zu verschlagen

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zu verschlagen

Beitragvon sinemetu » Do 5. Sep 2019, 09:02

DWDS unterscheidet 3 Lemmata zu verschlagen.
1. etwas verschlagen
2. verschlagen sein
3. im Prinzip wie 2.
Der Artikel scheint nicht gut durchdacht zu sein. Ich wollte nur zu zwei Bedeutungen etwas feststellen, ob Ihr das auch so seht.

Bei "verschlagen sein" also heimtückisch, hinterlistig, würde mich interessieren, ob das in Süddeutschland auch so verstanden wird, vermute ich, jemand hat in der Jugend zu viel Schläge erhalten, so daß diese nicht mehr wirken. Er zeitigt dann dies Verhalten, seine Absichten zu verschleiern. Hierher gehört auch: jemandem wird etwas verschlagen.

Eine andere häufige Bedeutung versteckt sich in 3. Dort steht der Satz: "Ich war zwanzig Jahre jung, und dann verschlug es mich in das kleine Städtchen an der Lahn." Jemand hat es wohin verschlagen. Ich denke, das kommt aus der Taubenzüchterszene, denn dort passiert es, daß eine Taube in einen fremden Schlag "heim" kehrt. Der Taubenzüchter sagt diesfalls: "Die hat es hierher verschlagen." Weil sie im Taubenschlag ist, aber nicht im eigenen, deshalb das ver.

Dies könnte der Ursprung der Wendung sein. Seht ihr das auch so.
Zuletzt geändert von sinemetu am Fr 6. Sep 2019, 22:20, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: zu verschlagen

Beitragvon marcus03 » Do 5. Sep 2019, 11:25

Wenn es jemanden wohin verschlägt, ist das meist unfreiwillig, unbeachsichtigt, unbewusst, versehentlich u.ä.

Die Vorsilbe VER hat auch die Konnotation des "Falschen, Fehlerhaften":
sich vertun, sich verhauen, verfehlen, etc.

Da es z.B. Schiffe schon länger verschlägt (lat. deferri), als Tauben gezüchtet werden,
und dieses Verb oft in diesem Kontext verwendet wurde, würde ich es eher in der Schifffahrt verorten wollen, von woaus es in andere Kontexte "verschlagen"/übertragen wurde.

PS:
Kennst du die Wendung "einen Schlag weghaben"? Das könnte mancher jetzt
von uns beiden denken,wenn wir aus Mangel an linguistischer Beschlagenheit beide danebenliegen sollten.
Hoffentlich verschlägt es niemandem die Sprache, wenn er das liest, oder hetzt gar verschlagenene Schlägertypen auf uns. :lol:
In dubio pro Himbeerkuchen mit Schlagsahne und einen guten Schlager im Hintergrund:
https://www.youtube.com/watch?v=MRBm8PcMfN0
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Re: zu verschlagen

Beitragvon sinemetu » Do 5. Sep 2019, 16:21

marcus03 hat geschrieben:Wenn es jemanden wohin verschlägt, ist das meist unfreiwillig, unbeachsichtigt, unbewusst, versehentlich u.ä.

richtig
marcus03 hat geschrieben:Die Vorsilbe VER hat auch die Konnotation des "Falschen, Fehlerhaften":
sich vertun, sich verhauen, verfehlen, etc.

korrekt
marcus03 hat geschrieben: Da es z.B. Schiffe schon länger verschlägt (lat. deferri), als Tauben gezüchtet werden,

Das ist eine Annahme ...
marcus03 hat geschrieben:und dieses Verb oft in diesem Kontext verwendet wurde, würde ich es eher in der Schifffahrt verorten wollen,

bitte Beispiele .. Also, den Paulus hat es nach Malta verschlagen, weil sein Schiff im Sturm baden ging.
Aber das es Schiffe wohin verschlagen hat, halte ich für möglich, hab es aber noch nie registriert.
marcus03 hat geschrieben:von wo aus es in andere Kontexte "verschlagen"/übertragen wurde.

Das mag dann möglich sein. Aber "schlägt" denn ein Sturm, wenn er ein Schaf vom Kurs abbringt? Du kannst hier auch aus anderen Sprachen ein Beispiel bringen.
marcus03 hat geschrieben:PS: Kennst du die Wendung "einen Schlag weghaben"? Das könnte mancher jetzt
von uns beiden denken, wenn wir aus Mangel an linguistischer Beschlagenheit beide danebenliegen sollten.

