Kämpferische Lyrik am Betzenberg und anderswo.

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Kämpferische Lyrik am Betzenberg und anderswo.

Beitragvon Willimox » Fr 13. Dez 2019, 21:24

Morgen (Samstag, 14 Uhr) findet ein Treffen statt: Die U23 des FC Bayern spielt gegen die "Roten Teufel" des FC Kaiserslauten. Dritte Liga.

SWR4 Radio Kaiserslautern hat heute ein Gedicht gesendet, es stimmt den Hörer lokalpatriotisch ein auf das, was kommen wird. Und manchen Leser vielleicht heiter?

Advent, Advent, der Betze brennt.
Erst einer, dann zwei, dann drei, dann vier -
dann steht vielleicht der fünfte FCK-Sieg vor der Tür (...)

Früher waren das große Schlachten,
es waren schließlich Uli Hoeneß, Gerd Müller oder Oli Kahn,
die dem FCK das Leben schwer machten.

Doch morgen Kinder, da wird's was geben,
da werden wir eine Premiere erleben (...)

Die Bayern spielen, das ist ja klar,
normalerweise in der großen Versicherungs-Arena.

Aber morgen, liebe Leute, geht es um die richtige Navigation,
denn das Spiel steigt im Grünwalder Stadion.

Das ist das Zuhause, Fußballgott, steh' dem Betze bei
von FCK-Gegner FC Bayern München II (...)


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Zuletzt geändert von Willimox am Do 26. Dez 2019, 00:06, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Kämpferische Lyrik vom Betzenberg.

Beitragvon Tiberis » Sa 14. Dez 2019, 01:17

Angespornt von der genialen Dichtkunst der K' lauterer kann ich - man möge mir diesen poetischen Ausrutscher verzeihen - mich nicht zurückhalten, ebenfalls ein paar Fußballverse (sozusagen Versler statt Fersler) loszutreten. Betroffen sind die hierzulande derzeit populärsten Mannschaften...

RB Salzburg

Geg'n die Reds* war's ka Hetz, und es gab kan Sieg,
doch Red Bull rockt jetzt cool die Europa-league.
Und man hofft, wie so oft, dass es jetzt gelingt,
jedes Spiel uns dem Ziel immer näher bringt.
Jeder Tritt ein Brit' – unser Sieg ist ein Muss,
jeder Stoß ein Franzos, jeder Schuss ein Russ'.
Dieses Mal den Pokal! Und vielleicht, wer weiß?
kriegen sie, wie noch nie, den ersehnten Preis.

* FC Liverpool

Nationalteam

’s ist möglich, dass in Sachsen und beim Rhein
es Leute gibt, die besser Fußball spielen.
Allein , was not tut und dem Volk gefällt,
das grobe Foul, die Hinterlist, der Schmäh,
da tritt der Österreicher hin auf jeden,
denkt sich nur: Wurscht ist, was die andern reden.
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Re: Kämpferische Lyrik vom Betzenberg.

Beitragvon Willimox » Di 17. Dez 2019, 22:04

RB Salzburg

Geg'n die Reds* war's ka Hetz, und es gab kan Sieg,
doch Red Bull rockt jetzt cool die Europa-league.
Und man hofft, wie so oft, dass es jetzt gelingt,
jedes Spiel uns dem Ziel immer näher bringt.
Jeder Tritt ein Brit' – unser Sieg ist ein Muss,
jeder Stoß ein Franzos, jeder Schuss ein Russ'.
Dieses Mal den Pokal! Und vielleicht, wer weiß?
kriegen sie, wie noch nie, den ersehnten Preis.

Tiberis


Eine spannende Textur ist das im Tiberis-RB-Gedicht. Ein von sich selbst tribalistisch (österreichisch) berauschter Sprecher, der versteckt im „man“, „uns“, „unser“ seine kollektive Verstärkung erfährt. Und sich dabei zwar eingesteht, dass es keine „Hetz“ (Spaß, Freude, Vergnügen, aber gar nicht so weit weg von möglicher Aggression) war im Spiel gegen die „Reds“, aber jetzt gibt es halt vielleicht in Europa-League den Pokal.

