Was ist in Österreich los?

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Re: Was ist in Österreich los?

Beitragvon Willimox » Di 11. Feb 2020, 13:58

Salute, Zythophilus und Tiberis ...

mit Freude sehe ich Freunde des Liedes am Werke.

Die Via Gluck - Tiberis hat es schon anskizziert - ist keine ländliche Oase (gewesen) und ist das jetzt erst recht nicht. Allerdings besaß sie ihre Grünflächen in Hinterhöfen und in der Nähe (Hof des Steinmetz, Martesana-Kanal).

Celentano spricht davon (Interview 2016, cf. infra) etwas mystisch vielleicht - eine Art von Epiphanie ist da zu lesen -, aber doch wohl glaubhaft. Wie Zythophilus schon anmerkte, ist Paolo Conte nicht der Texter.

«Als ich mit vier Jahren im Hof der Via Gluck 14 spielte, sah ich einen Sonnenstrahl. Ein Teil des Hofes war beleuchtet, während die andere Hälfte im Schatten lag. Ich begann glücklich zwischen dem von Sonne und Schatten beleuchteten Teil hin und her zu rollen. Meine Shorts waren alle schmutzig, sie waren zu groß für mich, vielleicht gehörten sie zu den ältesten meiner Brüder, Alessandro, als er klein war. Mit einem Schultergurt nach unten und dem anderen an Ort und Stelle, wie sie nur Straßenkinder tragen können. Barfuß. Zerzaust, mit roten Wangen.

Als ich mich umdrehte, blieb ich liegen und lag mit offenen Armen und Beinen auf dem Boden. Ich schaute auf den Sonnenstrahl, der den Hof beleuchtete, der mir wunderschön erschien. Ich verbeugte mich und küsste diesen Strahl. Obwohl ich so klein war, fühlte ich mich so glücklich ich war.

Einfach auf den Rasenflächen laufen. Sich schmutzig zu machen, ohne Angst vor irgendetwas, beschützt von der ganzen Familie und von meinen Freunden ... Sie frei und glücklich wie ich darüber, auf den Rasen zu rennen. Arm natürlich, aber es genügte, zusammen zu sein und zu teilen, was da war. "Ruhige Leute, die gearbeitet haben ...".


Ich war begeistert, freudig. Ich spielte beim Steinmetz, badete im Martesana-Kanal und riskierte die Schläge meiner Mutter, die aus Angst vor dem Ertrinken mich mit einem Besen jagte, aber ich war sehr schnell und sie kriegte mich nicht. Hier, das war der Funke, der mich nie verlassen hat. Ich schrieb Der Junge auf der Straße Gluck Jahre später, aber in der Zeit, die verging, hörte ich nie auf, die Gefahr zu spüren, dass die Welt mit dem wilden Betonieren verloren ging.

Das Umweltbewusstsein war mir offensichtlich angeboren, ein Schmerzensschrei gegen diejenigen, die das Leben und den Planeten selbst bedrohten. Eine echte Katastrophe, die heute die Hauptursache für viele Katastrophen ist, die sie als "natürlich" bezeichnen! Aber ich schrieb es auch wegen des Schmerzes, den ich empfand, als ich als Teenager gezwungen war, die Via Gluck zu verlassen, um "in der Innenstadt" zu wohnen und zusammen im Haus meines Bruders zu leben.

Ich weinte ständig und meine Mutter war verzweifelt. Er wusste nicht, was ich tun sollte, weil ich jeden Tag weglief, um zur Via Gluck zurückzukehren, um meine Freunde zu finden, aber vor allem die Freiheit, die Wiesen und das Glück, die es für mich nur in der Via Gluck gab. Dieses Lied war nie nostalgisch, sondern eine soziale Klage zu einer Zeit, als niemand über Ökologie und Umwelt sprach. "

https://www.repubblica.it/spettacoli/mu ... 133497677/


Dazu dann noch drei relativ aktuelle Bilder der Via Gluck 14 und ihres Umfeldes.

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Re: Was ist in Österreich los?

Beitragvon Tiberis » Di 11. Feb 2020, 16:11

Adriano Celentano hat geschrieben:Questa canzone non è mai stata nostalgica ma una denuncia sociale in un momento in cui nessuno parlava di ecologia e ambiente».

