Kein Sinemetu, dafür SHREK (USA 2001)

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Kein Sinemetu, dafür SHREK (USA 2001)

Beitragvon Willimox » Do 12. Apr 2018, 19:11

Kein Sinemetu, dafür mit SHREK (USA 2001)

(1) Cineasten

Mancher Cineast war beim ersten Sehen fasziniert, von Der tollkühne Held SHREK (USA 2001, R Andrew Adamson, Victoria Jenson) - „Shrek“ ist ein Ereignisbündel, überstrahlt von einem Gagfeuerwerk, satt an Situationskomik. Überbordende Einfälle in einer gar nicht einfachen storyline. Aber was Vergnügen schafft, kann auch frustrieren: Fragt sich der Liebhaber des Filmes, wie das Vergnügen zustande kam, spielt ihm das Bewusstsein einen Streich. Vieles an dem Film ist schwer überschaubar, vieles kaum erinnerbar, vieles bleibt im Rückblick fragmentarisch.

Daher – nach wiederholter „Filmlektüre“ – der Versuch, dem Vergnügen dort nachzuspüren, wo es seine Haltepunkte hat: in der Makrostruktur des Plots, in der Mikrostruktur der Details, in dem Allusionsspiel der Genres und Zitate. So lässt sich vielleicht die Topographie der Erlebnislandschaft „Shrek“ erstellen, können Rezeptionsvorgänge verortet werden. Als Zusatzeffekt: Gewinn einer soliden Basis für didaktische Möglichkeiten im Umgang mit „Shrek“.

(2) „Shrek“, das (semantische) Profil der Hauptfigur

Der Titel „Shrek” ist ein jiddisch-deutsches Wort. Im Englischen existiert es nicht. Dort besetzen „shock“, „fear“, „fright“, „horror“ oder „scariness“ das Wortfeld. William Steig, berühmter Cartonist des Magazins „The NewYorker“ und Autor des Bilderbuches „Shrek“, hatte österreichische Eltern, kannte Filme aus dem deutschen Sprachraum. So geht man, will man das Spielpotential des Film-Titels und seiner Handlung erfassen, nicht fehl, die Semantik des deutschen Wortes „Schreck“ aufzuhellen.

Feuer spuckend und aus den Ohren qualmend zieht Steigs Unhold durch die Welt, verpestet sie mit seinem Gestank und verschreckt jeden mit seinem Antlitz. Shrek, das hässliche grüne Wesen! Von seinen Eltern unsanft in die Welt geschubst, schlendert er fröhlich des Weges, um sein Glück zu finden. Eine Hexe prophezeit ihm, er werde eine Prinzessin heiraten. „Eine Prinzessin“, ruft Shrek. „Bin schon unterwegs!“

So schnell findet natürlich niemand eine Prinzessin. Unwettern, Drachen und anderen Gefahren trotzt unser Held mit Leichtigkeit. Shrek verschlingt Blitze, fiese Ungeheuer fallen vom Flammenstrahl seiner Augen getroffen bewusstlos um. Richtig schlimm sind hingegen nur Alpträume von der perfekten Idylle, die ihm Schweißperlen auf die Stirn treiben und den Schlaf rauben. Die eigentliche Prüfung erwartet ihn jedoch, nachdem er in ein Spiegelkabinett stolpert und sich selbst wunderbar erschreckt hundertmal gegenübersteht ...

Klar kriegt Steigs Shrek am Ende seine Prinzessin. Die allerhässlichste Prinzessin der Welt! Es kommt zum Finale mit romantischem Duett und Hochzeitsbukett aus Kakteen. Ironische Sprachspiele fügen sich dabei zur schönsten Liebeserklärung. „Deine rosigen Pickel, die warzigen Schwielen, und wie deine Schweinsäuglein nach mir schielen, das macht mich ganz dumm!“ Woraufhin die Prinzessin antwortet: „Dein Kartoffelnäschen, die Beule am Hirn, dein stechender Blick und die fliehende Stirn, das haut mich glatt um!“

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(Max Schreck)
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(Murnaus Nosferatu)
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(William Steigs Shrek)

