Neuer Fehlertyp

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Beitragvon Odinus Thorus » So 27. Feb 2022, 11:16

Ein Autofahrer, der von Friedland Richtung Neubrandenburg unterwegs war, wurde laut Polizei durch die tiefstehende Sonne so stark geblendet, dass er einen Wagen vor ihm übersah und ungebremst auffuhr.

Quelle: https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenb ... index.html

Mir fehlen die Worte: Es muss eindeutig heissen "vor sich übersah". Der Satz ist sonst tadellos. Es liegt auch nicht der Fall Satzbruch vor, also dass man mit einem Halbsatz eines ganzen Satzes beginnt, und mit dem zweiten Halbsatz eines anderen Satzes beendet. Es ist auch kein blosses Verschreiben. Wenn ein Nicht-Muttersprachler den Satz gebildet hätte - in welcher Sprache fallen Reflexivpronomen und Personalpronomen zusammen? - er ist mir dazu zu glatt und zu deutsch und zu gängig.
Zuletzt geändert von Odinus Thorus am Di 1. Mär 2022, 21:24, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Neuer Fehlertyp

Beitragvon medicus » So 27. Feb 2022, 11:55

Odinus Thorus hat geschrieben:Es ist auch kein blosses Verschreiben.

Es ist kein neuer Fehlertyp.
https://www.deutsch-perfekt.com/deutsch ... 0wei%C3%9F.
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Re: Neuer Fehlertyp

Beitragvon marcus03 » So 27. Feb 2022, 12:38

medicus hat geschrieben:Es ist kein neuer Fehlertyp.

Aus der Sicht des Berichtenden ist das m.E. korrekt. (Sprecherblickwinkel).
Zudem steht "vor ihm" für "der vor ihm fuhr". "vor sich fuhr" würde man nicht sagen.
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Re: Neuer Fehlertyp

Beitragvon iurisconsultus » So 27. Feb 2022, 18:10

Odinus Thorus hat geschrieben:Mir fehlen die Worte. Es muss eindeutig heissen "vor sich übersah".

Die fehlen uns auch oft. :wink: „Eindeutig“ ist keine zureichende Begründung für Tadel!

Ich bin der Meinung, dass zwar das Reflexivpronomen vorzuziehen ist, da keine Bezugsmehrdeutigkeit vorliegt, das Personalpronomen aber deshalb nicht falsch ist; zudem kann man marcus‘ „Sprecherblickwinkel“ zur Begründung fruchtbar machen.
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Re: Neuer Fehlertyp

Beitragvon Sapientius » Di 1. Mär 2022, 09:00

Der Beobachter (Sprecher) sieht ein Auto vor sich, und der Beobachtete sieht ein Auto vor ihm.
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Re: Neuer Fehlertyp

Beitragvon medicus » Di 1. Mär 2022, 16:05

Nonne est laudandus Odinus Thorus, qui nobis hanc quaestionem difficilem posuerit?
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Re: Neuer Fehlertyp

Beitragvon Tiberis » Mi 2. Mär 2022, 19:49

Odinus Thorus hat geschrieben:dass er einen Wagen vor ihm übersah

das ist zwar stilistisch schlecht , grammatikalisch jedoch einwandfrei.
in gutem Deutsch müsste es heißen: ..einen vor ihm fahrenden Wagen übersah.
Niemand käme dann auf die Idee, zu sagen: einen vor sich fahrenden Wagen
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Re: Neuer Fehlertyp

Beitragvon cometes » Do 3. Mär 2022, 14:36

Tiberis hat geschrieben:Niemand käme dann auf die Idee, zu sagen: einen vor sich fahrenden Wagen


Auf diese Idee verfallen Deutschsprecher seit einigen Jahrzehnten durchaus, insbesondere wenn sie in Zeitungsredaktionen tätig sind.
Zuletzt geändert von cometes am Do 3. Mär 2022, 16:10, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Neuer Fehlertyp

Beitragvon marcus03 » Do 3. Mär 2022, 15:40

Dass es auch anders geht, sieht man hier:

https://www.google.de/search?q=%22vor+i ... 22&client=
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Re: Neuer Fehlertyp

Beitragvon cometes » Do 3. Mär 2022, 16:16

Diese Änderung des Sprachgebrauchs hängt meines Erachtens mit dem schwankenden Einsatz von Personal- und Reflexivpronomen beim deutschen ACI zusammen. Steht in einem solchen eine Präposition vor dem Pronomen, wird meist das Reflexivpronomen gewählt. Das greift offenbar seit einiger Zeit auf entsprechend erweiterte Partizipialattribute über.
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Re: Neuer Fehlertyp