Ja, das ist übertragen in der Bedeutung. Es gibt Leute, die halten aus Prinzip ihren Kopf immer ein bisschen zur Seite (links oder rechts) geneigt. Dies hinterläßt dann den Eindruck, einen nachdenklichen Menschen vor sich zu haben und es strahlt auch ein bisschen Demut aus. Dazu würde ich sagen, der hat einen Schlag weg! Und das wurde dann übertragen auf "eine Macke haben".
marcus03 hat geschrieben:Hoffentlich verschlägt es niemandem die Sprache, wenn er das liest, oder hetzt gar verschlagene Schlägertypen auf uns. :lol:

Naja, man sollte vorsichtig sein in seinen Äußerungen, ich hab mich ja fast schon nicht getraut das "oder rechts" hinter das "links", 7 Zeilen hierüber hinzuschreiben, denn es könnte jemandem der Mensch mit "Schlagseite nach rechts" sauer aufstoßen, und schon hätten wir die versammelte Antifa hier im Forum.
marcus03 hat geschrieben:In dubio pro Himbeerkuchen mit Schlagsahne und einen guten Schlager im Hintergrund:
https://www.youtube.com/watch?v=MRBm8PcMfN0

Bei Minute: 1.18 kommt übrigens das absolute No-Go "Mohrenkopf" - daraus schließ ich messerscharf, U. Jürgens hat PeCe-Bedarf!

Ad rem: Was die Sitz-im Leben-Herkunft der Wendung "es verschlägt jemanden wohin" angeht, steht imho meine Taubenschlag-These doch etwas besser da, als Deine Schiff-These, weil der Taubenschlag als Wort den Hintergrund zum Verbum schlagen in der Wendung liefert.
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Re: zu verschlagen

Beitragvon medicus » Do 5. Sep 2019, 18:57

sinemetu hat geschrieben:imho meine Taubenschlag-These doch etwas besser da, als Deine Schiff-These,


Das Wort Taubenschlag hat mit "verschlagen" nach meiner Meinung nichts gemein. Ein Schlag oder Verschlag ist ein kleiner, abgetrennter Raum oder Stall, kein Raum, wohin man verschlagen/ vertrieben wird.
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Re: zu verschlagen

Beitragvon sinemetu » Do 5. Sep 2019, 19:07

medicus hat geschrieben:Das Wort Taubenschlag hat mit "verschlagen" nach meiner Meinung nichts gemein. Ein Schlag oder Verschlag ist ein kleiner, abgetrennter Raum oder Stall, kein Raum, wohin man verschlagen/vertrieben wird.

Ja, Verschlag nicht, aber es heißt ja nicht Taubenverschlag, sondern Taubenschlag. Ich kuck mal bei Grimm und Adelung nach, wie alt das Wort ist.

Nürnberger polizeiordn. 328 (14. jahrh.): eʒ sol auch nieman kain taubhaus haben noch kainen schlac, damit er dehain tauben gevahen müge; plattdeutsch duwenslagg, eine klappe vor dem taubenboden, tauben zu fangen Dähnert 97a.
Grimm
Jetzt wird auch deutlich, warum der Schlag in Taubenschlag. Damit ist offensichtlich ursprünglich die von außen bedienbare Klappe gemeint, die der Züchter schließen (zuschlagen) kann, um der Tiere innen habhaft zu werden. Und dann ist das auf den ganzen Stall übertragen worden. Denn eine Klappe "schlägt" zu!

Übrigens schlägt der Habicht Tauben.
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Re: zu verschlagen

Beitragvon medicus » Do 5. Sep 2019, 20:11

Jetzt hast du das Problem mit einem Schlag gelöst! :klatsch:
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Re: zu verschlagen

Beitragvon sinemetu » Fr 6. Sep 2019, 15:39

Es gibt immerhin, marcus03, "navem pellere a litore ..." aber mit ist wohl nicht wohin verschlagen gemeint, sondern das Schiff vom Ufer wegbringen mit den Riemen .... vllt können die Koryphäen ja noch was dazu sagen...:-)
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Re: zu verschlagen

Beitragvon medicus » Fr 6. Sep 2019, 18:58

sinemetu hat geschrieben:vllt können die Koryphäen ja noch was dazu sagen...

