Marcus03

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Beitragvon sinemetu » Sa 24. Aug 2019, 15:06

Der Autor, über den wir reden, schreibt: (Gehirn und Sprache)
Fast jeder Satz, den ein Mensch sagt, ist eine komplett neue Kombination von Wörtern, die so noch nie dagewesen ist.


Diese Aussage ist kompletter Unfug. In Wirklichkeit ist eine "komplett neue Kombination von Wörtern" ein seltenes Ereignis. Unsere tägliche Sprache besteht zum wesentlichen Teil aus Formeln, die immer und immer wieder wiederholt werden. Dichter und Denker bringen mal neue Kombinationen. Bevor ein neues Wort kreiert wird, nimmt man lieber vorhanden und spricht in Bildern. Da liegt eine Menge Naivität vor. Meine Schwiegermutter sagt Sommertags bestimmt 3 - 10 mal zu mir: "Csukd be az ajtót, mert döl be a meleg" Ich bin ein notorischer Türoffenlasser.

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Re: Marcus03

Beitragvon cometes » Sa 24. Aug 2019, 18:32

Die etwas ungeschickt formulierte Behauptung (die ja aus der Tradition der generativen Grammatiken kommt) spricht nicht von Wortbildung, sondern von der Kombination von Wörtern aus dem lexikalischen Bestand zu Sätzen, wobei deren Neuheit nicht auf semantischer Ebene zu beurteilen ist. Es geht hier nicht darum, dass sich zwingend ein neuer Sinn durch die abweichende Rekombination ergibt, sondern dass die Abweichung in der Auswahl und Abfolge der für die Äußerung gebrauchten Elemente die Regel ist, die einen kompetenten Sprecher als Adressaten trotzdem nicht hindert, das Ergebnis zu verstehen. Vollkommen unverändert gebrauchte Kombinationen in Floskeln, die wir im Alltag gebrauchen, und dgl. fallen da kaum ins Gewicht. Unser mentales Lexikon enthält Wörter (und Phraseologismen), Hinweise zu deren Gebrauch in syntaktischen Zusammenhängen, aber kaum fertige Sätze.

Empirische Studien zeigen zudem Ähnliches auf der rezeptiver Ebene, die Fähigkeit des Menschen, die exakte syntaktische Struktur eines gehörten Satzes zu behalten, ist ziemlich gering ausgeprägt (schon nach einer halben Minute verwischt sie). Das spielt in Verhörsituationen aller Art eine wesentliche Rolle und macht z.B. das Erlernen von Gedichten (oder Zitaten), wo es ja darauf ankommt, den exakten Wortlaut zu memorieren, zu einer besonderen Herausforderung. Wir behalten Inhalte und kontextabhängige Aspekte der Äußerung usf. viel besser als Sätze auf Punkt und Komma und beurteilen überdies auch die Qualität des Erlernten danach. Wer in auffälliger Weise wortgetreu, nicht aber in freier Rede etwas wiederzugeben vermag, hat die Sache sehr wahrscheinlich nicht verstanden (und wird sie bald auch wieder ganz vergessen haben).

Kurzum, selbst für den unter diesen Gesichtspunkten unwahrscheinlichen Fall, dass deine Schwiegermutter an jedem Sommertag genau dieselbe Kombination von Wörtern nutzt, um dich zu ermahnen, und du nicht die Varianten einfach subsumierst, würde eine quantitative Analyse des Anteils, den diese an dem von ihr insgesamt Gesagten hat, die von dir kritisierte Behauptung sehr wahrscheinlich bestätigen. Dass sie dir mit vielen Wörtern immer dasselbe zu sagen scheint und auf die Nerven geht, bleibt davon unberührt.
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Re: Marcus03

Beitragvon sinemetu » Sa 24. Aug 2019, 20:20

Vollkommen unverändert gebrauchte Kombinationen in Floskeln, die wir im Alltag gebrauchen, und dgl. fallen da kaum ins Gewicht.


Würden wir alle Sätze einer Sprache, z. B. auf Deutsch, die in einem Jahr mit einem bestimmten Stichwort, z. B. Butter, gesprochen werden, statistisch erfassen können, klassifizieren und nummerieren, so kämen etliche 10 Tausend zusammen, die in jeweiligen Situationen fallen (Familientisch, Einkaufen, Produktion etc.). Es würde die Frage "Wo befindet sich die Butter?" und dessen Varianten im Mittelfeld liegen mit einigen Mio (Schätzwert) im Jahr, die Situation Familientisch, aber mit dem Satz "Reich mir mal bitte die Butter" würde schon täglich mit mindestens 10 Mio mal zu Buche schlagen.

