Latein und Präzision

Beiträge zu Themen, die in keine andere Kategorie passen

Moderatoren: Zythophilus, marcus03, Tiberis, ille ego qui, consus, e-latein: Team

Re: Latein und Präzision

Beitragvon Medicus domesticus » Di 28. Feb 2017, 17:11

Zythophilus hat geschrieben:Mir fehlt auf jeden Fall Mathematik in der Mathematik das Persönliche, Gedanken, Gefühle oder Meinungen kommen nicht vor.

Kann man nicht so sagen. LK Mathematik war voll von Meinungen. Gefühle, Persönliches hatten wir auch. Mathematik betreiben ja Menschen.
@Tiberis: Ich meinte das allgemein. Latein war Wissenschaftssprache und drückte auch die Mathematik lange Zeit aus.
Medicus domesticus
Dominus
 
Beiträge: 7238
Registriert: Di 9. Dez 2008, 11:07

Re: Latein und Präzision

Beitragvon Willimox » Di 28. Feb 2017, 17:59

Die Metapher

Latein ist die Mathematik der Sprachen
könnte man wohl behaupten. Jedenfalls nimmt jede andere Grammatik ihre Begriffe und Strukturenvergleiche in der Regel aus der lateinischen. Entscheidend ist allerdings, daß in der Reflexion der eigenen Muttersprache am Lateinischen der logische Bau, die innere logische Transparenz der Sprache selbst bewußt werden kann.

Für Lateinlehrer sind die folgenden Ausführungen banal; die Kollegen anderer Fächer und die sehr geehrten Gäste dieser Seite mögen dagegen ein kritisches Auge darauf haben, ob die Ausführungen elementar und schlüssig sind.

http://marvin.sn.schule.de/~latein/mathema.htm


:hammer: :chefren: :klatsch:

Ehemals lingua (etiam) mathematicae artis

Bild

:sleep:
Benutzeravatar
Willimox
Senator
 
Beiträge: 2725
Registriert: Sa 5. Nov 2005, 21:56
Wohnort: Miltenberg & München & Augsburg

Re: Latein und Präzision

Beitragvon Tiberis » Di 28. Feb 2017, 18:05

Medicus domesticus hat geschrieben:Latein war Wissenschaftssprache und drückte auch die Mathematik lange Zeit aus

ja und? heute werden wissenschaftliche arbeiten auf englisch verfasst, und trotzdem behauptet niemand, dass deshalb ein zusammenhang zwischen englisch und dem jeweiligen wissenschaftlichen fach besteht, auf das sich die arbeit bezieht.
ego sum medio quem flumine cernis,
stringentem ripas et pinguia culta secantem,
caeruleus Thybris, caelo gratissimus amnis
Benutzeravatar
Tiberis
Pater patriae
 
Beiträge: 11862
Registriert: Mi 25. Dez 2002, 20:03
Wohnort: Styria

Re: Latein und Präzision

Beitragvon Medicus domesticus » Di 28. Feb 2017, 18:39

Gut, stimmt auch wieder.
Medicus domesticus
Dominus
 
Beiträge: 7238
Registriert: Di 9. Dez 2008, 11:07

Re: Latein und Präzision

Beitragvon marcus03 » Di 28. Feb 2017, 19:08

Man könnte jeden Satz schon in gewisser Weise als eine Art "rechte Seite einer Gleichung" betrachten, die es zu lösen gilt. Die korrekte Übersetzung ist dabei die Lösung bzw. ein Teil der Lösungsmenge, weil es meist viele Möglichkeiten gibt.
Die Grammatik entspricht den Rechenregeln, die Vokabeln sind die Variablen. Die Lösungsvariabe ist eine der richtigen Übersetzungen.
Geht man nicht gerade bei der klass. Abfragemethode "mathematisch"/systematisch vor?
Wir suchen das Prädikat, das Subjekt, Wörter, die zusammengehören müssen, etc

Wer Grammatik und Wortschatz beherrscht, knackt den Satz wie jemand, die die Methoden zur Lösung verschiedener Gleichungstypen beherrscht.
Mit etwas Fantasie ließen sich sicher weitere Analogie finden.

PS:
Ergänzen sich nicht auch in der Quantenphysik Sprache/Sprachbilder und Mathematik?
Was sich exakt nur in komplexen Formeln sagen lässt, wird durch Bilder anschaulich zu machen versucbt.
(Beispiel: Quantenchromodynamik).

