verwegen

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verwegen

Beitragvon sinemetu » Di 16. Dez 2014, 11:01

Hallo,

es ist allgemein einsichtig, daß die deutschen Worte etwas wagen und der Wagen letztlich Stammderivate zu Weg sind, oder umgekehrt. Der Wagen bewegt sich auf dem Weg. Und ein neuer Weg ist immer ein Wagnis. Die Waage ist dann nur noch eine orthographische Version zu Wagen, denn sie ist ungefähr als Sache genauso uralt und die Woge hat mit den Wegen gemein, daß sie auf und ab geht.* Man kann also einen semantischen Kern um die Bikonsonanz (WG) postulieren mit der weitgefassten Bedeutung (Bewegung)

Jetzt die Frage: Das Adjektiv verwegen für etwas kühn oder zu mutig - stellt sich diese eher zu Weg, oder zum Verbum wagen? Woher wird es abgeleitet? Ist es rückgelautet vom Stamm wagen, wie wagemutig, also, jemand der etwas verwagt, sich übernommen hat in seinem Wagemut, oder jemand, der auf dem falschen Weg ist, also diesmal von Weg genommen. Es steht semantisch näher am Verb wagen, als am Substantiv Weg, morphologisch aber umgekehrt? Im Lateinischen stellt sich verwegen klar zu wagen - sapere aude!

*bewegen hat in der Bedeutung motivieren das starke Perfekt bewogen.
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Re: verwegen

Beitragvon linhart » Di 16. Dez 2014, 19:19

Wie ihr ja jetzt schon wisst, schaue ich bei solchen Fragen immer zuerst im Duden nach. Der verweist bei "verwegen" interessanterweise auf "wägen":
ver|we|gen <Adjektiv> [mittelhochdeutsch verwegen = frisch entschlossen, eigentlich 2. Partizip von: sich verwegen = sich frisch zu etwas entschließen, zu: wegen, wägen]:

© DUDEN - Das große Wörterbuch der deutschen Sprache,|4. Aufl. Mannheim 2012 [CD-ROM]

Dabei ist zu beachten, dass "wegen" die mittelhochdeutsche Schreibung von "wägen" ist.

"verwegen" kann man daher mit "erwägen" und "abwägen" vergleichen: verwegen ist einer, der nicht lange er- oder abwägt.

"verwegen" kommt also primär weder von wagen noch von Weg. Aber es dürfte schon stimmen, dass letztlich Weg, Wagen, wagen, Waage und wägen auf einen gemeinsamen Ursprung zurückgehen.
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Re: verwegen

Beitragvon linhart » Di 16. Dez 2014, 19:24

In diesem Zusammenhang scheint mir auch interessant, was im Duden zu "wagen" steht:
wa|gen <schwaches Verb; hat> [mittelhochdeutsch wagen, zu: wage (Waage) und eigentlich = etwas auf die Waage legen, ohne zu wissen, wie sie ausschlägt]:

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Re: verwegen

Beitragvon sinemetu » Di 16. Dez 2014, 19:25

Es ist zu überlegen, ob nicht das alte wigan = kämpfen (einen Weg bahnen), Ahne unseres Weigern nicht auch dazu gehört....

.... aber sicherlich die Wiege und ein Kind in den Armen wiegen, wobei wieder die hin-und-her-Bewegung das Bild abgibt, welches es berechtigterweise zu oben genannter Bikonsonanz stellt. Das Wort scheint nicht sehr verankert, bringt es doch so seltsame Lautungen, wie Ich wiege den Kürbis auf der Waage. - zustande. Übrigens Waage zu Wagen deshalb, weils auch dort auf dem Kutschbock ein Hin und Her gibt.
Etwas Wiegen (Gewicht erforschen) müßte eigentlich wägen heißen, denn es ist ein kausatives Verhältnis. Jemanden wägen, ist ihn wiegen (Wiegenbewegung) machen. Ihn auf einen schaukliges Gerät stellen heißt machen, daß er selber schaukelt. Es ist dieselbe Lautung wie bei Liegen und Legen = liegen machen. Siegen und Segen = siegen machen, klieben und kleben ....

Und dann noch das seltsame: Ich bin jemanden gewogen. Kommt von wiegen, wog, - ich bin quasi die Waage, die sich zugunsten von Jemanden neigt.
Zuletzt geändert von sinemetu am Di 16. Dez 2014, 20:01, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: verwegen

Beitragvon linhart » Di 16. Dez 2014, 19:58

Ich hab nachgesehen, ob es einen Zusammenhang von "wagen" etc. mit "weigern" bzw. "wigan" gibt, habe aber bis jetzt nichts gefunden, insbesondere auch nicht in dem sehr ausführlichen Deutschen Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm ( http://woerterbuchnetz.de/DWB/?sigle=DW ... 7#XGW13737 )
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Re: verwegen

Beitragvon sinemetu » Di 16. Dez 2014, 20:05

unser neueres Kämpfen leitet sich ja letztlich von Campus her. Es ist das Feld behalten. Da liegt es nicht weit, daß einen Weg verweigern (Iter prohibere bei Caesar (Mons impendebat, ut perpauci iter prohibere possent)), d. h. der Weg den bildlichen Hintergrund für Kämpfen in anderen Sprachen abgegeben hat. Im Lat. hat ja auch der Fluß das Bild für den Gegner im Kampfe abgegeben.
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Re: verwegen

Beitragvon Tiberis » Mi 17. Dez 2014, 01:29

sinemetu hat geschrieben: Im Lat. hat ja auch der Fluß das Bild für den Gegner im Kampfe abgegeben.

nicht der fluss, sondern die gemeinsame nutzungsberechtigung an einem wasserkanal (!)
der rivalis, den du ja offenbar meinst, ist eig. der kanalnachbar, und rivalen sind , im übertragenen sinne, personen, die sich um eine sache bzw. person streiten, und nicht "gegner im kampfe".
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Re: verwegen

Beitragvon Zythophilus » Mi 17. Dez 2014, 08:04

Der "Gegner" im Sinne von "gegenüberstehend ist der aduersarius.
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