Deminutiv vrs Diminutiv

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Deminutiv vrs Diminutiv

Beitragvon sinemetu » So 9. Jun 2019, 10:15

https://de.wikipedia.org/wiki/Diminutiv
1. Wieso und seit wann gibt es hier zwei Formen? Ist der Begriff schon alt?


2. Gab es mal ein Disgesta, von denen dann die Digesten kommen?
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Re: Deminutiv vrs Diminutiv

Beitragvon Laptop » So 9. Jun 2019, 23:51

Beide Formen sind ok, aber diminutiv ist etwas umgangssprachlicher. Im Deutschen kannst du "andere" oder auch "andre" schreiben, letzteres ist der gesprochenen Sprache näher. So ist diminutiv näher an dem was man tatsächlich sprach.

Ziemlich alt. "de declinatione de deminvtivis de dvbiis generibvs" schreibt schon Probus. Davor gibt es wohl auch schon Quellen.

Mit der römischen Rechtsgeschichte kenne ich mich nicht aus.
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Re: Deminutiv vrs Diminutiv

Beitragvon medicus » Mo 10. Jun 2019, 01:11

sinemetu hat geschrieben:2. Gab es mal ein Disgesta, von denen dann die Digesten kommen?



https://universal_lexikon.deacademic.com/228563
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Re: Deminutiv vrs Diminutiv

Beitragvon sinemetu » Mo 10. Jun 2019, 08:19

medicus hat geschrieben:
sinemetu hat geschrieben:2. Gab es mal ein Disgesta, von denen dann die Digesten kommen?

https://universal_lexikon.deacademic.com/228563


Kuck mal, was da steht.--
Bild
Dilgesten.... ist mir vollkommen unbekannt

Mir ging es um die Frage, ob sich hinter dem di ein lat. Dis versteckt, denn die Bedeutung 2 (Dipol) erscheint mir dort unmotiviert.

@Laptop - Du spricht von einer umgangssprachlichen Form. Ich gehe davon aus, daß Deminutiv die Gramm. korrekte Form ist, und Diminutiv die umgangssprachliche. Ich sehe die Vokalveränderung von e zu i motiviert durch den Initialvokal der Wurzel minu. Sprechökonomisch spricht sich das etwas leichter, weil die Veränderung des Mundraumes zum Herstellen der Vokale wesentlich mehr Muskelbewegungen erfordern, als die Zungenveränderung zur Herstellung der einzelnen Konsonanten.
Im Ital. später veränderte sich die Silbe min auch mal zu men (piu o meno).
Immerhin sind in dem Wort deminutiv Wurzel und Vorsilbe bedeutungstragend. Das Wort ist nicht sehr häufig. Insofern ist die Mutationsrate eher gering. Man kann nämlich fragen, warum nicht die Form Demenutiv entstanden ist. Ich würde noch behaupten, daß das bedeutungstragende Präfix de mit der Bedeutung herab in Bezug auf die Bedeutung minuere (mindern) etwas pleonastisch ist, und das insofern hier die Veränderung (Angleichung) hat stattfinden können, daß also eine Veränderung der Semantik nicht zu befürchten stand. Zumal kein semantisch differentes disminuere potentiell konkurrent zur Verfügung stand. Sind Dir noch mehr solche sprechökonomisch motivierten Angleichungen bekannt?

Ich würde insgesamt sagen, daß die Wörterbücher mit ihrer orthografisch motivierten Anordnung der Lemmata uns trügen, denn ist man erst einmal auf der Textebene angekommen gibt es in der Wirklichkeit nur sehr wenige Worte, welche nur in einer Form überliefert wurden. Kennst Du eines?
Zuletzt geändert von sinemetu am Mo 10. Jun 2019, 08:32, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Deminutiv vrs Diminutiv

Beitragvon medicus » Mo 10. Jun 2019, 08:31

sinemetu hat geschrieben: daß Deminutiv die Gramm. korrekte Form ist, und Diminutiv die umgangssprachliche.

