si/εἰ/if - wenn/ob

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si/εἰ/if - wenn/ob

Beitragvon Ioscius » So 4. Okt 2015, 17:51

Hallo,

wie ist eigentlich zu erklären, dass im Grichischen, Lateinischen und Englischen eine indirekte Entscheidungsfrage und ein Konditionalsatz mit derselben Konjunktion eingeleitet werden - das eine leitet schließlich einen Subjekt-/Objektsatz ein, das andere einen adverbialen Konditionalsatz.
Wie kann man die sprachliche Entwicklung erklären?
Ich habe diesbzgl. nirgends Informationen gefunden.

M. E. ist beiden Fragen nur gemeinsam, dass die Erfüllung des Sachverhalts oft unsicher ist.

Bspw.

Ich frage mich, ob es dir gut geht. Wenn das Wetter morgen gut ist, gehe ich in den Biergarten.

Viele Grüße
Zuletzt geändert von Ioscius am Di 10. Nov 2015, 20:35, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: si/εἰ/if - wenn/ob

Beitragvon Zythophilus » So 4. Okt 2015, 20:25

Im Lateinischen gibt's dieses si, das wir mit "ob" übersetzen, nur bei Verben, die "versuchen" o.ä. bedeuten, also tempto, conor, experior etc. Normalerweise nimmt man das enklitische -ne. Vermutlich sahen die Römer solche Sätze nach den genannten Verben eben als Konditional- und nicht als Fragesätze.
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Re: si/εἰ/if - wenn/ob

Beitragvon Prudentius » Mo 5. Okt 2015, 18:46

Die Konjunktionen sind doch meistens mehrdeutig, denke an cum, ut, quod; auch unser "weil" (von Weile) scheint vom Temporalen herzukommen. Sie fallen wohl alle unter dieselbe Definition: "...leitet einen NS ein".

M. E. ist beiden Fragen nur gemeinsam, dass die Erfüllung des Sachverhalts oft unsicher ist.


Das "nur" stört mich, als ob das wenig wäre: es ist doch der entscheidende Punkt bei einem Satz.

Was soll heißen: "Erfüllung des Sachverhalts"? Erfüllen kann man ein Versprechen. Es ist so eine überkommene Redewendung der Philologen, wenn sie dem logischen Wahrheitsbegriff unbedingt aus dem Wege gehen wollen; also sag lieber. "M. E. ist beiden Fragen gemeinsam, dass die Wahrheit des Satzes unbestimmt ist".

"Wenn das Wetter morgen gut ist, gehe ich in den Biergarten".
Du bringst hier durch die Wahl des Bsp. das Thema in den Bereich des Belanglosen, bedenke, auf dem Konditionalsatz beruhen die Regeln und Gesetze und letztlich die gesamte Wissenschaft:

- "Wenn eine Klage berechtigt ist, ist sie zulässig" (hoffentlich ist das jur. einwandfrei :-D ),
- "Wenn ein Körper erhitzt wird, dehnt er sich aus",
- "Wenn das Subjekt im Plural steht, dann auch das Prädikat".

lgr. P. :)
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Re: si/εἰ/if - wenn/ob

Beitragvon Ioscius » Di 10. Nov 2015, 20:43

(erst einmal bitte ich um Entschuldigung, dass ich so spät erst antworte: Das kurz nach euren Antworten folgende zeitweilige "Down" der Webseite ließ den Thread mich wohl vergessen..)

Lieber Prudentius,

so weit bin ich in der Logik leider noch nicht fortgeschritten, dass mir diese signififaktive Unterschied bei der Definition aufgefallen wäre (vllt. hätte ich auch von "Verwirklichung des Sachverhalts" gesprochen..)..

Ok, Prudentius, damit deutest du an, dass die Erweiterung der Verwendungsweise auf indirekte Fragesätze der Wichtigkeit der Konditionalsätze geschuldet ist: Mit Konditionalsätzen werden die Mechanismen der Welt beschrieben, und in einem indirekten Fragesatz kann nach diesen gefragt oder diese hinterfragt werden.

