Weise Parallelität orbus, a <-> sapiens

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Weise Parallelität orbus, a <-> sapiens

Beitragvon Odinus Thorus » Sa 13. Nov 2021, 13:13

Aus DWDS Weise und Weise geht hervor, dass es sich bei der Schreibung der beiden Worte nur um eine orthografische Variation handelt, das wir hier eigentlich ein homoiorhizes Homonym vor uns haben. Nun ist zu fragen, wie kommen die Bedeutungen elternloses Kind und besonders kluger (alter) Mensch zueinander. Diese Homonymität scheint schon alt zu sein. Auch die Tatsache, dass in einer gänzlich fremden Sprache wie Ungarisch beide Begriffe mit demselben Stamm bölcs (der Weise), (bölcsöde) früher Waisenhaus, heute Kinderkrippe) gebildet werden, deutet auf eine sachlich begründete Beziehung. orbus, a <-> sapiens

Was kann das sein? Werden der elterlichen Zuwendung entbehrende Kinder früher klug?
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Re: Weise Parallelität orbus, a <-> sapiens

Beitragvon medicus » Sa 13. Nov 2021, 13:43

Das Wort Waise ist verwandt mit mhd. entwisen= verlassen.
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Re: Weise Parallelität orbus, a <-> sapiens

Beitragvon marcus03 » Sa 13. Nov 2021, 14:35

Odinus Thorus hat geschrieben:Werden der elterlichen Zuwendung entbehrende Kinder früher klug?

Die werden v.a. psychisch krank und/oder soziopathisch. (Marasmus)
Für die geistige Entwicklung dürfte das sehr nachteilig sein.

Als „Marasmus“ wird gelegentlich auch der psychische Hospitalismus bezeichnet, das „Dahinwelken und schließliche Verlöschen“ (René A. Spitz 1978) von an sich gesund geborenen Kindern infolge totaler emotionaler Deprivation. Spitz nannte diesen Zustand „anaklitische Depression“. In früheren Zeiten starben bis zu 70 % der Findelkinder an diesem Zustand.[34] Hier spricht man auch von der Dekomposition.
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Re: Weise Parallelität orbus, a <-> sapiens

Beitragvon Odinus Thorus » Sa 13. Nov 2021, 14:40

medicus hat geschrieben:Das Wort Waise ist verwandt mit mhd. entwisen= verlassen.

@Medicus,
Lies mal bitte die beiden Etymologien zu Weise und Waise im DWDS.
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Re: Weise Parallelität orbus, a <-> sapiens

Beitragvon Odinus Thorus » Sa 13. Nov 2021, 14:50

marcus03 hat geschrieben:
Odinus Thorus hat geschrieben:Werden der elterlichen Zuwendung entbehrende Kinder früher klug?

Die werden v.a. psychisch krank und/oder soziopathisch. (Marasmus)
Für die geistige Entwicklung dürfte das sehr nachteilig sein.

Die beiden dargestellten Entwicklungen schliessen sich leider nicht aus. Hierher gehört wohl auch jenes "Kinderexperiment", welches dem Staufer Friedrich dem II (Castel des Monte), zugeschrieben wird.

Lieber Marcus, eine Angabe zur Quelle Deines Zitates hätte mir weitergeholfen. Marasmus, das Wort hab ich bisher weder gehört noch gelesen. Aber Danke! Naja, hatte ja damals den Psyrembel emtsorgt.
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Re: Weise Parallelität orbus, a <-> sapiens

Beitragvon medicus » Sa 13. Nov 2021, 14:59

Waise:
Waise f. ‘Kind, dessen Eltern verstorben sind’, ahd. weiso (9. Jh.), mhd. weise, mnd. mnl. wēse, nl. wees wird meist mit ahd. wīsan ‘(ver)meiden’ (9. Jh.; vgl. biwīsan, um 800) und lat. dīvidere ‘trennen, zer-, ab-, ein-, austeilen’ zu der unter Witwe (s. d.) dargestellten Ausgangsform ie. *u̯eidh-, *u̯idh- ‘trennen’ gestellt. Anders Seebold 547 f., der lat. vītāre ‘meiden’, toch. AB wik- ‘vermeiden, sich fernhalten von, verzichten auf’ heranzieht und von einer Wurzel ie. *u̯ei- ‘drehen, biegen’ (s. Weide1) ausgehen will. Schreibung mit ai entstammt bair.-öst. Schreibgewohnheit (s. auch Kaiser) und wird von Luther übernommen, so daß sich eine orthographische Unterscheidung zu Weise und weise ergibt. Ahd. weiso ist nur Mask., mhd. weise zeigt auch fem. Genus, das sich vom 18. Jh. an durchsetzt. verwaisen Vb. ‘die Eltern verlieren, verlassen werden, allein sein’, mhd. verweisen ‘zur Waise werden oder machen’.