„Schreck“ bezeichnet einen Affekt im Sinnbezirk von Angst und Furcht: eine körperlich-seelische Reaktion, eine heftige Gemütserschütterung, die bei einem Lebewesen meist durch das plötzliche Erkennen einer Gefahr oder Bedrohung ausgelöst wird und ein Flucht- oder Abwehrverhalten zeitigt. Das Wort kann je nach Kontext eher den erzeugten körperlich-seelischen Effekt und seinen „Wirt“ (Träger) oder eher den Auslöser (Produzenten) des Affektes fokussieren:

• Auf den Effekt und sein Opfer verweist etwa die Redensart „Er kam mit dem bloßen Schrecken davon“.
• In Ausdrücken wie „Schreckgespenst“ oder „Schreckschraube“ oder „XY war der Schreck der Nachbarschaft“ oder „Feldwebel Schneider war der Schreck der Rekruten“ ist primär der Schreckerreger markiert.
• Im Ausdruck „Ich jage jemandem einen Schreck ein“ sind alle drei Elemente angesprochen, Agens, Patiens und Effekt.
• Ähnlich funktioniert das polyseme Verb „erschrecken“, das eine transitive („jemanden erschrecken“) und eine intransitive Bedeutung hat („selber tief innerlich erschrecken“).
• Das Verb arbeitet bei der Konjugation mit dem gleichen Ausgangspunkt, dem Infinitiv „erschrecken“, setzt dann aber im Präteritum unterschiedliche Stämme: ich erschrecke, er erschreckt, ich erschreckte, ich habe erschreckt – das ist die transitive Variante.
• Die intransitive Variante heißt: ich erschrecke, er erschrickt (!), ich erschrak, ich bin erschrocken. In der transitiven Variante setzt das Verb „erschrecken“ – wie alle transitiven Verben – eher den Auslöser, das Agens, samt Zielpunkt der Handlung dominant, in der intransitiven Variante eher den betroffenen Träger des Effekts, das Patiens..

Tatsächlich finden sich in der Hauptfigur Shrek die transitiven und intransitiven Elemente auf unter-schiedlicher Stufe, so dass sich der Grundbedeutung von „Schreck“ Zusatzbedeutungen anlagern und eine komplexe Schichtung entsteht. Sie hat vor allem damit zu tun, dass das Agens, der Oger, auf einer bestimmten Stufe auch als Patiens vorgeführt wird:

• Ein durch sein Äußeres schreckeinflößendes Monster (ein Oger, ein Ork, ein Troll) macht die Menschen zittern vor Angst. Er stimuliert bei den Dorfbewohnern Aversion, Abwehr und auch Verfolgung, beziehungsweise Gegenwehr.

• Wer Schrecken einflößt und Ablehnung erfährt, wird seinerseits aus sozialen Beziehungen weggeschreckt, wird hart. Der Oger ist zum misanthropischen Einzelgänger geworden, er vergnügt sich fern von Dorf und Stadt in seinem Heim mit dem Essen von Augäpfeln, er verlacht die Liebesgeschichte von Dornröschen, er spottet über das Ideal einer freundlichen Partnerschaft, er akzeptiert nur widerwillig die Nähe des Esels. Bedrohung und Ablehnung münzt er um in ein Loblied auf die Einsamkeit. Hier der Dialog zwischen Esel und Shrek in der Mondbetrachtungsszene: What's your problem? What you got against the whole world anyway? - Look, I'm not the one with the problem, okay? It's the world that seems to have a problem with me. People take one look at me and go. "Aah! Help! Run! A big, stupid, ugly orge!" They judge me before they even know me. That's why I'm better off alone.

• Gleichzeitig aber ist Partnerschaft für ihn latent attraktiv. Spürbar in der ambivalenten Beziehung zum Buddy-Esel. Deutlicher in der Beziehung zu Fiona. In der Begegnung mit ihr sieht es so aus, als ob er aus seinem Schreckensimage ausbrechen kann: Fiona erlebt – gute Ausgangbedingung für eine neue Rolle Shreks – wie sie von einem muskulösen Kerl in Ritterrüstung gerettet wird. Diese Wertigkeit bleibt auch dann noch bestehen, als sich Shrek eben nicht als Ritter entpuppt. Dazu passend: Fiona ist nicht nur das zarte Fräulein, sondern eine fantastische Kung-Fu-Sportlerin, wie sich in der Matrix-Tiger-and-Dragon-Szene (Kampf mit Robin Hoods Mannen) zeigt. Shrek hat in Wrestling-Manier das Ritterturnier bestanden. Shrek und Fiona kommen sich nach der Robin-Hood-Episode näher.

