Interessante Vorträge

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Re: Interessante Vorträge

Beitragvon Sapientius » Do 17. Dez 2020, 11:17

marcus03 hat geschrieben:Der Relativismus hat mMn schon gewonnen.


Das würde ich nicht ganz so sehen, das Relative ist ja nur der eine Teil von zwei polaren Gegensätzen, dem Relativen und dem Absoluten. Das eine ist nichts ohne das andere, nur wo es absolute Wahrheit gibt, kann diese relativiert werden.
Die beiden Begriffe spielen überall zusammen, es ist wie mit rechts/links, schwarz/weiß, gut/böse, Licht/Schatten, m/f, oder auch Yin/Yang.
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Re: Interessante Vorträge

Beitragvon Tiberis » Do 17. Dez 2020, 15:55

Sapientius hat geschrieben:bei den Sophisten meldet sich der Geist der Moderne zum ersten Mal zu Wort.

oder der moderne Zeitgeist. tatsächlich waren ja die Sophisten ein Phänomen eines Zeitgeistes, der auch heute grassiert. Diese eloquenten, in vielen Bereichen durchaus versierten Männer, die von Vortrag zu Vortrag reisten und zweifellos viele Menschen in ihren Bann zogen, beherrschten neben der Rhetorik vor allem die Kunst der Selbstvermarktung und -inszenierung. Sie haben begriffen, dass es bei der Indoktrinierung vor allem auf die Verpackung und weniger auf den Inhalt ankommt. So gesehen ist es kein Wunder, dass man gerade heute bemüht ist, die Sophisten "differenziert" (!) zu sehen.
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Re: Interessante Vorträge

Beitragvon mystica » Do 17. Dez 2020, 16:41

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Re: Interessante Vorträge

Beitragvon Sapientius » Fr 18. Dez 2020, 09:24

... die Sophisten ein Phänomen eines Zeitgeistes, der auch heute grassiert.


Apropos Zeitgeist: der frühere Kardinal von Köln, Meisner, sagte: "Wenn wir dem Zeitgeist hinterherlaufen, können wir gleich einpacken"; aber er hat die Weisheit von Gorbatschow nicht beachtet: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben".
Nicht um den Zeitgeist geht es, sondern darum, dass der moderne Mensch ein Freiheitsbewusstsein entwickelt hat und nicht mehr einfach alles hinnimmt; und bei den Sophisten meldet sich dieses Bewusstsein erstmals zu Wort, da hat die menschliche Ratio sich auf die eigenen Füße gestellt; so gesehen verdienen die Sophisten Respekt.
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Re: Interessante Vorträge

Beitragvon mystica » Fr 18. Dez 2020, 10:52

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Re: Interessante Vorträge

Beitragvon marcus03 » Fr 18. Dez 2020, 12:54

Ich denke, man sollte sich auch hier vor Pauschalurteilen hüten, die per se fast immer falsch sind.
Zudem kann man aus Fehler anderer lernen oder Denkanstöße erhalten.

mystica hat geschrieben:Das Projekt der Moderne aber, welches einst für Aufklärung, Freiheit und Rationalität angetreten ist, ist mehr oder weniger gescheitert.

