"Damnatio memoriae"

Beiträge zu Themen, die in keine andere Kategorie passen

Moderatoren: Zythophilus, marcus03, Tiberis, ille ego qui, consus, e-latein: Team

"Damnatio memoriae"

Beitragvon Prudentius » Di 18. Okt 2016, 20:04

Hitlers Geburtshaus - abreißen oder nicht?
Prudentius
Senator
 
Beiträge: 3577
Registriert: Di 24. Mai 2011, 17:01

Re: "Damnatio memoriae"

Beitragvon cultor linguarum antiquarum » Di 18. Okt 2016, 20:37

Ich halte es nicht für sinnvoll. Ein modernistischer Bau/Leerraum inmitten einer Altstadt mit einer Gedenktafel gegen Faschismus davor fällt mehr auf als das jetzige Haus, trotz der jetzt schon vorhandenen Gedenkstein. Gerade durch die ganze Debatte kennt jetzt jeder das Haus, selbst wenn es nicht mehr stehen sollte.

Ein schönes Zitat von Billy Wilder: „Die Österreicher haben das Kunststück fertiggebracht, aus Beethoven einen Österreicher und aus Hitler einen Deutschen zu machen.“
Facere docet philosophia, non dicere.
Πράττειν διδάσκει ἡ φιλοσοφία, οὐδὲ λέγειν.
Benutzeravatar
cultor linguarum antiquarum
Senator
 
Beiträge: 2800
Registriert: Fr 23. Mai 2014, 18:50

Re: "Damnatio memoriae"

Beitragvon Zythophilus » Di 18. Okt 2016, 20:55

Die Deutschen haben aus Hitler einen Deutschen gemacht. Seit 1925 betrieb er das selber, 1932 wurde er eingebürgert.
Zythophilus
Divi filius
 
Beiträge: 16907
Registriert: So 22. Jul 2007, 23:10
Wohnort: ad Vindobonam

Re: "Damnatio memoriae"

Beitragvon iurisconsultus » Di 18. Okt 2016, 22:21

Es lassen oder es wegreißen und das Feld brach lassen, beides schafft eine unerwünschte Pilgerstätte für rechte Recken. Man soll daher ein neues Haus hinstellen oder das bestehende wenigstens soweit modifizieren, dass nichts mehr an das alte erinnert. Ich bin hier also für eine Tilgung. Das ist auch geplant.
Qui statuit aliquid parte inaudita altera,
aequum licet statuerit, haud aequus fuit.
(Sen. Med. 199-200)
Benutzeravatar
iurisconsultus
Dictator
 
Beiträge: 1238
Registriert: Di 31. Dez 2013, 15:37
Wohnort: Lentiae, in capite provinciae Austriae Superioris

Re: "Damnatio memoriae"

Beitragvon Medicus domesticus » Mi 19. Okt 2016, 08:48

Ich weiß nicht, ob das immer "die Lösung" ist. Als Berchtesgadener kann ich gut dazu Stellung nehmen. Gerade bei uns in Berchtesgaden bestand schon seit den 50-er Jahren die Meinung möglichst zu tilgen (z.B. Sprengung des Berghofs) als Angst vor weiteren NS-Tourismus. Der Platterhof und auch der Berchtesgadener Hof wurden in den letzten Jahren abgerissen. Eine gute Idee war aber die Errichtung des Nazidokumentationszentrums (http://www.obersalzberg.de) auch im Grundstock eines Gästehauses der Nazizeit (ehemaliges Gästehaus Hoher Göll). Berchtesgaden ist keine Pilgerstätte geworden, auch nicht auf dem ehemaligen Berghofareal, wo noch die hinteren Wandabstützungen und die Zufahrtsstraße sichtbar sind. Begleitet wird das alles mit Informationstafeln. Wenn man jetzt konsequent wäre, müsste man auch das Kehlsteinhaus abreißen..? Der ehemalige Gutshof ist komplett erhalten (heute Golfclub). Das wäre doch sinnlos. Ihr könnt doch in Braunau aus dem Haus ein Nazidokumentationszentrum zur Aufklärung und Information über die Zeit machen. Bei uns macht das das Institut für Zeitgeschichte.
Medicus domesticus
Dominus
 
Beiträge: 7271
Registriert: Di 9. Dez 2008, 11:07

Re: "Damnatio memoriae"

Beitragvon Prudentius » Mi 19. Okt 2016, 10:44

Hitler-Verehrer kann ja niemand sein, man würde sich den unangenehmsten Fragen aussetzen: Auschwitz, Stalingrad, bedingungslose Kapitulation usw., die Benennung Nazi taucht ja nur als Fremdbenennung in polemischer Sprache auf. Um sich über Hitler zu informieren, braucht man keine Tafeln in Braunau aufzustellen, das lernen ja die Kinder bis zum Überdruss in der Schule.