Schreib mir mal nur 100 Satz-Versionen zu diesem einfachen Begehr auf! Reich mir die Butter! und Reich mir bitte die Butter. sind schon zwei.

Teilen wir jetzt Begehr durch Versionen, so kommen wir auf die realen Zahlen. Entscheidend ist nicht die Anzahl der theoretisch grammatisch richtig bildbaren Sätze, (Viele sprechen ja auch falsch, bzw. Dialekt), sondern die der genutzten und gebrauchten. Man kann natürlich auch sagen: "Würdest du so lieb und zuvorkommend sein, mir die Butter zu kredenzen?" Aber, dessen Vorkommen ist doch neglegeabel.

Die Zahl der Situationen ist begrenzt, weil die Aktionen des Lebensvollzuges, Schlafen, Essen, Arbeiten begrenzt sind. Man muß sich natürlich klar machen, es geht um große Zahlen, aber auch große Zahlen, sind gegenüber der gemachten Quasi-Unendlichkeitsbehauptung (fast jeder Satz ...) immer noch klein.
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Re: Marcus03

Beitragvon medicus » Sa 24. Aug 2019, 20:36

Du musst noch diese Variante dazuzählen:
Einschlägige Wörterbücher geben an, dass „der Butter“ im gesamten oberdeutschen Sprachraum gilt, also in Bayern, Österreich, Südtirol, Baden-Württemberg und in der Schweiz. :hammer:
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Re: Marcus03

Beitragvon cometes » So 25. Aug 2019, 01:19

Deine spekulative Rechnung sagt eben nur nichts darüber, wie groß der Anteil der wirklich identischen (und nicht bloß ähnlichen) an den anzunehmenderweise sinnvollen Sätzen, die überhaupt gebildet werden pro Zeiteinheit, nun ist. Davon hängt aber ab, ob man der Behauptung

Fast jeder Satz, den ein Mensch sagt oder schreibt, ist eine komplett neue Kombination von Wörtern, die so noch nie dagewesen ist.


zustimmen kann oder nicht. Die kursierenden Zahlen liegen je nach Studie zwischen durchschnittlich 2000 und 20000 Wörtern pro Tag (wobei die Fragestellung oft am Geschlechterverhältnis orientiert ist) im Bereich des gesprochenen Wortes, Zahlen, wie viel im Mittel geschrieben wird, überhaupt in Zeiten von SMS, Messengerdiensten, Facebook, Twitter und E-Mail, kenne ich nicht. Auch die durchschnittliche Satzlänge in gesprochener Sprache ist nicht so einfach zu ermitteln, es herrscht aber ziemliche Einigkeit darüber, dass sie unter der von schriftlicher Sprache anzusetzen ist. Man liest etwas von 5 bis 10 Wörtern für sogenannte Einfachsätze, die typische Satzlänge von Gefügen soll bei 14 liegen.

Die Frage könnte also lauten: Mit welcher Wiederholungsquote entnehmen 100 Millionen Deutschsprecher und - schreiber, deren jeder pro Jahr im Durchschnitt, nehmen wir mal an, 700*365 = 255500 Sätze allein mündlich bildet, Sätze aus dem Pool der möglichen? Ob letzterer nur sehr groß oder unendlich ist, ist eine andere Frage. Die vorangehende Behauptung

Der Mensch kann mit einem endlichen Wortschatz durch die Aneinanderreihung der Worte im Prinzip unendlich viele Sätze generieren.


sagt nur etwas über das prinzipielle Vermögen natürlicher sprachlicher Systeme aus und ist so vage formuliert, dass sie nicht zu widerlegen ist, da der Verfasser an dieser Stelle keinerlei Einschränkung akzeptabler Ergebnisse durch Sinnhaftigkeit, Satzlänge, Stellung der Numeralia usf. vornimmt. Sie befriedigt daher nicht recht. Ob der Pool unter diversen Restriktionen also wirklich unendlich ist, muss offen bleiben, dass die Zahl der tatsächlich in einer Sprache gebildeteten Sätze sehr groß, aber endlich ist, ist hingegen einigermaßen trivial.

