Kater und Katarrh

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Kater und Katarrh

Beitragvon sinemetu » So 11. Aug 2019, 14:49

Anfrage an die Mediziner:

Also Muskelkater scheint von agr. Katarrh sich herzuleiten:
https://www.dwds.de/wb/Kater

https://www.dwds.de/wb/Katarrh
Das scheint einsichtig beim Nasenkatarrh, wo ja wirklich was Phlegmatisches herabfließt. Das provoziert aber die Frage: Was fließt denn eigentlich beim Muskelkater herab?
Man kann doch nicht einfach irgendein körperliches Wehwehchen Katarrh nennen?
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Re: Kater und Katarrh

Beitragvon medicus » So 11. Aug 2019, 15:42

sinemetu hat geschrieben:Man kann doch nicht einfach irgendein körperliches Wehwehchen Katarrh nennen?

Ich stelle mir folgenden Zusammenhang vor:
Da Muskelschmerzen (Fachbegriff Myalgie) häufig bei Infektionskrankheiten der oberen Luftwege ( Grippe, Bronchitis etc.) auftreten,, ist der Begriff Katarrh durch Volksetymologie ( --> Kater) auf den gleichzeitigen Muskelschmerz übergegangen.
Vielleicht hat Medicus dom. noch eine bessere Erklärung.
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Re: Kater und Katarrh

Beitragvon sinemetu » So 11. Aug 2019, 17:12

Kann jemand auch noch das doppelte R in der Verdeutschung von gr. rheo erklären? Die griech. Präposition kata ist ja das Präfix wie in Katalog. Das eine R ist das Rho, das oft mit s. asper geschrieben wird, und daher das h erhält, wie in Tsch. hrad für slav. grad. Aber was soll das davor stehende R?
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Re: Kater und Katarrh

Beitragvon sinemetu » So 11. Aug 2019, 17:20

medicus hat geschrieben:Da Muskelschmerzen (Fachbegriff Myalgie) häufig bei Infektionskrankheiten der oberen Luftwege ( Grippe, Bronchitis etc.) auftreten, ist der Begriff Katarrh durch Volksetymologie ( --> Kater) auf den gleichzeitigen Muskelschmerz übergegangen.

Dagegen spricht, daß der Begriff nicht auf Myalgie im allgemeinen, sondern ganz spezifisch verwendet wird, auf Muskelschmerz nach vorheriger übermäßiger Anstrengung. Muskelkater ist eine Selbst-Diagnose!
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Re: Kater und Katarrh

Beitragvon medicus » So 11. Aug 2019, 17:29

Jetzt musst du noch den Kater nach reichlich Alkoholkonsum klären! :roll:
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Re: Kater und Katarrh

Beitragvon sinemetu » So 11. Aug 2019, 17:39

medicus hat geschrieben:Jetzt musst du noch den Kater nach reichlich Alkoholkonsum klären! :roll:

Kater2 m. ‘körperliches Unwohlsein als Nachwirkung eines Rausches’ (daher auch moralischer Kater ‘Reue, Gewissensqual’). Der seit der 2. Hälfte des 19. Jhs. bezeugte, zuerst von Leipziger oder Jenaer Studenten verwendete Ausdruck ist offenbar eine durch die omd. Aussprache begünstigte Umbildung von ↗Katarrh (s. d.; den inhaltlichen Zusammenhang zeigen Fügungen wie physischer Catarrh und moralischer Catarrh bei Hippel 1793).

Quelle DWDS: Kater
Du hast recht, Medicus, denn offenbar ist da gar nichts offenbar.
Hat Katarrh den med. Nebensinn "Reinigung"? Denn es gibt "kathartisch", aber nicht "katarrhtisch".

Fazit:
Da sind wohl zwei griech. Stämme dem deutschen Bearbeiter durcheinandergeraten... katarheo und katharos von Katrin, denn die Bedeutung Reinigung macht nach dem Alkoholgenuss und beim Muskelkater Sinn. Der Körper baut beim ersten die Fuselöle, bei Letzterem die wegen ungenügender Sauerstoffversorgung während des Sports entstandene Milchsäure ab. Logisch auch die Folge: Nach dem Rausch (μέθys) kommt die Katharsis.