„Wie so oft / Wie noch nie“, da grinst der aufmerksame Leser. Und er fühlt sich auch ein wenig in seiner Intelligenz geschmeichelt, weil der die Binnenreime sieht (Reds, Hetz; Bull, cool; hofft, oft…) in den eher dröge wattierten Paareimen. Und er stutzt bei „Tritt-Brit“, „Stoß-Franzos“, „Schuss-Russ“.

Das ist ein intertextuelles Spiel raunt aufgekratzt sein germanistisches Ich. Das ist die in Fußballspiel transferierte Propaganda-Pop-Kultur des Ersten Weltkrieges: Es signalisiert der Texter in den Binnenreimen die geschlossen siegreiche Vorstellungswelt des Kollektivs, macht sich ein wenig darüber lustig, vielleicht auch über sich selbst. Ein Schmäh der höheren Sorte halt. Weit weg von Altherrenfüßen der Kaiserlauterer, Rumpelfüße allesamt.

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Der Fußball als ein weniger grausamer Krieg und Kampf, viel weniger, ein Ventil für die Selbstbespiegelung und das ersehnte Heroentum, ja. Man weiß dabei nicht so genau, wie sehr diese Elemente im Text humorvoll-ironisch changieren, oder ob sie doch sehr kräftig gemeint sind. Sicher aber ist die brillante Maske zu sehen, die ein anderes Ich aufgesetzt hat: Es spielt mit dem Material und lässt uns dieses Spiel genießen. Und man darf hoffen, dass auch im Fan die Möglichkeit da ist, sich wie im Karneval zu bewegen und sich dabei mit ein wenig Selbtironie zuzuschauen, wie man wütet und hofft, bangt und tremoliert. Und wie er das Scheiberlspiel liebt und doch das durchsetzungsfreudige, gleichsam preußische Verhalten seiner Legionäre in der Bundesliga hassliebt oder gar vergöttert.

Immer wieder gern gehört, die Sache mit Friedrich Torberg, dem Anhänger des schönen Fußballs einer kaiserlich-königlichen Spielkultur. Als die Deutschen 1954 in der Schweiz mit ihrem kantigen Fußball gegen die spielerisch überlegenen Ungarn den WM-Titel holten,meinte Torberg: „Das ist das Ende der Poesie im Fußball.“ Darauf ein Herr neben ihm: „Übertreiben Sie nicht, das ist bestenfalls das Ende des Hexameters im Fußball.“

Unser Lateinlehrer meinte, dass der Walzer halt als ein Hexameter zu tanzen sei und der Hexameter als Walzer. Und dann hörte ich neulich Josef Hader singen: „Menschen samma alle, blinde Hendl, arme Hasln, und unter unseren Achselhöhlen riecht’s wie aus leere Gurkenglasln.“

p.s.
Morgen abend (18.12.) im ARD-Fernsehen die Stadtkomödie "Geschenkt" ist österreichisch feines, poetisch-solides Manschkern.

p.p.s.
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Re: Kämpferische Lyrik vom Betzenberg.

Beitragvon Tiberis » Mi 18. Dez 2019, 01:13

O hätte ich bedacht, dass dies Gedicht,
mit dem ich sorglos mir die Zeit vertrieben,
sich unterziehen sollte dem Gericht
des Germanisten, hätt' ich 's nicht geschrieben.
:oops: :D
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Re: Kämpferische Lyrik vom Betzenberg.

Beitragvon Zythophilus » Mi 18. Dez 2019, 07:40

Da bin ich direkt froh, dass keine Mannschaft aus Serbien mitspielt.
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Hamur

Beitragvon Willimox » Mi 18. Dez 2019, 09:51

(0) Tiberis: Gedicht Gericht

Tiberis hat geschrieben:O hätte ich bedacht, dass dies Gedicht,
mit dem ich sorglos mir die Zeit vertrieben,
sich unterziehen sollte dem Gericht
des Germanisten, hätt' ich 's nicht geschrieben.


