-ling

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Re: -ling

Beitragvon medicus » Mo 4. Mär 2019, 22:33

Zwischenergebnis: Wir müssen sinemetu dankbar sein für seine belebenden Anfragen! :klatsch:
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Re: -ling

Beitragvon Tiberis » Mo 4. Mär 2019, 23:28

Zythophilus hat geschrieben:stellt sich die ernst gemeinte Frage, ob das "-ling" am Ende von Ortsnamen mit dem Suffix von Grünling und Co zusammenhängt.

wohl nicht, denn das entsprechende Ortssuffix lautet -ing und nicht -ling.
Und selbst bei den Ortsnamen bedeutet das -ing* nicht immer dasselbe.
Im bajuwarischen Siedlungsraum schließt sich das Suffix -ing i.d.R. an einen männlichen Vornamen an, z.B bedeutet Ruhpolding den Ort, an dem sich ein Ruhpold mit seiner Sippe niederließ (bajuwarische Landnahme, 7./8. Jh.). Naturgemäß sind diese Vornamen mitunter nicht mehr leicht erkennbar: so leitet sich z.B. Schärding aus dem Namen Scardo her.
Östlich der Linie Linz- Lienz ist jedoch damit zu rechnen, dass Ortsnamen auf -ing auch slawischen Ursprungs sein können bzw. in den meisten Fällen auch sind, wie eben auch Mödling.

* im alemannischen Siedlungsraum: -ingen
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Re: -ling

Beitragvon Tiberis » Di 5. Mär 2019, 00:07

Nachtrag:

Diesen Artikel habe ich eben gefunden:https://sciencev1.orf.at/ays/128399.html
Er bezieht sich explizit auf die Ortsnamen auf -ing (in Österreich).
Leider von einem Journalisten verfasst, und so ist bei manchen Aussagen Vorsicht geboten, wie z.B. bei der Behauptung, die -ing- Namen im Ennstal (Schladming, Gröbming etc) gehörten der alten Schicht , also der bajuwarischen Landnahme an, was jedoch nicht richtig ist. In beiden Fällen handelt es sich um slawische Wurzeln, die sich typischerweise auf die Natur des Ortes, nicht aber auf Personen beziehen.
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Re: -ling

Beitragvon sinemetu » Di 5. Mär 2019, 09:04

Die Frage nach der etymologischen. Wurzel des Suffixes -ling in Grünling ist immer noch nicht geklärt. Ich hatte nicht nach der Funktion des Suffixes gefragt.
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Re: -ling

Beitragvon marcus03 » Di 5. Mär 2019, 09:58

Vom indoeuropäischen -linga:

http://thesaurus.altervista.org/dict/de/-ling

Das hatte ich schon anfangs verlinkt. :?
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Re: -ling

Beitragvon sinemetu » Di 5. Mär 2019, 10:05

marcus03 hat geschrieben:Vom indoeuropäischen -linga:
Das hatte ich schon anfangs verlinkt. :?

OK hatte ich überlesen.
abgeleitet von indoeuropäisch *-linga

... aber es ist keine Bedeutung angegeben.
Zuletzt geändert von sinemetu am Di 5. Mär 2019, 10:27, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: -ling

Beitragvon marcus03 » Di 5. Mär 2019, 10:10

Es geht um die Funktion. -linga hat eine spezielle semantische Funktion.

vgl:
-chen/-lein --> Diminutivfunktion (Tisch --> Tischlein)
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Re: -ling

Beitragvon sinemetu » Di 5. Mär 2019, 10:32

marcus03 hat geschrieben:Es geht um die Funktion. -linga hat eine spezielle semantische Funktion.
vgl:
-chen/-lein --> Diminutivfunktion (Tisch --> Tischlein)


Bevor Präfixe und Suffixe und Präpositionen und Postpositionen entstehen, die Kennzeichen einer entwickelten Sprache sind, sind sie in der Regel vollwertige bedeutungstragende Nomen eines primitiveren Sprachzustandes.

Um die Bedeutung "klein" auszudrücken, passiert es, daß man ein kleines Ding selbiger Art neben dasselbe rückt, z. B. Sperlingsfalke, also Sperling (Kleiner Vogel neben dem natorgemäß größeren Falken ), Walross (Wal als großes Tier neben dem schon großen Ross), ... ich hatte ja nach der Etymologie des Suffixes gefragt, also auf einen vergangenen Sprachzustand abgehoben. Insofern ist die Frage immer noch nicht beantwortet.
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Re: -ling

Beitragvon Honigdachs » Di 5. Mär 2019, 12:12

sinemetu hat geschrieben:
marcus03 hat geschrieben:Es geht um die Funktion. -linga hat eine spezielle semantische Funktion.
vgl:
-chen/-lein --> Diminutivfunktion (Tisch --> Tischlein)


Bevor Präfixe und Suffixe und Präpositionen und Postpositionen entstehen, die Kennzeichen einer entwickelten Sprache sind, sind sie in der Regel vollwertige bedeutungstragende Nomen eines primitiveren Sprachzustandes.