Allerdings lehnt sich Kater schwerer an Katharsis als an Katarrh an. Ich denke, hier ist der Griechisch-Experte Prudentius gefragt.
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Re: Kater und Katarrh

Beitragvon medicus » So 11. Aug 2019, 17:57

Hat ein Ritter den Katarrh,
damals war'n die Mittel rar.
Er hat der Erkältung trotzt,
er hat g'räuschvoll g'schneuzt und g'rotzt.
:suche:
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Re: Kater und Katarrh

Beitragvon sinemetu » So 11. Aug 2019, 18:58

merkwürdig: Frisk schreibt zur Etymologie von katharos: "Eine annehmbare Etymologie fehlt" s. S. 752
Nun hat ein Ausfluss immer eine reinigende Wirkung, sonst würde der Körper die Sachen nicht abstoßen. Gibt es Gründe warum es nicht zu Kata rheo gestellt werden kann. Das Theta ist ausdrücklich kein Grund! kat - hairo?
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Re: Kater und Katarrh

Beitragvon cometes » So 11. Aug 2019, 23:06

Einen Muskelkatarrh hat es als medizinischen Terminus offensichtlich nie gegeben, der Kater wäre also bestenfalls eine Umbildung von Katarrh und stellte in seiner umgangssprachlichen Verwendung auf die Symptomatik der Erkältung im weitesten Sinne (Kopf- und Gliederschmerzen, Abgeschlagenheit usf.), nicht auf die Etymologie des Fachbegriffs ab, um später so gebraucht in das Kompositum Muskelkater (der, wie man heute weiß, mit Milchsäure nichts zu tun hat) einzugehen.

Indes:

Anhand eines beleges aus dem jahre 1574 (das bier „kratzet wie ein Kater [. . .] des morgens im Kopff") und volkstümlicher biernamen wie rorkat(t)er, rennenkat(t)er aus der ersten hälfte des 15. jhs. weist M.* nach, daß die redewendung "einen kater haben" viel älter ist, als bisher angenommen wurde, und weder etymologisch auf die obersächs. aussprache des wortes "katarrh" noch sprachsoziologisch auf die studentensprache zurückzuführen ist.


* Mehlber, Leonhard: Einen Kater haben: zur Entstehung der Redewendung. In: ZfdPh. 103. 1984. S. 430-437
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Re: Kater und Katarrh

Beitragvon sinemetu » Mo 12. Aug 2019, 08:17

cometes hat geschrieben:(der, wie man heute weiß, mit Milchsäure nichts zu tun hat) einzugehen.

Danke
cometes hat geschrieben:Einen Muskelkatarrh hat es als medizinischen Terminus offensichtlich nie gegeben,..

Vllt eine Muskelkatharsis ... Katharsis musculi? :wink:
cometes hat geschrieben:der Kater wäre also bestenfalls eine Umbildung von Katarrh und stellte in seiner umgangssprachlichen Verwendung auf die Symptomatik der Erkältung im weitesten Sinne (Kopf- und Gliederschmerzen, Abgeschlagenheit usf.), nicht auf die Etymologie des Fachbegriffs ab, um später so gebraucht in das Kompositum Muskelkater einzugehen.

so die Theorie ... ein Wort, was "das Volk" nicht versteht, kann nur von einem Wort kommen, welches ein Gebildeter versteht und das noch heute zu verstehen ist.
Anhand eines beleges aus dem jahre 1574 (das bier „kratzet wie ein Kater [. . .] des morgens im Kopff") und volkstümlicher biernamen wie rorkat(t)er, rennenkat(t)er aus der ersten hälfte des 15. jhs. weist M.* nach, daß die redewendung "einen kater haben" viel älter ist, als bisher angenommen wurde, und weder etymologisch auf die obersächs. aussprache des wortes "katarrh" noch sprachsoziologisch auf die studentensprache zurückzuführen ist.
* Mehlber, Leonhard: Einen Kater haben: zur Entstehung der Redewendung. In: ZfdPh. 103. 1984. S. 430-437

Wann sind denn die ganzen griechischen medizinischen Fachbegriffe in den dt. Wortschatz eingedrungen? Etliche, die im Lateinischen bereits seit der Zeitenwende bekannt, gab es dort immer, aber manche sind auch erst mit der Renaissance und den eindringenden Griechischkenntnissen neu gebildet. bzw. zu der Zeit übernommen worden. Gibt es nicht eine Liste darüber, welche griechischwurzligen (graecorhizen) med. Fachausdrücke zu welcher Zeit in Europa heimisch wurden? Bei dieser Art Worten ließe sich doch am ehesten aus einer Promotion oder ähnlichen Veröffentlichungen der Präger herausfinden.