Ich hoffe, ihr haltet mich nun nicht für einen mathematischen sinemetu, auch wenn ich womöglich allzu furchtlos argumentiert habe. ;-)
marcus03
Pater patriae
 
Beiträge: 11400
Registriert: Mi 30. Mai 2012, 06:57

Re: Latein und Präzision

Beitragvon Tiberis » Mi 1. Mär 2017, 00:18

marcus03 hat geschrieben:Geht man nicht gerade bei der klass. Abfragemethode "mathematisch"/systematisch vor? Wir suchen das Prädikat, das Subjekt, Wörter, die zusammengehören müssen, etcWer Grammatik und Wortschatz beherrscht, knackt den Satz wie jemand, die die Methoden zur Lösung verschiedener Gleichungstypen beherrscht.

ja, leider. Diese sogenannten klassischen methoden, mit denen man seit jahrhunderten die schüler malträtiert, mögen ein mehr oder weniger probates mittel sein, einen satz zu "entschlüsseln", ihn gleichsam wie einen code zu "knacken", wie du ganz richtig sagst. Eine einigermaßen perverse methode, wie ich meine, die irgendwie an das sezieren eines leichnams erinnert. Ich kann mir beim besten willen nicht vorstellen, dass beispielsweise ein antiker Grieche oder Germane auf diese weise Latein gelernt hat.
Eine derartige methode - und nur in dieser hinsicht ist der vergleich mit mathematik nachvollziehbar - führt aber, wie ich oben schon sagte, nur dazu, dass dem lernenden das unmittelbare sprachverständnis abhanden kommt. Zwischen der mitteilung des autors und dem (lernenden) leser entsteht eine für manchen kaum überwindbare grammatische barriere, an deren aufbau und steter verfeinerung legionen von lateinlehrern ihre pedanterie ausgetobt haben. Natürlich ist, wie in jeder sprache, die kenntnis der grammatik wichtig, das ist ja unbestritten, aber mittlerweile ist es ja soweit gekommen, dass Latein und grammatik geradezu synonyme begriffe geworden sind.
Das ergebnis kennen wir ja: vor lauter analysieren, sezieren und konstruieren entfernt man sich immer weiter von dem, was eigentlich das ziel jedes spracherwerbs sein sollte, nämlich, sprache als mittel der kommunikation zu betrachten. Wenn das erfolgserlebnis eher darin besteht, einen code geknackt oder eine gleichung gelöst zu haben, anstatt darin, sich lateinisch mitteilen, lateinisch kommunizieren zu können, dann hat die mathematik über die sprache gesiegt.
Es müsste nicht sein. Latein ließe sich problemlos vermitteln wie alle anderen sprachen auch. die sprache Latein selbst ist, wie jede sprache, nicht "mathematisch". aber sie kann sich gegen jene , die sie zu einem system mathematischer gleichungen machen wollen, leider nicht wehren.
ego sum medio quem flumine cernis,
stringentem ripas et pinguia culta secantem,
caeruleus Thybris, caelo gratissimus amnis
Benutzeravatar
Tiberis
Pater patriae
 
Beiträge: 11862
Registriert: Mi 25. Dez 2002, 20:03
Wohnort: Styria

Re: Latein und Präzision

Beitragvon marcus03 » Mi 1. Mär 2017, 08:50

Tiberis hat geschrieben: Latein ließe sich problemlos vermitteln wie alle anderen sprachen auch. die sprache Latein selbst ist, wie jede sprache,


Es dürfte letztlich am Faktor ZEIT scheitern und an der Lernsituation in der Schule. Allgemeine Reizüberflutung durch "interessantere Dinge" und mangelndes Grundinteresse bei der Mehrheit der Schüler, ("Wozu braucht ich später mal Latein"), die Pubertät etc. tun ein Übriges, den Lateinunterricht zu einer täglichen Herausforderung auch für den besten Lateinpädagogen zu machen.
Zudem gilt: Eine Sprache, die ich nie wirklich aktiv benutze, bleibt ein theoretisches Konstrukt, mit dem ich nie richtig warm werde.
Ich denke, Ziel des Lateinunterrichts -außer im Leistungskurs- ist es primär ohnehin, sprachananalytische Kompetenzen zu vermitteln, weniger sich mit den Inhalten ausführlicher auseinanderzusetzen. Ganz verkehrt ist das sicher nicht in einer Welt, die alles überall bis zum letzten Quark glaubt zerlegen zu müssen.
Wer gut analysieren kann, ist klar im Vorteil.
Der Blick für die Schönheit des Ganzen mag dabei verloren gehen bzw. erst gar nicht richtig entstehen. Alles hat seinen Preis. Das gilt auch für den Sprachunterricht. Ohne (foule?) Kompromisse geht es nicht- schon aus Zeitgründen. :)
marcus03
Pater patriae
 
