Salve, Sapienti! Salvete, omnes taciti!
Ein bisschen enttäuscht mich die gelegentliche Passivität oder Zurückhaltung (Ängstlichkeit? Desinteresse?) von Lateinern bezüglich alternativer und neuer Ideen. Ich habe diese Erfahrung schon an der Uni gemacht, wo ich gesehen habe, wie höllisch schwierig es ist, Lateinkommilitonen beispielsweise zu einem Colloquium oder Convivium Latinum zu locken. Die meisten, die sich darauf einlassen, waren danach "bekehrt".
Die spontane Lektürerunde letzthin hat, glaube ich, allen Spaß gemacht. Aus dem Forum war niemand da (doch: eine ehemals sehr aktive, Neulingen aber wohl gar nicht mehr bekannte Foristin), zumindest hat sich niemand zu erkennen gegeben - sowie es ja auch hier keinerlei Reaktionen öffentlich zu lesen gab. Aktiv mitgemacht haben ein paar mir - teils persönlich bekannte - Kollegen und Kommilitonen aus In- und vor allem Ausland, so dass doch eine schöne Truppe zusammenkam.
Was mich, o mi Sapienti, hier besonders gereizt hat, war tatsächlich auch die Form, das Live-Erlebnis, das persönliche Moment und das Verlebendigen der Lateinischen, was ja doch "scribendo" nur begrenzt möglich ist. Früher gab es hierfür im Forum noch zumindest den Chat, der leider (teilweise aus technischen Gründen) eingeschlafen ist. Aber wie sagt doch Quintilian so schön: "
Viva vox alit plenius".
Da mir dieses ganze Thema sehr am Herzen liegt, erlaube ich mir hier eine Mail von mir selbst (in leicht abgeänderter Form) zu zitieren. Diese war eine Antwort auf die Bedenken - übrigens eines gänzenden - Lateiners bezüglich meiner Idee. Wie sich im weiteren Mailwechsel herausstellte, war dieser Lateiner doch deutlich weniger abgeneigt als zunächst gedacht. Ich zitiere die Mail dennoch, weil ich versucht habe, einige häufig zu beobachtende Bedenken bezüglich Ideen dieser Art aufzugreifen und ein wenig zu zerstreuen:
Salve, [...]!
Danke für deine nette Antwort.
[...]
Trotzdem noch ein paar Worte zum angedachten Circulus:
Inspiriert bin ich unter anderem von einem Circulus Latinus, an dem ich ganz unerwarteterweise in Lugdunum Batavorum (Leiden) teilnehmen konnte, als ich letztes Jahr (recht spontan) nach Amsterdam gefahren bin: Zufällig kam dieser Circulus, von dem ich bis dahin gar nichts gewusst hatte, am Tag meiner geplanten Abreise zusammen; ich blieb kurzentschlossen eine Nacht länger und habe es nicht bereut. Man saß zusammen, sprach Latein - jeder so gut, wie es ihm gerade möglich war -, es war eine wunderbare Atmosphäre. Ein fester Bestandteil dieser Treffen bestand darin, dass gemeinsam ein von einem der Teilnehmenden mitgebrachter Text gelesen wurde. Man versuchte gemeinsam, ihn zu verstehen und ihn auf Latein zu paraphrasieren - und auch das war einfach nur eine Freude und gleichzeitig eine tolle Übung. Nicht zuletzt habe ich zwei Leute dabei kennen gelernt, mit denen ich immer noch in Kontakt bin.
Was ich sagen will: Das, woran ich denke, ist kein akademisches Seminar, in dem jeder vorbereitet sein muss; es ist ein gemeinsames Zusammensein, ein gemeinsames schönes Lateintreiben und ein guter Abend. Wohin sich das Gespräch entwickelt, ist offen: Ob es Gespräch nun tatsächlich beim gelesenen Text verweilt und diesen weiter ergründet, ob vielleicht über heutige Nöte von Lehrern oder über etwas ganz anderes gesprochen wird - ist dann vielleicht fast zweitrangig.
Sehr gerne würde ich dich [...] bei einer solchen Gelegenheit einmal "persönlich" treffen und kennen lernen. Du meintest ja schon häufiger mal, es hätte dich schon ein bisschen interessiert, wie es auf einem Latine-loqui-Seminar so zugeht. Gerade geht so etwas eh nicht, aber der Anlass ist günstig, mit ein paar Mausklicks (Zoom einzurichten ist eine Sache von fünf Minuten) etwas ganz Ähnliches gemütlich und unverbindlich von zu Hause aus auszuprobieren.
Nur nebenbei: Das Problem mit Veranstaltungen dieser Art ist oft das Folgende: Die einen fühlen sich eher am Anfang ihres Lateins und lehnen ab, weil sie noch nicht gut genug seien (gerade für diese wäre das eine tolle Hilfe und Ergänzung beim Lernen); die anderen lehnen ab - so vermute ich, denn sie sagen es nicht offen -, weil sie sich bereits einen Ruf als gute Lateiner erworben haben und diesen nur verlieren zu können glauben [wenn sie beispielsweise - was anfangs unweigerlich häufiger vorkommt, sich aber erstaunlich schnell legt - Schnitzer einbauen oder nach Worten ringen]. Das ist schade! Denn die einen könnten hier - mit einer sehr motivierenden Methode - richtig viel lernen; und die anderen könnte ebenfalls eine tolle Erfahrung haben - und vielleicht auch noch ein bisschen dazulernen. [Und nicht zu vergessen: Ihre Kompetenz hilft allen Teilnehmenden, die noch eher am Anfang stehen.] Wer sich einmal darauf einlässt, findet meist sehr schnell Freude und Gefallen daran. Schwer ist nur die "Überzeugungsarbeit", sie dorthin zu bekommen ...
[Lateiner wollen - allein schon aufgrund ihrer schulischen und universitären Latein-Sozialisation -, glaube ich, keine Fehler machen ...]
Viele Worte ... Aber vielleicht konnte ich dich ja doch etwas neugierig machen - wenn nicht für dieses, so doch vielleicht für ein anderes Mal.
Cura, ut valeas [...]!
Christian
Bene valete!