Bescheinigung

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Bescheinigung

Beitragvon sinemetu » Di 14. Jun 2016, 12:13

Also Ontologe, dem der Unterschied zwischen dem Phänomen und der Ens, um es mal lat. zu sagen, durchaus geläufig ist, spekuliere ich momentan darüber, wie die Bescheinigung in D. in einen so hohen Ruf gekommen ist. Früher galt irgendwann mal die Regel: Mehr Sein als Scheinen! Ob der offizielle Bruch mit dieser Regel mit den Geldscheinen gekommen ist. In der DDR nannte man den Personalausweis den "Schein fürs Sein". Eigentlich geht das Sein ja dem Schein voran, aber in der Bürokratie und der Welt der Papiere scheint dies andersherum zu sein.


Wo -schein- am Beginn des Wortes auftaucht, wird der Schein in Kon­trast zum Sein ge­setzt. Die­se Wör­ter ver­wei­sen auf einen trü­geri­schen Schein. Wer schein­hei­lig ist, ist nur zum Schein hei­lig, also sei­nem wah­ren Wesen nach un­hei­lig und un­ehr­lich. Ein Schein­angebot ist kein ehr­lich ge­mein­tes An­gebot. Es wird nur zum Schein ab­gege­ben.
In den Begriffen wahr­schein­lich und anschei­nend steckt der Schein mit­ten im Wort. Hier be­deu­tet Schein nur, daß et­was ir­gend­wie aus­sieht. Daß er trügt, be­haup­ten diese Wör­ter nicht. Das sieht man auch deut­lich an der Ne­ga­tion un­schein­bar. Was un­schein­bar ist, ist bloß kaum zu se­hen. Aber was man davon sieht, das ist es auch.
Wie bei scheinheilig und Scheinangebot steht der Schein bei schein­bar am Wort­anfang. Hier wird der Schein vor­an­ge­stellt und kon­tras­tiert so­mit zum Sein. Der schein­bare Ort eines Sterns ist der Ort, den der Stern dem Schein nach hat.

http://www.belleslettres.eu/artikel/ans ... heinen.php

Frage: Wie kam es zu dieser Bedeutungsdifferenz und woher die gewaltige Aufwertung in Bescheinigung und Schein?
Zuletzt geändert von sinemetu am Mi 15. Jun 2016, 20:43, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Bescheinigung

Beitragvon medicus » Di 14. Jun 2016, 15:14

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Re: Bescheinigung

Beitragvon Prudentius » Mi 15. Jun 2016, 16:51

Schau mal in den Hegel hinein, da findest du, dass Sein und Schein eine dialektische Einheit bilden, das eine gibt es nicht ohne das andere; Hegel ist ein "Plato redivivus", er steht in der Tradition des Platonismus, knüpft an den Neuplatonismus an, v.a. an Proklos am Ende der Antike, bei dem auch schon der "Dreischritt" vorkommt.

Die Doppelbedeutung von Schein kann man sich so erklären: entweder ist das Scheinen oder Leuchten mit der Lichtquelle verbunden gedacht, wie bei "Sonnenschein", Strahlen; da sind Sein und Schein gleichsam "legato", verbunden; aber beim trügerischen Schein sind sie "staccato", getrennt, unverbunden, manchmal im Gegensatz.

Du fragst, wann der negative Schein aufkam: ganz zu Anfang, schon bei den ersten Vorsokratikern, steht das Sein im Gegensatz zum Schein, gr. doxa, etwa bei Parmenides.
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Re: Bescheinigung

Beitragvon sinemetu » Mi 15. Jun 2016, 20:41

medicus hat geschrieben:Hier ist alles beschrieben:
http://www.duden.de/Shop/Das-Herkunftsw%C3%B6rterbuch-1 :suche:


Mitnichten Medicus. Da steht zum Thema allein:
"Weiter wird Schein auch vom trügerischen äußeren Bild gebraucht, dem keine Wirklichkeit entspricht."
s. S. 624

Die Frage aber, nach dem Tertium comparationis, also, warum das so ist, wird gar nicht gestellt.*




*Wenn ich hier was frage, habe ich allermeist schon erhebliche Literatur konsultiert.
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