Da sich erstere Behauptung im Übrigen auch auf die historische Gesamtproduktion der schriftlichen Bildungen bezieht, könnte man diesen Teilaspekt herauslösen und nur untersuchen, wie hoch die Wiederholungsrate im Bereich gedruckter Texte ist. Man wird schnell feststellen, wie selten solche identischen Kombinationen (die nicht Zitate sind) über die Millionen von Digitalisaten über die Zeit hinweg vorkommen. Auch bei Online-Texten und E-Books erwarte ich kein anderes Bild.


Was die Butter angeht, ist nicht nachzuvollziehen, warum hier ausgerechnet hundert Varianten irgendeine Grenze in der Beurteilung der diskutierten Frage markieren sollten. Eine realitätsnahe Modellierung der Frühstückstischsituation zeigt aber m.E. schnell, dass die Einbeziehung synonymer Ausdrücke, von Satzellipsen, die Möglichkeit, Aufforderungen in der Syntax der Frage zu formulieren, der Einsatz der Modalverben und des Konjunktivs bzw. der würde-Konstruktion im Dienste der Höflichkeit, deren völliges Entfallen, die explizite Nennung des Adressaten, die Aufhebung der Beschränkung auf standardsprachliche Lexik und Artikulation, die Zulassung von transitorischen Sondersprachen, usf. in Kombination untereinander die Variantenzahl schnell vervielfachen, ohne dass es dich dabei um eine quantité négligeable handelte.

Reichst du mir die Butter? Reichst du mir bitte die Butter? Reich mir bitte die Butter! Wärst du so freundlich, mir die Butter zu reichen? Kannst du mir mal die Butter reichen? Könntest du mir mal die Butter reichen! Würdest du mir bitte die Butter reichen? Papa, Butter, bitte! Kann ich die Butter haben? Kann ich mal die Butter ...! Buuuutttterrrr, please! Gibst du mir bitte die Butter? Gib Butter! Darf ich bitte die Butter haben? Dürfte ich mal die Butter haben. Sei so gut, Fabian, gib mir doch bitte die Butter. Gibst du der Mama bitte die Butter, Aurelia? Schatz, würdest du mir die Butter geben? Lass mal die Butter rüberwachsen, Uwe. Hey, gib mal die Butter rüber! Schmeiß mir die Butter rüber. ...
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Re: Marcus03

Beitragvon sinemetu » So 25. Aug 2019, 07:12

Hallo Cometes,

weitestgehend möchte ich Deiner Betrachtung zustimmen, aber in Bezug auf die beiden zitierten Sätze doch noch mal nachhaken. Das Buch heißt Gehirn und Sprache. Es ist keine Dissertation, sondern eine populärwissenschaftliche Veröffentlichung. Es besteht also ein, wenn auch gebremster, wissenschaftlicher Anspruch. Und genau aus diesem Grunde kritisiere ich die Angaben. Beide Sätze sind einfach falsch!

A: Fast jeder Satz, den ein Mensch sagt oder schreibt, ist eine komplett neue Kombination von Wörtern, die so noch nie dagewesen ist.

B: Der Mensch kann mit einem endlichen Wortschatz durch die Aneinanderreihung der Worte im Prinzip unendlich viele Sätze generieren.

Für A gilt: Dieser Satz ist imho nicht zu retten, schon wegen des "fast", und damit die Aussage! Ich könnte mir vorstellen: Die Wahrscheinlichkeit, daß ein Satz "eine komplett neue Kombination von Wörtern ist, die so noch nie dagewesen ist", ist für geschriebene Sätze ungleich größer, als für gesprochene Sätze. Zahlenangaben und Schätzungen dazu, also wie oft es in geschriebener und gesprochener Sprache wirklich zu "einer komplett neuen Kombination von Wörtern" kommt, "die so noch nie dagewesen ist", liegen nicht vor.
Im geschriebenen Korpus zählt Googel "Gib mir bitte die Butter" = 0 mal, dagegen kommen Kurzsätze, wie "Verschwinde!" oder "Komm her!" durchaus vor.

https://books.google.com/ngrams/graph?c ... 0!%3B%2Cc0

Für B gilt:
Ob nun mit oder ohne Prinzip: Man kann mit einem endlichen Wortschatz und einer endlichen Satzlänge definitiv nicht unendlich viele Sätze generieren. Daß wir dagegen in einen Zahlenbereich kommen, bei dem auch die Computer beim Nachzählen (nicht beim Nachrechnen!) ins Schwitzen kommen, steht außer Frage.

