BRF Philipper 2 6-7

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BRF Philipper 2 6-7

Beitragvon sinemetu » Mo 28. Aug 2017, 09:18

6 ὃς ἐν μορφῇ θεοῦ ὑπάρχων οὐχ ἁρπαγμὸν ἡγήσατο τὸ εἶναι ἴσα θεῷ, 7 ἀλλ᾽ ἑαυτὸν ἐκένωσεν μορφὴν δούλου λαβών, ἐν ὁμοιώματι ἀνθρώπων γενόμενος· καὶ σχήματι εὑρεθεὶς ὡς ἄνθρωπος

http://www.bibelwissenschaft.de/online- ... 0083ec7bb/

Jesus Christus, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich.
Philipper 2,6-7
Das ist aus den Herrenhuter "Losungen", die imho olle Luther benutzen.

Ich empfinde die Übersetzung der fetten Phrase als falsch, ohne grammatisch sagen zu können, warum. Der Raub kann sich semantisch nur auf die später folgende freiwillige Entäußerung von dem göttlichen Sein beziehen, nicht jedoch auf die Theomorphie selbst. Warum sollte es dem Gotte ein Raub sein, so zu sein, wie er nun mal ist? Kann jemand der Griechischkundigeren dazu was sagen?


Die Einheitsübersetzung bringt daher:
6 Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein,1 7 sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich.

https://www.bibleserver.com/text/EU/Philipper2

Was denkt Ihr drüber? Ich denk manchmal, die produzieren absichtlich Schwer- bis Unverständliches aus Gründen, die ich hier nicht ausbreiten möchte ... ich lebe nicht davon!
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Re: BRF Philipper 2 6-7

Beitragvon Zythophilus » Mo 28. Aug 2017, 09:57

Wörtlich steht "Raub" da, aber auch die Herausgeber der EÜ meinten, dass das nicht verständlich wäre, und interpretierten die Wendung "es nicht für einen Raub halten" so, wie es eben in der EÜ steht.
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Re: BRF Philipper 2 6-7

Beitragvon marcus03 » Mo 28. Aug 2017, 10:01

Christus klammert nicht an seinem Gottsein wie ein Räuber an seiner Beute:

Das Verb „hêgeomai“ ist gewöhnlich mit „meinen“ oder „halten für“ zu übersetzen, „harpagmos“ mit „Raub“. Die wörtliche Übersetzung wäre also „er hielt es nicht für einen Raub“. Doch was soll das bedeuten: „er hielt es nicht für einen Raub wie Gott zu sein“? Ist „Raub“ im Sinne von „Anmaßung“ zu verstehen, wonach es Jesus Christus nicht für anmaßend hielt, wie Gott zu sein? Betrachtet man den Zusammenhang, wonach es um die Selbsterniedrigung Jesu Christi geht, so ist wohl weniger an Meinung als vielmehr an Handlung zu denken, und zwar um das Festhalten an etwas. Jesus Christus hielt demnach nicht daran fest, wie Gott zu sein – ganz im Gegensatz zum Räuber, der an seiner Beute festzuhalten pflegt. Jesus Christus hat also etwas Wertvolles losgelassen, war – mit Blick auf die V. 3-4 – also nicht auf seinen eigenen Vorteil bedacht.

http://www.welt-der-bibel.de/bibliograp ... f.207.html

https://www.google.de/search?source=hp& ... nUI--QxU0U
(1. Eintrag)

Es geht also um eine Metapher, eine sehr ungewöhnliche in Kontext der bis dahin noch nicht entwickelten Trinität, die man wohl an dieser Stelle eher "Binität" nennen sollte. Der Autor wird sich schon was dabei gedacht haben. Deftige Vergleiche hatten wohl schon immer ihren Reiz. ;-)
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Re: BRF Philipper 2 6-7

Beitragvon sinemetu » Mo 28. Aug 2017, 10:23

hallo Marcus,

Anschließend lesen wir von ihm, dass er „es nicht für einen Raub achtete, Gott gleich zu sein“ (V.6b). Warum nicht? Dafür gibt es eine ganz einfache Antwort: Weil er Gott war, musste er dies nicht rauben. Es wird nun klar werden, dass diese Aussage im Gegensatz zu dem steht, was ein anderer Mensch getan hatte, nämlich Adam. Wir denken hier unwillkürlich an 1. Mose 3, wo die Schlange zu Eva gesagt hat: „Ihr werdet durchaus nicht sterben, sondern Gott weiß, dass an dem Tag, da ihr davon esst, eure Augen aufgetan werden und ihr sein werdet wie Gott erkennend Gutes und Böses“ (1. Mo 3,4–5). Adam war nicht Gott, aber er wollte wie Gott sein. Das war Raub!


die Geschichte aus dem von Dir verlinkten Kommentar mit dem Gegensatz zu Adam, der die Göttlichkeit rauben wollte, ist reizend und klingt - weil difficilior - plausibel, jedoch - sie ermangelt jeglicher Textevidenz. Ich kann im Kontext kein Hinweis darauf finden.