Beiträge: 11400
Registriert: Mi 30. Mai 2012, 06:57

Re: Latein und Präzision

Beitragvon Medicus domesticus » Mi 1. Mär 2017, 09:14

Das Problem ist die Anwendbarkeit. Außer hier, ein paar Zirkel, Lateinstudium spricht doch keiner mehr Latein. Mich hat nicht nur die Sprache interessiert, sondern auch das Geschichtliche. Manchmal viel interessanter. Latein in der Uni Salzburg hat auch die Möglichkeit der Archäologie u.a. Ich glaube auch, dass darin die Chance für den Lateinunterricht besteht, nicht nur die Sprachvermittlung. Latein ist für niemanden lebenswichtig. Im Medizinstudium wars nützlich. Nur gebraucht hätte ich mehr Chemie und Biochemie.
Medicus domesticus
Dominus
 
Beiträge: 7238
Registriert: Di 9. Dez 2008, 11:07

Re: Latein und Präzision

Beitragvon Prudentius » Mi 1. Mär 2017, 11:03

Lieber Tiberis, ich glaube, du musst erst lernen, was man unter Mathematik versteht: nicht das Lösen von Gleichungen (das kann die Maschine machen), sondern das Aufstellen von solchen, grob gesprochen.

sie kann sich gegen jene , die sie zu einem system mathematischer gleichungen machen wollen, leider nicht wehren.


Das L. braucht sich gegen uns nicht zu wehren, unser Bemühen geht ja da hin, das L. besser verständlich zu machen.

Du zeigst bei dieser Auseinandersetzung eine gewisse Animosität, vllt. empfindest du unbewusst, dass es ein unbewältigtes Manko in der L-Grammatik gibt; es gibt eine Reihe von sprachlichen Schlüsselbegriffen, die einfach durch den Rost der Grammatik fallen: Wahrheit, Falschheit, Allgemeinheit/Besonderheit, Variable mit ihren Besonderheiten.
Prudentius
Senator
 
Beiträge: 3577
Registriert: Di 24. Mai 2011, 17:01

Re: Latein und Präzision

Beitragvon Medicus domesticus » Mi 1. Mär 2017, 11:14

Prudentius hat geschrieben:Lieber Tiberis, ich glaube, du musst erst lernen, was man unter Mathematik versteht

Das ist das Problem von vielen, die Mathematik nie gemocht oder nicht gut darin waren. Das gilt aber für alle Fächer.
Ich habe mir mal einen riesen Schinken vom Springerverlag Mathematik zugelegt (Auflage 2015). Ich war aber immer mathematikinteressiert (LK Mathematik). Im Medizinstudium hatten wir auch Biomathematik.
http://tinyurl.com/jbsw99b
Ich lese gerne darin. :book: :book:
Medicus domesticus
Dominus
 
Beiträge: 7238
Registriert: Di 9. Dez 2008, 11:07

Re: Latein und Präzision

Beitragvon medicus » Mi 1. Mär 2017, 11:30

Medicus domesticus hat geschrieben: (LK Mathematik).

Zu meiner Schulzeit gab es noch keine Leistungskurse. Ein Alptraum, der mich mein Leben lang begleitet, ist das Bild des Mathelehrers, wenn er unangekündigt mit dem Stapel der schwarz eingebundenen Schularbeitshefte im Flur von einem Mitschüler gesehen wurde, und der Ruf durch das Klassenzimmer ging: " Er hat die Hefte!" :hairy:
medicus
Augustus
 
Beiträge: 6623
Registriert: Do 9. Dez 2010, 11:39

Re: Latein und Präzision

Beitragvon Medicus domesticus » Mi 1. Mär 2017, 11:42

Immer eine Sache der Perspektive. Mathelehrer sind ja keine Ungeheuer. Für manche galt das aber auch für Lateinlehrer. LK Mathematik übrigens 6 Stunden pro Woche... :D
Medicus domesticus
Dominus
 
Beiträge: 7238
Registriert: Di 9. Dez 2008, 11:07

Re: Latein und Präzision

Beitragvon Willimox » Mi 1. Mär 2017, 19:33

Mir scheint folgendes recht plausibel:

Das Lateinische hat in unserem Fremdsprachenkanon (Gymnasium) eine gewisse Sonderstellung, weil

a) Tempusformen und Kasusformen sehr häufig synthetisch gebildet werden, Informationen über KNG und MTPNG stecken also oft in einem Wort (und nicht in einem Artikel, einem Pronomen usw)

b) Die Stellung von Satzgliedern ist verhältnismäßig frei, anders als etwa die SP0--Struktur im Englischen

c) Daraus folgt, dass die Kohärenzen (Attribut-Kongruenz, Prädikat-Subjekt-Kongruenz) oft nicht mehr intuitiv zu erfassen sind. Daher erzwingt Latein vielfach ein zeitverzögerndes Rezipieren und ein Reflektieren der Satzstruktur.

d) Dabei ist die besonderen Aufmerksamkeit und der detektivische Spürsinn für die - sit venia verbo, Tiberis - Puzzlestruktur des Satzes und die Puzzlestruktur des Verbs oder Nomens zwingender erforderlich als in vielen anderen Sprachen: Latein ist eine Detektivsprache :wink:

e) Daher wird Latein auch sehr gerne als eine zu Analyse und Reflexion zwingende Sprache gesehen. Recht häufig wird dabei beklagt, dass in dieser Perspektive gesprochene Sprache zu kurz kommt, dass vielfach soviel Aufmerksamkeit gefordert und von Formalien absorbiert wird, dass das Verstehen eines Satzes und eines Textes zu sehr in den Hintergrund rückt. Ambivalenzen fetter Art.

f) Insofern Gleichungen und lateinische Puzzlesätze vielfach eine langsame Aufhellung erfordern, sind Mathematik und Latein cum grano salis vergleichbar. Daraus dann eine Wesensverwandtschaft abzuleiten überstrapaziert (sic) die Valenz von Analogien.

g) Die Punkte a bis f werden gerne als Argumente dafür gesehen, dass man Caesartexte oder Cicerotexte zeitverzögert erschließen muss oder darf. Und dass wohl selbst ein Native Speaker (Alter Römer) nicht auf Anhieb Caesar-Kurzsätze, Cicero-Langperioden, Senecas Brevitasstil versteht, sondern reflexiv ansetzen muss, wenn er denn überhaupt intensiv verstehen will.

h) Ähnlich wie selbst der Deutsche mit gewissen Texten von Schiller, Bismarck, Mann seine liebe Not haben dürfte, wenn er sich einfach auf ihren Sog einlässt. Das Ziel ist weniger die Kommunikation, sondern Kognition und Analyse ...

i) Tiberis hat einmal über Versuche geschrieben, mit kommunikativ orientierten Lehrbüchern zu arbeiten, die den Schüler (und den Lehrer) nicht in das tradierte Prokrustesbett zwingen. (und nicht die hohe Lektüre hagiografisch zu verklären ......)

j) Viele Anhänger der lateinischen Sprachbildung behaupten den hohen "Bildungs-Wert" ihrer Domäne hinsichtlich Konzentration, Ausdauer, Durchhaltevermögen, Ambiguitätstoleranz (1:1 Wiedergabe von lateinischen Konzepten nicht immer möglich), rationales, systematisches Arbeiten.... Und müssen sich dann selbstverständlich einiges an Gegenargumenten anhören

........................................................................................................................
Ein wenig Anregung zu kritischer Würdigung in großer Bandbreite (Blauäugigkeit bis überzeugendes Plädoyer) dürfte folgender Text bieten :wink: :

Erwerb von Empathie durch Latein
Für die Ausbildung künftiger Priester kommt dem Erlernen der lateinischen Sprache nach wie vor bleibende Bedeutung zu. Nicht nur als Sprache der Liturgie – wie das Zweite Vatikanische Konzil sagt (SC, 36) – in der sie gerade als fremde und alte Sprache zur „Verhüllung des Mysteriums“ geeignet ist und so dem „urtümlichen Empfinden und einer unmittelbaren Ehrfurcht vor dem Unzugänglichen“ entgegenkommt „und zugleich signalisiert“ (Otto Kuss), sondern auch für das Quellenstudium ist die lateinische Sprache unerlässlich.