Bedenke auch, daß
Astronomen schätzen, dass es im ganzen Universum 10 hoch 85 Atome gibt,
und daß wir diese gewaltige Zahl mit nur 4 Zeichen konkret darstellen können. Es ist also nicht wirklich eine große Zahl, und gegenüber unendlich ist sie geradezu verschwindend klein. Auch 7 Milliarden zum Quadrat ist noch bei weitem kleiner. Und wenn wir davon ausgingen, daß jeder Mensch, der bisher gelebt hat, pro Lebenssekunde 10 Worte abgesondert hätte, so bekommen wir eine Zahl, die immer noch um Potenzen kleiner ist, als die eben zitierten 10 hoch 85!

Am Umgang mit Zahlen- und Mengenangaben zeigt sich die Intelligenz eines Menschen. Und in populärwissenschaftlichen Büchern erwarte ich einen korrekten Umgang mit diesen Dingen.

Was die Butter angeht, ist nicht nachzuvollziehen, warum hier ausgerechnet hundert Varianten irgendeine Grenze in der Beurteilung der diskutierten Frage markieren sollten.

Du hast recht, 100 war willkürlich. Ich möchte aber bei der Betrachtung die Namen aussen vor lassen, bzw. alle Namen als ein Wort gezählt wissen, denn wenn Du so willst, können wir auch noch Betonungen und dialektale Färbungen auf Phonemebene einbeziehen. Ist das aber sinnvoll? Lass es 10 Tsd. Butter-gebe-Varianten sein, meinetwegen auch 100 Tsd.! Bei 10 Mio. Buttergebesituationen sind das schon mal durchschnittlich 100 pro Satz. Bau da jetzt noch die Glockenkurve ein....
Vielleicht sollte man darüber nachdenken, statt wie oft dasselbe gesagt wird, wie oft dasselbe gemeint wird. Dann hätten wir in der Buttersituation nur eine Aussage! Und dann kämen wir drauf, daß nur sehr selten was Neues gesagt wird, und daß die meisten Menschen nie was Neues sagen, weil die Lebenssituationen des Menschen über den Tagesablauf eben gleich sind, woraus sich die Konservativität des Menschen erklärt.

Ich möchte noch auf den gravierenden Unterschied zwischen gesprochener Sprache und geschriebener hinweisen, und auch auf den gegebenen Einfluß durch Vorlesen (Filme kucken, Bibellesen, Gebrüder Grimm). Man bemerkt es ja besonders, wenn jemand spricht, wie gedruckt, ansonsten ist durch den Zwang zur Kürze bei der Satzlänge da ein gravierender Unterschied. Auch werden in gesprochener Sprache oft Sätze nie zu Ende geführt, weil die Aussage klar ist. Die Kürze drückt nur auf die Anzahl der Variationen, lässt aber die Häufigkeit der einzelnen Variationen dadurch nach oben schnellen, weil die Satzanzahl ja als konstant vorausgesetzt ist.
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Re: Marcus03

Beitragvon cometes » So 25. Aug 2019, 12:49

Im geschriebenen Korpus zählt Googel "Gib mir bitte die Butter" = 0 mal, dagegen kommen Kurzsätze, wie "Verschwinde!" oder "Komm her!" durchaus vor.

https://books.google.com/ngrams/graph?c ... 0!%3B%2Cc0



Betrachte doch einmal die y-Achse, die den prozentualen Anteil am Korpus angibt. Die Maxima liegen bei 0.00000500%. Natürlich ist das nicht das einzige Beispiel für das Vorkommen identischer Kombinationen von Wörtern, aber man kann etwa abschätzen, wie viele solcher es in Summe brauchte, um auch nur die Nachkommastellen hinter sich zu lassen. Du kannst den Ausdruck "fast jeder Satz" quantitativ so eng fassen, dass dir die Aussage falsch scheint, das halte ich jedoch nicht für besonders sinnvoll in den Relationen, um die es hier geht.

Für B gilt:
Ob nun mit oder ohne Prinzip: Man kann mit einem endlichen Wortschatz und einer endlichen Satzlänge definitiv nicht unendlich viele Sätze generieren.


