Indirekte Rede, Konjunktiv I vs. Konjunktiv II

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Re: Indirekte Rede, Konjunktiv I vs. Konjunktiv II

Beitragvon Prudentius » Di 29. Jul 2014, 20:37

"Der Sprecher/Schreiber des Satzes: "Es gäbe Fortschritte, sagte er", gibt durch den Gebrauch des Konjunktiv II (ungewollt) zu erkennen, dass er selbst nicht an die behaupteten Fortschritte glaubt."

Ich finde es nicht gut, dass ihr den psychologischen Begriff des "Glaubens" in die Grammatik einführen wollt; ihr müsst ja gleich ganze Gruppen ausnehmen: die Schmeichler, Heuchler, Verkäufer, Propagandisten, Verführer, Lügner, ..., alles Leute, die anders reden als sie denken.

Ich hab ja früher schon einmal gemeint, die grammatischen Begriffe müssen aus dem grammatischen System selbst abgeleitet werden können. Dann wäre eine direkte Rede eine Behauptung, die der Sprecher selbst macht, im Indikativ, und indirekte Rede, eine Erzählung von der Behauptung eines anderen, im Konjunktiv.
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Re: Indirekte Rede, Konjunktiv I vs. Konjunktiv II

Beitragvon iurisconsultus » Mi 30. Jul 2014, 09:20

Prudentius hat geschrieben:Ich finde es nicht gut, dass ihr den psychologischen Begriff des "Glaubens" in die Grammatik einführen wollt; ihr müsst ja gleich ganze Gruppen ausnehmen: die Schmeichler, Heuchler, Verkäufer, Propagandisten, Verführer, Lügner, ..., alles Leute, die anders reden als sie denken.


Es kommt nicht auf die Perspektive eines (unredlichen) Erklärenden, sondern auf die Perspektive eines redlichen Erklärungsempfängers an. Solange dessen Sprachgefühl zwischen Indikativ, Konjunktiv I und II differenziert, macht es einen Unterschied, ob wir gibt, gebe oder gäbe schreiben.
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Re: Indirekte Rede, Konjunktiv I vs. Konjunktiv II

Beitragvon cultor linguarum antiquarum » Mi 30. Jul 2014, 10:43

Sic est.
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Re: Indirekte Rede, Konjunktiv I vs. Konjunktiv II

Beitragvon cultor linguarum antiquarum » Mo 4. Aug 2014, 11:37

Übrigens: Duden-Online hat es korrigiert. Kommentarlos, ohne Antwort an mich. Das nenne ich doch einmal Freundlichkeit...
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Re: Indirekte Rede, Konjunktiv I vs. Konjunktiv II

Beitragvon RM » Mo 4. Aug 2014, 18:53

Na, dann hat doch dieser Thread in der Welt da draußen wenigstens eine positive Wirkung entfaltet.

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Re: Indirekte Rede, Konjunktiv I vs. Konjunktiv II

Beitragvon cultor linguarum antiquarum » Di 5. Aug 2014, 11:23

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Re: Indirekte Rede, Konjunktiv I vs. Konjunktiv II

Beitragvon Christophorus » Di 5. Aug 2014, 21:49

danke schon einmal für eure zahlreichen und interessanten Beiträge :)


Prudentius hat geschrieben:"lese/läse", "gebe/gäbe", das ist in der gesprochenen Sprache einerlei, lässt sich nicht auseinanderhalten, schon allein wegen regional unterschiedlicher Vokal-Tönungen.



naja, z.B. Politiker und Nachrichtensprecher sollten diese Laute in ihrer Aussprache schon auseinanderhalten können
:shock:
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Re: Indirekte Rede, Konjunktiv I vs. Konjunktiv II

Beitragvon Zythophilus » Di 5. Aug 2014, 21:57

Die Buchstaben "e" und "ä" stehen für dasselbe Phonem. Unterschiede in der Aussprache sind artifiziell und fallen m.E. schon eher in den Bereich des Hyperurbanismus.
Bei einer der letzten Rechtschreibformen wurde wohl unter Bezug darauf die "Gemse" zur "Gämse" u.ä.
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Re: Indirekte Rede, Konjunktiv I vs. Konjunktiv II

Beitragvon cultor linguarum antiquarum » Mi 6. Aug 2014, 12:17

Und das Quentchen zum Quäntchen. So ein Unfug! Genau so wie „belämmert“ und „bläuen“ (im Sinne von „schlagen“). Den Bleuel als Gerät dazu schreibt man aber immer noch mit eu. Vielen Dank, Herr Augst und Co, für diesen Unfug!
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Re: Indirekte Rede, Konjunktiv I vs. Konjunktiv II

Beitragvon iurisconsultus » Mi 6. Aug 2014, 15:47

Zythophilus hat geschrieben:Die Buchstaben "e" und "ä" stehen für dasselbe Phonem. Unterschiede in der Aussprache sind artifiziell und fallen m.E. schon eher in den Bereich des Hyperurbanismus.
Bei einer der letzten Rechtschreibformen wurde wohl unter Bezug darauf die "Gemse" zur "Gämse" u.ä.


Altsprachenfreund hat geschrieben:Und das Quentchen zum Quäntchen. So ein Unfug! Genau so wie „belämmert“ und „bläuen“ (im Sinne von „schlagen“). Den Bleuel als Gerät dazu schreibt man aber immer noch mit eu. Vielen Dank, Herr Augst und Co, für diesen Unfug!