Noja, ein Onkel des Thrasybulus hat bei Kniže & Comp. gearbeitet, also nimmt es der österreichvertraute Germanist mit Hamur, was der Tiberis da leicht misogerm, vielleicht in Fortsetzung seiner Hamburger Eindrücke (?), schreibt.
Des Tiberis´ Gedicht über die Roten Bullen ist einfach gut.
Ein mundendes Gericht. :)

(1) Kämpfe

Weil Zythophilus die Serben erwähnt und „Bruderkämpfe“ anklingen lässt:

Zythophilus hat geschrieben:Da bin ich direkt froh, dass keine Mannschaft aus Serbien mitspielt.


Der Marischka von 1955 mit seinem Deutschmeisterfilm (Romy Schneider, Hans Moser: Friseur Swoboda, Paul Hörbiger als Franz Joseph, Wolfgang Lukschy als Wilhelm II, der Heinzi Conrads: „Guten Abend, die Madln. Servas, die Bubn.“) hat für den deutschen Sprachraum gedreht. Im Mittelpunkt des Films die Entstehung dieses Liedes

Mir san vom ka und ka Infantrie-Regiment
Wilhelm August Jurek


Mir san vom vierten Regiment, gebor'n san mir in Wean!
Wir hab'n unser liab's Vaterland und unsern Kaiser gern!
Und fangens wo mit Österreich zum Kriegführ'n amal an,
So haut a jeder von uns drein, so viel er dreinhaun kann.
Die Schlacht, zum Beispiel bei Kolin , wie's jeder wissen thuat,
Beweist doch gleich, was all's im Stand is's Weanabluat.
Und so wie's die vor uns hab'n g'macht, so kämpfen wir auch heut'
Und geb'n 'n letzten Tropfen Bluat für's Vaterland voll Freud!

Refrain:
|: Mir san vom ka und ka Infantrie-Regiment
Hoch und Deutschmeister Numm'ro vier!

2. Im Frieden jetzt da geht's uns gut, san immer voll Hamur
Und müss' mir a im Sommer oft sehr zeitlich in der Fruh
Von unsern Strohsack h'runter steig'n, das kann uns nix genier'n,
Denn kaum, dass mir recht munter san, schon unser'n "Schwarzen" krieg'n.
Is a der Übungsmarsch sehr gross, fühl'n mir ka Müdigkeit,
Weil stets bei unser'n Regiment is da zum Zeitvertreib
A Mann in jeden Zug ganz g'wiss, der in der "unter'n" Lad
Zum Lachen und zum Weinen oft a Menge G'spass d'rinn hat.

Refrain:

3. Und an an Sonntag Nachmittag in der Extra- Montur,
Im Sack unser'n Erlaubnisschein bis sieb'ne in der Fruah,
Im Arm a Maderl, wie a Fee, so lieb und wunderschön,
So können s'uns von Numm'ro vier beim Heurig'n draussen seh'n!
Doch wenn wir amal älter san und unser'n Abschied hab'n,
So sag'n wir jedem voller Stolz, wir war'n bei d'Edelknab'n,
Hab'n treu und brav in Kaisers Rock gedient für's Vaterland
Und hab'n dem vierten Regiment gar niemals g'macht a Schand!

Refrain:


(2) Glättung

Glättung und Harmonisierung des Textes bei Marischka, nix von Kolin natürlich.

Voller Freud, voller Schneid, steh ́n wir da vom Regiment
und ein jeder, der uns kennt,
kennt auch unser Temperament,
wir san wir, Kavalier, wo’s was gut ́s zum Trinken gibt -
und Tag und Nacht verliebt.
Ein bisserl G‘mütlichkeit, ein bisserl Lebensfreud,
kann es denn auf der Welt was Schönres geb’n,
ja in Wien, da lässt sich ́s leben.

Wenn ein Soldat auch noch ein Mädel hat,
ist er im Himmel drin – seg‘ns, das ist Wien - Hallo!