Im Lateinischen kommen Präfixe und Präpositionen wohl von Adverben, die zur (ursprünglich für sich ausreichenden) Kasusfunktion der Substantive verstärkend hinzutraten, dann grammatikalisiert wurden und sich entweder als Präpositionen an die Substantive (in den jeweiligen Kasus) anhängten oder eben als Präfixe an die Verben. Also konkret ire + urbem --> in urbem ire <> urbem inire (daneben gibt es im lat. noch den alten reinen Zielkasus, z.B. Romam ire)

Das ist EINE Möglichkeit wie ein Morphem entstehen kann. Ob sich alle Morpheme über Grammatikalisierung erklären lassen, weiß ich nicht. Ich kann es mir eigentlich nicht vorstellen.

Den älteren Zustand einer Sprache würde ich übrigens nicht als "primitiver" bezeichnen.
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Re: -ling

Beitragvon Honigdachs » Di 5. Mär 2019, 12:14

sinemetu hat geschrieben:Walross (Wal als großes Tier neben dem schon großen Ross)


Wo hast du denn das gelesen :?
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Beitragvon sinemetu » Di 5. Mär 2019, 12:21

Honigdachs hat geschrieben:Den älteren Zustand einer Sprache würde ich übrigens nicht als "primitiver" bezeichnen.

Du hast recht, das ist nicht zwingend, besonders wenn wir das heutige, an den Schulen gesprochene Deutsch betrachten. Koine ist ja auch nicht attisch.

ich meinte mit primitiver aber ursprünglicher, weil Grammatik mit Endungen und so eine Sprache immer kompliziert, während das bloße Zusammenstellen zweier Nomen demgegenüber eine sprachlich recht einfache Aktion darstellt.
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Re: -ling

Beitragvon sinemetu » Di 5. Mär 2019, 12:27

Honigdachs hat geschrieben:Das ist EINE Möglichkeit wie ein Morphem entstehen kann.

denk an:
1. coram (*com ore)
2. palam (palma - pandere)
oder die vielen deutschen Genitivpräposition, wie dank, kraft, trotz .....
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Re: -ling

Beitragvon Willimox » Di 5. Mär 2019, 21:06

Salute,
nach der Lektüre von Hinweisen, die sich bei marcus3, marcus, Tiberis, Zythophilus und Honigdachs finden, folgende - diesmal ernsthaftere - Anmerkungen:

1. Etymologische und semantische Aspekte des Affixes/Suffixes -ling

Die Herkunft des Morphems -ling wird in der Forschung etwa so beschrieben:

Nach Dammel (2011: 331) ist es durch das Anfügen des Zugehörigkeitssuffixes -ing an das Diminutivsuffix -l entstanden, die Verschmelzung sei schon im Althochdeutschen belegbar.

Baeskow (2002: 501) sieht den Ursprung ebenfalls im Suffix -ing, das jedoch an nicht unbedingt diminutive Stämme, die auf -l auslauteten, angefügt wurde. Für das so entstandene Suffix - ling werden als ursprüngliche Funktionen ‚Diminutiv‘ und ‚Zugehörigkeit‘ angenommen. Der Stammvokal der Basis wird in der Regel umgelautet, abgesehen von wenigen Ausnahmen (vgl. Moser 1993: 120).

Das Morphem bildet immer Maskulina und kann zur Benennung von Personen dienen (Flüchtling), daneben aber auch zur Bezeichnung von Gegenständen (Drilling), Tieren (Frischling), Pflanzen (Keimling) oder Pilzen (Pfifferling).

Insgesamt liegt bei diesem Morphem also eine nur schwache Semantik vor, sie lässt sich etwa mit der Semantik lateinischer Suffixe wie -culus (homunculus, regulus), -tor, -inus, -icus, -ilis, -eus und ähnlichen vergleichen

2. De/iminutiva und ihre Ambivalenz: Pejorativ-Tendenzen

Es scheint so zu sein, dass tatsächlich in -ling eine Disposition zu "Deminutiva" angelegt ist. Denn es lässt sich wohl ein Lexem auf -ling nur selten mit -chen oder - lein zusätzlich versehen.

