Altphil. in den USA - bald auch bei uns?

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Altphil. in den USA - bald auch bei uns?

Beitragvon Honigdachs » Di 5. Mär 2019, 17:56

Ich schaue mich gerne auch in englischsprachigen Foren zum Thema Latein um und schaue mir, zumindest in losen Stücken, auch an, was die Altphilologie in Nordamerika so treibt. Es ist ja nun so, dass Europa (ob nun zu seinem Vorteil oder zu seinem Nachteil) sehr viele Trends übernimmt, die von der anderen Seite des Teichs herüberschwappen... wenn auch mitunter mit einem Rückstand von 5-10 Jahren.

Zuletzt war ich erschrocken, als ich von diesem Altphilologenkongress in San Diego anfang des Jahres gehört habe. Die Geschehnisse sind sehr umfangreich. Ich brauchte selbst sehr lange, um alles zu lesen. Ich gebe hier ein paar Links an und fasse dann kurz zusammen, was mir aufgefallen ist.

How I was Kicked Out of the Society for Classical Studies Annual Meeting
https://quillette.com/2019/02/26/how-i- ... l-meeting/

Die Gegenstimme dazu:
https://medium.com/@danelpadillaperalta ... a480a1812a

Das Video dazu:
https://www.youtube.com/watch?v=lcJZCVemn-4

Die Hauptereignisse tragen sich ab 45:00 zu. Dort nimmt eine Frau das Mikrofon, stellt Fragen an die Redner und wird dann aus dem Saal geworfen, weil sie den schwarzen Redner rassistisch beleidigt haben soll.

Zu den Reden vorher: Wer dort altphilologische Inhalte erwartet, braucht gar nicht erst reinzuschauen. Es geht um Identitätspolitik, systematische Benachteiligung und die Zukunft der Altertumswissenschaft. Ein paar Argumente:

- Die erste Sprecherin beschwert sich darüber, dass die Altertumswissenschaft voller weißer Männer ist, die älter sind. Ab 18:14 stellt sie mit Erschrecken fest, dass in den letzten 10 Jahren in den Kolloquien nur drei farbige Gelehrte (scholars of colour) anwesend waren. Sie habe sich deshalb darum bemüht, eine gleichgroße Anzahl von Männern und Frauen dabeizuhaben und darüber hinaus Tanzdozentinnen einzuladen :? Ab 19:12 fordert sie, dass sich die Altphilologie nicht nur auf Rom und Griechenland, sondern den gesamten Mittelmeerraum erstecken sollte (hä??)

- die andere Sprecherin (so um 28:00) wunderte sich darüber, warum so viele Studenten ihre Dissertationen nur über große Werke der griechischen und römischen Literatur schreiben, und nicht über Spätantike, Neulatein, oder die Literatur amerikanischer Ureinwohner. Haben die etwa auch Latein und Griechisch gesprochen?

- der dritte Sprecher fordert, etwa ab 41:10, zum Zwecke von "reparative epistemic justice" Privilegierte dazu auf, ihr Privileg aufzugeben. Das sieht in der Praxis dann so auf, dass weiße Männer auf Beiträge in Zeitschriften verzichten (also quasi ihre Forschung einstellen), damit Farbige, Frauen und nicht-gender-konforme Gelehrte von deren (der weißen Männer) Privileg profitieren können.

Ich dachte immer, akademische Zeitschriftenartikel werden abhängig von der Qualität ausgewählt und nicht abhängig von der Zugehörigkeit zu irgendeiner Gruppe ... aber ok.

Die Frau, die ab 45:00 das Mikrophon ergreift, macht folgende Bemerkungen:

1. Wir sollten stolz darauf sein, dass unsere westliche Zivilisation auf Werten und Errungenschaften der Antike aufbaut ist wie Freiheit, Gleichheit und Demokratie und uns auf dieser Grundlage anderen gegenüber als wichtig verkaufen. Ihr wird dafür entgegengeworfen, dass die westliche Zivilisation ja bloß ein Konstrukt sei und so etwas gar nicht existiere.

2. Große antike Autoren wie Homer, Demosthenes, Cicero, attische Tragödienschreiber etc. besitzen großen Wert und sie zu lehren sei wichtig. Dafür wurde ihr entgegengeworfen, dass es sich dabei nur um Männer handle (d.h. also ein Grund sie nicht zu lesen oder wie?).

3. Dem Sprecher, der der Meinung war, Arbeiten sollten künftig auf der Grundlage von Rasse und Geschlecht statt von Qualität veröffentlicht werden, sagte sie "You may have got your job because you’re black, but I’d prefer to think you got your job because of merit." (meine persönliche Lesart wäre: "Sie mögen Ihren Job ja erhalten haben, weil Sie schwarz sind; mir gefällt die Vorstellung besser, dass Sie ihn für Ihre Fähigkeiten erhalten haben)

Die Frau wurde dafür wegen rassistischer Bemerkungen aus der Veranstaltung ausgeschlossen. Die Antwort des Mannes war, dass er, als jemand, der historisch an den Rand gedrängt und aus dem Feld der Altertumswissenschaft ausgeschlossen worden sei, sich wünsche - sofern sich die "white supremacy" Haltung der Frau durchsetzen sollte - dass der akademische Fachbereich (so übersetze ich "the field") sterbe, und das so schnell wie möglich.

