ausrasten - rasta

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ausrasten - rasta

Beitragvon sinemetu » Mi 12. Okt 2016, 19:45

Ein typisches Beispiel für semasiologische Neumotavation eine Wortes. Ein heute relativ häufiges Wort ist ausrasten, und zwar in dessen übertragenem Sinne, nämlich nicht eine Seilwinde rastet aus, sondern z. b. in dem Satz: Ich raste gleich aus. Diese Bedeutung ist so in den Vordergrund getreten, daß im DWDS die ursprüngliche Bedeutung gar nicht mehr angeführt wird. Man beachte auch den Graph links. Ein Übergangsglied von der ersten, technischen zur zweiten, psychodeskriptiven Bedeutung ist etwa das Verbum durchdrehen.

http://www.dwds.de/wb/ausrasten#1

Jetzt wird's interessant: Mein Sohn brachte spontan ausrasten mit Rasta in Verbindung, weil Rasta die Haarfrisur und das Lebensgefühl der (Hasch) Kiffer sei, und diese infolge ihrer reduzierten Selbstmoderation so häufig aus der Haut führen, d. h. ausrasteten, spräche man von ausrasten.

Wir erkennen die Permotivation: Der Nutzer erkennt die eine Wurzel nicht als heimisch und bettet die andere innerhalb des eigenen Horizontes einfach sinnreich um.
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Volksetymologie

Beitragvon Willimox » Mi 12. Okt 2016, 20:56

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Nun ja,

Lija Ras Täfärí Mäkonnen (ልጅ ራስ ተፈሪ መኰንን)

1.
Das DWDS liefert - wenn man genauer hinschaut - sehr wohl die technische Grundbedeutung und die eher übertragene Bedeutung im Sinne von "ausflippen". Man beachte die Indexalisierung durch 1 und 2.
Allerdings verweist das DWDS habituell nicht auf eine etymologische Chronologie.

2.
2.1
Was bei den jungen Sinemetus zu beobachten ist, wird dem Begriff "Volksetymologie" gerecht, man vergleiche dazu etwa den einschlägigen Wiki-Artikel.

https://de.wikipedia.org/wiki/Volksetymologie

2.2
Wahrscheinlich auch forciert durch das häusliche Biotop und dessen Gewohnheiten mutiger Etymologie zieht man ähnlich klingende Lexeme heran und versucht dann irgendwie damit die Bedeutung eines gleichklingenden Ausdrucks zu erklären. Nix Verwerfliches.

3.
Aber schön wäre es ja, wenn dabei im vorliegenden Fall ein wenig Vorsicht vom Haupt des Biotops vorgelebt würde, zumindest so lang, wie sich die Versuchsdeutung noch nicht in der Gesellschaft etabliert hat:

- Was macht das zweite "a" von "rasta" in "ausrasten"?
- Warum nicht mal nachschauen, woher Rasta und Rastafari kommt?
- Das "aus" kann ja auch das Ende einer "Aktion" bedeuten (jemanden ausreden lassen), wie steht es damit hier im aktuellen Fall?
- Diese Rasta-Typen da und ihr Verhaltensmodell im Stereotyp (s.u.), die sind ja eher durch Nichtaktivität und Entspannheit charakterisierbar, als Aussteiger jenseits einer westlichen Arbeitskultur. Das verträgt sich nicht so recht mit der Semantik von "ausflippen" "außer Rand und Band geraten", sondern nur - sehr weit - mit der Bedeutung "aus einer westlichen Arbeits-Normschiene" sich ausklinken....
- Im sekundären Sinn erst mag einem Sprecher durch den Kopf gehen, dass solche Normverweigerer nicht richtig "ticken" und insofern "Ausgeflippte" und "Ver-Rückte" sind.

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Re: ausrasten - rasta

Beitragvon Prudentius » Do 13. Okt 2016, 08:01

In Österreich hat ausrasten auch die Bedeutung von recreatio: "Wir möchten uns jetzt ein wenig ausrasten", wenn es mühsam war.
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Re: ausrasten - rasta

Beitragvon sinemetu » Do 13. Okt 2016, 10:36

Prudentius hat geschrieben:In Österreich hat ausrasten auch die Bedeutung von recreatio: "Wir möchten uns jetzt ein wenig ausrasten", wenn es mühsam war.



Man kann dort also sozusagen vom Ausrasten ausrasten. :lol:
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Re: ausrasten - rasta

Beitragvon marcus03 » Do 13. Okt 2016, 11:53

Cave, mi sinemetu optime, ne in id incidas, quod "Rasterfahndung" appellatur. ;-)
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aus-rasten

Beitragvon Willimox » Do 13. Okt 2016, 13:45

Salute den Sprachaficionados!

Basis: rasten - Praefix: aus.
Die Kombination: ausrasten


1. Basislexem rasten

Rast f. ‘Ruhepause’, ahd. rasta (9. Jh.), mhd. rast(e), asächs. rasta, mnd. rast(e), mnl. raste, (mit Umlaut) anord. rǫst ‘Ruhe(pause), das Verweilen, Wegstrecke, Meile’, schwed. rast ‘Rast, Ruhe, Pause’, got. rasta ‘Meile, Wegstrecke’ sowie daneben ahd. (...) rastlos Adj. ‘sich keine Ruhe gönnend, ruhelos, unermüdlich’ (17. Jh.). Unrastf. ‘Ruhe-, Rastlosigkeit, innere Unruhe’, mhd. unraste, unreste ‘Unruhe, Rast- und Ruhelosigkeit’. ...

http://www.dwds.de/wb/Rast


2. Präfix aus-

Das Präfix aus- hat mehrere Grundbedeutungen, man vergleiche den Eintrag des DWDS

http://www.dwds.de/wb/aus-

Hier zwei Bedeutungen, die logisch interferieren und für unsere Diskussion relevant sind

1. Bewegungsrichtung von Ruhepunkt weg: ausreisen, auswandern, ausposaunen, auspacken, ausrasten
2. Finalisierung, oft mit gewisser Intensivierung: ausrechnen, austrinken, ausreifen, auslernen, austrocknen, ausschimpfen vs beschimpfen, ausspotten vs verspotten, ruhen vs ausruhen/ausrasten


3. Kombination


Bei intensiverem Gebrauch des DWDS zu entdecken:

ausrasten: eine erholsame Ruhepause genießen (relaxen), süddeutsch, österr.
http://www.dwds.de/wb/ausrasten#1

ausrasten: den bisherigen Ruhepunkt verlieren, technisch, übertragen: ausflippen, einen Rappel kriegen
http://www.dwds.de/wb/ausrasten#2

4. Ex libris

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