Warum sollte ein Grieche diesen aramäisch-hebr. Mythos im Hinterkopf haben? Und zwar so präsent, daß es nicht einmal eines Hinweises bedurfte?
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Re: BRF Philipper 2 6-7

Beitragvon marcus03 » Mo 28. Aug 2017, 10:45

Der Autor muss kein Grieche gewesen sein. Es kann ein gebildeter Jude/Judenchrist gewesen sein, der die Koine beherrschte, die zu dieser Zeit Verkehrssprache war.
Um die nähere Herkunft dieses Hymnus zu klären, müsste man einen wissenschaftl. Bibelkommentar zu Rate ziehen (EKK-Kommentar z.B.).

cf:
https://books.google.de/books?id=OAPgtc ... or&f=false

https://de.wikipedia.org/wiki/Koine
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Re: BRF Philipper 2 6-7

Beitragvon Zythophilus » Di 29. Aug 2017, 08:54

Wenn Paulus sich an die von ihm gegründete Gemeinde in Korinth wendet, dann tut er es vermutlich so, dass sie es auch verstehen. Ich gehe davon aus, dass Griechisch seine Muttersprache war oder er sie doch auf muttersprachlichen Niveau beherrschte; Hebräisch war zu dieser Zeit längst nur mehr Liturgiesprache, und Aramäisch wohl auch nicht in den jüdischen Gemeinden Kleinasiens üblich. Wenn der Philipperhymnus auch nicht vom Apostel selber stammen dürfte, scheint er auch in Griechisch verfasst worden zu sein.
Die Redewendung "es für einen Raub halten" ist, wenn ich richtig informiert bin, sonst nirgends überliefert, was ja die Schwierigkeit hier verursacht. "Raub" im Wortsinn bedeutet, dass etwas gewaltsam weggenommen wird. Das passt hier nicht. Vermutlich ist etwas wie "Besitz" oder "Privileg" gemeint, was auch in der EÜ zum Ausdruck kommt.
Ein Beispiel aus dem Deutschen: Der in Ostösterreich gebräuchliche Ausdruck "a gmahde Wiesn" lässt sich leicht als Dialektversion von "eine gemähte Wiese" entlarven. Dennoch hilft das nur wenig, denn normalerweise hat das nichts mit dem Mähen von Wiesen mehr zu tun, sondern bedeutet, dass ein Ziel leicht zu erreichen ist. Sollte in ein paar Jahrhunderten in einem Text dieser Ausdruck auftauchen, während alle anderen Belege verloren wären, würde ebenso Rätselraten einsetzen.
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Re: BRF Philipper 2 6-7

Beitragvon Prudentius » Di 29. Aug 2017, 09:45

Bei ἁρπαγμὸν besteht überhaupt kein Verständnisproblem, alles wird aus der Antithese mit dem folgenden klar: "sich entäußern", "Knechtsgestalt". Die mächtigen Herrscher usurpierten, "raubten" sich die Götterrolle: Vergil sieht schon in der 1. Ekl. den jungen Octavian als "deus", Horaz feiert dessen Einzug wie eine Epiphanie. Augustus übte hierin Druck auf die Dichter aus, er "raubte" sich seine Göttlichkeit.
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Re: BRF Philipper 2 6-7

Beitragvon marcus03 » Di 29. Aug 2017, 10:44

Zythophilus hat geschrieben:Vermutlich ist etwas wie "Besitz" oder "Privileg" gemeint,

So sieht es auch dieser Exeget/aktuelle Exegese:
http://www.neutestamentliches-repetitor ... graph8.pdf

Ungewöhnlich bleibt die Wahl eines so negativen Begriffs wie Raub im Kontext innergöttlicher Beschreibungen. :?
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Re: BRF Philipper 2 6-7

Beitragvon Prudentius » Di 29. Aug 2017, 15:36

marcus03 hat geschrieben:Ungewöhnlich bleibt die Wahl eines so negativen Begriffs wie Raub im Kontext innergöttlicher Beschreibungen. :?


Du musst die Negation beachten: " ... nicht als Raub ..."! Der Raub bildet die Folie, den Hintergrund, vor dem die positiven Eigenschaften sich abheben.
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Re: BRF Philipper 2 6-7

Beitragvon marcus03 » Di 29. Aug 2017, 18:10

Mir geht es um die seltsame Metapher:
Die 2. göttliche Person betrachtet ihr Gottgleichsein nicht als "Raub" = Festhalten an etwas, das ihr nicht rechtl. nicht zusteht. Hier kommen juristische Aspekte ins Spiel, die in diesen Kontext m.E. nicht so recht passen wollen.
Diese Diktion widerstrebt mir irgendwie. Meine Frage ist daher: Warum hat der Autor sie gewählt?
Warum sagt er "Raub" und nimmt nicht eine positive Metapher wie "wertvollen, "ehrlichen" Besitz o.ä.?
Ich will damit keine binitätstheologische Diskussion lostreten, aber für mich bleibt die Stelle merkwürdig.
Wie kommt er auf die Idee, eine Wesenseigenschaft, die einer göttl. Person nun mal zukommt, mit einem Raub in Verbindung zu bringen, wenn diese Person an ihr festhielte, dass es also in Gott ohne die Kenosis so zusagen nicht mit rechten Dingen zuginge.
Mir ist dabei bewusst, dass wir uns hier erst am Anfang späterer, heftiger trinitätstheologischer Probleme befinden. Drastisch und ironisch überspitzt formuliert: Befände sich ein " kleiner Krimineller" in der Binität, wenn besagte Person an ihrer Gottgleichheit festgehalten hätte statt diese loszulassen und sich auf das unterste Niveau zu begeben, um dort als "göttlicher Aussteiger" erlösend zu wirken. ;-)

