Latein im Bundestag

Neues aus der Antike: aktuelle Forschungsergebnisse, Ausgrabungen, Veranstaltungen und die Antike in den Medien

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Re: Latein im Bundestag

Beitragvon Procopius » Do 28. Okt 2010, 21:47

Leider hat es niemand für nötig befunden, auf diesen Beitrag zu reagieren:

viewtopic.php?f=16&t=30901

Er gehört genau hierher.
Et gaudium mihi et solacium in litteris, nihilque tam laetum, quod his laetius, nihil tam triste, quod non per has minus triste.
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Re: Latein im Bundestag

Beitragvon RM » Fr 29. Okt 2010, 08:23

Tja, dieses Thema war schon 2005 ein bißchen veraltet. Ich weiß zwar, daß unsere finnischen Freunde eine starke lateinische Lobby bilden, dennoch ist die Idee mit Latein als "Europasprache" keine besonders gute, weil die Interessen viel zu sehr auseinandergehen. Außerdem müßte man dazu Latein in Europa ganz anders betreiben als jetzt, in allen Schulen unterrichten usw. Wie soll das bitte gehen? Und als zusätzliche Amtssprache (in die dann jedes einzelne offizielle Dokument übersetzt werden müßte) würde Latein zwar eine Menge Arbeitsplätze für Absolventen der klassischen Philologie schaffen, aber das wäre es dann auch schon. Und die lateinischen Dolmetscher möchte ich sehen! Zwar gab es schon lateinische Reden im Europa-Parlament (von Enrico Berlinguer mit einer Antwort von Otto von Habsburg, wenn ich mich recht erinnere), und die Finnen haben während der EU-Ratspräsidentschaft 1999 zwar einiges an lateinischen Newslettern verbreitet, aber das hatte wohl alles nicht die erwünschte Wirkung und wurde eher als Gag aufgefaßt. Nun, was sollen wir also auf diesen Beitrag antworten? Ich bin außerdem eher für Latein als Weltsprache und auf diesem Gebiet ja auch aktiv tätig ... :wink:

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Re: Latein im Bundestag

Beitragvon Laptop » Fr 29. Okt 2010, 10:57

Latein als Verkehrssprache in Europa halte ich auch für utopisch. Dazu müßten es erst einmal genug Menschen beherrschen, und es sind nur eine handvoll, die es flüssig sprechen können. Englisch hat ja nicht nur(!) aufgrund US-Amerikanischer Hegemonie seine Verbreitung gefunden, sondern auch aufgrund seiner Schlichtheit (recht regelmäßig, keine grammat. Artikel, wenig Flexion, recht flexibel) und der vielen Muttersprachler. Beides ist bei Latein nicht der Fall. Zudem verbinden viele Latein mit 1. Katholizismus 2. Bildungselite 3. Altertum / Mittelalter; d.h. Assoziationen, die nicht so recht in unseren momentanten bzw. künftigen Zeitgeist passen. Sicherlich, es sind nur Assoziationen, aber es sind mächtige Assoziationen. Keine Frage, ich bin ein Latein-Fan, aber ich bin auch zu kritischer Reflexion fähig, und sehe, wie andere über Latein denken, und wenn ich das Wort “Latein” erwähne, wirkt es auf viele in etwa so “out of this world” wie, sagen wir “Rhönradfahren”.
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Re: Latein im Bundestag

Beitragvon Medicus domesticus » Fr 29. Okt 2010, 17:57

Latein als Weltsprache ....wäre sicher nicht schlecht für uns Lateinliebhaber, aber wie schon angesprochen...dann müssten es alle im großen Stil lernen wie Englisch. Da habe ich meine Zweifel. Obwohl ich das natürlich auch befürworten würde: Latein war ja lange nach seinem Tod Wissenschaftssprache. Aber bei meinem ältesten Sohn sehe ich, dass mit modernen Lernmethoden die Begeisterung wieder wächst... :)
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Re: Latein im Bundestag

Beitragvon RM » Fr 29. Okt 2010, 18:16

Auf unserem Kongress in Rom ("Monumenta Viaeque"), bei dem leider ganz wenige Teilnehmer aus diesem Forum anwesend waren - daß alle anderen eine Menge verpaßt haben, erwähnte ich schon - hatten wir die Idee, einen lateinischen Reiseservice zu organisieren, d.h. Leute melden sich an, reisen irgendwo in der Weltgeschichte herum und bekommen andere Lateiner vermittelt, mit denen sie sich dort treffen und natürlich lateinisch unterhalten können. Was haltet ihr davon? Das wäre jedenfalls etwas für den Ansatz "Weltsprache". In Rom waren alle Kontinente vertreten, außer der Antarktis, müßte also prinzipiell funktionieren.

