darauf vergessen

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darauf vergessen

Beitragvon sinemetu » So 5. Okt 2014, 10:24

Hallo,

heute benutzte der Pfarrer (ein Nichtdeutscher) in der Predigt zweimal die Wendung "darauf vergessen". Ich kenne diese überhaupt nicht, meine sie aber schon gehört zu haben anderswo.

Weder hier:

http://wortschatz.uni-leipzig.de/abfrage/

noch hier:

http://www.dwds.de/?view=1&qu=vergessen

find ich sie erwähnt.

Steckt dahinter eine polnische Konstruktion? Aber es hat sich angehört eher wie eine Lesepredigt.
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Re: darauf vergessen

Beitragvon ille ego qui » So 5. Okt 2014, 11:10

hier im Süddeutschen höre ich das gelegentlich
Ille ego, qui quondam gracili modulatus avena
carmen et egressus silvis vicina coegi,
ut quamvis avido parerent arva colono,
gratum opus agricolis, at nunc horrentia Martis
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Re: darauf vergessen

Beitragvon sinemetu » So 5. Okt 2014, 13:50

Es ist ja zu fragen, wie das zu verstehen ist.

Man könnte so einen Satz formulieren: "Zuerst hab ich getankt, dann bin ich bezahlen gegangen und darüber hab ich vergessen, den Tank zuzuschrauben, bin ans Auto und losgefahren."

gemeint wäre hier: währenddessen hab ich vergessen.

Offensichtlich ist hier aber in dieser Formel das Objekt gemeint, auf dem vergessen wird.
Beispiel: "Viele Menschen sind so beschäftigt, zu tun, daß sie darauf vergessen, zu sein!
Hochdeutsch:" Viele Menschen sind so beschäftigt, daß sie zu sein vergessen."


Es könnte sich noch vom Bild eines Geschichtes ableiten:
Ich ging essen, trank einen guten Wein, darauf ging ich zu Bett, und darauf hab ich vergessen einzuschlafen.
Vielleicht wird dies inkriminierte darauf als dann verstanden?
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Re: darauf vergessen

Beitragvon Zythophilus » So 5. Okt 2014, 14:07

Das Verb "vergessen" wird oft mit der Präp. "auf" (+ Akk.) verwendet. Wenn es mit einem Infinitiv verbunden wird, steht folgerichtig häufig "darauf". Das hat nichts mit der Reihenfolge zu tun, ist also hier kein Synonym zu "dann" o.ä.
Mir ist gar nicht bewusst gewesen, dass das "landschaftlich, bes. süddeutsch u. österreichisch" ist, aber der Duden sagt's.
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Re: darauf vergessen

Beitragvon Prudentius » So 5. Okt 2014, 15:30

Im Wolgalied von Franz Lehar heißt es:

...und er klagt,
Und er fragt:
Hast du dort oben vergessen auf mich?
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Re: darauf vergessen

Beitragvon sinemetu » So 5. Okt 2014, 15:35

Kann man das wirklich sagen: "Ich vergaß auf's Mittag essen." statt "Ich vergaß Mittag zu essen." ?
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Re: darauf vergessen

Beitragvon cultor linguarum antiquarum » So 5. Okt 2014, 17:12

Ohne Apostroph vielleicht. Der ist nämlich auf jeden Fall falsch. Es heißt schließlich auch nicht „a'm“ (=an dem). Siehe auch http://www.duden.de/sprachwissen/rechtschreibregeln/apostroph#K14.

Jedenfalls klingt der Satz ungewohnt-falsch.

Als Ursprung dieser Konstruktion vermute ich, dass zu Zeiten, in denen vergessen noch immer mit Genitiv verwandt wurde, die Bayern diesen aber bekanntlich nicht kennen, dies als Ersatzkonstruktion geschaffen wurde.
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Re: darauf vergessen

Beitragvon sinemetu » So 5. Okt 2014, 17:31

eventuell ist es nach wetten gebildet worden, auch hier ein Akkusativ Objekt + auf.

darauf kannst Du wetten - das kannst Du wetten.
darauf kannst Du vergessen. - das kannst Du vergessen.

Mich interessiert primär, welches Bild hinter der Konstruktion steckt.
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Re: darauf vergessen

Beitragvon Prudentius » So 5. Okt 2014, 19:23

Eventuell ist es auch nach achten als Gegensatz gebildet worden: achten auf, vergessen auf.
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Re: darauf vergessen

Beitragvon Zythophilus » So 5. Okt 2014, 21:29

Bei der Wendung "auf etwas wetten" steht m.E. schon dahinter, dass man seinen Wetteinsatz auf eine bestimmte Stelle legt. Da sehe ich keine wirkliche Parallele.
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Re: darauf vergessen

Beitragvon iurisconsultus » Mo 6. Okt 2014, 09:42

Duden, Richtiges und gutes Deutsch, 7. Auflage (2011):
Das Verb vergessen regiert den Akkusativ. Regional und nicht standardsprachlich ist der Anschluss mit an oder auf: Es war sein Bube, auf welchen er völlig vergessen hatte (Doderer).

Das umgangssprachliche vergessen auf ist mit einiger Sicherheit von Verben übernommen worden, die auch in Norddeutschland mit der Präposition auf + Personalpronomen im Akkusativ stehen und daher standardsprachlich sind ;); neben den bereits genannten bpsw noch: zählen auf, verlassen auf. Entsprechend darf man sich die Konstruktion mE nicht bildhaft vorstellen. Das gilt auch für wetten auf jmdn oder etwas: auf einen Boxer wetten, auf Sieg wetten, ...
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Re: darauf vergessen

Beitragvon sinemetu » Mo 6. Okt 2014, 17:50

In welches Jahr fällt denn der Erstnachweis?
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Re: darauf vergessen

Beitragvon iurisconsultus » Mo 6. Okt 2014, 18:45

@sinemetu:
Falls du den Duden-Nachweis ansprichst: Das war leider der einzige. Ich kann dir nur sagen, dass die Konstruktion vergessen auf hier bei uns in Oberösterreich in der Umgangssprache weit verbreitet ist. Erst heute rief mich ein Bekannter an und sagte: "Es duat ma furchtbor lad, oba I hob gestern vor lauter Stress gaunz auf di vergessn!" :D
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Re: darauf vergessen

Beitragvon Zythophilus » Mo 6. Okt 2014, 22:45

In Deutschland ist die Wendung "vergessen auf" nicht standardsprachlich. In Österreich, wo nicht der Duden, sondern das Österr. Wörterbuch maßgeblich ist, ist es neben der Version mit bloßem Akk. sehr wohl standardsprachlich und kommt nicht nur in der Umgangssprache vor.
Die deutlichste Parallele sehe ich in der Wendung "verzichten auf".
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Re: darauf vergessen

Beitragvon iurisconsultus » Mo 6. Okt 2014, 23:08

Zythophilus hat geschrieben:In Österreich, wo nicht der Duden, sondern das Österr. Wörterbuch maßgeblich ist, ist es neben der Version mit bloßem Akk. sehr wohl standardsprachlich

Darf man dafür einen Beleg sehen? Ich habe leider kein Österr. Wörterbuch zur Hand.
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