Seneca und der Rückzug aus der Politik

Diskussionen zu den antiken Philosophen, ihren Ideen und ihrer Rezeption

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Seneca und der Rückzug aus der Politik

Beitragvon Anachronist » Di 30. Dez 2003, 15:36

Moin,

da die Griechen jetzt zum Hort der Philosophie gemacht worden sind, nutze ich doch die Gelegenheit eine passende Frage zu stellen und hoffe mal, dass es die bisherigen Nutzer dieses Teils des Forums nicht stört ;)

Ich bin gerade dabei einige Senaca Briefe zu lesen und mir ist etwas aufgefallen, dass mich stört. Seneca ruft immer wieder dazu auf sich aus den Belangen der Menschen zurückzuziehen und "das Forum zu meiden". Wenn er nicht anders kann, wird der Weise die Last der Verantwortung für das Gemeinwesen ertragen aber nicht suchen. Mir fehlt hier irgendwie der Aspekt, dass der Mensch, der durch nachdenken auf bessere, schönere Lösungen gestoßen ist auch eine Verantwortung hat zu versuchen diese Erkentnisse in der Welt umzusetzen. Ich meine hier explizit nicht nur die Erkenntnisse über sich selbst, an sich selbst umzusetzen, sondern auch, dass der Mensch verpflichtet ist einzugreifen, so bald er ein Übel sieht, dass sich außer seiner selbst befindet. Dies beginnt meiner Meinung nach an dem Punkt, an dem man erkennt, dass ein Mensch sich selbst oder auch einem anderem sinnloserweise weh tut und reicht bis in den Bereich der politischen Verantwortung hinein. Kurz gesagt, bin ich der Ansicht, dass der Mensch, auch seiner Umgebung und der Welt im allgemeinen gegenüber, immer Verantwortung für sein Tun hat. Ein Unterlassen ist aber ebenfalls ein Tun und somit geht meiner Ansicht nach fehl, wer sich nur auf sich selbst zurückzieht.

Jetzt zu meiner Frage: Kennt jeand die Seneca-Stellen, in denen er sich ausfürlicher mit dem Thema befasst, wann der Mensch sich nicht auf sich selbst zurückziehen darf, sondern die Verpflichtung hat um erhaltenswertes oder aufbauenswertes zu kämpfen - und sei es nur, um nicht sich selbst, sondern anderen zu nutzen. Ich denke fast, dass ich hier unter Umstänen anderer Meinung bin als Seneca aber in den bisherigen Briefen, die ich gelesen habe, wird das Thema immer fast beiläufig behandelt und ich suche einen Brief oder auch eines seiner anderen Werke, das sich primär mit dieser Frage beschäftigt. Welche Verantwortung hat der Mensch der Welt und dem Gemeinwesen gegenüber zu erfüllen und wann darf oder muss er sich, aus welchen Gründen, von dieser befreien?

Danke

Ana
Anachronist
 

Beitragvon Juergen » Di 30. Dez 2003, 15:45

Mit Seneca kann ich leider nicht dienen (ja,ja,ja: Jürgen und die alte lat. Philosophie :lol: ), aber hast Du mal den Aklibiades (der erste/große) gelesen?
Juergen
 

Beitragvon Anachronist » Di 30. Dez 2003, 15:59

Nein, leider nicht. Ich werde auch noch mindestens ein halbes Jahr bei Seneca bleiben - vielleicht auch länger. Danach will ich ein wenig in der Gegend rumlesen, ob ich etwas Neues finde, dass mich für längere Zeit festhält. Das heisst natürlich nicht, dass ich nur noch Seneca lesen will aber der Hauptfaden meiner Gedankengänge bilde ich im Moment in Auseinadersetzung mit ihm. Kannst Du mir trotzdem in etwas sagen, auf was herausläuft, was Du mir empfohlen hast? Auch wenn ich nicht die Zeit finden werde mich mit 3-4 Philosophen auf einmal intensiv auseinanderzusetzen, interessiert es mich schon noch, was außerhalb von Seneca geschrieben wird.

Ana

NACHTRAG: Und wer oder was es ist :D ich habe nämlich noch nie etwas davon gehört.
Anachronist
 

Beitragvon Juergen » Di 30. Dez 2003, 16:03

Anachronist hat geschrieben:NACHTRAG: Und wer oder was es ist :D ich habe nämlich noch nie etwas davon gehört.

Ist von Plato.