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Re: Latein als Weltsprache

Beitragvon Zythophilus » Fr 29. Okt 2010, 18:17

Latein als Weltsprache mag zwar ein für uns Lateiner reizvoller Gedanke sein - ich kenne viele, denen das alles andere als reizvoll erschiene -, doch bleibt es reine Utopie.
Latein ist auch offiziell die Sprache der kath. Kirche und wird von manchen in ihr auch sehr gepflegt, aber selbst im Vatikan nimmt kaum jemand Latein wirklich in dem Sinne ernst, dass er eine aktive Verwendung durchsetzen könnte. Man freut sich über Bankomaten mit lateinischer Menu-Führung und andere nette Dinge, aber die tatsächliche Sprache ist Italienisch bzw. Deutsch bei der Schweizer Garde.
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Re: Latein im Bundestag

Beitragvon Medicus domesticus » Fr 29. Okt 2010, 18:24

Der Punkt meiner Meinung ist, dass Latein allgemein in sprachlicher Kompetenz gelernt werden müsste....und da ist leider einer weiter Weg dahin. Wenn das nicht gewährleistet ist, wird es ein weiter Weg zur Weltsprache sein...
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Re: Latein im Bundestag

Beitragvon Zythophilus » Fr 29. Okt 2010, 19:45

Was RM meint, hat durchaus Sinn und funktioniert in Ansätzen ohnedies; mit den nötigen Informationen ausgestattet, wird der Interessierte fast überall auf der Erde Gleichgesinnte finden, mit denen er sich auf Latein unterhalten kann. In diesem Sinne ist es eine Weltsprache, allerdings zumeist auf den privaten bereich beschränkt.
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Re: Latein im Bundestag

Beitragvon RM » Sa 30. Okt 2010, 13:16

Wir müssen natürlich auch Veranstaltungen für Latein-Neulinge und -Interessenten anbieten, wie z.B. die Amöneburger Lateinwochen (http://www.septimanalatina.org) oder "Circuli Latini", wie es sie in mancher größeren Stadt (Frankfurt, München, Palermo, Mailand, ...) gibt. Da gibt es sicher Nachholbedarf, da die lateinischen Wellness- und Rundum-Glücklich-Pakete noch etwas spärlich sind. Um das zu verbessern, müssen wir aber die vermeintlichen Aktivisten motivieren, selbst etwas anzubieten. Zu diesen Dingen möchte ich mal behaupten: Der Erfolg zeigt, daß das der richtige Weg ist. Insgesamt gibt es hohen Bedarf an Angeboten, die über das Schullatein hinausgehen. Es ist ja einfach so, daß viele das Gelernte auch endlich mal praktisch anwenden wollen.

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Re: Latein im Bundestag

Beitragvon philistion » Sa 30. Okt 2010, 15:47

Mir scheint, dass dieser Sprung vom Schulabschluss zum aktiven Weiterbilden oder praktischem Anwenden sehr groß ist.

Ich habe auch das Gefühl, dass sich die meisten Anfänger-Angebote wirklich nur auf das Erlangen des Latinums beschränken, was sehr schade ist. Es sollte doch auch für Menschen interessant sein, aus anderen Gründen Latein zu erlernen, als nur deshalb weil es fürs Studium vorgeschrieben ist.