Darüber hinaus aber ermöglicht und fördert die Lektüre lateinischer Texte den Erwerb und die Aneignung einer für den Priester wichtigen pastoralen Fähigkeit: der Empathie. Darunter versteht man das Vermögen, sich in eine andere Person, in deren Lebens- und Denkwelt hineinzuversetzen. Auf dem breiten Boden der Seelsorge geht es darum, den Menschen „abzuholen“, wo er steht, und ihn von dort in die Weite des Mysteriums der Offenbarung und des Heiles hinüberzubringen. Das setzt beim Priester (und bei anderen, die pastorale Aufgaben in der Kirche übernehmen) die Fähigkeit voraus, sich den Denk- und Lebenshorizont des anderen eigen zu machen. Das ist gemeint mit Empathie. Sie ist, wie der Name schon sagt, nicht nur ein kognitiver Prozess des Sich-Hineindenkens in die andere Person, sondern schließt auch ein affektives Einswerden mit dem anderen ein. Empathie meint den Doppelschritt des Sich-Hineindenkens und des Sich-Einfühlens. Diese zentrale für die Seelsorge wichtige Fähigkeit muss gelernt und eingeübt werden. Dabei kann die Beschäftigung mit Latein von nicht zu unterschätzendem Nutzen sein. Denn bei der Übersetzung von der Ausgangssprache Latein in die Zielsprache, die eigene Sprache, geht es darum, den Text genau zu beobachten, die Sätze zu analysieren, deren Sinn zu erfassen und sich in sie hineinzudenken. Der Übersetzer muss sich den Inhalt des Gelesenen klarmachen, ihn beurteilen und schließlich kritisch und einfühlend zum Inhalt Stellung nehmen. Die Übersetzung lateinischer Texte aktiviert die Geistestätigkeiten. Der Übersetzer wird angehalten, beim Übersetzen über den Vorgang des Übersetzens nachzudenken. „Übersetzen wird ihm als ein Akt der Kommunikation und des schöpferischen Gestaltens bewußt, demnach als eine seit je geübte Grundäußerung der zwischenmenschlichen Begegnung, als eine Leistung, die Phantasie, Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit verlangt, das in der fremden Sprache Erfaßte aus dem eigenen Sprachgeist neu zu schaffen“ (Friedrich Maier).


http://www.kathnews.de/latein-ist-durch-mathematik-nicht-zu-ersetzen
Benutzeravatar
Willimox
Senator
 
Beiträge: 2725
Registriert: Sa 5. Nov 2005, 21:56
Wohnort: Miltenberg & München & Augsburg

Re: Latein und Präzision

Beitragvon Tiberis » Do 2. Mär 2017, 01:55

Willimox hat geschrieben:werden gerne als Argumente dafür gesehen, dass man Caesartexte oder Cicerotexte zeitverzögert erschließen muss oder darf. Und dass wohl selbst ein Native Speaker (Alter Römer) nicht auf Anhieb Caesar-Kurzsätze, Cicero-Langperioden, Senecas Brevitasstil versteht, sondern reflexiv ansetzen muss, wenn er denn überhaupt intensiv verstehen will.

Für philosophische Erörterungen u.dgl. mag das vielleicht richtig sein - sie spontan zu verstehen, ist wohl in keiner Sprache leicht - , aber "Caesar- Kurzsätze" ??? Sollten etwa die Legionäre eine militärische Anordnung Caesars oder eine anfeuernde Rede erst einer grammatischen Analyse unterzogen haben, um sie verstehen zu können? :lol:
ich glaube, dass die Einschätzungen bezüglich des angeblich der Mathematik so ähnlichen Charakters der lateinischen Sprache ihre wahren Ursachen ganz wo anders haben.
Der von dir zitierte G. Weishaupt schreibt an anderer Stelle nämlich folgendes:

Denn der eigentümliche lateinische Satzbau zwingt den Leser zu genauem Hinsehen, zu Klarheit, Ordnung, Struktur und Disziplin im Denken und Arbeiten.
und, Oswald Spengler zitierend:
„Dem gründlichen Lateinbetrieb seiner Gymnasien während des vorigen Jahrhunderts (gemeint ist das 19. Jahrhundert/Anm. von GPW) verdankt Deutschland mehr als es ahnt: seine geistige Disziplin, sein Organisationstalent, seine Technik. Die in langjähriger, täglicher pedantischer Gewohnheit des Umdenkens in die disziplinierteste Sprache, die es gibt, erworbene Art, geistig zu arbeiten, ist es, die seitdem als ererbte Tradition in Laboratorien, Werkstätten und Kontoren zur Wirkung gelangte, auch für die, welche ohne diese unmittelbare Schulung in die Tradition beruflich hineinwuchsen..."