Ich habe das jetzt nur in Ausschnitten dargestellt; wie gesagt, oben ist der ganze Verlauf auch anhand der Links noch einmal nachvollziehbar. Ich weiß nicht, ob jemand von euch etwas von dem Vorfall gehört hat.
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Re: Altphil. in den USA - bald auch bei uns?

Beitragvon Tiberis » Mi 6. Mär 2019, 17:56

Danke für diesen Bericht, der in beklemmender Weise vor Augen führt, wie weit es mit Meinungs- und Redefreiheit in unseren sogenannten westlichen Demokratien bereits gekommen ist. Dass sich der Vorfall in den USA abspielte, erscheint mir nebensächlich. Ähnliches ist durchaus auch in Europa vorstellbar, insbesondere in Deutschland (abgeschwächt auch in Österreich), wo die Ideologie der sog. political correctness mittlerweile geradezu in den Rang einer Staatsreligion erhoben worden ist.
Der Vorfall selbst wundert mich nicht, dennoch wundere ich mich darüber, wie wenig Widerstand diesen die Freiheit aller massiv bedrohenden Tendenzen entgegengesetzt wird. Die (in der Regel dem linken Lager angehörenden) Ideologen dieser "political correctness" , die in ihrem Antidiskriminierungswahn vor keiner Perversität zurückschrecken (3. Geschlecht u.dgl.) , sind zwar im Grunde lächerliche Figuren, nichtsdestoweniger jedoch eine ernstzunehmende Gefahr für die Freiheit und somit auch für die Demokratie, die zu schützen sie vorgeben. In ihrem geradezu inquisitorischen Eifer, Rassisten oder gar Nazis aufzuspüren, unterscheiden sie sich kaum noch von den Stalinisten und deren paranoidem Wahn, überall Volksverräter und Klassenfeinde entlarven und vernichten zu müssen.
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Re: Altphil. in den USA - bald auch bei uns?

Beitragvon Prudentius » Do 7. Mär 2019, 11:01

Der Bericht zeigt den Kontrast zwischen Amerika und Europa, speziell dem deutschsprachigen Raum. Man sieht, was wir durchlebt haben, und Amerika nicht; und wenn auch vieles verschüttet, vergessen und den Umbrüchen zum Opfer gefallen ist: ein paar Punkte: wir haben den Historismus erlebt, die Entdeckung der Eigengesetzlichkeit fremder Kulturen (18. JH., Herder), und was wir ihnen verdanken; bei uns ist ein Bewusstsein vorhanden, dass wir auf den Schultern unserer Vorderen stehen, dass wir eine Erfahrungs- und Leidensgemeinschaft mit den früheren Jahrhunderten und Jahrtausenden bilden. Amerika hat diese Bewegung so nicht durchgemacht.
Wir haben Humanismus, Klassizismus, Renaissance erlebt und irgendwie verinnerlicht. Wir sehen uns in einer geistigen schicksalhaften Entwickluingslinie mit Platon, Kant, Hegel verbunden, wir sind geprägt von dem jahrhundertelangen Weg der Suche nach Orientierung in der Welt, mit vielen Hoffnungen und Enttäuschungen.
Bei allen Abstrichen, die wir heute machen müssen, wir sehen unsere Zeit als Resultat einer langen Entwicklungslinie. Die Perspektive der Amerikaner erscheint uns als flach: sie kommen aus dem Gezerre der aktuellen Streitfragen nicht heraus.

Unser Widerspruch ist der: unser Credo ist die Evolution geworden, wir sind uns nicht so bewusst, sie beinhaltet eine "Liquidation von Werten" (Max Weber), aber gleichzeitig bilden wir eine "Wertegemeinschaft", auf der Europa und der atlantische Raum sich verbunden wissen, und zeigen mit dem Finger auf Putin.
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Re: Altphil. in den USA - bald auch bei uns?

Beitragvon Tiberis » Do 7. Mär 2019, 17:14

Prudentius hat geschrieben:Man sieht, was wir durchlebt haben, und Amerika nicht

aha. und wo bitte sieht "man" das in dem erwähnten Vorfall?
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Re: Altphil. in den USA - bald auch bei uns?

Beitragvon consus » Do 7. Mär 2019, 20:46

Tiberis hat geschrieben:...Die (in der Regel dem linken Lager angehörenden) Ideologen dieser "political correctness", ... sind zwar im Grunde lächerliche Figuren, nichtsdestoweniger jedoch eine ernstzunehmende Gefahr für die Freiheit ... In ihrem geradezu inquisitorischen Eifer, Rassisten oder gar Nazis aufzuspüren, unterscheiden sie sich kaum noch von den Stalinisten und deren paranoidem Wahn...