Weise:
Weise f. ‘Art (des Verhaltens und Handelns), Beschaffenheit, Merkmal’, ahd. wīsa (8. Jh.), mhd. wīs(e) ‘Art, besondere Erscheinungsform’, asächs. wīsa, mnd. wīs(e), mnl. wīse, wijs, nl. wijze, wijs, aengl. wīse, engl. (selten) wise, anord. vīsa (‘Strophe, Vers’), schwed. vis sind zu der unter wissen (s. d.) abgehandelten Wurzel ie. *u̯eid- ‘erblicken, sehen’ gebildet, vielleicht auch (wie weise, s. d.) Weiterbildung eines alten s-Stammes, vgl. griech. é͞idos (εἶδος) ‘Aussehen, Gestalt, Beschaffenheit, Gattung’. Die Bedeutungsentwicklung verläuft von ‘Aussehen, äußere Erscheinung’ über ‘Beschaffenheit’ zu ‘Art des Verhaltens in einer gegebenen Situation’. Vgl. die formelhafte Verbindung Art und Weise (16. Jh.). Bereits bei Notker erscheint ahd. wīsa im Sinne von ‘Melodie’, lat. modulātus bzw. tonus übersetzend; dazu vgl. Wort und Weise ‘Text und Melodie’ (eines Liedes), mhd. wort und wīse. -weise Kompositionssuffix zur Bildung von modalen Adverbien, produktiv seit dem 16. Jh.; anfangs noch in getrennter Schreibung; vgl. legation weiß, erzweis (16. Jh.), dutzet weise, gesprächweiß (17. Jh.). Voraus gehen genitivische Fügungen wie mhd. in zornes wīs, in regenes wīs. In älterer Sprache wird überwiegend die kurze, e-lose Form verwendet.

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Re: Weise Parallelität orbus, a <-> sapiens

Beitragvon Zythophilus » So 14. Nov 2021, 12:30

Das Phänomen, dass es Homonyme gibt, die etymologisch nichts miteinander zu tun haben, scheint nicht jeder zu akzeptieren.
Studenten machten sich früher darüber lustig, indem sie z.B. das Wort olet mit "mir schwant" wiedergaben, als würde es von olor kommen. Spanier meinen wiederum, man müsse Lebensmittel vor aggressiven Schwänen schützen; das muss doch "olores agresivos" heißen, die banale Erklärung, es handle sich um Gerüche, akzeptieren wir doch nicht, werter Odine.https://kanarische-produkte.com/shop/im ... 00x500.JPG
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Re: Weise Parallelität orbus, a <-> sapiens

Beitragvon marcus03 » So 14. Nov 2021, 14:50

Zythophilus hat geschrieben: indem sie z.B. das Wort olet mit "mir schwant" wiedergaben


schwanen Vb. ‘ahnen’, meist in der unpersönlichen Fügung es schwant mir ‘ich ahne, vermute’ zuerst mnd. ome hedde so etwes geswanet ‘geahnt’ (1514 Braunschweig), aber bereits in der 1. Hälfte des 16. Jhs. ins Hd. übernommen. Vielleicht entstanden durch Verschiebung der Wortgrenze zwischen Personalpronomen und Verb aus mnd. es (Genitiv) wānet mir, im Anlaut dem nhd. Konsonantismus angeglichen. Oder der Fügung liegt nlat. olet mihi ‘es ahnt mir’ (lat. olēre ‘riechen, sich durch Geruch bemerkbar machen’) zugrunde, in scherzhafter Übersetzung durch Humanisten bzw. Studenten an lat. olor ‘Schwan’ angeschlossen. Die unpersönliche Konstruktion mag in beiden Fällen von es ahnt mir beeinflußt sein. Häufig auch in Reimbindung mir schwant und ahnt (18. Jh.).
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Re: Weise Parallelität orbus, a <-> sapiens

Beitragvon Tiberis » So 14. Nov 2021, 15:15

medicus hat geschrieben:ich armer Thor

Thor = Thorus ?
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Re: Weise Parallelität orbus, a <-> sapiens

Beitragvon medicus » So 14. Nov 2021, 15:22

marcus03 hat geschrieben: mir schwant und ahnt

Mir schwant und ahnt,
ich armer Thor.
Da nehm ich mir
den cygnus vor.
Nunc mihi cygnat
tibi olet
sodalibus iam auris dolet,
:hairy:
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Re: Weise Parallelität orbus, a <-> sapiens

Beitragvon medicus » So 14. Nov 2021, 15:58

Tiberis hat geschrieben:Thor = Thorus ?

Nur wenn der Thor durch Tore geht,
hinter denen Wache steht!
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Re: Weise Parallelität orbus, a <-> sapiens

Beitragvon Zythophilus » So 14. Nov 2021, 16:54

Das Wort "Thor" hatte tatsächlich sein "th". Angeblich hätte auch der "Thron" seines verloren, wenn Kaiser Wilhelm protestiert und erklrärt hätte, sich nicht auf einen solchen ohne "th" setzen zu wollen.
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