Auch das erscheint mir zu pauschal.
Gäbe es im Islam etwa mehr Aufklärung, würden im Namen Gottes keine Menschen umgebracht,
die größte aller denkbaren religiösen Perversionen, von der leider auch das Christentum nicht
Halt gemacht hat. Der Islam hat seine Aufklärung noch vor sich und man kann nur hoffen, dass
sie rasch voranschreitet, damit endlich Schluss wird mit dem Missbrauch von Religion zu
politischen Zwecken (Iran, Türkei u.a.) und zur Unterdrückung von Menschen v.a. von Frauen.
Dass auch die Aufklärung in vielen Aspekten übers Ziel hinausgeschossen oder Illusionen geweckt hat
(Selbsterlösung), ist dem menschlichen Faktor geschuldet und dem Missbrauch durch egoistische
Machtinteressen (etwa die der Nomenklatura).
Die Aufklärung selbst bedarf der Aufklärung, was ja auch längst der Fall ist in aufgeklärten Ländern.
Fakt ist: Ohne Aufklärung wären wir wirtschaftlich, gesellschaftlich und ökonomisch nicht da, wo
wir heute sind, auch wenn wir immer mehr erkennen müssen, dass nicht alles Gold ist, was
am Fortschritt glänzt, ja sogar selbstzerstörerisch sein kann.
Rationalität, richtig verstanden und praktiziert, kann nie schlecht sein. Das kann man pauschal sagen.
Das Problem ist die allgemein akzeptable Definition von Rationalität, über die weiter trefflich gestritten werden kann und muss, wobei es gute Kriterien dafür längst gibt wie etwa die Goldene Regel und deren
modernere Version des kritischen Jesuiten Rupert Lay, der sie so formuliert:
„Handle stets so, dass Du das personale Leben in Deiner Person als auch in der Person
eines jeden anderen Menschen eher mehrst denn minderst“
Wenn das nur so einfach wäre, hätte es der Aufklärung vlt. gar nicht bedurft oder sie wäre anders
abgelaufen.
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Re: Interessante Vorträge

Beitragvon mystica » Fr 18. Dez 2020, 14:32

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Re: Interessante Vorträge

Beitragvon marcus03 » Fr 18. Dez 2020, 18:14

mystica hat geschrieben: denn der Mensch ist nicht nur ein Verstandeswesen, sondern auch ein Wesen der Transzendenz.

Diese Fähigkeit scheint immer mehr verlorenzugehen, weil auch sie entwickelt werden muss.
Dazu ist Zeit und Geduld erforderlich und die Erfahrung von bedingungsloser Wertschätzung (=Liebe).
Daran fehlt es immer mehr angesichts des ubiquitären ökonomischen Drucks und emotionaler Kälte
in der Leistungsgesellschaft, in der emotionale,nicht kommerzialisierbare Bedürfnisse als Störfaktoren
empfunden werden.
Intellektuelle Kompetenzen werden überbetont, soziale vernachlässigt und unterschätzt.
Der Mensch an sich spielt keine Rolle, er hat zu funktionieren und konsumieren, damit das System
mangels Wachstum nicht kollabiert.
Wirtschaft und Technik haben den Menschen fest im Griff. Er ist zum reinen Objekt und Mittel
zum Zweck geworden.
Seelisch verwahrloste Menschen sind nicht mehr fähig sich zu transzendieren, weil der immanente
Realitätsdruck zu groß ist. als dass der gemeine Mensch sein Tranzendenzpotential entfalten könnte
bzw. sich dessen überhaupt noch bewusst wird.
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Re: Interessante Vorträge

Beitragvon medicus » Fr 18. Dez 2020, 20:26

Wenn man über die Menschen unserer Zeit spricht, sollte man dann nicht auch die lange Friedenszeit von 75 Jahren in Europa erwähnen?
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Re: Interessante Vorträge

Beitragvon Tiberis » Sa 19. Dez 2020, 00:36

Dass es in diesem Zeitraum keinen gesamteuropäischen Krieg gab, ist nicht so sehr das Verdienst der "Menschen unserer Zeit", sondern liegt eher an der atomaren Abschreckung. Im übrigen gab es sehr wohl Kriege, wenn auch lokal begrenzte, die durchaus gezeigt haben, welches Gewaltpotential unter der scheinbar friedlichen Oberfläche schlummert: der Krieg in Jugoslawien, der Bürgerkrieg in Nordirland, die sowjetischen Interventionen in Ungarn und im Baltikum, der Krieg in der Ostukraine...
Die Menschen sind sicher nicht friedlicher geworden, das zeigt ein Blick auf die zahllosen Konflikte außerhalb Europas. Die Europäer haben an einem Krieg in Europa derzeit freilich kein Interesse, weil sie dabei nichts gewinnen, aber alles verlieren würden. Dafür liefern sie Waffen an alle möglichen dubiosen Potentaten Afrikas oder Asiens, die naturgemäß auch irgendwann zum Einsatz kommen. Man ist also immer noch Kriegsprofiteur, es haben sich nur die Schauplätze verlagert.
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Re: Interessante Vorträge