In der De- und Konnotation, also der Semantik, lässt sich ein Doppelaspekt beobachten:

Ein "Liebling" - wir sind hier vielleicht im Quellbereich "liebenswerte Kleine", ist vielleicht wirklich in den Turtel- und "Babycode" von Verliebten zu integrieren und hat so bei Liebespaaren die Semantk "liebenswertes, zu umsorgendes, zärtlich zu liebendes Kind". Ein "Schreiberling" oder "Dichterling" ist - vielleicht auch wegen eben dieser diminutiven Komponente nicht für "voll" zu nehmen., ein kindischer Typ, der sich für etwas hält, was er noch nicht ist und vielleicht nie sein wird. Und insofern pejorative Bedeutung dieses Wortzeichens.

Ein gewisser negativer Nebensinn ist "-ling-Bildungen " potentiell auch deswegen zugeordnet, als sich in ihnen öfter ein Mangel an Respekt ausdrückt: Einen Gast wird man nicht als Ankömmling bezeichnen und einen bedeutenden Menschen aus einer wichtigen Familie nennt man Nachkomme und nicht Nachkömmling.

So kann also der Diminutiv eine Skala von Zärtlichkeit bis Verachtung bedienen. Das lässt sich vielleicht analog zum Deminutivmorphem "-lein/-chen" erklären:
Ein "Hündchen" ist liebenswert, aber auch nicht unbedingt "stattlich" oder prestigeträchtig" für den Besitzer. Er wird auch ungefährlich sein und nicht "scharf" oder "abschreckend".
Ein "Direktorchen " verliert gegenüber dem "Direktor" an an Autorität und Würde.
Ein "Sinumetuling" ist in der Semantik abhängig von der Pragmatik und der Sprechsitution und der Einschätzung durch Kommunikationspartner. Der Begriff ist aber prinzipiell offen für negative und neutrale, vielleicht (!) auch positive Seme. Und er gehört für den Sprecher/Nutzer in eine Klasse, deren Vertretern eine gewisse Fremdheit zugeordnet wird, jedenfalls keine Nähe zum Umfeld, das der Sprecher als "seines" empfindet. Sei es aus Distiktionsbedürfnissen, sei es aus Arroganz, sei es aus beiderseitiger Distanz und Distanzierung. Eine Art Zurückweisung in den "angestammten", "zugehörigen Bereich".

Man vergleiche zu diesem semantischen Potential auch Lexeme wie Impfling, Fremdling, Feigling, Jüngling, Frechling, Dümmling, Anlernling, Naivling, Primitivling, Setzling....

(3) Neuere Arbeiten:

Baeskow, Heike (2002):
Abgeleitete Personenbezeichnungen im Deutschen und Englischen. Kontrastive Wortbildungsanalysen im Rahmen des Minimalisti- schen Programms und unter Berücksichtigung sprachhistorischer Aspekte. Berlin [u.a.]: De Gruyter.

Dammel, Antje (2011):
Wie kommt es zu rumstudierenden Hinterbänklern und anderen Sonderlingen? Pfade zu pejorativen Wortbildungsbedeutungen im Deutschen. Jahrbuch für Germanistische Sprachgeschichte 2. Berlin/New York: De Gruyter, S. 326-343.

Dammel, Antje/Quindt, Olga (2016):
How do evaluative derivational meanings arise? A bit of Geforsche and Forscherei. In: Finkbeiner, Rita/Meibauer, Jörg/Wiese, Heike (Hgg.): Pejoration. Linguistik Aktuell 228. Amsterdam/Philadelphia: Benjamins, S. 41-73.

Donalies, Elke (1999):
Können Wortbildungsaffixe semantische Kerne sein? Ein Diskussionsbeitrag zur Differenzierung der deutschen Affixe nach semantischen Kriterien. In: Eroms, Hans-Werner et al. (Hg.): Deutsche Sprache 27.3. Berlin: Erich Schmidt, S. 195-208.

Donalies, Elke (2007):
Basiswissen deutsche Wortbildung. Tübingen: Narr Francke Attempto.

Moser, Stefan (1993):
Substantivische Affixbildung im Frühneuhochdeutschen. Morphologie und Semantik der Präfixe außer ge- und der Suffixe –el, –(l/n)er,–(e)rich, –(e/i)ss(e/in), –icht, –in, –lein, –ling. Würzburg: Univ. Diss.
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