Tatverdächtige

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Tatverdächtige

Beitragvon Odinus Thorus » Di 20. Jul 2021, 11:20

Ebermannstadt (dpa/lby) - Eine Frau hat einem Familienangehörigen in Oberfranken bei einem Streit in der Öffentlichkeit tödliche Schnittwunden zugefügt. Passanten wurden am Samstag in Ebermannstadt (Landkreis Forchheim) auf die Auseinandersetzung aufmerksam und überwältigten die 53-Jährige, wie die Polizei am Samstag mitteilte. Wenig später trafen demnach Beamte ein, die die Tatverdächtige festnahmen.

Quelle: https://www.welt.de/regionales/bayern/a ... lt.desktop

ich entsinne mich, daß damals 1972, anlässliches des Attentats palästinensischer/RAF Terroristen auf die israelische Mannschaft in durch die ARD-Tagersschau das erste mal in mein Bewußtsein das Wort vom "mutmaßlichen Terroristen" drang. Hierbei handelt es sich um eine durch die 68-Bewegung initiierte Sprachregelung, derer ich mir jetzt bewußt werde. Ich finde nicht alles schlecht, was die 86-iger an Veränderung gebracht haben, und ich kann auch nicht alles beurteilen.
Ich frug damals den Vater, warum man nicht einfach von Terroristen spräche mit dem Argument, man habe doch Photos von den Leuten mit der Waffe in der Hand in ziviler Umgebung. Er antwortete damals sinngemäß, das erst ein Gericht feststellen könne, ob es wirklich Terroristen seien. Würde die Zeitung Terroristen schreiben, wäre es eine im Rechtstaat ungute Vorverurteilung. (Dieses Argument war bei mir zumindest ziemlich lange einleuchtend, und solange es einleuchtend war, war es auch schlagend, also ich akzeptierte es. Nun aber frage ich weiter:
Ich würde heute als juristischer Laie drauf antworten, in einem Rechtsstaat, hat nicht die Presse die Jurisdiktion in der Hand sondern die Gerichte. Soviel zur Vorgeschichte.
Und trotzdem hält sich diese Spech-, Schreib-, und Denkweise, wie das obige Zitat zeigt.

Mir ist schleierhaft, wie man in so einem Artikel, nachdem man anmerkt, dass "Passanten die 53-Jährige überwältigten", von "Tatverdächtige" sprechen kann. Die Passanten werden doch nicht irgendjemanden überwältigt haben, sondern als Augenzeugen sicherlich die Täterin. Vor allem: Mit der korrekten und richtigen Zuschreibung "Täterin", passiert ja in Wirklichkeit kein Verurteilung. Es kann ja sein, dass die Frau nicht zurechnungsfähig, und damit schuldunfähig war, ein Faktum, welches gerade bei den vielen Migrantenmorden regelmässig laut gerichtlichen Verlautbarungen, zutrifft. (Denken wir nur an den Abstecher im Kaufhaus von Würzburg neulich, https://www.derstandard.de/story/200012 ... rei-frauen) Der vermutete und inkriminierte Konnex Zuschreibung "Täter(in)" = "juristisch schuldig" besteht eigentlich überhaupt nicht, da es keine logisch zwingende Ableitung zwischen Täter und Schuldiger gibt. Und insofern besteht auch kein Hindernis, die Frau Täterin zu nennen, und nicht Tatverdächtige.
Was meint Ihr dazu? Ein Urteil, wird das Gericht sprechen.

Vllt kennt auch jemand ein Forum über Sprachregelungen ...?
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Re: Tatverdächtige

Beitragvon medicus » Di 20. Jul 2021, 12:39

Odinus Thorus hat geschrieben:Wenig später trafen demnach Beamte ein, die die Tatverdächtige festnahmen.