Deminitiv ist im Schrifttum unbekannt.
https://books.google.com/ngrams/graph?c ... iv%3B%2Cc0
https://books.google.com/ngrams/graph?c ... irect_url=
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Re: Deminutiv vrs Diminutiv

Beitragvon Prudentius » Mo 10. Jun 2019, 09:22

Auf die Gefahr hin, dass ich mir jetzt wieder einen Rüffel von der Oberaufsicht (Sinem.) zuziehe, möchte ich darauf hinweisen, dass rhizologisch betrachtet die beiden Vorsilben de- und dis- ganz verschiedene Bedeutungen haben, dis- auseinander (Trennung einer Einheit), wie dis-cordia, dis-kutieren, auseinander sortieren von Meinungen, und de- herab, weg von (Entfernung); de-mittere hinabschicken, di-mittere entlassen.

de-minuere ver-mindern, di(s)-minuere (spät) zerschmettern, kleinhauen.
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Re: Deminutiv vrs Diminutiv

Beitragvon sinemetu » Mo 10. Jun 2019, 09:31

Es geht um die Motivation des i von Di bei Diminutiv.
medicus hat geschrieben:
sinemetu hat geschrieben: daß Deminutiv die Gramm. korrekte Form ist, und Diminutiv die umgangssprachliche.

Deminitiv ist im Schrifttum unbekannt.

Deminitiv ist wieder was ganz Neues. Und beim Ngram Viewer hast Du Deminuitiv geschrieben, wieder was andres! Deminitiv hat nur ca. 600 Googelungen, also offensichtlich Schreibfehler. Deminuitiv hat 613 .... Beide Fehlbildungen scheinen mir unter der assoziativen Präsenz, bzw. unter dem Druck von transitiv zu entstehen, wo das i vor dem T ja durch das Ire von Trans-ire motiviert ist.

Der Deminutiv dagegen sieht so aus:
https://books.google.com/ngrams/graph?c ... iv%3B%2Cc0
Zuletzt geändert von sinemetu am Mo 10. Jun 2019, 09:54, insgesamt 4-mal geändert.
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Re: Deminutiv vrs Diminutiv

Beitragvon sinemetu » Mo 10. Jun 2019, 09:40

Prudentius hat geschrieben:... möchte ich darauf hinweisen, dass rhizologisch betrachtet die beiden Vorsilben de- und dis- ganz verschiedene Bedeutungen haben, dis- auseinander (Trennung einer Einheit), wie dis-cordia, dis-kutieren, auseinander sortieren von Meinungen, und de- herab, weg von (Entfernung); de-mittere hinabschicken, di-mittere entlassen.
de-minuere ver-mindern, di(s)-minuere (spät) zerschmettern, kleinhauen.

Das ist mir schon bewußt, und schön, daß Du belegst, daß es ein disminuere doch gibt. (Ich habe nicht nachgesehen.) Damit könnte der Gedanke der Konkurrenzlosigkeit bei der Derivation des Vokales i im Worte Diminutiv entfallen, falls die beiden Worte zur selben Zeit in selbiger Intensität gebräuchlich waren. Konkurrent deshalb, weil di ja auch ein abgeschliffenes dis sein könnte.
Prudentius hat geschrieben:Auf die Gefahr hin, dass ich mir jetzt wieder einen Rüffel von der Oberaufsicht (Sinem.) zuziehe,

@Prudentius: Hab ich Dich je gerüffelt?
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Re: Deminutiv vrs Diminutiv

Beitragvon Laptop » So 30. Jun 2019, 03:23

@sinemetu Dimin.. ist schneller zu sprechen als demen.. weshalb es denke ich nur nachvollziehbar ist, daß sich erstere Form als die tatsächliche (neben der Buchform demin..) gebildet hatte.

Es stammt wie schon gesagt wurde wirklich von de- im Sinne "von / weg". Vgl. unserer ähnlich gebildetes "ab-ziehen" oder "ver-mindern". Das kann man, wenn man will, als pleonastisch bezeichnen. Wie auch unsere Verben nicht so kompakt sind wie sie logisch sein könnten. Denn wir sagen nicht "5 gezogen von 12 ergibt 7", oder "Ich mindere 12 um 5". Pleonasmen sind etwas ganz natürliches durch alle Sprachen hinweg.