Es ist wohl beides: die Sehnsucht nach der glücklichen Kindheit UND Kritik an der Zubetonierung der Landschaft, insbesondere an der städtischen Peripherie. Dieser Prozess, der im Wesentlichen in den Sechziger Jahren - hie und da auch schon früher - begonnen hatte, hat sich in weiterer Folge durch die Auslagerung städtischer Funktionen an die Peripherie (>Suburbanisierung) immer mehr verstärkt.
Flächenwachstum und Bevölkerungszunahme stehen längst in keinem vernünftigen Verhältnis mehr.
Celentanos "Ragazzo della Via Gluck" hat mich immer schon sehr berührt, vielleicht auch deshalb, weil ich selbst meine Kindheit am Rand der Großstadt verbracht habe, und weil es in unmittelbarer Nähe eine Via Gluck (Gluckgasse) gab. Die ist heute nicht mehr wiederzuerkennen...
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Re: Was ist in Österreich los?

Beitragvon Zythophilus » Di 11. Feb 2020, 21:32

Celentano mag anderswo schon erklären, wie es in der Umgebung, in der er aufwuchs, aussah, das Lied spricht aber davon, dass es ein "Haus außerhalb der Stadt" gewesen sei und dort "wo einmal [in der Jugend des Ich-Erzählers] Wiese war, jetzt eine Stadt sei", und nennt sein Haus "jenes Haus mitten im Grünen". Da ist nicht davon die Rede, dass die Wiesen im Innenhof waren, und generell entspricht der Befund des Liedes nicht der Verbauung, die in dem Bereich in den frühen Vierziger Jahren gewesen muss. Durch den vielleicht 200 m entfernten Hauptbahnhof war das schon ab den Dreißiger Jahren verbautes städtisches Gebiet, in dem es keine "Häuser im Grünen" gab. Die Entwicklung, die das Lied schildert, ist im Bezug auf die via Gluck in Celentanos Kindheit schon vergangen. Das ist als literarische Fiktion schon in Ordnung, ist aber nicht so autobiographisch, wie man es für das Lied annimmt.
Eine Karte aus dem Jahr 1939 weist für das Gebiet um den Hauptbahnhof lediglich eine kleine Grünfläche nördlich des Bahnhofs auf. Sonst ist dort alles verbaut: "fuori la città" ist anders.
http://www.stagniweb.it/foto6.asp?File= ... =100&Col=5
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Re: Was ist in Österreich los?

Beitragvon Willimox » Mi 12. Feb 2020, 13:38

Der Interviewtext liefert eine Epiphanie.
In dieser Kindheits-Perspektive und ihrer lyrischen Verklärung ist dann - bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar - ein ländlich-grünes (groß)stadtfernes Idyll generiert und fundiert.

Bild

Recht deutlich, wie Zythophilus sagt, eine literarisch-lyrische Fiktion.
Mit Berührungspunkten zur "Idylle" der Hinterhöfe und Kanäle.

greetse
ww

p.s.

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Re: Was ist in Österreich los?

Beitragvon Tiberis » Do 13. Feb 2020, 00:16

Zythophilus hat geschrieben:Eine Karte aus dem Jahr 1939 weist für das Gebiet um den Hauptbahnhof lediglich eine kleine Grünfläche nördlich des Bahnhofs auf. Sonst ist dort alles verbaut: "fuori la città" ist anders.

Dieser Stadtplan ist stark generalisiert und liefert über die tatsächliche Verbauungsdichte keine brauchbaren Informationen. In Bezug auf die Via Gluck lässt sich daraus nur entnehmen, dass es sich um bebautes Gebiet handelt, was selbstverständlich nicht ausschließt, dass es dort Häuser im Grünen gab.
Die Via Gluck gehörte in den 40er Jahren jedenfalls noch zur städtischen Peripherie. Wenige hundert Meter weiter, nördlich der Stazione Centrale, lag noch völlig unbebautes Gebiet. Da die Grenze zwischen Stadt und Umland ja nicht abrupt, sondern allmählich verläuft, ist für die damalige Zeit von einer eher geringen Verbauungsdichte mit zahlreichen Grünflächen auszugehen. Die Formulierung "mitten im Grünen" mag die Kindheitseindrücke verklären,verschärft jedoch den Kontrast zur späteren Entwicklung, als diese unbebauten Areale immer weniger wurden.
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