Ehre und Löffel

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Ehre und Löffel

Beitragvon Odinus Thorus » Do 24. Mär 2022, 15:06

Je länger einer von seiner Ehre spricht,
desto schneller zähle man seine Löffel

https://www.aphorismen.de/zitat/4601

Kann mir das jemand deuten? Ich krieg keine Nexus zwischen Ehre und Löffel gefunden. (Übersetzungsfehler?)
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Re: Ehre und Löffel

Beitragvon ClaudiaK » Do 24. Mär 2022, 17:43

1. Früher waren die Löffel aus Silber. Waren also wertvoll und begehrtes Diebesgut.
2. Die Ehre, von der hier einer redet, kann die Ehre des Zuhörenden sein, der erfüllt von dem Gefühl der Schmeichelei nix mehr mitkriegt, auch nicht den Diebstahl der Silberlöffel.
3 Die kann die Ehre des Redners selbst sein, von der er immer wieder beteuert sie zu haben (dazu gehört keine Sachen zu klauen, wie Silberlöffel). Redet er über Gebühr und über das Normale hinaus viel Gutes von sich, und wie ehrenhafter und seine Gedanken seien, desto weniger sind sie es und umso mehr muss man ihm das Ausbrüten einer unehrenhaften Tat, wie das Klauen von Silberlöffeln, unterstellen. :D

Nexus hergestellt? 8)

Ich gehe jetzt mal nicht in die anthropologische Tiefe, welches Geschlecht eher an der Erblindung durch Lobhudelei erkrankt, und warum bei Löffel alle nur noch an die kleinen Plastiklöffelchen von Crobag denken und warum Ehrgequatsche und Lobhudelei im Zeitalter von Selbstoptimierung der Außendarstellung (Facebook und Co) sowieso keiner mehr seltsam findet :-D
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Re: Ehre und Löffel

Beitragvon medicus » Do 24. Mär 2022, 20:41

ClaudiaK hat geschrieben:Plastiklöffelchen von Crobag

Meinst du diesen Laden? :wink:
https://de.wikipedia.org/wiki/Le_Crobag
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Re: Ehre und Löffel

Beitragvon Odinus Thorus » Do 24. Mär 2022, 22:21

ClaudiaK hat geschrieben:Nexus hergestellt? 8)

Ja, aber das klingt mir alles sehr gekünstelt. Die Leute waren damals nicht so verstohlen wie heute, es gab mehr Bewusstsein von Recht und Unrecht. Ja und wenn, dann klaut man doch keine Löffel, die meist Siegel und Stempel und Wappen trugen und überall den Besitzer verrieten. Handelt es sich nicht doch um eine Fehlübersetzung? Vll ist das Slang und der Schreiber - ich hab ihn nie gelesen - meint was ganz anderes.... ich kenn Bahnhof, Koffer klaun, aber Löffel?
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Re: Ehre und Löffel

Beitragvon cometes » Fr 25. Mär 2022, 01:33

Die Glanzzeit von die Begehrlichkeiten Krimineller weckenden Edelmetallbestecken als Wertanlage und Prestigeobjekt ist zweifellos vorüber, man muss aber nur die Proceedings of Old Bailey, dem berühmten Strafgericht in London, die für die Jahre von 1674 bis 1913 online einzusehen sind, durchforsten, um zu erfahren, that stealing silver spoons was a thing back then. Die Einträge gehen in die Hunderte.

Das schlägt sich auch in Literatur und Sprachgebrauch nieder. Schon in einem Mock Poem von Samuel Colvil aus dem 17. Jhdt heißt es …some challenged for dreadful things as stealing silver spoons und in Daniel Defoes Bearbeitung der Lebensgeschichte von Jack (bzw. John) Sheppard (1724) steht der Silberlöffeldiebstahl am Beginn einer fabelhaften Verbecherkarriere:

It has been said, in the History of my Life, that the first robbery that ever I committed was in the house of Mr. Bains , […] to my sorrow and shame, I must acknowledge my guilt of a felony before that, which was my stealing two silver spoons from the Rummer tavern, at Charing Cross, when I was doing there a job for the master.


An der Gewöhnlichkeit des Vergehens ändert sich im 19. Jahrhundert indes wenig:

Elizabeth Avery had committed a very common crime in early Victorian London and received a very usual sentence for it. When she was brought before the Queen’s Square Police court on 25 June 1837 (just five days after the queen acceded to the throne) she was accused of stealing a silver spoon.


Die bei Emerson auftauchende Redewendung to count one's spoons hat ihren Ursprung offenbar im 18. Jahrhundert, eventuell als Bonmot Samuel Johnsons. Der auf der verlinkten Seite als Aphorismus bezeichnete Satz aus The Conduct of Life (The louder he talked of his honor, the faster we counted our spoons) von 1860 ist allerdings im Text auf einen ganz bestimmten sozialen Typus gemünzt, den private adventurer, eine Art unternehmerischen Glücksritter, dessen vor Selbstlob strotzender Auftritt bei einer Tischgesellschaft, geht es nach Emerson, ebenso ums Eigentum fürchtende Skepsis auf sich ziehen sollte wie der eines Taschendiebs.
Zuletzt geändert von cometes am Fr 25. Mär 2022, 23:01, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Ehre und Löffel

Beitragvon cometes » Fr 25. Mär 2022, 14:59

Übrigens verhält es sich im deutschen Sprachraum nicht anders, auch hier war der als besonders verabscheuungswürdig angesehene Löffeldiebstahl seit der Neuzeit ubiquitär und hinterließ seine Spuren in Literatur und Sprachgebrauch. In Hans Sachs' Schwank Der gestolene silberne Löffel ist der Dieb ein Dorfpfaffe, von Schillers Räubern werden zwei goldne Sackuhren […] weggebixt, und ein Dutzend silberne Löffel darzu, in den Xenien heißt es Was? Sie machen Kabale, sie leyhen auf Pfänder, sie stecken Silberne Löffel ein, wagen den Pranger und mehr, Jean Paul, behauptet eine Anekdote, habe sich bei Goethe über seine Rezensenten beschwert und beschlossen, diesen nichts mehr zu entgegnen, bis man ihm vorwerfe, ein paar silberne Löffel gestohlen zu haben. In Hebels Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes schließt eine Kalendergeschichte über besagtes Vergehen mit der ironisierenden Moral Merke: man muss keine silbernen Löffel stehlen und Heine beruhigt seinen Briefpartner anlässlich seines Konfessionswechsels mit den Worten: Ich versichere Dir, wenn die Gesetze das Stehlen silberner Löffel erlaubten, so würde ich mich nicht getauft haben. Der beim Preußenschlag demontierte Rudolf Amelunxen vertraut 1932 seinem Tagebuch an: Ich mußte mich fühlen, als hätte ich silberne Löffel gestohlen, und so war es wohl auch gemeint.
Bis heute verzeichnen Werke wie Deutsche Idiomatik: Wörterbuch der deutschen Redewendungen den Phraseologismus keine silbernen Löffel stehlen als Ausdruck für redliches Verhalten, 2015 beteuerte der Kölner Dombaumeister vor Gericht seine Unschuld folgendermaßen: „Ich habe keine silbernen Löffel gestohlen“. Das war der Welt immerhin eine kleine Schlagzeile wert.
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Re: Ehre und Löffel

Beitragvon ClaudiaK » Fr 25. Mär 2022, 20:54

Cometes' :prof: Ausführungen sind ein kleines Bravourstück an Wissenschaftlichkeit, die meinerseits mit Bewunderung hiermit bedacht seien. :hail:
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