Kompromiss vs kompromittieren

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Kompromiss vs kompromittieren

Beitragvon sinemetu » Sa 28. Jan 2017, 18:51

In unsere "offenen Gesellschaft" mit ihrer Demokratie ist der Kompromiss, also das Ergebnis einer Verhandlung etwas ganz positiv Besetztes. Die gesamte Gesellschaft ist so konstruiert, daß alle ständig Kompromisse schließen müssen.

Ich frage mich aber, warum ein Politiker sofort seinen Hut nehmen muß, sobald er kompromittiert ist? Müßten ihm nicht alle zuklatschen?

Wie kann es sein, daß zwei unmittelbar verwandte Worte emotional so unterschiedlich besetzt sind?
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Re: Kompromiss vs kompromittieren

Beitragvon marcus03 » Sa 28. Jan 2017, 19:11

Der Hund liegt im Französ. begraben. Das Verb hat dort diese negative Bedeutung.
http://neueswort.de/kompromittieren/
http://de.pons.com/%C3%BCbersetzung?q=c ... &in=&lf=fr

Ich hoffe, ich habe dich richtig verstanden. Es geht dir doch darum, warum das Verb negativ besetzt ist.
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Re: Kompromiss vs kompromittieren

Beitragvon medicus » Sa 28. Jan 2017, 19:19

Da das Wort von compromittere abgeleitet wird, müssen die Franzosen einen Fehler gemacht haben :roll:
Aber da muss es eine Erklärung geben. Warten wir auf Expertenrat!
Interessante Frage von sinemetu!
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Re: Kompromiss vs kompromittieren

Beitragvon iurisconsultus » Sa 28. Jan 2017, 19:26

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Re: Kompromiss vs kompromittieren

Beitragvon medicus » Sa 28. Jan 2017, 19:53

Man muss in dem Link von iurisconsultus auf "mehr" klicken, um die Etymologie ganz erklärt zu bekommen:
Das Frz. hat aus dem rechtlichen Gebrauch die Bedeutung ‘seine Sache in das Ermessen eines anderen legen, jmdn. in eine kritische Lage bringen (indem man ihn dem Urteil eines Dritten aussetzt)’ entwickelt.

Der arbiter spielt da die entscheidende Rolle! Die Franzosen haben natürlich keinen Fehler gemacht, wie ich oben fälschlich behauptet habe. :hail:
http://www.zeno.org/Georges-1913/A/comp ... ompromitto.

Sehr interessant, wie zwei Worte mit völlig unterschiedlicher Bedeutung eine gemeinsame lateinische Wurzel haben.
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Re: Kompromiss vs kompromittieren

Beitragvon iurisconsultus » Sa 28. Jan 2017, 20:51

IM Übrigen würde ich selbst eine Pejoration von Wörtern im Lauf der Zeit keinesfalls als Fehler bezeichnen. Das passiert ständig: vgl. Neger, Weib, Dirne, Pfaffe, Regime, Visage, gemein ...
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Re: Kompromiss vs kompromittieren

Beitragvon Prudentius » So 29. Jan 2017, 10:35

sinemetu hat geschrieben:In unserer "offenen Gesellschaft" mit ihrer Demokratie ist der Kompromiss, also das Ergebnis einer Verhandlung etwas ganz positiv Besetztes. Die gesamte Gesellschaft ist so konstruiert, daß alle ständig Kompromisse schließen müssen.

Nicht nur in der "offenen Gesellschaft", es gilt auch für die Katzen und die Mäuse: die Mäuse lassen die Katzen nicht verhungern, dafür rotten die Katzen die Mäuse nicht aus.

Pejoration von Wörtern


Ebenso gibt es eine Melioration: das Hässliche galt früher als Gegensatz zu Kunst, dann entdeckte man den Reiz des Hässlichen und entwickelte eine Ästhetik des Hässlichen; vgl. "Les fleurs du mal".
"Werteverfall" beklagt man; Aufwertung des vorher Abgewerteten ist die andere Seite davon.
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Re: Kompromiss vs kompromittieren

Beitragvon Zythophilus » So 29. Jan 2017, 12:35

"Kompromiss" ist nicht unbedingt positiv besetzt. Sehr oft wird das Wort von einem "nur" begleitet, was doch ausdrückt, dass zumindest ein Teil nicht ganz zufrieden ist, wenngleich mehr eben nicht möglich ist.
Beim Verb "kompromittieren", bei dem das Wissen, dass es zumindest indirekt von compromittere kommt, nichts für das Verständnis beiträgt, ist interessant, dass das Fremdwort ganz so gebildet wird, als ob es direkt aus dem Lateinischen käme. Übrigens scheint mir compromittere auch keine transitives Verb zu sein.
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Re: Kompromiss vs kompromittieren