(Ja, ich weiß selbst, daß der ein oder andere meint, es sei nicht von Plato.)
Juergen
 

Beitragvon Juergen » Di 30. Dez 2003, 16:12

Es ist einer der aporetischen Dialoge von Plato. Leider sind die aporetischen Texte nicht so "in", da sie eben zu keinem Ergebnis führen und man sich lieber mit Texten beschäftigt, die auf ein Ergebnis liefern....

Ganz kurz (aus dem Gedächtnis) zusammengefasst:

Plato trifft auf Aklibiades. Dieser will in die Politik gehen und Plato fragt ihn ob er was davon verstehe.
Wie bei Plato üblich gibt es nun einige Vor und Zurück und Rechts und Links und Ausschweifungen etc. etc.
Es werden Fragen angesprochen, was den das Bessere und was das Schlechtere sei usw.

Aber egal.

Am Ende steht eine interessante Unterscheidung. Die Unterscheidung zwischen "für das Seinige sorgen" und "für das Selbst sorgen".

Ersteres meint sowas wie essen, trinken usw.
Zweiteres bezieht sich eher auf das "innere", auf das Selbst (auch wenn dort keine Definition geliefert wird).

Beides ist wichtig, doch scheint es so, daß wohl zuerst jemand wissen muß, was es heißt für das Selbst zu sorgen.
Wer weiß, wie er für das Selbst sorgen soll, der kann dann auch anderen Ratschläge geben, wie sie für ihr Selbst und ihr Seiniges sorgen können.

Seneca kenne ich zuwenig, aber vielleicht meint er ähnliches, daß man erst mal in sein inneres gucken soll, lernen soll für das Selbst zu sorgen und in einem zweiten Schritt nach draußen gehen kann.
Juergen
 

Beitragvon Platon » Di 30. Dez 2003, 16:17

Plato trifft auf Aklibiades


Das wage ich doch zu bezweifeln... :D
Platon
 

Beitragvon Juergen » Di 30. Dez 2003, 16:18

Ups, ja, :oops:
Sokrates natürlich.
Juergen
 

Beitragvon Anachronist » Di 30. Dez 2003, 16:25

Diese Perspektive teile ich (zu mindestens so, wie ich sie im Moment verstehe), Es nützt einfach nichts im Äußeren rumzufuhrwerken, ohne zu wissen, was man als gut und was man schlecht erachtet. Darüber kann aber nur entscheiden, wer sich kennt. Ich versuche es mal schematisch zu machen, obwohl das bestenfalls eine grobe Abstraktion ist:

1. Das Loslösen von den äußeren Dingen, um sich sich selbst zuwenden zu können.
2. Das Finden und Festigen der eigenen Perosn und der eigenen Perspektiven.
3. Aus sich selbst heraus wieder an die Welt heranzutreten.

Schritt drei fehlt mir ein wenig bei Seneca. Deshlab suche ich Textstellen, in denen er sich allgemein mit diesem Problem beschäftigt.

Ich persönlich denke übrigens, dass alle drei Schritte beständig ablaufen. Der Mensch betreibt beständig Selbstreferenz und Fremdreferenz, um etwas über sich, die Welt und sich in der Welt herauszufinden. Ich denke nur, dass Schritt drei mehr sein muss als die gedankliche Reflektion über die Welt, die Fremdreferenz, sondern dass sich aus der Reflektion heraus auch eine Verpflichtung ergeben kann in der Welt zu handeln. Genau hier leigt der Punkt, der mir bei Seneca bisher fehlt.

Ana
Anachronist
 

Beitragvon Juergen » Di 30. Dez 2003, 16:32

Alkibiades zum selbstnachlesen unter:
http://www.fontes-ecclesiae.de/forum/alkibiades.html
Zuletzt geändert von Juergen am Di 30. Dez 2003, 17:13, insgesamt 1-mal geändert.
Juergen
 

Beitragvon Juergen » Di 30. Dez 2003, 16:33

* Text des Alkibiades gelöscht*
* Liegt jetzt unter einem externen Link *
* siehe vorangegangenes Posting *
* Ich will die Forumsdatenbank nicht zumüllen ;-) *
Zuletzt geändert von Juergen am Di 30. Dez 2003, 17:15, insgesamt 2-mal geändert.
Juergen
 