Beitragvon marcus03 » Sa 19. Dez 2020, 09:10

Tiberis hat geschrieben: Dafür liefern sie Waffen an alle möglichen dubiosen Potentaten Afrikas oder Asiens,

Wenn ums Geschäft und Profit geht, gilt: nihil pensi neque sancti habere (Sallust)

Das Folgende "quoad semet (Europa) ipsa praecipitavit" kann noch kommen - numero profugorum in dies augeri pergente Sinensibusque orbem oeconomice expugnaturis.
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Re: Interessante Vorträge

Beitragvon Sapientius » Sa 19. Dez 2020, 09:15

Wenn wir über die Einschätzung der Sophisten diskutieren, sollten wir ein Highlight nicht übergehen, das es da gibt, das ist der "Satz des Protagoras", auch "Homo-mensura-Satz" genannt: "Der Mensch ist das Maß aller Dinge"; er hat einen gewaltigen Nachhall ausgelöst: Thomas v. A. sagt: "Das Objekt wird nach Maßgabe des Subjekts wahrgenommen", und Kant: "Die Gegenstände müssen sich nach unserem Erkenntnis richten", d.i. die kopernikanische Wende der Philosophie, seitdem gibt es die "Erkenntistheorie" als Teil der Philosophie.

Was die Bewertung der Sophisten angeht, so hängt das von uns ab, nämlich in welche Reihe wir sie einordnen wollen: von der Perspektive heutiger Mißstände aus gesehen, üble Leute; von der Perspektive der menschlichen Freiheitsgeschichte: die verdienstvollen Gründer.
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Re: Interessante Vorträge

Beitragvon marcus03 » Sa 19. Dez 2020, 09:43

Der Satz ist interpretationsbedürftig:

https://www.florian-roth.com/wp-content ... ikerMS.pdf
https://bernhard-külp.de/index_htm_files/mass.htm
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Re: Interessante Vorträge

Beitragvon Sapientius » So 20. Dez 2020, 10:47

Tiberis hat geschrieben:Dass es in diesem Zeitraum keinen gesamteuropäischen Krieg gab, ist nicht so sehr das Verdienst der "Menschen unserer Zeit", sondern liegt eher an der atomaren Abschreckung.


Tiberis, ich glaube, das liegt an was anderem, das liegt daran, dass Hitler die Großmächte zu einer Allianz zusammenbrachte, in der sie ein Rahmenabkommen schlossen, in dem die Welt aufgeteilt war; da war festgelegt, wer wo was durfte, deshalb gab es keinen Krieg beim Ungarnaufstand, Prager Frühling, 17. Juni Berlin, Mauerbau Berlin 1961. Die Sowjets bewegten sich in ihrem Bereich. "Imperialismus" war nicht ihr Programm, sondern das des "Klassenfeindes".
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Re: Interessante Vorträge

Beitragvon sinemetu » Mo 21. Dez 2020, 00:25

Das Substantiv chrema kommt von dem Verb chrestai, das so viel bedeutet wie „gebrauchen“, „verwenden“. Man könnte also sagen, chrema sei also das (für den Menschen) brauchbare, im Horizont seiner Verwendungszwecke, seiner Praxis sich befindliche.


Ich versteh nicht, warum er das nicht sieht, daß chrema und chrestai auf die Hand, cheir gehen. Körperteile sind immer die ältesten Bilder.

Metron kann nun auch gedeutet werden als den Dingen immanentes Maß, inneres Wesensprinzip und somit nicht als das den Dingen von außen herangetragenes Kriterium.

Hier gilt dasselbe. Matritze und "Mutter aller Schlachten", für Maß aller Dinge kann man auch Mutter aller Dinge sagen und der Krieg ist der Vater. Das Meter und auch griech. μέτρον (das Mütterliche) ist nach μήτηρ benannt - und wenn alle Etymologie. WB das Gegenteil schreiben oder anderes behaupten.
Quaestor sum, quaerere quaerique possum ...
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