Und dann am Sonntagnachmittag geschniegelt und lackiert,
und jeder hat an Urlaubsschein für ́n Fall, das was passiert,
im Arm was liab‘s Fesch‘s wie wir, ein Mädel jung und schön.
So können‘s uns von Numm'ro Vier beim Heurig'n draussen seh'n!

Refrain:
Mir san vom k. u. k. Infantrieregiment Hoch- und Deutschmeister Nummero 4


Das Filmplakat zeigt links oben Kaiser Wilhelm und Franz Joseph hoch zu Ross, sie hören sich den Marsch vereint an.

Bild

Bild


https://www.dailymotion.com/video/x22esjg
(ganzer Film)
https://www.youtube.com/watch?v=nANvjsT9ImI
(Premiere des Liedes im Beisel…)

Bild

(3) Volksvermögen

Bei aller Skepsis, im Fangesang zeigt sich neben dem kämpferischen Tribalismus auf jeden Fall poetische Kreativität im Rhythmus, in der Syntax, im Hamur.

Im Winter:

eiskalte füsse! wir haben eiskalte füsse, eiskalte füüüüüsse, wir haben eiskalte füsse"
alternativ auch: "fussbodenheizung! wir wolln ne fussbodenheizung..."

In Leverkusen:
"Ohne Calmund wär das Stadion leer."

In St. Pauli:
"Eine neue Liga ist wie ein neues Leben."

"Wir sind aus Frankfurt, wir sind aus Hessen und was wir scheißen, müsst ihr fressen"

"Schiri, wir wissen wo Dein Auto steht: Gaudino hat's! Gaudino hat's!"

"Die Sonne scheint bei Tag und Nacht: Maurizio Gaudino!"

Lieblingsgesang: wenn die Leverkusener da sind -
Nie Deutscher Meister, ihr werdet nie Deutscher Meister...

In Berlin:

Wir wollen wippen, wippen, wippen ...
Besonders gut als es in einem kompletten U-Bahn-Wagen in Berlin nach dem Leverkusener Pokalsieg gesungen und gelebt wurde. Nah an einer Entgleisung.

In Dortmund:

durchsage im stadion: "herr meier aus sölde, kommen sie bitte sofort in die städtischen kliniken, sie sind soeben vater geworden"
antwort der fans: "und wir werden immer mehr, halleluja, und wir werden immer mehr, halleluhuja"
und wenig später:
"bauut das stadion aus, baut das stadion aus!"


Servas, die Sodalen!

Thrasybulus
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Re: Kämpferische Lyrik vom Betzenberg.

Beitragvon Tiberis » Mi 18. Dez 2019, 12:33

Willimox hat geschrieben:was der Tiberis da leicht misogerm(1), vielleicht in Fortsetzung seiner Hamburger Eindrücke(2) (?), schreibt.


ad 1)

misogerm?? ich habe doch nichts gegen Germknödel ! :D

ad 2)

welche "Hamburger Eindrücke" ?? :?
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Re: Kämpferische Lyrik vom Betzenberg.

Beitragvon Willimox » Mi 18. Dez 2019, 13:04

Tiberis hat geschrieben:
Willimox hat geschrieben:was der Tiberis da leicht misogerm(1), vielleicht in Fortsetzung seiner Hamburger Eindrücke(2) (?), schreibt.

ad 1)
misogerm?? ich habe doch nichts gegen Germknödel ! :D
ad 2)
welche "Hamburger Eindrücke" ?? :?


+**************************************************************************************+

ad 2)
Ach je, da habe ich was verwechselt: Der Martin Kušej war das mit Hamburg.
Aber der Tiberis schon auch.

Eine persönliche Bemerkung sei mir noch gestattet: Wenn ich über die Grenze nach Ungarn fahre, ist mir alles - ausgenommen die Sprache, die ich leider nur ansatzweise verstehe - vertraut: die Mentalität der Menschen, ihre Musik, die Ähnlichkeit der Lebensweise usw. Fahre ich hingegen nach Hamburg, fühle ich mich fremd, trotz oder wegen der angeblich gemeinsamen Sprache.


ad 1)
no na, schreib ma halt "misogerman.".