Beitragvon Odinus Thorus » Do 3. Mär 2022, 21:04

Tiberis hat geschrieben:Niemand käme dann auf die Idee, zu sagen: einen vor sich fahrenden Wagen

Doch, schon Goethe ging im Walde so vor sich hin...! und nicht vor ihm! Das könnte in der Uckermark entstanden sein, wo man immer noch ert. Da reden die Leute Dich heut noch, statt "Wo kommen Sie denn her? / Wo kommst Du denn her?" mit der Frage an: "Wo kommt er denn her?" Die reden einen mit Er an! Hat er heut schon wat gegessen? Wenn einem diese Sprechweise das erste Mal begegnet, dreht man sich unwillkürlich um, um herauszukriegen, von wem die Rede ist, bzw. wer in Rede steht, bis man realisiert: Der meint mich!
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Re: Neuer Fehlertyp

Beitragvon cometes » Do 3. Mär 2022, 23:23

Die Idiomatisierung der Wortverbindung "vor sich hin" fand als zu Verben tretender Ausdruck einer unbestimmten Richtung der Handlung im weitesten Sinne schon lange vor Goethes Waldspaziergängen statt (Der Allmächtige gütige Gott, welcher ein weiser und hochgelobter Gott ist, hat nicht wollen zugeben, daß auch vor Zeiten das Volck Gottes, die Jüden […] ohne promulgirte Ordnung und vorgeschriebene Gesetze vor sich hin leben, sondern, was sie tun und lassen sollen, wirdt deutlich ihnen vorgeschrieben. (1595))

Dass darin sich als Reflexivpronomen fungiert und nicht durch ein Personalpronomen ersetzt werden kann, ist wohl unstrittig, die Wendung hat also nichts mit der Frage zu tun, warum offenbar seit einigen Jahrzehnten bei erweiterten Partzipialattributen vom Typ ein vor ihm/sich fahrendes Auto ein schwankender Gebrauch von Personal- und Reflexivpronomen zu beobachten ist.
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Re: Neuer Fehlertyp

Beitragvon Odinus Thorus » Fr 4. Mär 2022, 12:37

cometes hat geschrieben:Dass darin sich als Reflexivpronomen fungiert und nicht durch ein Personalpronomen ersetzt werden kann, ist wohl unstrittig, die Wendung hat also nichts mit der Frage zu tun, warum offenbar seit einigen Jahrzehnten bei erweiterten Partzipialattributen vom Typ ein vor ihm/sich fahrendes Auto ein schwankender Gebrauch von Personal- und Reflexivpronomen zu beobachten ist.


Danke für das alte Zitat, Cometes, obwohl - ist ein Zitat alt, wenn es eben zitiert wird? - ansonsten aber hast Du recht, war eine nach abseits führende Idee, eine sogenannte abseitige Idee, von mir. Es gehört nicht hierher....
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Re: Neuer Fehlertyp

Beitragvon Tiberis » Fr 4. Mär 2022, 15:45

Odinus Thorus hat geschrieben:Die reden einen mit Er an! Hat er heut schon wat gegessen?

Diese Anrede in der dritten Person gab es auch in Österreich, allerdings wohl nur gerichtet an Personen geringeren Ranges oder Standes. In Hofmannsthals Text zum Rosenkavalier findet man dazu zahlreiche Beispiele, wie etwa das Gespräch zwischen der Fürstin (Marschallin) und dem Grafen Octavian Rofrano.

MARSCHALLIN
(indem ein Schatten über ihr Gesicht fliegt)
Lass Er den Feldmarschall in Ruh'!. Mir hat von ihm geträumt.

OCTAVIAN
Heut nacht hat dir von ihm geträumt? Heut nacht?

MARSCHALLIN
Ich schaff' mir meine Träume nicht an.

OCTAVIAN
Heute nacht hat dir von deinem Mann geträumt? Heute nacht?

MARSCHALLIN
Mach' Er nicht solche Augen. Ich kann nichts dafür. Er war einmal wieder zu Haus.
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Re: Neuer Fehlertyp

Beitragvon Medicus domesticus » Fr 4. Mär 2022, 17:22

Die alte "er"-Anrede ist wohl bekannt, genauso die "Sie"-Anrede sogar unter Kindern und Eltern.
In der heutigen Zeit macht das kaum jemand mehr. Ich bezweifle auch Odinus=brakbekl -Aussage. Nur dann vielleicht, wenn jemand unerwünscht ist.
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