Doch, wenn, wie schon erwähnt, keine Einschränkung in Bezug auf Sinnhaftigkeit und sinnvoll verarbeitbare Satzlänge, keine Beschränkung des Wörterbuchs (mentalen Lexikons) in puncto Numeralia usw. gemacht werden, sieht der Beweis dafür nicht anders als derjenige, der zeigt, dass es unendlich viele natürliche Zahlen gibt, aus. Jede Hinzufügung eines Elements aus einem endlichen Wörterbuch (mentalen Lexikon) erzeugt zu einem endlich langen gegebenen Satz einen weiteren, der mit dem Vorgänger eben nicht identisch ist, dieser hat auch wieder endliche Länge. Wie bei den natürlichen Zahlen kommt man, unbeschränkt Zeit vorausgesetzt, nie zu einem letzten Exemplar.

Selbst bei einer zahlenmäßigen Beschränkung der Satzlänge öffnet sich durch die Numeralia das Wörterbuch (mentale Lexikon) auf unendliche Möglichkeiten hin, Sätze vom Typ "A plus B ergibt C" (Länge: 5 Elemente) gibt es dann unbeschränkt viele.
Bei einer sehr moderaten Beschränkung durch Sinnhaftigkeit erlaubt es überdies Selbstreferenzialität, aus einem als sinnvoll angesehenen Satz X durch die Hinzufügung "ist ein Satz" unendlich viele endlich lange nicht identische Sätze nach dem Schema [[[X ist ein Satz] ist ein Satz] ist ein Satz ...] zu erzeugen, Ähnliches gilt für die Referatstruktur "A sagt, dass B sagt, dass C sagt, ..., dass X."


All das befriedigt uns natürlich nicht so recht in der Erwartung, die wir an sinnvolle, endlich lange Sätze mit maximal x Elementen, die wir als Menschen in unseren Lebenswelten gebrauchen, haben, aber so wie die Behauptung in deinem Buch formuliert ist, lässt sie sich nicht widerlegen.

Vielleicht sollte man darüber nachdenken, statt wie oft dasselbe gesagt wird, wie oft dasselbe gemeint wird. Dann hätten wir in der Buttersituation nur eine Aussage!


Das wäre eben eine semantische Subsumierung der vielen Kombinationen. Davon war in dem kritisierten Text aber nie die Rede. Die Kriterien für eine solche Reduktion werden auch sehr schnell an Grenzen stoßen, wenn es darum geht, die Bedeutungsvielfalt selbst einer so einfachen Bitte um Butter zwischen einer Werkskantine in Duisburg, dem Großfamilientisch im Stubaital, der Seniorenresidenz in St. Gallen und einer Berliner WG abzubilden.
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Re: Marcus03

Beitragvon sinemetu » So 25. Aug 2019, 23:00

Hallo Cometes, das klingt alles ein bisschen sophistisch von Dir. Selbstverständlich werden Namen und Zahlen bei der Zählung ausgeschlossen. Das man mit Zahlen auf unendlich viele Sätze käme, ist trivial.
Auch unser Alphabet beruht auf einer Lautabstraktion, also dem Willen zu einer möglichst kleine Zahl von Zeichen. In diesem Sinne ist auch das IPA eine Abstraktion, zwar eine etwas breiter gefächerte als das Orthografie-Alphabet, aber doch geprägt vom Willen in die Tausende von Lautnuancen Ordnung reinzubringen. Das Ziel bei dem IPA war nicht, den Lautnuancenzoo zu erweitern, sondern zu straffen und kommunikabel zu halten.
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Re: Marcus03

Beitragvon marcus03 » Mo 26. Aug 2019, 06:44

sinemetu hat geschrieben:Auch unser Alphabet beruht auf einer Lautabstraktion, also dem Willen zu einer möglichst kleine Zahl von Zeichen

Dieser Wille scheint nicht überall vorhannden zu sein.
In China muss man ca. 5000 Zeichen beherrschen um eine gute Tageszeitung lesen zu können.
Vlt. sind die Chinesen auch deswegen tendenziell geistig fitter und raffinierter als wir und konnten so wirtschaftlich in so kurzer Zeit so erfolgreich sein. Je fitter das Hirn, desto schneller wächst der Wohlstand.
Zuletzt geändert von marcus03 am Mo 26. Aug 2019, 07:56, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Marcus03

Beitragvon sinemetu » Mo 26. Aug 2019, 07:06

marcus03 hat geschrieben:
sinemetu hat geschrieben:Auch unser Alphabet beruht auf einer Lautabstraktion, also dem Willen zu einer möglichst kleine Zahl von Zeichen

Dieser Wille scheint nicht überall vorhannden zu sein.

