Ars versus scientia

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Re: Die Koryphäe

Beitragvon Brakbekl » Sa 3. Nov 2012, 22:05

... Die Ironie der Geschichte lag ja darin, dass das nztl. Weltbild Galileis platonischer war als es sich die traditionalistischen Platoniker vorgestellt hatten, ein Triumph der Ratio, die Gravitation als universales Prinzip.

OK, besonders Galileis Festhalten an der idealen (platonischen) Kreisbahn gegen Keplers Ellipsen, auch seine Spären (Gravitation erst bei Newton), die sich bewegten, das ist alles Plato.

Es hat aber zu Zeiten Osianders sicherlich eine Koryphäe gegeben,

Diese hat es nicht gegeben, du musst erkennen, Osiander gibt hier wieder, was der Mainstream in Antike und Ma. war,
... dann ist eben die strikte Unterscheidung zwischen Wissenschaft und Ars, wie Schröder sie postuliert falsch, was ich vermutet habe, und wie sich auch aus dem weiteren Gebrauch der Begriffe im Vorwort Osianders es ergibt...
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Re: Ars versus scientia

Beitragvon RM » So 4. Nov 2012, 10:02

Im Verhältnis von Kepler und Galilei, die ja Zeitgenossen waren, muss man sehr genau auf die zeitliche Abfolge achten. So verwundert es nicht, dass Galilei Kreisbahnen annahm - mit Plato hatte das nur so viel zu tun, als dass man in der Naturwissenschaft ältere Annahmen nur verwirft, wenn man Beweise hat, dass sie falsch sind. Wie weit und wann also die Astronomia Nova in Galileis Arbeit eingeflossen ist, wäre hier zu klären.
Was jetzt Osiander und Schröder betrifft, so überinterpretiert Schröder die Worte Osianders, indem er das Ganze in diesem Absatz weitaus negativer formuliert, als es gemeint ist.

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Re: Ars versus scientia

Beitragvon Prudentius » So 4. Nov 2012, 11:48

Erkenntnistheorie ist eine ganz alte Disziplin, auch wenn sie nicht immer so hieß.


Der Terminus kam mit Kants "kopernikanischer Wende des Philosophie" auf, bis dahin verstand man Erkenntinis überwiegend mit dem Blick auf den Objektbereich, Kant kehrte die Blickrichtung um und fragte, was für ein Anteil an der "Erfahrung" auf das Konto der Subjektseite, des erkennenden Geistes, ging; und er fand viel: die "reinen Anschauungsformen Raum und Zeit", die Kategorien des Aristoteles, die man bisher zur Objektsseite gerechnet hatte, überhaupt "Begriffe" und "Unterscheidungen". Seitdem ist die Erkenntnistheorie zum Hauptteil der Philosophie geworden, sie hat eigentlich die frühere Metaphysik ersetzt.

Zur Unterscheidung Kunst / Wissenschaft: vllt. sollte man auch eine andere Perspektive betrachten: Umstritten war damals eine vermeintliche Trennungslinie durch die Welt: um uns herum die sinnliche Welt, flüchtig, vergänglich, undeutlich, unerlöst; der Mensch sollte sie hinter sich lassen; die Mondsphäre mit ihrer beispielhaften Wechselhaftigkeit stelle eine Grenze dar, jenseits derer die göttliche Sphäre des Ewigen, Unveränderlichen, Göttlichen begann, erst mit den 7 Planetensphären und dann mit dem göttlichen Äther. Die obere Sphäre erschließe sich dem Wissen im Sinne von Platons Timaios, die untere unbedeutende sei die Sache der bloßen techne, ars.
Da war dann Galilei störend, indem er die Leute ans Teleskop lud, um Juppitermonde zu betrachten, sowie Kopernikus mit Planetenbahnenberechnungen, die nicht ins System passten.

Galilei vor der Inquisition: die Uni Padua unterstand ja der Republik Venedig, da musste der Papst lavieren, musste Rücksicht nehmen, sie besaßen ja eine einsatzfähige Flotte, auf die war er mit seinem Kirchenstaat angewiesen.
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Re: Ars versus scientia

Beitragvon RM » So 4. Nov 2012, 14:11

Das mit Galileis Teleskop und dem, was man damit zu sehen bekam, störte erst einmal niemanden. Es gab ja auch sehr nützliche Anwendungen dafür. Störend war bei Galilei etwas anderes: dass er z.B. kirchliche Auflagen für das Imprimatur des Dialogo einfach missachtete und damit versuchte, die Zensurbehörde zu umgehen. Es störte die Kirche z.B. auch, dass Galilei nicht auf Latein veröffentlichte, sondern auf Italienisch, so dass es jeder lesen konnte, bevor es vorab von anderen Wissenschaftlern überprüft worden wäre. Er war da übrigens gar nicht mehr in Padua, sondern in Florenz, wo der Kirchenstaat bessere Einfgriffsmöglichkeiten hatte.

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Re: Zensur

Beitragvon Prudentius » Di 6. Nov 2012, 09:00

Beim Googeln habe ich mich gewundert, die Inquisition ist gar nicht von sich aus gegen Galilei eingeschritten, sie musste von außen angestoßen werden, erst ein halbes Jahr nach Erscheinen von Galileis umstrittener Schrift 1632 hat ein unseliger P. Riccardi durch eine Eingabe beim Inquisitor von Florenz den Stein ins Rollen gebracht und die schlafenden Hunde aufgeweckt. Es war ja die Zeit der Gegenreformation, mitten im 30-j. Krieg, vielleicht lag auch die astronomische Fachliteratur außerhalb des Blickwinkels, vielleicht hat auch der Inquisitor nur das Register überflogen, auf der Suche nach Stichwörtern wie "Rechtfertigung" oder "Papstprimat". Galilei hat ja nicht geschrieben, dass die Kirche ein falsches Weltbild habe, aber P. Riccardi hat sicher darauf hingewiesen, dass man das erschließen musste.

P. :)
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