Beitragvon marcus03 » So 29. Jan 2017, 13:33

Es gibt ab und zu auch gute und notwendige Kompromisse, leider viel zu selten in der Politik.
Ich bin gespannt, wohin die sich abzeichnende Kompromissunfähigkeit bzw- unwilligkeit des Herrn Trump die Welt in den nächsten 4 Jahren führen wird.
Man kann wohl nur hoffen, dass es bei potenziellen Handelskriegen bleiben wird. Und die sind schon unsinnig genug. :cry:
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Re: Kompromiss vs kompromittieren

Beitragvon sinemetu » So 29. Jan 2017, 15:38

Wir sollten uns auf die Sache konzentrieren und pers. Stellungnahmen hintanstellen.

Das passiert ständig: vgl. Neger, Weib, Dirne, Pfaffe, Regime, Visage, gemein ...


Was schätzt Ihr, wieviele dieser Worte sind pejorisiert worden, weil ein Meinungskartell dahintersteht, und wieviele sind pejorisiert worden, weil die Sache schlecht ist.

Dazu kommt: Im Plattdeutschen ist Diern das geläufige Wort, vollkommen ohne sex. Konnotation. Dirne ist im Hochdeutschen, ein Mädchen, was man zu Zwecke des sexuellen Gebrauches kaufen kann. Das ist eine negative Bedeutung. Trotzdem ist das Wort selbst nicht verpönt. Es wird jeden Tag benutzt und niemand wird schief angesehen der das Wort benutzt.
Bei Neger dagegen, werden die Leute verpönt, die das Wort benutzen, weil man ihnen etwas unterschiebt, was eventuell gar nicht vorhanden ist. Hier ist eindeutig ein Meinungskartell die Ursache der Belegungsverschiebung.
Pfaffe ist auch kein schlimmes Wort, man benutzt es aber in kirchlichen Räumen nicht, um niemanden zu beleidigen. Im Allgemeinen sagen aber diese Worte mehr über ihren Sprecher aus, als über die bezeichneten Dinge.
Zuletzt geändert von sinemetu am So 29. Jan 2017, 20:03, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Kompromiss vs kompromittieren

Beitragvon marcus03 » So 29. Jan 2017, 16:05

sinemetu hat geschrieben:weil ein Meinungskartell dahintersteht,

Wie kommt das zustande? Wer steckt warum und wann dahinter?
Der Begriff ist m.E. eine Leerformel,die nicht erklärt,wie es zu der Pejorisierung genau kommt.
Ich würde gerne erfahren,wie du dir die Entstehung solcher Kartelle konkret vorstellst. Wer sind ihre Gründer und deren Motive?


PS:
Macht nicht auch manchmal der Ton hier die Musik?
vgl: So ein tolles Weib! <---> Dieses blöde Weib da! :)
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Re: Kompromiss vs kompromittieren

Beitragvon sinemetu » So 29. Jan 2017, 20:05

marcus03 hat geschrieben:Ich würde gerne erfahren,wie du dir die Entstehung solcher Kartelle konkret vorstellst.


Thinktank z.B. Tavus, Frankfurter Schule etc. und dann die Umsetzung durch Journalisten in den Medien.
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Re: Kompromiss vs kompromittieren

Beitragvon marcus03 » So 29. Jan 2017, 20:17

Verstehe. Danke.

sinemetu hat geschrieben:Thinktank

Oft mehr tank als think, hat man das Gefühl. ;-)
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Re: Kompromiss vs kompromittieren

Beitragvon sinemetu » So 29. Jan 2017, 21:07

Ich weiß jetzt nicht, was Mode ist, es gibt ja auch Sprachmoden, es kann aber sein, daß man sowas bewußt initiiert und das das dann ein Selbstläufer wird, denke z. B. an das Mittelalterbashing der Aufklärung.

http://www.schopenhauers-kosmos.de/Jetztzeit
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Re: Kompromiss vs kompromittieren

Beitragvon iurisconsultus » Mo 30. Jan 2017, 15:51

Prudentius hat geschrieben:Ebenso gibt es eine Melioration: ... Kunst ...

In diesem Zusammenhang fällt mir die Kunstepoche der "Gotik" ein, dessen Begriff (ital. gotico "fremdartig, barbarisch") ursprünglich auch geringschätzig gemeint war.
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