Ich habe mal in Scaligers "De Caussis Linguae Latinae" nachgeschlagen. Dort geht es genau um solche Details. Dort erscheint ca. 29 mal demin.. und 18 mal dimin.. und Druckfehler lassen sich ausschließen, denn das Werk ist schon beinahe gespenstisch druckfehlerfrei. D. h. Scaliger unterscheidet inhaltlich irgendetwas mit diesen beiden Schreibungen. Welche Feinheit das ist, ist mir allerdings noch nicht ganz verständlich.
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Re: Deminutiv vrs Diminutiv

Beitragvon marcus03 » So 30. Jun 2019, 08:08

Obiter:
Man sagt auch Genetiv und Genitiv.
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Re: Deminutiv vrs Diminutiv

Beitragvon sinemetu » So 30. Jun 2019, 09:18

marcus03 hat geschrieben:Obiter:
Man sagt auch Genetiv und Genitiv.

offensichtlich unter der assoziativen Latenz von Genetik, genetisch, generativ, etc.
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Re: Deminutiv vrs Diminutiv

Beitragvon Zythophilus » So 30. Jun 2019, 13:35

Es mag sein, dass heutzutage ein Wort wie "Genetik" einen kleinen EInfluss ausübt; das ist freilich griechischen Ursprungs.
Man kann dabei ruhig im Lateinischen bleiben: genetrix und genitor, natürlich auch von gignere abstammend, zeigen ebenfalls den Wechsel.
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Re: Deminutiv vrs Diminutiv

Beitragvon sinemetu » So 30. Jun 2019, 13:52

@Zythophilen
Rein formal hast Du recht, Zytophilus, aber das Wort Genetik ist um etliches virulenter zur Zeit als genetrix. Genitor kommt gar nicht in Frage, weil es je nicht deviativ ist. Auf dwds wurden früher mal Häufigkeiten angegeben.

http://corpora.uni-leipzig.de/de/res?co ... rd=Genetik
Wort: Genetik Anzahl: 427 Rang: 52,003 Häufigkeitsklasse: 15
Wort: Genitiv Anzahl: 59 Rang: 210,356 Häufigkeitsklasse: 18
Wort: Genetrix keine Ergebnisse

Wichtig ist, daß häufigere (stärkere) Wort beeinflusst das schwächere. Für die Beeinflussung der Lautung spielt Etymologie keine Rolle! Das ist ein rein zerebraler, sublimer vorbewußter Vorgang. Es liegt keine assoziative Präsenz sondern eine assoziative Latenz vor, d. h. es gibt keine allgemein bekannte gemeinsame Sphäre für den Sitz im Leben der beiden Worte. Die durchaus vorhandene und dem Kenner bewußte etymologische Verwandtschaft um ein paar Ecken spielt absolut keine Rolle bei dem Vorgang.
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Re: Deminutiv vrs Diminutiv

Beitragvon Laptop » So 30. Jun 2019, 18:14

Für die Beeinflussung der Lautung spielt Etymologie keine Rolle!

Und wie sie eine Rolle spielt! Bei volksnahen Ausdrücken hat Volksetymologie auf die Lautung Einfluß. Bei den Buchformen, die Etymologien der Gelehrten und ihrem Willen "zur Verbesserung" (was oft nach hinten losgeht). Vieles ist auch noch nicht abschliessend geklärt. Klar ist aber, dass sowohl deminu.. als auch diminu.. klassisch ausreichend belegt sind. Wie schon gesagt, nimm als Vergleich dt. "andere" und "andre". Letztere Form ist genauso zulässig, und einfach etwas lautsprachlicher.
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Re: Deminutiv vrs Diminutiv

Beitragvon Zythophilus » So 30. Jun 2019, 22:08

Das Präfix de hat, wenn es nicht wörtlich als "(von oben) herab" bedeutet, keine so stark von dis abweichende Bedeutung. Wenn im Kompositum das s noch dazu wegfällt, hat man eine zwar lange, aber unbetonte Silbe, bei der der Vokal nicht so stark auffällt. Dass dabei Vertauschungen vorkommen bzw. zwei Verben mit ähnlichen Bedeutungen mehr oder weniger zu orthographischen Varianten werden, sollte nicht verwundern.
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