Fazit: Der Hapargmos ist doch nicht ganz ohne, je mehr man darüber sinniert. :)
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Re: BRF Philipper 2 6-7

Beitragvon Prudentius » Fr 1. Sep 2017, 17:10

Der Philipperhymnus bietet ja eine ganze Reihe von auffälligen Formulierungen, die nicht so richtig in das AT/hebräische Umfeld passen: "Gestalt annehmen", so wie ein Kleid anziehen; "Gott gleich sein", also nicht: "Gott sein"? "Sich entäußern": wie das neuplatonische Eine aus sich selbst heraustritt und in die Vielfalt überströmt? "in Gestalt Gottes sein": also nicht selbst Gott sein? "das Abbild eines Menschen angenommen": also nicht wirklich Mensch geworden? Es scheinen spätplatonische Motive verarbeitet zu sein, oder gnostischer Einfluss vorzuliegen, oder ostasiatische Ideen?
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Re: BRF Philipper 2 6-7

Beitragvon marcus03 » Sa 2. Sep 2017, 10:27

Prudentius hat geschrieben: Es scheinen spätplatonische Motive verarbeitet zu sein, oder gnostischer Einfluss vorzuliegen, oder ostasiatische Ideen?

Danke, Prudentius, so wird es wohl sein. Der Hebräer denkt anders als der Grieche und wird auch von daher immer Probleme mit der Trinität haben. Die Kirche hat sich für den hochspekulativen, griechischen Denkweg entschieden und dabei faszinierende Denkmodelle und Metaphern entwickelt (Augustinus), die indes mehr Fragen aufzuwerfen als zu beantworten scheinen. Der Deus trinus wird im Letzten immer ein unfassbares Geheimnis bleiben (Rahner) genauso wie seine creatio e nihilo/ex fragore primordiali mit anschließender Evolution, die nach ca. 13,818? Milliarden Jahren eine Wesen hervorzubringen begann, das sich als Krönung dieses Prozesses betrachtet (hat??) und immer mehr erkennen und zugeben muss, dass es der schöpferischen Weisheit letzter Schluss wohl nicht sein kann. ;-)
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Re: BRF Philipper 2 6-7

Beitragvon Prudentius » Mo 4. Sep 2017, 19:30

marcus03 hat geschrieben: ...wird im Letzten immer ein unfassbares Geheimnis bleiben (Rahner) genauso wie seine creatio e nihilo/ex fragore primordiali mit anschließender Evolution, die nach ca. 13,818? Milliarden Jahren ...


Rein gefühlsmäßig würde ich sagen, das klingt mir zu sehr nach milder Resignation, das können wir auf sich beruhen lassen, das betrifft uns nicht wirklich. Ich denke, wir sollten uns das Beunruhigende und Herausfordernde dieser modernen Erkenntnisse vor Augen führen; z.B. bei den 13,... Mrd. Jahren, da ist ein absoluter Zeitmaßstab neben die Welt gelegt, aber das gibt es gar nicht, es gibt gar keine absolute Zeit, Gleichzeitigkeit ist nur in Bezug auf einen bestimmten Beobachter definierbar (das war ja ein Ausgangspunkt der Relativitätstheorie), es gibt auch keinen absoluten Raum, sondern nur in Bezug auf einen jeweiligen Beobachter; unsere Basisbegriffe wie Ding/Gegenstand, Vorgang/Ereignis, Situation haben nur in unserer begrenzten Raum-Zeit-Nische einen begrenzten Bestand, sie sind für das Weltall im ganzen nicht anwendbar.

Das Beunruhigende für uns ist: wir können ja nicht mit Scheuklappen leben, wir müssen realisieren, dass unsere Grundvorstellungen wie Substanzen, Vorgänge, Entwicklungen, Erfahrungen, Einsichten, alles nur vordergründige Schemen sind; wir bezahlen immer nur mit Wechseln, von denen wir wissen, dass sie nicht gedeckt sind.

Wir haben aber in der Geschichte schon ein wenig gelernt, mit dieser Situation umzugehen; seit Heraklit dem "Dunklen" hat sich eine Sprache für das Sagen des Unsagbaren gebildet; früher war das der Bereich der Mystik in der Religion, dann der Metaphysik in der Philosophie, und heute ist die Mystik in die Physik abgewandert, Einstein ist der moderne Mystiker.
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