Rechtschreib-Regeln (http://rechtschreibrat.ids-mannheim.de/ ... ln2006.pdf)
§ 13 S 21:

Für kurzes e schreibt man ä statt e, wenn es eine Grundform mit a gibt. Für langes e und langes ä, die in der Aussprache oft nicht unterschieden werden, schreibt man ä, sofern es eine Grundform mit a gibt.


S 7 f:

Die deutsche Rechtschreibung bezieht sich nicht nur auf die Lautung, sondern sie dient auch der grafischen Fixierung von Inhalten der sprachlichen Einheiten. So wird ein Wortstamm möglichst gleich geschrieben, selbst wenn er in unterschiedlicher Umgebung verschieden ausgesprochen wird. Man spricht hier von Stammschreibung oder Schemakonstanz. Diese Schemakonstanz sichert den Lesenden ein rasches Erkennen einzelner Wörter und ihrer "Bausteine".


Warum ist es "Unfug", bei der Schreibung eines Wortes die inhaltliche Verwandtschaft zugrunde zu legen, sodass die richtige Schreibung aus jener verwandter Wörter abgeleitet werden kann? Ich halte das vielmehr für "Fug", mal abgesehen von so mancher Ausnahme, die aber in der Regel nicht die Rechtschreibkommission erfindet, sondern in der Sprachgemeinschaft vorfindet.

Itaque:
Gämse: Gams;
Quäntchen: wird nicht mehr mit Quent, sondern mit Quantum in Verbindung gebracht;
belämmern: wird nicht (mehr) mit dem niederdeutschen Verb belemmern, sondern mit Lamm in Verbindung gebracht;
bläuen: wird nicht (vgl bereits Adelung: bläuen) mit dem althochdeutschen Verb bleuen, sondern mit dem Adjektiv blau in Verbindung gebracht (vgl. die Fügung "jemanden grün und blau schlagen"). Die Ausnahme beim Substantiv ist wohl nicht zu rechtfertigen (vgl bereits Adelung: Bläuel).
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Re: Indirekte Rede, Konjunktiv I vs. Konjunktiv II

Beitragvon cultor linguarum antiquarum » Mi 6. Aug 2014, 16:40

Ob man es als Unfug betrachtet, hängt davon ab, wie sehr man am Stamm hängt. Wenn beide Schreibweisen erlaubt wären, oder wenigstens eine konsequent gölte, gefiele es mir ja schon viel besser, als es jetzt ist. Aber so ist es für mich Unfug. Selbstverständlich gibt es andere Leute, denen es so gefällt. Aber es gibt ja die Meinungsfreiheit, und das ist auch gut so.
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Re: Indirekte Rede, Konjunktiv I vs. Konjunktiv II

Beitragvon iurisconsultus » Mi 6. Aug 2014, 17:29

@ Altsprachenfreund:

Sei mir bitte nicht gram. Meine Worte waren keineswegs als argumenta ad hominem tuum gedacht. Mangels Beleidigung muss ich auch die Meinungsäußerungsfreiheit gar nicht erst als Rechtfertigungsgrund bemühen. ;)

Ich wollte nur darauf hinweisen, dass bei einer lebenden Sprache nicht Philologen, sondern die Sprachgemeinschaft entscheidet, was richtig und was falsch ist. Wenn sie bspw mehrheitlich "bläuen", aber zugleich "Bleuel" schreibt/spricht, was ich freilich nicht überprüft habe und auch nicht überprüfen kann, soll ihnen dann wirklich von der Obrigkeit aufoktroyiert werden, dass sie gefälligst beides an den gleichen Wortstamm anzulehnen haben, weil alles andere inkonsequent ist? Das glaube ich eben nicht und da liegt bei uns, so scheint es, Dissens vor. ;)
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Re: Indirekte Rede, Konjunktiv I vs. Konjunktiv II

Beitragvon cultor linguarum antiquarum » Mi 6. Aug 2014, 18:03

Meiner Erfahrung verwendet der Volksmund vor allem einbleuen/einbläuen, den Rest eher weniger. Vermutlich wurde auch Bleuel von der Reform ausgenommen, da das Wort nicht mehr häufig verwendet wird. Und gram bin ich dir natürlich nicht.
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Re: Indirekte Rede, Konjunktiv I vs. Konjunktiv II

Beitragvon Zythophilus » Mi 6. Aug 2014, 22:55

Konsequent ist die Vorgehensweise nicht. Das Verb "bläuen" hat nichts mit dem Adjektiv "blau" zu tun; die Verbindung wird nur durch eine Volksetymologie hergestellt.
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Re: Indirekte Rede, Konjunktiv I vs. Konjunktiv II

Beitragvon iurisconsultus » Do 7. Aug 2014, 10:51

Für mich ist eine Anpassung an eine bestehende Volksetymologie sehr wohl konsequent, wenn sie denn tatsächlich besteht. Warum sollte man die Sprachgemeinschaft zwingen, Wörter dereinst anders zu schreiben, als sie es in den vergangenen Jahren/Jahrzehnten getan hat? Abzulehnen ist es jedoch, wenn die etymologisch korrekte Schreibweise zugleich als ungültig erklärt wird. Dafür gibt es keinen vernünftigen Grund. Zumindest insoweit besteht wohl Konsens zwischen uns. ;)
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