Ich bezog mich auf Alphabet-Schriften.

marcus03 hat geschrieben:In China muss man ca. 5000 Zeichen beherrschen um eine gute Tageszeitung lesen zu können.
Es ist nützlich, sich mit dem Ägyptischen und Chinesischen zu beschäftigen, um zu erkennen, wie funktioniert unser Gehirn, denn dort ist die Bildassoziativität von Phonemen offensichtlich. Was unsere durchschnittliche Intelligenz dazu zu sagen hat, dazu mußt Du Dir die Reaktionen in meinem Thread "Proskynese" ansehen.

marcus03 hat geschrieben:Vlt. sind die Chinesen auch deswegen tendenziell geistiger fitter und raffinierter als wir und konnten so wirtschaftlich in so kurzer Zeit so erfolgreich sein.

Über den Teil A des Satzes, denke ich ebenso
Es muß heißen: geistig fitter

marcus03 hat geschrieben:Je fitter das Hirn, desto schneller wächst der Wohlstand.

Ich sehe da keine direkte Korrelation. Entscheidend ist, was die Macht will. Macht macht Armut und Reichtum. Es gilt der Erfahrungssatz: Gier frisst Hirn!
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Re: Marcus03

Beitragvon marcus03 » Mo 26. Aug 2019, 08:06

sinemetu hat geschrieben:Es muß heißen: geistig fitter

Habs verbessert. Ursache: Gedankensprung. Ich war schon bei fitter, als ich geistiger schrieb.

PS:
Ich denke, dass eine chin. Kind mehr gefordert ist, wenn es Lesen und Schreiben lernt, als wir es waren.
Zudem spielt der Klang/Tonhöhe der Worte eine große Rolle.
Ich frage mich, wie die Chinesen mit den wenigen Tasten eines Computers bei sovielen Zeichen klar kommen.
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Re: Marcus03

Beitragvon sinemetu » Mo 26. Aug 2019, 08:25

Ich denke, dass eine chin. Kind mehr gefordert ist, wenn es Lesen und Schreiben lernt, als wir es waren.

glaub ich auch, wir hatten mal ein Gastkind aus Hongkong für längere Zeit bei uns. Ich war beeindruckt von seinem Schreib- und Lernstiel. Schon Mathe allein war er meinen Kindern überlegen. Das, was bei uns als "Rafinesse" gedeutet wird, ist allein das größere Assoziationsvermögen der Chinesen, daß heißt, es gehen dort mehr Zeichen auf eine Silbe, als bei und mögliche Wortstämme. Dort wird eben Krise auch als Chance gelesen.
Siehe Film unten!

Zudem spielt der Klang/Tonhöhe der Worte eine große Rolle.
Deswegen haben auch ca. 50 % der Kinesen ein absolutes Gehör. Und bei uns sind es weit drunter.....

Ich frage mich, wie die Chinesen mit den wenigen Tasten eines Computers bei sovielen Zeichen klar kommen.

https://www.youtube.com/watch?v=vngSFSKntfc
Zuletzt geändert von sinemetu am Mo 26. Aug 2019, 09:12, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Marcus03

Beitragvon marcus03 » Mo 26. Aug 2019, 08:56

Das Tippen wäre für mich ein Fass ohne Boden und extrem Zeit raubend,
75 Bedeutungen bei einem Zeichen! Wer soll da noch durchblicken oder die Nerven nicht verlieren. :shock:
Das wäre nichts für mich und auch nie gewesen. Da bleibe ich doch lieber beim guten, alten Latein.
Da weiß man sofort , woran man mit den Buchstaben(zeichen) ist. ;-)
Auch am Gehör würde es bei mir scheitern.