Für die Beamten war die Frau eine Verdächtige, da sie die Tat nicht persönlich gesehen hatten. Sie mussten zuerst Zeugen befragen. Aber sicher kann dir unser Forumsmitglied iurisconsultus genaue Auskunft geben, falls er hier mitliest.
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Re: Tatverdächtige

Beitragvon iurisconsultus » Di 20. Jul 2021, 17:10

Kurz gesagt: Wird vor (rechtskräftiger) Verurteilung von „Täter“ gesprochen, verstößt das nach der Rsp in Deutschland und Österreich gegen die allseits bekannte Unschuldsvermutung, die verfassungs-, medien- und zivilrechtlich verbürgt ist, und hat der Betroffene deshalb gegen den Medieninhaber Anspruch auf Widerruf (medienrechtlich) und Schadenersatz (zivilrechtlich - Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts).

Die Bezeichnung als Täter ist nach der Rsp ausnahmsweise statthaft, wenn

- der Betroffene von sich aus freiwillig ein glaubhaftes Geständnis abgelegt oder sich in anderer Weise selbst als Täter bezeichnet hat, oder

- die Durchführung eines Strafverfahrens gegen ihn nicht mehr möglich ist – weil er z. B. nicht mehr lebt –, seine Täterschaft aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, oder

- wenn allgemein die Recherchen zu einem so hohen Verdacht einer schweren, für das öffentliche Interesse bedeutsamen Straftat geführt haben, dass die Presse von der Richtigkeit der sorgfältig überprüften Beschuldigungen überzeugt sein musste, sofern aus dem Text der Veröffentlichung hervorgeht, dass eine strafrechtliche Verurteilung nicht erfolgt ist.

Jeder Fall wird einer Einzelfallentscheidung zugeführt. Seriöse Medien vermeiden grundsätzlich die Bezeichnung „Täter“.

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Re: Tatverdächtige

Beitragvon Odinus Thorus » Di 20. Jul 2021, 17:29

iurisconsultus hat geschrieben:Kurz gesagt: Wird vor (rechtskräftiger) Verurteilung von „Täter“ gesprochen, verstößt das nach der Rsp in Deutschland und Österreich gegen die allseits bekannte Unschuldsvermutung,


Danke JC. Das Urteil würde mich interessieren, warum Täterschaft gegen "Unschuldsvermutung" in's Feld geführt wurde, seit wann das so ist. Es müsste dazu doch eine Diskussion mit Pro- und Contra-Argumenten gegeben haben. Meine Unschuldsvermutung gegen den "Messerstecher" von Würzburg scheint sich zu bewahrheiten:

Messerstecher von Würzburg ist womöglich schuldunfähig

Quelle: https://www.n-tv.de/der_tag/Der-Tag-am- ... 92584.html

Auch wenn unschuldig, bleibt er zweifellos der Täter? Wer soll den sonst der Täter sein? Der Gesetzgeber, oder die Executive? Hier an diesem "Einzelfall" wird doch exemplarisch deutlich, dass die Schuldfrage vollkommen unabhängig von der Frage der Täterschaft ist. Hast Du eine Urteilsnummer?
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Re: Tatverdächtige

Beitragvon iurisconsultus » Di 20. Jul 2021, 17:48

Der allgemeine Rezipientenkreis versteht unter „Täter“ einen, der eine Tat im strafrechtlichen Sinn begangen hat und nicht bloß einen, der faktisch eine bestimmte Handlung gesetzt hat. Das Volk ist nicht eine Menge von Semantikern. Deshalb ist die Rsp auch mit Recht streng, zumal Vorverurteilungen drastische Folgen für die Betroffenen haben können.

EINE Entscheidung zur verbotenen Vorverurteilung gibt es nicht, sondern Legionen von Einzelfallentscheidungen. Meine Ausführungen sind als kondensierte Kompilation der Grundsätze zu verstehen. Wenn dich das Thema aber näher interessiert: Es existieren mehrere Werke zum Medienrecht, in denen das Thema und die Rsp dazu verhandelt werden.
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