löcher hat, eh man etwas hineinkippt.
RM hat geschrieben:Der Kernaussage, nämlich Griechenland in Europa und im Euro zu halten, ohne ihm die Luft zum Atmen zu nehmen, kann ich auf jeden Fall zustimmen.
Longipes hat geschrieben:Was soll denn diese »Liste der Kulturnationen« darstellen? Ist das so eine Art Club für Gebiete, auf denen irgendwann einmal Dinge getan wurden, die wir als »kulturelle Leistungen« verbuchen? Kann man also ohne weitere Querelen Staaten aus der EU werfen, die nicht zu diesem Club gehören?
Longipes hat geschrieben:Das alte Griechenland war nicht nur für Philosophie, Demokratie und die Olympischen Spiele bekannt, sondern auch für andauernde blutige Bürgerkriege. Gehört das auch zu den kulturellen Leistungen?
Zythophilus hat geschrieben: Es ist die Kombination aus den kleinen Betrügereien und der großen Korruption sowie der Glaube, alles würde sich schlagartig ändern, wenn einmal der Euro da wäre.
Wäre der Euro nicht gekommen und hätte die EU keine Zahlungen geleistet, dann wäre Griechenland zwar nicht weniger korrupt, könnte aber als billiges Urlaubsland punkten und könnte durch wiederkehrende Abwertung der Währung auch die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft stärken.
Europas Schande
Dem Chaos nah, weil dem Markt nicht gerecht,
bist fern Du dem Land, das die Wiege Dir lieh.
Was mit der Seele gesucht, gefunden Dir galt,
wird abgetan nun, unter Schrottwert taxiert.
Als Schuldner nackt an den Pranger gestellt, leidet ein Land,
dem Dank zu schulden Dir Redensart war.
Zur Armut verurteiltes Land, dessen Reichtum
gepflegt Museen schmückt: von Dir gehütete Beute.
Die mit der Waffen Gewalt das inselgesegnete Land
heimgesucht, trugen zur Uniform Hölderlin im Tornister.
Kaum noch geduldetes Land, dessen Obristen von Dir
einst als Bündnispartner geduldet wurden.
Rechtloses Land, dem der Rechthaber Macht
den Gürtel enger und enger schnallt.
Dir trotzend trägt Antigone Schwarz und landesweit
kleidet Trauer das Volk, dessen Gast Du gewesen.
Außer Landes jedoch hat dem Krösus verwandtes Gefolge
alles, was gülden glänzt gehortet in Deinen Tresoren.
Sauf endlich, sauf! schreien der Kommissare Claqueure,
doch zornig gibt Sokrates Dir den Becher randvoll zurück.
Verfluchen im Chor, was eigen Dir ist, werden die Götter,
deren Olymp zu enteignen Dein Wille verlangt.
Geistlos verkümmern wirst Du ohne das Land,
dessen Geist Dich, Europa, erdachte.
Wie schon zuvor in Was gesagt werden muss springt Grass in unregelmäßigen Versen und freien Rhythmen umher, baut sich selbst eine strenge Form auf, nur um sich immer wieder aus dieser zu befreien. Am ehesten erinnern die streng voneinander separierten Verspaare an Distichen, die teilweise auch in der traditionellen, strengen Form in dem prosaischen Gedicht auftauchen.
In der zweiten Strophe finden wir so zum Beispiel einen ganz klassischen Distichon, bestehend aus einem Hexameter im ersten und einem Pentameter im zweiten Vers:
Was mit der Seele gesucht, gefunden Dir galt,
wird abgetan nun, unter Schrottwert taxiert.
http://seite360.de/2012/05/26/gunter-gr ... e-analyse/
dass sich Grass in seinem Gedicht des Versmaßes der asklepiadischen Ode bedient (und dies sehr souverän), dass er sich gleich in der zweiten Strophe elegant auf Goethes Iphigenie bezieht und nebenbei noch mit der deutschnationalen Hölderlin-Rezeption der konservativen Revolution ins Gericht geht: All das entgeht offensichtlich nicht nur den sich betont bildungsfern gebenden Digital Natives.
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/ ... n/1771084/
Mal ehrlich, trotz meiner gelegentlichen Sympathien für die Inhalte, von der Metrik versteht der Günter Grass nicht allzu viel. Das klappert und klöppelt durch die Bottnik, bis man das intendierte Gedicht nur am Zeilenumbruch noch erkennt:
Als Schúldner náckt an den Pránger gestéllt,
léidet ein Lánd, dem Dánk zu schúlden DÃr Rédensárt wár. …
Sáuf endlich, sáuf! schréien der Kómmissáre Claquéure,
doch zórnig gÃbt Sókrates DÃr den Bécher rándvoll zurúeck.
-/-/- -/- -/
/- -/-/-/-//-//
/- -//- -/-/- -/-
-/-//- -/-/-/- -/
Mit Verlaub – ein Gedicht weist sich nicht dadurch aus, dass keine Strophe der nächsten gleicht. Anders ausgedrückt: Die Prosa bleibe dein Revier. Doppelhebungen jedenfalls waren weder im 18. noch im 21. Jahrhundert erlaubt, weil sie nachweislich zur Schnappatmung führen. Oder man landet ersatzweise mit der Hebung auf eher sinnentleerten Silben wie z.B. hier dem ‘war’. Dann klingt’s wie ‘Erstklässler lesen den Erlkönig’ …
http://www.stilstand.de/grasses-versmas/
Distichon, falls hier nicht ein Abschreibfehler vorliegt.einen
Zurück zu Sonstige Diskussionen
Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 48 Gäste