Schillernde Frage

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Schillernde Frage

Beitragvon Brakbekl » Di 9. Apr 2013, 21:20

Hallo,

immer wieder hörenswert: http://www.youtube.com/watch?v=X6s6YKlTpfw

Kann mir jemand erklären, wie Schiller auf diese Aussagen in den fetten Lettern verfiel, und was sie bedeuten sollen im Kontext. Manchmal hab ich ein Brett vor dem Kopf, so wohl auch jetzt.

Freude trinken alle Wesen
An den Brüsten der Natur;
Alle Guten, alle Bösen
Folgen ihrer Rosenspur.

Küsse gab sie uns und Reben,
Einen Freund, geprüft im Tod;
Wollust ward dem Wurm gegeben,
Und der Cherub steht vor Gott.


Danke für die Interpretationshilfe
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Re: Schillernde Frage

Beitragvon Zythophilus » Di 9. Apr 2013, 22:39

Die beiden Wesen, die Schiller hier nennt, sollen m.E. die ganze Bandbreite der der Wesen - "alle Wesen" werden anfangs genannt - anhand zweier Extreme darstellen. Der Cherub, der vor Gott steht (natürl. ein bibl. Motiv), steht für ein ganz erhabenes Wesen, der Wurm für ein ganz niedriges.
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Re: Schillernde Frage

Beitragvon Prudentius » Mi 10. Apr 2013, 09:07

Er deutet also eine Stufung von Geschöpfen an und weist ihnen abgestufte Freuden zu, von der niedrigen Wollust bis zur Gottesschau.
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Re: Schillernde Frage

Beitragvon Brakbekl » Mi 10. Apr 2013, 10:04

Prudentius hat geschrieben:Er deutet also eine Stufung von Geschöpfen an und weist ihnen abgestufte Freuden zu, von der niedrigen Wollust bis zur Gottesschau.


Vielen Dank, Ihr beiden.
Klingt nicht schlecht, aber warum nimmt er nicht den Seraph? Hat der Cherub eine besondere Verbindung zur Freude? Und wer ist mit dem Freund, geprüft im Tod gemeint? Doch wohl nicht Christus, oder?
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Re: Schillernde Frage

Beitragvon Prudentius » Mi 10. Apr 2013, 16:33

Ich weiß nicht, ob die Cherubim und Seraphim überhaupt unterschieden werden, sie treten ja gewöhnlich im Plural auf.

Reben: die Freuden des Weins; der Freund, das dürfte Christus sein, er steht hier für die christlich-spirituelle Freude des Erlöstseins.
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Re: Schillernde Frage

Beitragvon Brakbekl » Mi 10. Apr 2013, 18:06

Prudentius hat geschrieben:Reben: die Freuden des Weins;


Naja, Prudentius, Reben konnt ich grad noch selber deuten :wink:

Aber Du mußt zugeben, die anderen Dinge sind heute nicht mehr selbstverständlich. Der Hintergrund hat sich geändert.. und es klingt auch irgendwie komisch nach dem Worte Wurm das Wort Cherub zu hören. Übrigens heißt wollüstig bei den Ungarn wermes(ch) - was sich irgendwie von Wurm ableitet.

Vielen Dank nochmals
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Re: Schillernde Frage

Beitragvon Tiberis » Do 11. Apr 2013, 00:40

Prudentius hat geschrieben:der Freund, das dürfte Christus sein


einen Christusbezug kann ich hier beim besten willen nicht erkennen.
ein solcher wäre in einem auftragswerk für eine freimaurerloge auch irgendwie deplaziert . :D
nein: aus dem zusammenhang wird schnell klar, dass es hier um wahre freundschaft geht, um einen freund, der bereit ist, für den freund auch sein leben einzusetzen. (vgl. "die bürgschaft")
dieser bezug auf die großen "gaben" der freude (freundschaft und liebe) findet sich ja schon weiter oben im gedicht:

Wem der große Wurf gelungen,
Eines Freundes Freund zu seyn,
Wer ein holdes Weib errungen,
Mische seinen Jubel ein!

und wird wieder aufgenommen in der dritten strophe:

Freude trinken alle Wesen
An den Brüsten der Natur;
Alle Guten, alle Bösen
Folgen ihrer Rosenspur.
Küsse gab sie uns und Reben,
Einen Freund, geprüft im Tod;
ego sum medio quem flumine cernis,
stringentem ripas et pinguia culta secantem,
caeruleus Thybris, caelo gratissimus amnis
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Re: Schillernde Frage

Beitragvon Prudentius » Do 11. Apr 2013, 17:06

Hallo Tiberis,

wohin deuten die Andeutungen? Das ist hier die Frage, vielleicht ist es der Freund der "Bürgschaft", aber genau besehen ist der ja nicht im Tod geprüft, sondern vorher, und diese Situation ist auch eine extreme Ausnahme für eine Freundschaft; andererseits ging ja der Einfluss der Freimaurer weit in die Kirchen hinein, es gab hochrangige Sympathisanten unter den Würdenträgern. Wenn Christus hier als Freund dargestellt sein sollte, dann wäre es ja eine freimaurerische Akzentuierung, abweichend von den üblicheren Titeln. Ich finde es deshalb naheliegend, weil ja Schiller auch am Schluss das biblische Motiv des Cherubs bringt, das ist ein übermenschliches Wesen, und das als nächste kommende menschliche Wesen ist der erlöste Mensch. Schiller spannt ja den Bogen weit, er spricht vom Wurm bis zum Cherub, er ist so universal wie das mögliche Vorbild, Lukrezens Hymnus auf Venus am Anfang seines Buches, "Aeneadum genitrix, hominumque divomque voluptas..."

es klingt auch irgendwie komisch nach dem Worte Wurm das Wort Cherub zu hören.


Das ist der weitgespannte Bogen, zuerst sprach er allgemein/abstrakt von "Wesen", jetzt konkretisiert er und nennt die beiden Eckpunkte.
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