ich wage zu behaupten - auch wenn jetzt ein Sturm der Entrüstung losbrechen sollte - : So kann sich über Latein nur ein Deutscher äußern, der die vermeintliche Seelenverwandtschaft zwischen preußischen Tugenden und römischer Militärdisziplin gewissermaßen in die lateinische Sprache hineinprojiziert.
Dass eine Aussage wie jene Spenglers nichts über das Wesen der lateinischen Sprache, jedoch alles über ihre in deutschen Landen übliche Vermittlung aussagt, lässt sich schon dadurch beweisen, dass die solcherart "erworbene Art, geistig zu arbeiten" dann ja auch in allen anderen Ländern, in denen Latein unterrichtet wird, dieselbe "geistige Disziplin", dasselbe "Organisationstalent" usw. zur Folge gehabt haben müsste. Kein Italiener würde die schwachsinnige Behauptung aufstellen, Latein sei die "disziplinierteste Sprache" - gibt es denn undisziplinierte Sprachen? :hairy:
Mit Disziplin hat Latein höchstens insofern zu tun (hier gibt es allerdings eine Parallele zur Mathematik), als dass man es bis heute hierzulande als Mittel zur Disziplinierung der Schüler eingesetzt hat. :sad:
Sed iam satis superque. quod dixi, dixi. Die Mathematikfans unter uns werden sich ihre Überzeugung ohnehin nicht nehmen lassen.
ego sum medio quem flumine cernis,
stringentem ripas et pinguia culta secantem,
caeruleus Thybris, caelo gratissimus amnis
Benutzeravatar
Tiberis
Pater patriae
 
Beiträge: 11862
Registriert: Mi 25. Dez 2002, 20:03
Wohnort: Styria

Exerzieren und Exorzieren

Beitragvon Willimox » Do 2. Mär 2017, 14:52

Die Mathematikfans unter uns werden sich ihre Überzeugung ohnehin nicht nehmen lassen.

Nun, gewiss:
es geht hier nicht um Überzeugungswechsel oder absolut Formuliertes unter Verzicht auf lästige Differenzierungen. :)

Gewisswohl sind lateinische Kurzsätze in einer Cäsar-Rede für den native-Speaker verstehensbezogen eine feine Sache, direkt in seinem Gemüte zündend.

Aber, noja, aber, ich rede mich jetzt ein bisserl raus: Kurzsätze, die in längere Perioden eingebaut sind, Relativverschränkungen, AcI-Konstruktionen, Gerundiv und Gerund aufweisen, bewirken vielleicht auch beim nativen Hörer/Leser der commentarii eine gewisse Verstehensverzögerung, denke ich. Selbst wenn ihr Matrixsatz klar verstanden wird. Man denke an die Helvetierdiskurse im BG.

Jedoch was wirklich besser trifft: Die Brevitas und Schwierigkeit gewisser Sätze von Seneca, dessen Episteln in Bayern gern in Abituren auftauchen.

Das Argument synthetischer, nicht analytischer Wortformenbau und eher lockere Regularitäten in der Satzgliedfolge scheint mir auf eine besondere Erschwernis und die Detektivsprache Latein hinzuweisen. Detektivsprache für Nichtnative, insofern Verstehenssucher aus manchmal sehr verstreuten Puzzleteilen den Fall/Sinn erschließen müssen)

Ein Status, welcher das berühmt-berüchtigte Konstruieren und Abfragen und Analysieren usw schon nicht ganz schmachvoll erscheinen lässt. Wenn´s denn flankiert wird mit kommunikativen Phasen, Spaß und Schmäh und Ephemeris.

http://ephemeris.alcuinus.net/
http://ephemeris.alcuinus.net/nuntius.php?id=1108

Was das germanisch-militärisch-preußische Exerzieren angeht und die Klage über entsprechende Auswüchse und ihre Exorzierung: Da muss man viel Eierlikör und Frucade genießen, damit man während solcher Proceduren bei guter Laune bleibt. Josef Fenz als Hermes war da der Inbegriff nichtpreußischer Qualitäten, na, des nehm´ ich zurück ..... :)

Dann, die Jeremiade kennt man: Solange (z.B.) im bayrischen Abitur und Latinum Cicero mit 180 Wörtern oder ein paar weniger auftaucht, ist es schwer, wenn auch möglich, mit Orberg Kernkompetenzen im ausreichenden Maße aufzubauen ....
Benutzeravatar
Willimox
Senator
 
Beiträge: 2725
Registriert: Sa 5. Nov 2005, 21:56
Wohnort: Miltenberg & München & Augsburg

VorherigeNächste

Zurück zu Sonstige Diskussionen



Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 21 Gäste