Ich schaue mich gerne auch in englischsprachigen Foren zum Thema Latein um und schaue mir, zumindest in losen Stücken, auch an, was die Altphilologie in Nordamerika so treibt. Es ist ja nun so, dass Europa (ob nun zu seinem Vorteil oder zu seinem Nachteil) sehr viele Trends übernimmt, die von der anderen Seite des Teichs herüberschwappen... wenn auch mitunter mit einem Rückstand von 5-10 Jahren.
Zuletzt war ich erschrocken, als ich von diesem Altphilologenkongress in San Diego anfang des Jahres gehört habe. Die Geschehnisse sind sehr umfangreich. Ich brauchte selbst sehr lange, um alles zu lesen. Ich gebe hier ein paar Links an und fasse dann kurz zusammen, was mir aufgefallen ist.
How I was Kicked Out of the Society for Classical Studies Annual Meeting
https://quillette.com/2019/02/26/how-i- ... l-meeting/
Die Gegenstimme dazu:
https://medium.com/@danelpadillaperalta ... a480a1812a
Das Video dazu:
https://www.youtube.com/watch?v=lcJZCVemn-4
Die Hauptereignisse tragen sich ab 45:00 zu. Dort nimmt eine Frau das Mikrofon, stellt Fragen an die Redner und wird dann aus dem Saal geworfen, weil sie den schwarzen Redner rassistisch beleidigt haben soll.
Zu den Reden vorher: Wer dort altphilologische Inhalte erwartet, braucht gar nicht erst reinzuschauen. Es geht um Identitätspolitik, systematische Benachteiligung und die Zukunft der Altertumswissenschaft. Ein paar Argumente:
- Die erste Sprecherin beschwert sich darüber, dass die Altertumswissenschaft voller weißer Männer ist, die älter sind. Ab 18:14 stellt sie mit Erschrecken fest, dass in den letzten 10 Jahren in den Kolloquien nur drei farbige Gelehrte (scholars of colour) anwesend waren. Sie habe sich deshalb darum bemüht, eine gleichgroße Anzahl von Männern und Frauen dabeizuhaben und darüber hinaus Tanzdozentinnen einzuladen Ab 19:12 fordert sie, dass sich die Altphilologie nicht nur auf Rom und Griechenland, sondern den gesamten Mittelmeerraum erstecken sollte (hä??)
- die andere Sprecherin (so um 28:00) wunderte sich darüber, warum so viele Studenten ihre Dissertationen nur über große Werke der griechischen und römischen Literatur schreiben, und nicht über Spätantike, Neulatein, oder die Literatur amerikanischer Ureinwohner. Haben die etwa auch Latein und Griechisch gesprochen?
- der dritte Sprecher fordert, etwa ab 41:10, zum Zwecke von "reparative epistemic justice" Privilegierte dazu auf, ihr Privileg aufzugeben. Das sieht in der Praxis dann so auf, dass weiße Männer auf Beiträge in Zeitschriften verzichten (also quasi ihre Forschung einstellen), damit Farbige, Frauen und nicht-gender-konforme Gelehrte von deren (der weißen Männer) Privileg profitieren können.
Ich dachte immer, akademische Zeitschriftenartikel werden abhängig von der Qualität ausgewählt und nicht abhängig von der Zugehörigkeit zu irgendeiner Gruppe ... aber ok.
Die Frau, die ab 45:00 das Mikrophon ergreift, macht folgende Bemerkungen:
1. Wir sollten stolz darauf sein, dass unsere westliche Zivilisation auf Werten und Errungenschaften der Antike aufbaut ist wie Freiheit, Gleichheit und Demokratie und uns auf dieser Grundlage anderen gegenüber als wichtig verkaufen. Ihr wird dafür entgegengeworfen, dass die westliche Zivilisation ja bloß ein Konstrukt sei und so etwas gar nicht existiere.
2. Große antike Autoren wie Homer, Demosthenes, Cicero, attische Tragödienschreiber etc. besitzen großen Wert und sie zu lehren sei wichtig. Dafür wurde ihr entgegengeworfen, dass es sich dabei nur um Männer handle (d.h. also ein Grund sie nicht zu lesen oder wie?).
3. Dem Sprecher, der der Meinung war, Arbeiten sollten künftig auf der Grundlage von Rasse und Geschlecht statt von Qualität veröffentlicht werden, sagte sie "You may have got your job because you’re black, but I’d prefer to think you got your job because of merit." (meine persönliche Lesart wäre: "Sie mögen Ihren Job ja erhalten haben, weil Sie schwarz sind; mir gefällt die Vorstellung besser, dass Sie ihn für Ihre Fähigkeiten erhalten haben)
Die Frau wurde dafür wegen rassistischer Bemerkungen aus der Veranstaltung ausgeschlossen. Die Antwort des Mannes war, dass er, als jemand, der historisch an den Rand gedrängt und aus dem Feld der Altertumswissenschaft ausgeschlossen worden sei, sich wünsche - sofern sich die "white supremacy" Haltung der Frau durchsetzen sollte - dass der akademische Fachbereich (so übersetze ich "the field") sterbe, und das so schnell wie möglich.
Ich habe das jetzt nur in Ausschnitten dargestellt; wie gesagt, oben ist der ganze Verlauf auch anhand der Links noch einmal nachvollziehbar. Ich weiß nicht, ob jemand von euch etwas von dem Vorfall gehört hat.