Tranquillitas

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Tranquillitas

Beitragvon Odinus Thorus » Sa 2. Apr 2022, 21:16

Was ist eigentlich Tranquillitas? Sag mir jetzt bitte nicht Seelenruhe! Bevor ich den Titel heute auf Latein las, habe ich immer gedacht, es heisse de aequanimitate animi. Ha, so heisst es aber nicht. Obwohl die Seelenruhe aus dem Gleichmute fliesst. Was meint der Stamm quill? Wo kommt er im lat. Wortschatz noch vor? Ja wohl nicht in quiescere, oder doch? Irgendwie assoziiert das auch an tranig, also langsam schwerfällig, obwohl Tran ja eine dt. Rhizom ist.
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Re: Tranquillitas

Beitragvon Odinus Thorus » So 3. Apr 2022, 08:28

trans und quies könnte man dann als "durch und durch" ruhig deuten. Der Wegfall des s von trans geht klar, aber das erscheinen eines Liquiden in quies, quietis ist erklärungsbedürftig. Man hätte ja auch tranquietas bilden können. Gibt es noch eine Parallel, wo auch ein agrammatisches L erscheint?
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Re: Tranquillitas

Beitragvon iurisconsultus » So 3. Apr 2022, 12:51

Odinus Thorus hat geschrieben:trans und quies könnte man dann als "durch und durch" ruhig deuten. Der Wegfall des s von trans geht klar, aber das erscheinen eines Liquiden in quies, quietis ist erklärungsbedürftig. Man hätte ja auch tranquietas bilden können. Gibt es noch eine Parallel, wo auch ein agrammatisches L erscheint?

Wenn man schon solche Fragen stellt, wäre vielmehr „trans“ als Wurzel erklärungsbedürftig, denn diese Präposition heißt nicht „durch“ und schon gar nicht heißt sie „durch und durch“, wohingegen das Adjektiv „tranquillus“ für das Derivat „tranquillitas“ niemanden wundernimmt (wundernehmen sollte).
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Re: Tranquillitas

Beitragvon Tiberis » So 3. Apr 2022, 16:36

trans (klass. "über..hinaus") hat hier die Bedeutung "überaus" bzw. "sehr" (tranquillus= sehr ruhig) und entspricht somit dem frz. très, das sich ja von trans herleitet.
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Re: Tranquillitas

Beitragvon Zythophilus » Mo 4. Apr 2022, 05:48

Die Zusammensetzung von Präfix und Grundwort bzw. Grundwort und Suffix - seit geraumer Zeit eine Aufgabe bei Schularbeiten - funktioniert nicht immer so gut, wie man gerne hätte. So wird ja definiert: "Als Beispiele eignen sich Wörter, deren Bestandteile eine Eigenbedeutung haben, die auf die Bedeutung des zusammengesetzten Wortes schließen lässt (z.B. redire, nicht aber interficere)." [Bausteine ... für die standardisierte schriftliche Reifeprüfung, Stand Oktober 2017] Da die "Eigenbedeutung" nicht immer dem im Deutschen üblichen Schema folgt bzw. es mehr Bedeutungen gibt, als wir so einfach definieren können, scheidet eben manches Wort für uns aus.
Dazu kommt, dass die im verwendeten Wörterbuch "Stowasser" keine vollständigen Listen vorhanden sind bzw. auch sonst Fehler vorkommen: Das Suffix -men wird als "uspr. Tätigkeit, dann konkret Ergebnis einer Handlung" definiert, während die andere Form -mentum als "Mittel, Werkzeug" vorkommt. Dabei negiert man, dass z.B. medicamen und medicamentum bloß zwei versch. Formen desselben Worts sind
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Re: Tranquillitas

Beitragvon marcus03 » Mo 4. Apr 2022, 08:38

Zythophilus hat geschrieben:, nicht aber interficere)."

Man könnte auf Vergleichbares verweisen: interimere, interire, wo inter die letale bzw. destruktive Bedeutung hat. (Doppelfunktion, vgl. im Dt. ver- : ver-gehen, ver-laufen, ver-tun, ver-geben usw.
oder: vor-sagen, vor-nehmen, vor-spielen, vor-sorgen, ...)
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Re: Tranquillitas

Beitragvon cometes » Mo 4. Apr 2022, 16:49

Tiberis hat geschrieben:trans (klass. "über..hinaus") hat hier die Bedeutung "überaus" bzw. "sehr" (tranquillus= sehr ruhig) und entspricht somit dem frz. très, das sich ja von trans herleitet.



Damit stünde es allein, denn die klassischen hohe Intensität markierenden Präfixoide in der lateinischen Adjektivbildung sind per- und prae (e.g. peracer, praegravis …)

Eine neuere Herleitung bietet https://books.google.de/books?id=3LztDwAAQBAJ&pg=PA155
Die semantische Modifikation von trans-, die hier angenommen wird, wirft allerdings Fragen auf.
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Re: Tranquillitas

Beitragvon Tiberis » Mo 4. Apr 2022, 23:07

Die o.a. Deutung von tranquillus als "sehr ruhig", die einen Bezug zu quietus voraussetzt, stammt nicht von mir, sondern ist bei Walde-Hoffmann nachzulesen. Sie überzeugt mich im übrigen genauso wenig wie jene in dem von dir zitierten Link.
Eine interessante, wenn auch wohl ziemlich unwahrscheinliche Erklärung lesen wir bei Forcellini: demnach soll tranquillus auf ein grch, Adjektiv *τράγκιλος zurückzuführen sein, welches zu θράω (sitze) gehöre. (Dazu dann θρανος bzw. lat. transtrum) Ein Verb θράω konnte ich jedoch in meinen Lexika nicht finden, und τράω bedeutet auch nicht sitzen, sondern bohren. :? Forcellini nimmt Bezug auf die Meeresstille, wenn er schreibt mare quodammodo sedet aut sedatum est. Aber so ganz überzeugt ist er davon selbst nicht, denn gleich anschließend schreibt er: ceterum rectius duci posse videtur a quieo, ita ut vox composita sit a trans et quies.
schwierig... :roll:
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Re: Tranquillitas

Beitragvon cometes » Di 5. Apr 2022, 01:12

Die in dem verlinkten Aufsatz äußerst verkürzt wiedergegebene Erörterung Brent Vines fasst 24 Seiten und hat doch einige interessante Punkte: https://www.academia.edu/39168968/On_th ... =swp_share
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Re: Tranquillitas

Beitragvon Sapientius » Do 7. Apr 2022, 17:07

"Tranquillitas animi" ist eine Metapher, die das windstille, ruhige Meer auf den Seelenzustand überträgt; es geht zurück auf Epikur, der "galene" in diesem Sinne auf die Seele bezog; galene ist verwandt mit gelan lachen, lächeln; es ist der Idealzustand der hedone/voluptas gemeint.
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