Ich möchte auch immer noch die Möglichkeit offen gehalten wissen, daß überhaupt nichts Griechisches vorliegt, denn es ist der Kater, der im Hause faul auf der Ofenbank rumliegt, wie derjenige, der Muskelkater hat, und sich derhalben nicht bewegen mag. Tiere sind konkret! siehe: taube Taube. Dagegen: Die Mehrzahl der Worte kommt von "oben", also von den höheren sozialen Schichten in die "Volkssprache".
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Re: Kater und Katarrh

Beitragvon cometes » Mo 12. Aug 2019, 13:33

Schon Platon behandelt Katarrh als medizinischen Begriff kritisch (Pol. 405d), er ist über den Einfluss humoralpathologischer Lehren auf die Medizin des Mittelalters als catarr(h)us in einschlägigen Glossaren zu finden, kurzum: die Entstellungsthese müsste deutlich vorverlegt werden. Auf Mehlbers Ausführungen habe ich keinen direkten Zugriff, aber schon "das bier kratzet wie ein Kater [. . .] des morgens im Kopff" könnte ein Indiz für sekundäre Motivierung sein.
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Re: Kater und Katarrh

Beitragvon sinemetu » Mo 12. Aug 2019, 13:56

Die Entstellungsthese setzt vor allem voraus, daß das Wort Katarrhus von studierten Ärzten in die Quacksalberszene gerutscht ist, die diese Diagnose (Muskelkater) dann in Unkenntnis der Bedeutung des graecorhizen Wortes mit einem deutschen Muskel verbunden haben. Sie haben praktisch ihre Vokabel "Muskel" wissenschaftlich aufgepeppt, indem sie ein medizinisch klingenden Begriff einfach anhängten.

Mich stört dabei, die einem jedem medizinischen Laien an sich unverständliche Gleichsetzung von "muskulären Erkältungsschmerzen" mit dem deutlich anders plagenden Muskelkater. Bei mir sind die Erkältungsschmerzen maximal in den Gelenken zuhause, nicht jedoch im Muskel! Ich denke nicht, daß die Ärzte im Mittelalter dies nicht wußten! Doof waren die auch nicht, wenn man mal die zeitgemäßen Scheuklappen aus der Betrachtung herausläßt. Ich behalte meine Zweifel ....

Zusätzlich möchte ich darauf hinweisen, daß der Muskelkater auf ung. Izomláz heißt. Man kann das mit "Muskelfieber" übersetzen. Ich finde dazu keine Daten im ETyWBHu. Das weist auf ein NeuLateinisches febris musculi hin.
Fieber n. ‘erhöhte Körpertemperatur’, ahd. fiebar (9. Jh.), mhd. fieber, vieber, mit Genuswechsel aus gleichbed. lat. febris f. entlehnt.

Febris hat den selben Stamm wie Februar, der Reinigungsmonat. Da liegt Katharsis wieder näher.
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Re: Kater und Katarrh

Beitragvon cometes » Mo 12. Aug 2019, 14:08

Muskelkatarrh (oder Muskelkater) war nie eine fachärztliche Diagnose, das Wort Muskelkater taucht, soweit ich sehe, erst im 20. Jahrhundert auf. Es liegt also nahe, dass es sich dabei um eine Bildung handelt, die vom verdunkelten Ausdruck einen Kater haben, verkatert sein ihren Ausgang nimmt.
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Re: Kater und Katarrh

Beitragvon sinemetu » Mo 12. Aug 2019, 14:56

cometes hat geschrieben:Muskelkatarrh (oder Muskelkater) war nie eine fachärztliche Diagnose, das Wort Muskelkater taucht, soweit ich sehe, erst im 20. Jahrhundert auf.

https://books.google.com/ngrams/graph?c ... er%3B%2Cc0
genau: 1860

cometes hat geschrieben:Es liegt also nahe, dass es sich dabei um eine Bildung handelt, die vom verdunkelten Ausdruck einen Kater haben, verkatert sein ihren Ausgang nimmt.

Wenn Muskelkater wirklich auf Katarrh zurückgeht, dann ist die Herkunft aus der Quacksalber-, Heiler-, Bader- oder Trainerszene plausibel, wegen der verblassten altgriechischen Bedeutung.

Die Übertragung vom Alkoholkater mag als Tertium Comparationis die "Nachwirkung" haben. Daß also unter einem entmotivierten "Kater" nur noch "negative Nachwirkung" verstanden wurde.

Der motivierte "Kater" früherer Jahrhunderte ist damit aber nicht begründet. Auch im 15. Jahrhundert lass ich mir nicht eine Erkältung zu einem Alkoholkater hinbiegen...
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Re: Kater und Katarrh

Beitragvon medicus » Mo 12. Aug 2019, 16:54

Der Alkoholkater kratzt im Hirn, der Muskelkater in den Muskeln. :prof2:
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