Viele Grüße,
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Re: si/εἰ/if - wenn/ob

Beitragvon ille ego qui » Di 10. Nov 2015, 21:36

Zythophilus hat geschrieben:Im Lateinischen gibt's dieses si, das wir mit "ob" übersetzen, nur bei Verben, die "versuchen" o.ä. bedeuten, also tempto, conor, experior etc. Normalerweise nimmt man das enklitische -ne. Vermutlich sahen die Römer solche Sätze nach den genannten Verben eben als Konditional- und nicht als Fragesätze.


Du beschreibst den klassischen Sprachgebrauch, Zythophile. Sehr bald wird aber "si" (und ebenso "an") zur regelrechten "-ne/num"-Alternative.
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Re: si/εἰ/if - wenn/ob

Beitragvon Prudentius » Mi 11. Nov 2015, 20:15

[quote]Ich frage mich, ob es dir gut geht. Wenn das Wetter morgen gut ist, gehe ich in den Biergarten./quote]

Beide NS, sowohl der ob- wie der wenn-Satz, haben das gemeinsam, dass sie nicht die Wahrheit der unabhängigen Aussage behaupten: "Es geht dir gut", und "Morgen ist das Wetter gut". Diese Gemeinsamkeit macht es erklärlich, dass beide Satzarten durch dieselbe Konjunktion eingeleitet werden können; OK?

"Nicht die Wahrheit behaupten": das kann man sich so veranschaulichen: alle Sätze haben eine Wahrheitsvariable, w oder f, gewöhnlich setzen wir w voraus, das ermöglicht Verständigung.

Zum Verständnis kann man vergleichen: diese Wahrheitsvariable ist wie ein Eingabefeld (Input), es kann belegt sein, mit w oder f, es kann aber auch unbelegt sein; wenn es unbelegt ist, kann es aktiviert oder deaktiviert sein: also der Cursor blinkt, oder das Feld ist grau unterlegt; den ersten Fall haben wir bei "Geht es dir gut?", direkte Entscheidungsfrage, aktiviertes Eingabefeld: du musst ja oder nein antworten; bei "Ich frage mich, ob es dir gut geht" ist das Feld deaktiviert, indirekte Frage.

Auch beim Konditionalsatz ist die w/f-Variable unbelegt, man weiß es nicht und ist auch nicht zur Entscheidung aufgefordert.
Also kann man sagen: Bei beiden Sätzen liegt eine unbelegte Wahrheitsvariable vor, und so können sie durch dieselbe Konjunktion eingeleitet werden.

Ich möchte darauf hinweisen, dass diese w/f-Unterscheidung nicht erst von den modernen Logikern aufgebracht wurde, sondern schon bei Cicero vorkommt: "Omne enuntiatum aut verum aut falsum est" (de fato),

lgr. P.
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Re: si/εἰ/if - wenn/ob

Beitragvon Ioscius » Mi 18. Nov 2015, 15:55

Lieber Prudentius,

da heute wieder Mittwoch mein vorlesungsfreier Tag, ist, komme ich zum Glück dazu, hier zu antworten..
Mal wieder ein großes Dankeschön für Deine Antwort, Deine Gedanken erscheinen mir sehr plausibel.

Noch ein weiterer Gedanke von mir: Dass Konjunktionen dazu geneigt sind, ihre Bedeutungsbandbreite weiter auszuweiten, sieht man ja auch an der semantischen Erweiterung unserer Konjunktionen (weil = Weile) und auch daran, dass bei Konjunkionen die Unterscheidungen der unterschiedlichen syntaktischen Funktionen (Subjekt-/Objektsatz vs. Adverbialsatz) quasi verschwimmen können:

Das zu tun ist gut. (Subjektsatz)
Wenn man das tut, ist es gut. (Adverbialsatz)
satis est + (Ac)I/ si-Satz; gaudere, si statt AcI usw.. (Objektsatz)
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