von Willimox » Di 5. Mär 2019, 21:06
Salute,
nach der Lektüre von Hinweisen, die sich bei marcus3, marcus, Tiberis, Zythophilus und Honigdachs finden, folgende - diesmal ernsthaftere - Anmerkungen:
1. Etymologische und semantische Aspekte des Affixes/Suffixes -ling
Die Herkunft des Morphems -ling wird in der Forschung etwa so beschrieben:
Nach Dammel (2011: 331) ist es durch das Anfügen des Zugehörigkeitssuffixes -ing an das Diminutivsuffix -l entstanden, die Verschmelzung sei schon im Althochdeutschen belegbar.
Baeskow (2002: 501) sieht den Ursprung ebenfalls im Suffix -ing, das jedoch an nicht unbedingt diminutive Stämme, die auf -l auslauteten, angefügt wurde. Für das so entstandene Suffix - ling werden als ursprüngliche Funktionen ‚Diminutiv‘ und ‚Zugehörigkeit‘ angenommen. Der Stammvokal der Basis wird in der Regel umgelautet, abgesehen von wenigen Ausnahmen (vgl. Moser 1993: 120).
Das Morphem bildet immer Maskulina und kann zur Benennung von Personen dienen (Flüchtling), daneben aber auch zur Bezeichnung von Gegenständen (Drilling), Tieren (Frischling), Pflanzen (Keimling) oder Pilzen (Pfifferling).
Insgesamt liegt bei diesem Morphem also eine nur schwache Semantik vor, sie lässt sich etwa mit der Semantik lateinischer Suffixe wie -culus (homunculus, regulus), -tor, -inus, -icus, -ilis, -eus und ähnlichen vergleichen
2. De/iminutiva und ihre Ambivalenz: Pejorativ-Tendenzen
Es scheint so zu sein, dass tatsächlich in -ling eine Disposition zu "Deminutiva" angelegt ist. Denn es lässt sich wohl ein Lexem auf -ling nur selten mit -chen oder - lein zusätzlich versehen.
In der De- und Konnotation, also der Semantik, lässt sich ein Doppelaspekt beobachten:
Ein "Liebling" - wir sind hier vielleicht im Quellbereich "liebenswerte Kleine", ist vielleicht wirklich in den Turtel- und "Babycode" von Verliebten zu integrieren und hat so bei Liebespaaren die Semantk "liebenswertes, zu umsorgendes, zärtlich zu liebendes Kind". Ein "Schreiberling" oder "Dichterling" ist - vielleicht auch wegen eben dieser diminutiven Komponente nicht für "voll" zu nehmen., ein kindischer Typ, der sich für etwas hält, was er noch nicht ist und vielleicht nie sein wird. Und insofern pejorative Bedeutung dieses Wortzeichens.
Ein gewisser negativer Nebensinn ist "-ling-Bildungen " potentiell auch deswegen zugeordnet, als sich in ihnen öfter ein Mangel an Respekt ausdrückt: Einen Gast wird man nicht als Ankömmling bezeichnen und einen bedeutenden Menschen aus einer wichtigen Familie nennt man Nachkomme und nicht Nachkömmling.
So kann also der Diminutiv eine Skala von Zärtlichkeit bis Verachtung bedienen. Das lässt sich vielleicht analog zum Deminutivmorphem "-lein/-chen" erklären:
Ein "Hündchen" ist liebenswert, aber auch nicht unbedingt "stattlich" oder prestigeträchtig" für den Besitzer. Er wird auch ungefährlich sein und nicht "scharf" oder "abschreckend".
Ein "Direktorchen " verliert gegenüber dem "Direktor" an an Autorität und Würde.
Ein "Sinumetuling" ist in der Semantik abhängig von der Pragmatik und der Sprechsitution und der Einschätzung durch Kommunikationspartner. Der Begriff ist aber prinzipiell offen für negative und neutrale, vielleicht (!) auch positive Seme. Und er gehört für den Sprecher/Nutzer in eine Klasse, deren Vertretern eine gewisse Fremdheit zugeordnet wird, jedenfalls keine Nähe zum Umfeld, das der Sprecher als "seines" empfindet. Sei es aus Distiktionsbedürfnissen, sei es aus Arroganz, sei es aus beiderseitiger Distanz und Distanzierung. Eine Art Zurückweisung in den "angestammten", "zugehörigen Bereich".
Man vergleiche zu diesem semantischen Potential auch Lexeme wie Impfling, Fremdling, Feigling, Jüngling, Frechling, Dümmling, Anlernling, Naivling, Primitivling, Setzling....
(3) Neuere Arbeiten:
Baeskow, Heike (2002):
Abgeleitete Personenbezeichnungen im Deutschen und Englischen. Kontrastive Wortbildungsanalysen im Rahmen des Minimalisti- schen Programms und unter Berücksichtigung sprachhistorischer Aspekte. Berlin [u.a.]: De Gruyter.
Dammel, Antje (2011):
Wie kommt es zu rumstudierenden Hinterbänklern und anderen Sonderlingen? Pfade zu pejorativen Wortbildungsbedeutungen im Deutschen. Jahrbuch für Germanistische Sprachgeschichte 2. Berlin/New York: De Gruyter, S. 326-343.
Dammel, Antje/Quindt, Olga (2016):
How do evaluative derivational meanings arise? A bit of Geforsche and Forscherei. In: Finkbeiner, Rita/Meibauer, Jörg/Wiese, Heike (Hgg.): Pejoration. Linguistik Aktuell 228. Amsterdam/Philadelphia: Benjamins, S. 41-73.
Donalies, Elke (1999):
Können Wortbildungsaffixe semantische Kerne sein? Ein Diskussionsbeitrag zur Differenzierung der deutschen Affixe nach semantischen Kriterien. In: Eroms, Hans-Werner et al. (Hg.): Deutsche Sprache 27.3. Berlin: Erich Schmidt, S. 195-208.
Donalies, Elke (2007):
Basiswissen deutsche Wortbildung. Tübingen: Narr Francke Attempto.
Moser, Stefan (1993):
Substantivische Affixbildung im Frühneuhochdeutschen. Morphologie und Semantik der Präfixe außer ge- und der Suffixe –el, –(l/n)er,–(e)rich, –(e/i)ss(e/in), –icht, –in, –lein, –ling. Würzburg: Univ. Diss.