• Andererseits ist Shrek so an die Ablehnung seines erschreckten Umfeldes gewöhnt, dass er Fionas Avancen ungläubig erlebt. Verschreckt noch und latent skeptisch. Halb überzeugt, ziemlich überzeugt, aber nicht endgültig überzeugt. Das bestätigt sich leidbringend in der Mühlenszene: Das alte negative Selbstbild, gerade noch erschüttert und ansatzweise überwunden, wird sofort revitalisiert, als er Fionas Satz vom unattraktiven Monster fälschlicherweise auf sich bezieht: „When I was a little girl, a witch cast a spell on me. Every night I become this. This horrible, ugly beast!” Er hat den Kontext nicht erfassen können, fragt nicht nach, ist wie gelähmt. Shrek kippt aus der Euphorie der Akzeptanz in die Frustration der Zurückweisung.

• Erst des Esels Botschaft, was da wirklich in der Mühle gesagt wurde, liefert den Energieschub, um das Shrek-Bild aufzubrechen, das er internalisiert hat. Shrek kann die verdrängte Sehnsucht nach Partnerschaft ausagieren, die in der oft bestätigten Angst vor Zurückweisung so schwach geworden ist.

Bild

Und Shreks Schreck (im Bild rechts oben) vor einem klassischen Dornröschen-Modell ist Geschichte.

(3) Weiterführend mit schrecklichem ;-) Powerpoint

https://www.linguisten.de/Thread-Shrek- ... ria-Jenson

:book:
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Re: Kein Sinemetu, dafür SHREK (USA 2001)

Beitragvon sinemetu » Sa 14. Apr 2018, 00:28

Haha, sitze grade in Bedford Street, unweit der Klausur der Leute aus Satu Mare und breite mich auf Cosi Fan Tutte in der Met vor. Die Subway ist wirklich renorvierungsbeduerftig.... der Dialekt, dieses mittelalterliche rheinisch ist gewoehnungbeduerftig, aber durchaus schnatterbar
Zuletzt geändert von sinemetu am Mi 2. Mai 2018, 20:53, insgesamt 1-mal geändert.
Quaestor sum, quaerere quaerique possum ...
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Re: Kein Sinemetu, dafür SHREK (USA 2001)

Beitragvon Zythophilus » Sa 14. Apr 2018, 10:20

Sinemetu hat geschrieben:Cosi Fan Tüte
- ein echter Mozart-Fan mit Tüte?
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Re: Kein Sinemetu, dafür SHREK (USA 2001)

Beitragvon Zythophilus » Sa 14. Apr 2018, 10:22

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Re: Kein Sinemetu, dafür SHREK (USA 2001)

Beitragvon medicus » Sa 14. Apr 2018, 10:48

Salve Zythophile, in linco tuo lego: selbstgebrautes Bier und Biersekt der Salzburger Brauerei DIE WEISSE.
Ergo curre!
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Re: Kein Sinemetu, dafür SHREK (USA 2001)

Beitragvon Zythophilus » Sa 14. Apr 2018, 15:14

A te dicta mihi, medice, est ceruisia nota,
uerum ibi iam potus non solet ille coqui.

„Die Weisse Biersekt“ inueniri non potest.
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Re: Kein Sinemetu, dafür SHREK (USA 2001)

Beitragvon marcus03 » Sa 14. Apr 2018, 17:34

Zythophilus hat geschrieben:A te dicta mihi, medice, est ceruisia nota,


Estne cervisia, quae tibi nota non fuerit? ;-)
Num haec:
https://www.google.de/search?q=martinsb ... -uSRSdGKnM:
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Re: Kein Sinemetu, dafür SHREK (USA 2001)

Beitragvon Zythophilus » So 15. Apr 2018, 17:01

Non genera humoris Cerealis cognita cuncta:
Multo, quam ualeo sumere, plura coquunt.
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