:hail:

(3)
https://www.zeit.de/2019/39/martin-kuse ... ettansicht
Zuletzt geändert von Willimox am Mi 18. Dez 2019, 19:27, insgesamt 6-mal geändert.
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Beitragvon Willimox » Mi 18. Dez 2019, 17:40

Weil es so schön ist, das 1954er Jahr

[quote]Sechs Minuten noch im Wankdorfstadion in Bern - keiner wankt. Unaufhörlich prasselt der Regen hernieder, es ist schwer, aber die Zuschauer harren (nicht) aus. Wie könnten sie auch? Eine Fußballweltmeisterschaft ist nur alle 4 Jahre. Und wann sieht man ein solches Endspiel? [...] Bozsik, immer wieder Bozsik der rechte Läufer der Ungarn hat den Ball - verloren, diesmal an Schäfer. Schäfer nach innen geflankt. Kopfball - abgewehrt. Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen. Rahn schießt... Toooor! Toooor! Toooor! Toooo

[Zum Ende des Spiels überschlagen sich die Ereignisse:]

Drei zu zwei führt Deutschland fünf Minuten vor dem Spielende. Halten Sie mich für verrückt, halten Sie mich für übergeschnappt. Ich glaube, auch Fußball- Laien sollten ein Herz haben und sollten sich an der Begeisterung unserer Mannschaft und an unserer eigenen Begeisterung mitfreuen und sollten jetzt Daumen halten. Viereinhalb Minuten Daumen halten in Wankdorf. Drei zu zwei führt Deutschland nach dem Linksschuß von Rahn, der flach im linken Eck einschlug [...]
Drei zu zwei für Ungarn - für Deutschland - ich bin auch schon verrückt, Entschuldigung! [...] Und die Ungarn, wie von der Tarantel gestochen, lauern die Puszta- Söhne, drehen jetzt den siebten oder zwölften Gang auf, Und Kocsis flankt - Puskas abseits - Schuß - aber nein, kein Tor! Kein Tor! Kein Tor! Puskas abseits. [...]

Fritz Walter zu Schäfer. Schäfer in Rechtsaußenposition. Könnte nach innen flanken. Schießt! Aber er schießt an das kurze Außennetz. Es gibt Abschlag vom Tor der Ungarn. Vielleicht lässt der Schiedsrichter auch nachspielen, wegen der einen oder zwei Verletzungen, die passiert sind. Die Ungarn sind völlig aus dem Häuschen. Deutschland ist wieder im Ballbesitz. Rahn hat den Ball bekommen. Rahn spielt zu Fritz Walter. Ball verfehlt. Puskas am Ball im Mittelkreis - aber Eckel springt dazwischen - hat abgewehrt. Die ganze deutsche Mannschaft setzt sich ein - mit letzter Kraft, mit letzter Konzentration. Ottmar Walter fällt hin. Boszik an zwei Deutschen vorbei - jetzt haben die Ungarn eine Chance - spielen ab zum rechten Flügel - Czibor - jetzt ein Schuß! Gehalten von Toni! Gehalten! [...]

Die Ungarn erhalten einen Einwurf zugesprochen. Der ist ausgeführt - kommt zu Boszik - aus! Aus! Aus! Aus! Das Spiel ist aus! Deutschland ist Weltmeister. Schlägt Ungarn mit drei zu zwo Toren im Finale in Bern.

Herbert Antoine Arthur Zimmermann (* 29. November 1917 in Alsdorf; † 16. Dezember 1966 in Bern)

valete
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Re: Kämpferische Lyrik vom Betzenberg.

Beitragvon Tiberis » Mi 18. Dez 2019, 21:07

Willimox hat geschrieben:Weil es so schön ist, das 1954er Jahr



bei der WM im schweizerischen Bern
belegte Österreich den dritten Rang.
Vergang'nen Ruhmes längst verwehter Klang!
Doch an die Zeit erinnert man sich gern,

als Österreich noch Fußballgroßmacht war.
Was einst ein Riese war, ist nun ein Zwerg,
weiß man im Land am Strome, Land der Berg' ,
und träumt vom neunzehnvierundfünfz'ger Jahr.