Ich bin zwar keine Konifere, aber vielleicht kann ich dir helfen:

Aeneas erhält eine göttliche Weissagung: Das neue Troja soll in Italien gegründet werden! Aeneas nimmt Kurs nach Westen und landet zunächst in Sizilien. Dort stirbt sein Vater Anchises; er wird feierlich bestattet. Italien ist nahe, aber kurz nachdem die Anker gelichtet sind, bricht ein furchtbarer Sturm los. Er verschlägt die Schiffe an die Küste Nordafrikas.
Damit ist die These von marcus03 bestätigt!
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Re: zu verschlagen

Beitragvon sinemetu » Fr 6. Sep 2019, 19:15

medicus hat geschrieben:Damit ist die These von marcus03 bestätigt!

Nee, mit ganz langem E. Medicus, so leicht ist es nicht. Erst mal müßte der Urtext her, damit wir sehen, ob naves wirklich depelluntur und ob die Wendung wirklich so schon im Latein gebräuchlich, oder jedenfalls benutzt wurde. Ich halte es nicht für unmöglich. Aber sehen möchte ich die Wendung schon.

Die Tatsache, das es Schiffe wohin verschlagen hat, belegt noch nicht den Gebrauch genau der Wendung.
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Re: zu verschlagen

Beitragvon medicus » Fr 6. Sep 2019, 19:45

Ich habe marcus03, den Kundigen, in einer Privatnachricht aufgefordert, eine Belegstelle zu suchen! :D
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Re: zu verschlagen

Beitragvon Willimox » Fr 6. Sep 2019, 22:03

Und die Komik in Sinemetus Deutungsdiskursen: unschlagbar.
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Re: zu verschlagen

Beitragvon marcus03 » Sa 7. Sep 2019, 07:00

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Re: zu verschlagen

Beitragvon Prudentius » Sa 7. Sep 2019, 07:34

Die Odyssee fängt so an: "Künde mir, Muse, den Mann, der gar viel verschlagen wurde ...!".
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Re: zu verschlagen

Beitragvon sinemetu » Sa 7. Sep 2019, 07:40

marcus03 hat geschrieben: "navem pellere a litore = absegeln, losfahren


... eines Deiner Beispiele hatte ich ja zitiert, aber: verschlagen werden ist passiv, navem pellere aktiv. Da kommt nicht dieses "gegen den eigenen Willen" und das "wohin". Es muß schon die Wendung sein.
1. Ein Verbum, welches sich auch mit schlagen übersetzen lässt, pellere käme infrage
2. Es muß im Passiv stehen
3. Es braucht ein "Wohin", eine Ablativ-Ergänzung.

Dabei gilt: verschiedene Sprachen tauschen Wendungen durchaus 1:1 aus.
Zuletzt geändert von sinemetu am Sa 7. Sep 2019, 07:57, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: zu verschlagen

Beitragvon sinemetu » Sa 7. Sep 2019, 07:42

Prudentius hat geschrieben:Die Odyssee fängt so an: "Künde mir, Muse, den Mann, der gar viel verschlagen wurde ...!".

Hallo Prudentius, Du beweist mit Deinem Zitat nur, daß Voß die Wendung gekannt und benutzt hat. Ob die Wendung wirklich so im Urtext steht, müßte ein Zitat erweisen.

Ἄνδρα μοι ἔννεπε, Μοῦσα, πολύτροπον, ὃς μάλα πολλὰ

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Odyssee

Polytropos is the very first adjective Homer applies to Odysseus in the Odyssey. Literally it means “much-traveled” or “much-wandering,” but it can be used metaphorically as “turning many ways” — wily or crafty. Homer, of course, intended both senses of the word. In the very best translation of the Odyssey, Robert Fagles renders it as “the man of twists and turns” — hence the blog’s subtitle.


Also, πολύτροπον, = viel wendend, viel gewandert von Tropen, Wendekreise. So deut ich das mal. Also: ich kann die Wendung so nicht entdecken. Die Trope muß material bzw. konkret dort stehen, nicht übertragen.
Zuletzt geändert von sinemetu am Sa 7. Sep 2019, 07:48, insgesamt 1-mal geändert.
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