PS:
Lustig ist, wenn Chinesen streiten. Ich hab mal einen Streit mitbekommen und mich köstlich amüsiert.

mit Glüßen fleundlichen
malkus-null-dlei :lol:

PPS:
Kennst du die Serie "Charlie Chan"?
https://www.youtube.com/watch?v=67h5PnVB8Q4
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Re: Marcus03

Beitragvon sinemetu » Mo 26. Aug 2019, 09:16

marcus03 hat geschrieben:Da bleibe ich doch lieber beim guten, alten Latein.
Da weiß man sofort, woran man mit den Buchstaben(zeichen) ist. ;-)


intellego = inter + lego = dazwischen Lesen, also zwischen den Zeilen lesen, wie man Deutsch sagt. Gemeint sein könnte auch: Zwischen den Zeichen. Ich schreib das nur von wegen Deines "Da weiss man sofort." Der Sinn mancher Zeilen erschließt sich erst nach Jahren.
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Re: Marcus03

Beitragvon cometes » Mo 26. Aug 2019, 13:43

Selbstverständlich werden Namen und Zahlen bei der Zählung ausgeschlossen.



Erstens wirst du begründen müssen, warum du auch Namen ausschließen willst, eine im Gegensatz zu den Numeralia große, doch wohl begrenzte Menge im Wörterbuch, zweitens wird durch einen solchen Ausschluss in dem Punkt gar nichts erreicht. Es geht darum, dass es viele Erzeugungsmuster von als grammatisch eingestuften Ausdrücken gibt, die auch bei Rekursion wieder solche produzieren, wobei die Ergebnisse jeweils eigenständige, von allen anderen unterschiedene Exemplare sind. ("Die Rose ist rot" ist ein grammatischer Satz. "Die Rose ist rot ist ein grammatischer Satz" ist ein grammatischer Satz, ...; Ich weiß, dass ich nichts weiß. Ich weiß, dass ich weiß, dass ich nichts weiß ...; A sagt, dass X. B sagt, dass A sagt, dass X. C sagt, dass B sagt, dass A sagt, dass X. B sagt, dass C sagt, dass A sagt, dass X. ...; sehr groß, sehr sehr groß, sehr sehr sehr groß ...; A geht. A geht und fällt hin. A geht und fällt hin und steht auf. A geht und fällt hin und steht auf und geht weiter. A geht und fällt hin und steht auf und geht weiter und ...; Der Mann, der, der, der, der ..., unter der Linde schläft, träumt von Relativsätzen. Usf.)

Man wird also zeigen müssen, dass es auf diese Weise, wenn sonst keine, aus Sicht einer prinzipiellen Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Strukturen arbiträren Einschränkungen (maximale Länge von Sätzen, limitierte Wiederholung von Elementen des endlichen Wörterbuchs, Sinnhaftigkeit, Endlichkeit der Produzenten ...) gemacht werden, möglich oder eben nicht möglich ist, unbeschränkt (grammatische) Sätze endlicher Länge zu erzeugen, i.e. unendliche viele (aber nicht unendlich lange) Sätze.

Bisher hast du zu diesem Punkt nur nicht weiter begründete Behauptungen vorgebracht („Man kann mit einem endlichen Wortschatz und einer endlichen Satzlänge definitiv nicht unendlich viele Sätze generieren“), Verbote aufgestellt (keine Namen, keine Numeralia), die Endlichkeit von anderen Objekten (Zahl der Atome im Universum) angeführt, ohne dass klar würde, was dadurch be- oder widerlegt werden soll, oder m.E. falsche Analogien zwischen Sätze generierenden Strukturen und Alphabeten aufgestellt, so als wäre letzterer faktische Begrenztheit ihre systemische Natur, die auch für erstere anzunehmen wäre. Das Alphabet ist aber viel eher das Pendant des Wörterbuchs, während die Wortbildung (und die Frage, ob auch sie unbegrenzt ist oder nicht) das naheliegende Analogon zur Satzbildung wäre. Es ist also nicht so einfach, wie du es dir machst.

Gegen die in der Linguistik verbreitete Beweisstrategie, die sich an dem Beweis der Unendlichkeit der natürlichen Zahlen orientiert, sind gleichwohl bessere Argumente vorgebracht worden, die den Überstieg von der unstrittigen Existenz solcher rekursiver Strukturen in Sprachen zu ihrer Unbegrenztheit nur über axiomatische Annahmen (entsprechend den Peano-Axiomen, welche die natürlichen Zahlen und ihre Eigenschaften  betreffen) gewährleistet sehen, also schon voraussetzen, was es in Folge zu beweisen gelte, nämlich dass jeder dieser Ausdrücke unbegrenzt einzigartige Nachfolger hat. Siehe dazu Geoffrey K. Pullum/Barbara Scholz: Recursion and the infinity claim (2010).
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