Ich würde sagen, lasst das Haus stehen, bewirtet durchreisende Touristen, es gibt sicher ein Interesse an dieser markanten Figur der Geschichte, das brauchen gar nicht rechtsorientierte Leute sein; es wird wohl dort kaum einer einen Kranz niederlegen wollen.
Prudentius
Senator
 
Beiträge: 3577
Registriert: Di 24. Mai 2011, 17:01

Re: "Damnatio memoriae"

Beitragvon Medicus domesticus » Mi 19. Okt 2016, 11:06

Prudentius hat geschrieben:die Benennung Nazi taucht ja nur als Fremdbenennung in polemischer Sprache auf. Um sich über Hitler zu informieren

Man sieht, du bist kein Berchtesgadener.. ;-) Nein, bei uns ist das schon zum Standardausdruck geworden, unabhängig vom Duden. Nein, ich wollte nur sagen, dass die "Angst" vor ehemaligen Bauten unbegründet ist. Das Dokumentationszentrum Obersalzberg ist ein sehr gutes Bildungszentrum für Schüler geworden. Viele Klassen aus ganz D reisen dorthin, um sich zu informieren...
Zuletzt geändert von Medicus domesticus am Mi 19. Okt 2016, 14:15, insgesamt 1-mal geändert.
Medicus domesticus
Dominus
 
Beiträge: 7271
Registriert: Di 9. Dez 2008, 11:07

Re: "Damnatio memoriae"

Beitragvon sinemetu » Mi 19. Okt 2016, 11:49

Typisch deutsche Gutmenschensorgen .... ich möchte mal als Fisch der oberen Gewässer ein paar widerborstige Überlegungen ablaichen ...

1. Wird durch den Abriss des Hauses irgendeinem der - ob schuldig oder unschuldig - durch jene Macht ums Leben Gekommenen wieder lebendig? Geschieht irgendjemandem Recht dadurch?
2. Was kann das gute Haus eigentlich dafür, wer in ihm alles geboren ist? Man sollte unter den Nachfahren derselben eine Umfrage machen.
3. Ist der Gott-sei-bei-uns Deutschlands eigentlich auch als Säugling schon gemeingefährlich gewesen?
4. Die Bewertung der Geschichte und historischer Persönlichkeiten ändert sich oft ....
5. Was hat die Nazi- und Antinazibefindlichkeit von heute, jene politisch aufgepfropfte Think-Design-Maschine, auf deren Veranlassung diese Symbol- und Ritual-Politik hin passiert, eigentlich mit der Wirklichkeit jener 12 Jahre zu tun?
6. Mir scheint es lachhaft, von Damnatio Memorie zu sprechen, wenn sich alles nur um die Erinnerung des Einen handelt und dreht. Wenn politisch aktive Kräfte nicht ständig für seine Erinnerung, ja Präsenz sorgen würden, wäre er vermutlich der ahistorischen Menge längst vergessen.
7. Man vergesse nicht, daß jener schon Mitte der 80-iger Jahre die 50-Tsd durchbrochen hat, was die Anzahl seiner Biograf(i)en betrifft. Solange die Ungenannten die Welt regieren, wird das Nichtdeutsche Interesse an der Figur daher wohl kaum erlöschen. Wahrhaft Historie wird dieses Thema wohl erst dann werden, wenn Atlantis untergegangen ist, si saeculum nostrum peritum est.
8. Jedes Haus hat sein natürliches Ende, so wertvoll an sich ist die vermutlich kellerfeuchte Bausubstanz nun auch nicht, daß sie ewig aufgehoben werden muß. Die Diktatur des Denkmalschutzes muß auch mal gebrochen werden. Also: Weg damit!

Letzter Tip an die Eiferer und Eifrigen: Braunau umbenennen! Man könnte es Abolo- oder Adolograd nennen, je nachdem, welchen Aspekt man betonen möchte.
Zuletzt geändert von sinemetu am Mi 19. Okt 2016, 12:05, insgesamt 1-mal geändert.
Quaestor sum, quaerere quaerique possum ...
sinemetu
Senator
 
Beiträge: 4476
Registriert: Mo 2. Apr 2012, 18:02

Re: "Damnatio memoriae"

Beitragvon marcus03 » Mi 19. Okt 2016, 11:57

sinemetu hat geschrieben: si saeculum nostrum peritum est.


perierit ?

peritum est= "es ist zugrundegegangen worden" ;-) (qua re/a quo/a quibus)
marcus03
Pater patriae
 
Beiträge: 11469
Registriert: Mi 30. Mai 2012, 06:57

Re: "Damnatio memoriae"

Beitragvon sinemetu » Mi 19. Okt 2016, 12:01

marcus03 hat geschrieben:perierit ?
peritum est= "es ist zugrundegegangen worden" ;-) (qua re/a quo/a quibus)


Deine Übersetzung trifft genau meine Intension. Es passiert ja nichts von allein. Lateinisch hast Du recht ...
Quaestor sum, quaerere quaerique possum ...
sinemetu
Senator
 
Beiträge: 4476
Registriert: Mo 2. Apr 2012, 18:02

Re: "Damnatio memoriae"

Beitragvon marcus03 » Mi 19. Okt 2016, 12:11

Terrae globus sole se extendente olim "peribitur", si genus humanum eum iamdudum inhabitabilem reddiderit ipsumque exstinctum fuerit.
marcus03
Pater patriae
 
Beiträge: 11469
Registriert: Mi 30. Mai 2012, 06:57

Re: "Damnatio memoriae"

Beitragvon sinemetu » Mi 19. Okt 2016, 12:17

marcus03 hat geschrieben:perierit ?