:roll:
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Re: Kämpferische Lyrik vom Betzenberg.

Beitragvon Willimox » Mi 18. Dez 2019, 21:37

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Re: Kämpferische Lyrik vom Betzenberg.

Beitragvon Willimox » Mi 18. Dez 2019, 21:40

Poeten des Fussballs miteinander:

https://www.spiegel.de/spiegel/kultursp ... 70650.html

Die Hamburgaussage nicht mehr "fragwürdig"?

Nächstens mehr.
Zu dem 6:1, 1954.
:chefren:
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Córdoba

Beitragvon Willimox » Do 19. Dez 2019, 08:32

Auf immer: 21. Juni 1978

ÖSTERREICH: Koncilia, Sara, Obermayer, Pezzey, Strasser, Hickersberger, Prohaska, Krieger, Schachner (71. Oberacher), Krankl, Kreuz
DEUTSCHLAND: Maier, Vogts, Dietz, Bonhof, Kaltz, Rüssmann, Abramczik, Beer (46. H. Müller), D. Müller (61. Fischer), Hölzenbein, Rummenigge
SCHIEDSRICHTER: Klein (Israel);
ZUSCHAUER: 46000
TORE: 0:1 Rummenigge (19.), 1:1 Vogts (59., Eigentor), 2:1 Krankl (66.), 2:2 Hölzenbein (68.), 3:2 Krankl (88.)


Wie war und ist das mit Cordoba? Was war das für ein Spiel 1978 am 21. Juni in Cordoba: in Österreich nur Córdoba oder auch Wunder von Córdoba, in Deutschland Schmach von Córdoba oder Schande von Córdoba ?

"Achtung. Achtung Achtung. – Bittschön aufpassn, ich möchte jetzt einige Worte an meine Landsleute, fünfzehntausend Kilometer von Argentinien entfernt, sagen: Na bitte, ich möchte Ihnen sagen, meine Damen und Herrn: Wenn es nicht geht, da kamma halt nix machen und so weiter, und so weiter – und wir wolln auf alle Fälle die Gerechtigkeit, die Gerechtigkeit, wo gibt’s die schon, aber wir hoffen noch, denn – na, fürchterlich, Gotteswilln, bittschön, Leutln, reißts euch zsam, es wäre doch gelacht, das kann doch gar net sein, und – Gottseidank, Gottseidank, daneben, da kamma nix machen, was soll ma machen."


.. Der Ball kommt zu Krankl. Volleyschuß. 2:1 für Österreich, 66. Minute. „Da steht der Krankl, der Hansiburli, ach also sein Papa, der Straßenbahner, wird sich freun, also schöner kammas garnet machen, da da da - da fehln mir die Worte, da müßt ich ein Dichter sein.“

Es kommt noch besser. Doch zuerst, fast im Gegenzug, der Ausgleich der Deutschen. Gelegenheit für etwas Häme gegenüber dem Torschützen. „Hölzenbein, Hölzenbein das Stolperbein.“ Trotz des Ausgleichs hat sich die deutsche Elf längst damit abgefunden, daß das Finale verpaßt ist. Das Unentschieden wäre wenigstens genug, das Spiel um Platz drei zu erreichen. Auch für die Österreicher, die ihre letzten drei Spiele gegen Brasilien, Holland und Italien verloren haben, wäre das 2:2 ein kleiner Erfolg.

Doch sie wittern eine viel größere Chance. „Jetzt gehts noch drei Minuten, meine Damen und Herrn, wemma diese drei Minuten schon hinter uns hätten, ja dann dann dann, ich wage es gar nicht zu sagen, da würde mir wirklich ein Fels vom Körper - jetzt aber aufpaßn! (starkes Geräusch) Und jetzt kann Sara sich einen aussichtslos scheinenden Ball, eh..., erho..., hereinholen, es gibt Beifall für ihn, da kommt Krankl - Toor!! Toor!! Toor!! Toor!! Toor!! Tor! I werd narrisch!! Krankl schießt ein! Dreizuzwei! für Österreich.“

Krankl zum 3:2 nach tollem Solo.