Meine Freude über Tiberis' Standpunkt ist ebenso groß wie das Maß meiner Zustimmung zu seinen Ausführungen. Auch im Hinblick auf zum Teil heftige Diskussionen in meinem persönlichen Umfeld fühle ich mich durch Tiberis' Sicht der Dinge bestätigt.
Gratias plurimas agamus et debeamus Mellivorae (Honigdachs) et Tiberi!
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Re: Altphil. in den USA - bald auch bei uns?

Beitragvon sinemetu » Fr 8. Mär 2019, 18:27

Tiberis hat geschrieben:principiis obsta! sero medicina paratur.


...dazu ist es lange zu spät .... es heißt nur noch: "rette sich, wer kann", oder aber auch hier gilt das Paradox: qui enim voluerit animam suam salvam facere perdet eam qui autem perdiderit animam suam propter me et evangelium salvam eam faciet

gleich ist erev shabat! In Amerika gibt eben seltsame Sachen:

https://www.youtube.com/watch?v=12qp5cA4_Qk
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Re: Altphil. in den USA - bald auch bei uns?

Beitragvon medicus » Fr 8. Mär 2019, 19:21

sinemetu hat geschrieben:gleich ist erev shabat!

Et sinemetu saltat:
https://www.youtube.com/watch?v=JtdhUGIHqjQ
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Re: Altphil. in den USA - bald auch bei uns?

Beitragvon Zythophilus » Sa 9. Mär 2019, 09:14

Die Themen der Klassischen Philologie sind nun einmal die griechische und römische Kultur und Literatur des Mittelmeerraumes und des Römerreiches. Das ist eine sehr europäische Thematik, wenn ich Nordafrika und Kleinasien für die Antike und Spätantike noch einrechne. Die Autoren, mit denen sich die Klass. Philologie beschäftigt, sind in der überwiegenden Mehrzahl europäische Männer. Ich weiß nicht, ob das Fach an sich deswegen auch für Männer, die sich dem europäischen Kulturkreis im weitesten Sinn zugehörig fühlen, auch atrraktiver ist, kann es mir aber vorstellen.
Quoten haben es leider an sich, dass andere Kriterien als Qualität und Leistung den Ausschlag geben. Wenn nicht die Fähigsten, sondern die aufgrund der Zugehörigkeit zu einer benachteiligten Gruppe zu Nehmenden die Ressourcen bekommen, so wird sich das über kurz oder lang auch auf die Produkte, also Publikationen sowie Lehre und Forschung auswirken.
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Re: Altphil. in den USA - bald auch bei uns?

Beitragvon sinemetu » Sa 9. Mär 2019, 09:28

Zythophilus hat geschrieben: einer benachteiligten Gruppe z


Die sich benachteiligt Fühlenden sollten sich zwei Fragen stellen:
A: Warum sie sich benachteiligt fühlen?
B: Ob wie wirklich benachteiligt sind?

Es gibt inzwischen, weltweit sichtbar, genügend Nichtweiße in der Welt, die es nach ganz oben geschafft haben.
https://morgenwacht.wordpress.com/2016/ ... #more-4559

Es gilt:
1. Bevor eine Gruppe sich benachteiligt fühlt, gibt es eine politische Kraft, die diese Gruppe formt und ihr und den anderen einhämmert, daß sie benachteiligt sei, bis es alle glauben. (Think Design)
2. Je größer das Elend, desto stärker die Einbildung, die anderen seien Schuld.
Zuletzt geändert von sinemetu am Sa 9. Mär 2019, 11:50, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Altphil. in den USA - bald auch bei uns?

Beitragvon Zythophilus » Sa 9. Mär 2019, 10:50

Ob eine Gruppe wirklich benachteiligt ist, ist nicht wichtig. Es ist wichtig, dass sie als solche gilt. Die Zugehörigkeit zu einer solchen und die somit theoretisch mögliche Diskriminierung ersetzt die Qualifikation. Professoren in den USA können ein Lied davon singen, dass sie Angehörige von Minderheiten bei Prüfungen praktisch nicht durchfallen lassen dürfen.
Es fragt sich nur, wie sich der "Markt" so etwas gefallen lässt. Ich gehe einmal davon aus, dass staatliche Universitäten, solange sie den vorgegeben Kriterien folgen, das Geld für die Professuren etc. weiter bekommen, auch wenn sie immer weniger wissenschaftlich Relevantes hervorbringen. Reicht das auch für Zeitschriften oder laufen ihnen die Abonnenten davon, wenn nur mehr Autoren, die den diversen Kriterien entsprechen, zu politisch korrekten Themen publizieren?
Mit Mittel- und Neulatein kann man ein wenig vom Zentrum der Klass. Philologie abrücken, aber feministische Literatur der amerikanischen Ureinwohner wird dennoch nicht vorkommen.
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