Ist F II eigentlich je gesprochene Sprache gewesen? Gibt es Nachweise?
Quaestor sum, quaerere quaerique possum ...
sinemetu
Senator
 
Beiträge: 4476
Registriert: Mo 2. Apr 2012, 18:02

Re: "Damnatio memoriae"

Beitragvon Willimox » Mi 19. Okt 2016, 13:16

Nu ja, auf den antiken Phonographen keine Nachweise, auch keine Nachweise für antike Phonographen.
Wenn Du allerdings Deine Sitcom kurz aussetzt und ein wenig bei Petronius z.B. recherchiert oder bei einem Lieblingslink von Marcus03, dann ......
:D
Und klärst du bei Gelegenheit semasiologischen Unterschiedlichkeit da von Intension und Intention.
Hugh, habe gesprochen.
Der mit dem Tschekistenwauwau tanzt.
:chefren:
Übrigens: Deine Ablaichbemerkungen als vollidiotisch zu bezeichnen scheint mir eine höfliche Untertreibung
zu sein.
:D
Österreicher Karl-Heinz Grunböck, Sprecher von Innenminister Wolfgang Sobotka, hat präzisiert: was gebaut werden soll, werde nicht wiederzuerkennen sein "im Vergleich zu dem Haus, das dort jetzt steht. Aber keineswegs eine leere Fläche." Auch sei keine museale Begegnungsstätte geplant. Es gebe bereits so etwas im KZ Mauthausen. Zusätzlich werde es das geben im Haus der Geschichte in Wien und in St. Pölten.
Benutzeravatar
Willimox
Senator
 
Beiträge: 2725
Registriert: Sa 5. Nov 2005, 21:56
Wohnort: Miltenberg & München & Augsburg

Re: "Damnatio memoriae"

Beitragvon Medicus domesticus » Mi 19. Okt 2016, 14:04

sinemetu hat geschrieben:8. Jedes Haus hat sein natürliches Ende, so wertvoll an sich ist die vermutlich kellerfeuchte Bausubstanz nun auch nicht, daß sie ewig aufgehoben werden muß. Die Diktatur des Denkmalschutzes muß auch mal gebrochen werden. Also: Weg damit!

Unabhängig von den schon von Willimox bemerkten Dingen:
Das ist doch Unsinn. Wir haben noch ein altes Haus im Markt BGD (Familienhaus väterlicherseits) aus dem Jahre 1553. Das Haus ist gebaut aus Steinquadern/Untersberger Marmor mit z.T. 80cm Tiefe, äußerst stabil. Auch temperaturmäßig ideal: Hält im Winter die Temperatur, im Sommer kühl. So etwas findest du bei den heutigen, oft schlampigen Neubauten nicht mehr. Denkmalschutz hat außerdem sehr viel Sinn.. :-o
Medicus domesticus
Dominus
 
Beiträge: 7271
Registriert: Di 9. Dez 2008, 11:07

Re: "Damnatio memoriae"

Beitragvon sinemetu » Mi 19. Okt 2016, 14:47

Ich finde es einfach hirnrissig in diesem Zusammenhang von Damnatio Memoriae zu sprechen. Was haben die Alten gemacht. Die haben den Namen aus den Königslisten gelöscht und ihn ebenso in Dokumenten getilgt. Er sollte nicht mehr genannt werden, denn die Erinnerung ist mit dem nennen eines Namens verbunden, viel mehr, als mit jeglichem Artefaktum.
Wenn man dagegen den Namen in den Medien jeden zweiten Tag hört, oder er überall anklingt, wenn von Rechts, Nazi, Antifa etc. die Rede ist, hat es keinen Zweck, irgendwelche Gebäude abzureissen, an deren Gesamtleben, die Stunden jenes Ominösen nur Bruchteile von Prozenten ausmachen, geht es gar nicht um D. M. sondern nur um Think-Design, um Symbolpolitik. Man sehe sich in Berlin den Tourismus zum "Führerbunker" an, der auch nicht mehr existiert.

Marken setzen ist keine Strategie des Vergessens. Übrigens will auch niemand vergessen, weder die einen, noch die anderen. Und so gehts munter weiter ...
Quaestor sum, quaerere quaerique possum ...
sinemetu
Senator
 
Beiträge: 4476
Registriert: Mo 2. Apr 2012, 18:02

Nächste

Zurück zu Sonstige Diskussionen



Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: Majestic-12 [Bot] und 13 Gäste