Das Tor löst in zwei Ländern Europas völlig irrationale Szenen aus, die das Boulevardblatt „Bild“ festhält - aus Rache wird es auch Krankls Telefonnummer veröffentlichen.
In Berlin springt ein Mann aus dem zweiten Stock und sagt dem Notarzt: „Ich bin so einsam, und dann spielen wir auch noch so grauenvoll.“ In Tirol schneidet sich ein deutscher Urlauber die Pulsadern auf und sagt seinen Rettern: „Mein Leben hat keinen Sinn mehr.“ Im Restaurant Gut Neuhof bei Frankfurt springt eine Nonne vom Orden der Barmherzigen Schwestern einem jubelnden Busfahrer an die Kehle. Wo in der Welt in diesem Moment Österreicher sind, gibt es kein Halten mehr. Vor allem in Cordoba.

„Meine Damen und Herren, wir falln uns um den Hals, der Kollege Rippel, der Diplom-Ingenieur Bosch, wir bussln uns ab, dreizuzwei für Österreich, durch ein großartiges Tor unseres Krankl, er hat alles überspüt, meine Damen und Herrn, und wartens noch a bißl, wartens noch a bißl, dann kemma uns vielleicht a Viertel genehmigen, also das - das mußt miterlebt haben. Jetzt bin i aufgestandn, geh, geh, geh, i glaub, jetzt hammas geschlagn, aufpaßn.“ Abramczik vergibt die letzte Chance. „Sieg, Sieg, Sieg...“ (dreizehnmalige Wiederholung).

Diese Zeitung, die FAZ, ordnet das Spiel in ihrer damaligen Ausgabe historisch ein: „1866:
Preußen schlägt unter Moltke Österreich bei Königgrätz. 1938: Schalke 04 schlägt unter Szepan Admira Wien neun zu null in Berlin. 1954: Die Bundesrepublik schlägt unter Fritz Walter Österreich sechs zu eins - jetzt haben Krankl & Co. die Scharten ausgewetzt. ,Den Deutschen hammas zagt'.“


Die Grazer „Kleine Zeitung“ eröffnet einen weiteren geschichtlichen Zusammenhang: „Das Vaterland. Alles, was sich da so aufgestaut hat an Emotionen, seit der Zeit zwischen achtunddreißig und fünfundvierzig vielleicht noch, das hat der Krankl gerächt. Den Hitler, den Österreich hervorgebracht hat, den hat es mit Hansi Krankl wieder wettgemacht. Der eine aus Braunau. Der andere aus Wien.“

FAZ 20.6. 2003

Bild

p.s.

Im Bellariakino (Wien), das heute schließt, läuft am Heiligabend als Endzuckerl um 11.00 "Heidi" mit Theo Lingen als Butler. Um 13.00 "Hallo Dienstmann" (Hans Moser).

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Zuletzt geändert von Willimox am Fr 20. Dez 2019, 09:20, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Kämpferische Lyrik vom Betzenberg.

Beitragvon Tiberis » Fr 20. Dez 2019, 02:29

Willimox hat geschrieben:„Jetzt gehts noch drei Minuten, meine Damen und Herrn, wemma diese drei Minuten schon hinter uns hätten, ja dann dann dann, ich wage es gar nicht zu sagen, da würde mir wirklich ein Fels vom Körper - jetzt aber aufpaßn! (starkes Geräusch) Und jetzt kann Sara sich einen aussichtslos scheinenden Ball, eh..., erho..., hereinholen, es gibt Beifall für ihn, da kommt Krankl - Toor

Welch Balsam für der Österreicher Seelen,
dass wir den großen Bruder konnten schlagen!
Von Cordoba wird noch in fernen Tagen
man hierzulande gern und oft erzählen.
:D
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Re: Kämpferische Lyrik vom Betzenberg.

Beitragvon Prudentius » Fr 20. Dez 2019, 11:11

Fr 20. Dez 2019, 02:29


Tiberis, geh schlafen, schau auf die Uhr!
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