War es nicht noch vor einem Jahrhundert noch so, dass sehr viel vom Deutschen ins Lateinische übersetzt wurde und die Sprache generell aktiver gelehrt wurde als heutzutage? (Die Didaktik mag damals auch nicht perfekt gewesen sein, zumindest aber wurde erkannt, dass ein aktives Beherrschen der Formen auch für die passiven Fertigkeiten von großem Nutzen ist)
Wenn ja, wie kann es sein, dass sich die Fachdidaktik immer noch mehr auf Passivität konzentriert? Liegt es daran, dass der tiefere Sinn von Latein gar nicht oder nur mehr sehr oberflächlich gesehen wird und es heute hauptsächlich darum geht, Sprachkompetenz im Übersetzen und Verstehen zu erlangen, es also nur noch aus sekundären Anlässen (Vorteile beim Fremdsprachenerwerb, Verstehen der eigenen Grammatik, Herleiten von Wortstämmen, ..) gelehrt wird, die primären Vorteile aber immer weiter in den Hintergrund rücken?
Ein Problem, die Sprache aktiv zu lehren, wird oft darin gesehen, dass moderne Begriffe nicht oder nur umständlich ausgedrückt werden können. Aber das muss man ja meines Erachtens gar nicht können, es reicht doch wenn man sich in die Zeit der Römer hineinversetzt und aktiv über Dinge spricht, die heute wie damals große Bedeutung haben und auch dementsprechend gut ausgedrückt werden können.
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Re: Latein im Bundestag

Beitragvon Laptop » Sa 30. Okt 2010, 17:06

philistion hat geschrieben:Ein Problem, die Sprache aktiv zu lehren, wird oft darin gesehen, dass moderne Begriffe nicht oder nur umständlich ausgedrückt werden können. Aber das muss man ja meines Erachtens gar nicht können, es reicht doch wenn man sich in die Zeit der Römer hineinversetzt und aktiv über Dinge spricht, die heute wie damals große Bedeutung haben und auch dementsprechend gut ausgedrückt werden können.

Das Argument ist aber in gewisser Weise ein circulus vitiosus. Denn fast alle modernen Begriffe lassen sich mit entsprechender Kenntnis recht gut lat. wiedergeben, und zu dieser genauen Kenntnis führt die richtige Methode: Voraussetzung für das Wiedergeben moderner Begriffe ist die Kenntnis der semantischen Feinheiten der lat. Wortfamilien. Wie “prominent” wiedergeben, wenn man den Unterschied zw. illustris, clarus und nobilis nicht kennt? Diese Kenntnis kann nicht(!) durch Übersetzen lat. > dt. gewonnen werden, sondern nur durch Übersetzen dt. > lat. Für ein umfassendes Sprachverständnis sind zwar beide Übersetzungsrichtungen nötig, doch insbesondere dt. > lat. Wenn man nun die Methode scheut, weil die Kenntnis fehlt, dann ist das m.E. eher ein Beleg für fehlende Motivation. Nolunt (sc. Latinitatem vivam colere), quia nequeunt; Et nequeunt, quia nolunt; Ohnehin regeln Kontexte und Metonyme, sowie das Mitdenken des Zuhörers fast alles problemlos, so sprechen wir auch heute noch davon “mit dem Wagen” (currus) in Urlaub zu fahren, so braucht man hier kein autoraeda, es reicht currus. Mit dem entsprechenden Bemühen, z.B. lebendigere Medien zu schaffen, wäre das zu meistern. Und was ich unter “lebendig” verstehe, ist nochmal ein ganzes Stück weiter als Orberg, wobei dieser einen kleinen Schritt in die richtige Richtung geht. Um es mal salopp auszudrücken: “da geht noch mehr”.
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Re: Latein im Bundestag

Beitragvon RM » Sa 30. Okt 2010, 19:49

Moderne Begriffe lateinisch wiederzugeben, ist nicht das eigentliche Problem. Erstens braucht man im Anfangsstadium nicht besonders viele, zweitens kommen ohnehin viele irgendwie aus dem Lateinischen und drittens gibt's dafür natürlich jede Menge Wörterbücher (eines der neuesten ist das Visuelle Wörterbuch von DK). Ich habe wirklich den Eindruck, daß die Hauptschuld daran einige der Fachdidaktiker tragen, die jahrzehntelang gepredigt haben, daß das aktive Beherrschen des Lateinischen nicht gewollt sei und daß man sich im Lateinunterricht auf die Antike zu beschränken habe. Warum nämlich tauchen kaum mittelalterliche Texte in der Schule auf? Einen praktischen Grund sehe ich jedenfalls nicht in ihrer geringen Bedeutung. Aber zum Glück sind wir z.Zt. in einer ganz guten Position, weil unsere Zeit nicht mehr so empfänglich für solche einseitigen Richtungsvorgaben ist. Das liegt auch an der durch das Internet geförderten Meinungsvielfalt.

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