Beitragvon Anachronist » Di 30. Dez 2003, 16:35

ANMERKUNG: Ich denke übrigens, dass Seneca allein durch die Art und Weise, auf die er - ganz bewusst - für die Nachwelt tätig war, dieser Verantwortung in höchstem Maße nachgekommen ist. Und auch sein sonstiger Lebensweg ist ja nicht gerade frei von Verantwortung für das Gemeinwesen. Mit fehlen nur Stellen, die sich um diese Verantwortung drehen. In einem der ersten Briefe (ich weiss jetzt nicht genau welchem) kündigt er auch eine nähere Untersuchung des Themas an. Ich bin im Moment nunmal erst beim Brief 26 - würde aber dieses Thema gerne bewusst verfolgen, statt darauf zu warten, dass es kommt.

Ana
Anachronist
 

Beitragvon Anachronist » Di 30. Dez 2003, 16:36

WOW :) Das drucke ich mir vermutlich erst einmal aus ;) Wenn ich dazu komme es zu lesen, schriebe ich mal, was ich davon halt, bzw. was mr so dazu einfällt.

Ana
Anachronist
 

Beitragvon Anachronist » Di 30. Dez 2003, 17:30

:) Genau das wollte ich gerade vorschlagen ;) Ich hatte etwas die Sorge, dass für Neueinsteiger im Thread der ellenlange Text das Ende bedeutet.

Danke für die Textstelle...ich werde sie mir ansehen ;)

Ana
Anachronist
 

Beitragvon Parmenides » Mi 31. Dez 2003, 18:37

Ziel des Stoikers ist meines Wissens ein Leben zu führen, das frei ist von Leidenschaften/Affekten und damit von Schicksalsschlägen nicht erschüttert werden kann.
Nun ist ein Leben in der Politik keineswegs frei von Affekten. Wer sich politisch betätigt, setzt sich den Leidenschaften und damit Schicksalsschlägen aus.

Soweit Stoa und Epikureismus hierin übereinstimmen, wird sich ein Weiser, der nach ataraxia strebt, nie freiwillig in der Politik betätigen:

Aphorismus des Epikur:
"Wir müssen uns befreien aus dem Gefängnis der alltäglichen Geschäfte und der Politik"
Parmenides
 

Beitragvon Anachronist » Mi 31. Dez 2003, 18:53

Das Grundargument ist mir in der Form bekannt. Ich versuche nur die grundlegenderen Argumente gegen die Angriffe auf dieser Idee zu finden. Man kann glaube ich argumentieren, dass der Mensch nicht nur eine Verantwortung sich selbst gegenüber, sondern auch seiner Umwelt (der sozialen, wie der natürlichen) gegenüber hat und auch dann, wenn das Handeln nach dieser Verantwortung ein Risiko für sich selbst birgt, dieser Verantwortung nachkommen muss.

Seneca bringt in einem Brief als Beispiel Cato und argumentiert, dass Catos Kampf eigentlich von Anfang an sinnlos und somit falsch war weil sein Kampf von vornherein zum scheitern verurteilt war.

Das vermindert allerdings seine Achtung vor Cato nicht

Das es nicht lohnt sich auf einen solchen Kampf einzulassen, wenn er keinen Ausblick auf Erfolg hat, halte ich auch für sinnvoll - Aber alleine die Struktur des Arguments impliziert, dass die Frage unter Umständen anders zu beantworten wäre, wenn Hoffnung - und sei sie noch so gering - bestünde.

Gerade Seneca ist jemand, der sich oft von stoischen Grunddogmen löst, um den zu durchdenkenden Punkt neu zu beleuchten und zu diskutieren. Oft kehrt er dann zwar zu dem stoischem Ausgangspunkt zurück aber seltenst sehen seine Gedankengänge so aus:

1: Wer weise werden will hält sich von für das Gemüt gefährlichen Begebenheiten fern

2: Politik gefährdet das Gemüt

ergo:Aus 1 + 2: Wer weise werden will darf nicht in die Politik.

Seneca so auszulegen bedeutet fast immer eine zu starke Simplifizierung seiner Gedankengänge.

Ich weiß nicht sicher, ob es Stellen gibt, in denen er sich ausführlich mit der Verantwortung gegenüber der Umwelt auseinandersetzt, kann mir aber fast nicht vorstellen, dass er ein solch wichtiges Thema nicht näher diskutiert hat. Es geht immerhin um die Postion, die der Weise in und gegenüber der Welt bezieht.

Ana
Anachronist
 

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